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Die Berliner Wahlen & die WASG

Wir dokumentieren bedeutsame Statements.
09/06

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"Für eine glaubwürdige linke Opposition"
Lucy Redler über den Berliner Wahlkampf und die Rolle der Berliner WASG
Es ist noch nicht lange her, da drohte die Formierung zur neuen Linkspartei daran zu scheitern, dass die WASG Berlin bei den Berliner Senatswahlen am 17.September eigenständig, d.h. gegen die in Berlin mitregierende LPDS, zur Wahl antritt. WASG-Führung und LPDS wetteiferten mit Warnungen vor den "Sektierern" und machten auch vor Denunziationen nicht halt. Nun hat die heiße Wahlkampfphase begonnen. LUCY REDLER ist Spitzenkandidatin der Berliner WASG. Mit ihr sprach Christoph Jünke für die SoZ


Es ist still geworden um die Berlin-Frage. LPDS und WASG-Bundesführung versuchen scheinbar, mindestens bundespolitisch, euch zu ignorieren. Trifft dies auch für Berlin selbst zu?

Die WASG Berlin hat immer betont, dass wir für eine starke Linke sind. Aber eine solche bundesweite Linke muss auch linke Politik machen. Die LPDS-Politik im rot-roten Senat ist nicht im Interesse der abhängig Beschäftigten, der Erwerbslosen, der Menschen, die vom Sozialabbau betroffen sind, sondern bedeutet Sozialkürzungen und Privatisierungen, wie bspw. die Privatisierung von 120000 Wohnungen in den letzten vier Jahren. Eine Politik, die auch jetzt noch fortgesetzt werden soll: Gerade wurde bekannt, dass nach der Wahl weitere 15000 Wohnungen verscherbelt werden sollen.

Deswegen haben wir uns entschieden, eigenständig zur Wahl anzutreten, und machen damit deutlich, dass wir in Berlin die einzige soziale Opposition sind. Unsere Aufgabe sehen wir in erster Linie darin, kämpferische Interessenvertretung zu sein, gerade für Menschen, die vom Sozialabbau betroffen sind. So stehen wir nicht nur auf dem Wahlzettel, sondern haben soeben eine Kampagne gegen Wohnungsprivatisierung ins Leben gerufen, um betroffene Mietern zu informieren und in Aktivitäten einzubinden.

Unsere Kandidatur ist ein Beitrag zum Neuformierungsprozess der Linken. In der Auseinandersetzung um die politische Basis, auf der die neue Partei gebildet werden soll, wird ein Wahlerfolg der WASG Berlin die linken Kräfte in beiden Parteien stärken.

Und was die Haltung der WASG und LPDS- Bundesführung angeht: Mit der Pressekonferenz am 17.August haben sich Oskar Lafontaine und Christine Buchholtz vom WASG-Bundesvorstand eindeutig positioniert. Dabei konnten sie die Widersprüche ihrer Argumentation nicht auflösen: einerseits gegen Privatisierung und Sozialkürzungen reden und dann praktisch zur Fortsetzung des Sozialabbau-Senats aus SPD und LPDS aufrufen. Das ist eine offene Argumentation für eine Politik des kleineren Übels. Die Wahrheit ist, dass die LPDS so viele kleine Übel angehäuft hat, dass daraus ein stinkender Haufen geworden ist. Und während Lafontaine von kleineren Übeln spricht, handeln Harald Wolf, Stefan Liebich und Klaus Lederer aus Vorsatz. Sie haben bereits erklärt, dass sie ihren "erfolgreichen" rot-roten Kurs fortsetzen wollen.

Er hat aber versucht, eure Kandidatur herunterzuspielen.

Im Gegenteil: er musste zugeben, dass wir die Chance haben, ins Abgeordnetenhaus einzuziehen. Und er musste zugestehen, dass es große inhaltliche Gemeinsamkeiten zwischen ihm und der Berliner WASG gibt. Er äußerte sogar, dass die Konsolidierung von Haushalten unter den gegenwärtigen Bedingungen ein Projekt des Neoliberalismus ist. Gegen unsere Kandidatur führte er taktisch-strategische Differenzen ins Feld. So könne ein Wahlerfolg der WASG dazu führen, dass CDU, Grüne oder FDP an einer Regierung beteiligt würden und diese Parteien seien ja noch schlimmer und neoliberaler als SPD und LPDS.
Für uns kommt aber nicht in Frage, die Politik der LPDS in irgendeiner Form mitzutragen oder auch nur hinzunehmen. Sie hat fünf Jahre lang Politik gegen das eigene Programm gemacht. Sie hat die Einrichtung von 31000 1-Euro-Jobs, Kürzungen bei der Jugendhilfe, beim Blindengeld und die Abschaffung der Lehrmittelfreiheit mitgetragen. Und: Mit der SPD ist keine Kursumkehr zu einer linken Politik möglich. Deswegen muss unter den gegebenen Voraussetzungen der Platz einer linken Partei im Berliner Abgeordnetenhaus in der Opposition sein, also an der Seite der vom Sozialabbau betroffenen Menschen und der Protestbewegungen. Doch die LPDS stellt stattdessen weiter die Frage der Haushaltskonsolidierung in den Mittelpunkt ihrer Politik. Dabei geht es ja gar nicht um Haushaltskonsolidierung, sondern um die Fortführung der bundesweiten Umverteilungspolitik von unten nach oben auf Landesebene. Städte und Kommunen werden ausgeblutet, bspw. durch die Senkung der Unternehmenssteuern, und die Mehrheit der Bevölkerung soll dafür die Zeche zahlen.

Wie muss ich mir nun den Berliner Wahlkampf vorstellen. Im Osten macht die LPDS Wahlkampf, im Westen die WASG?

Die WASG ist in allen Berliner Bezirken, Ost wie West, mit Bezirksgruppen und Kandidaten vertreten. In Ostberlin liegen wir übrigens in der letzten Umfrage bei 6%, im Westen bei 5%. Wir bekommen auch von LPDS-Mitgliedern Zuspruch. So hat es bspw. kürzlich einen offenen Brief von Eveline und Ralph Hartmann, zwei nicht ganz unwichtigen LPDS-Mitgliedern, gegeben, die erklären, dass sie die WASG wählen werden. Seitdem erhalten wir von LPDS-Mitgliedern immer mehr positive Signale.

Gibt es auch andere linke Gruppen oder Zusammenhänge, die von außerhalb Berlins euren Wahlkampf unterstützen?

Auf unserer Landesliste kandidieren Aktivisten der gewerkschaftlichen und antifaschistischen Bewegung, ein Kollege der Berliner Mietergemeinschaft und ein Vertreter der DKP. Bundesweit sind es vor allem Mitglieder aus der WASG, bzw. ehemalige WASG-Mitglieder, die der Partei wegen der Politik des Bundesvorstandes leider den Rücken zugekehrt haben. Wir haben sogar internationale Unterstützung erhalten. Mitglieder der Schwesterorganisationen der SAV aus Irland, den Niederlanden, den USA, Polen, England, Österreich unterstützen den WASG-Wahlkampf.

Welche ersten Erfahrungen habt ihr im Wahlkampf gemacht? Werdet ihr angenommen?

Die Erfahrungen im Wahlkampf sind durchweg positiv. Viele Menschen sagen, dass sie uns wählen, weil wir die einzige Kraft sind, die der Politik, die die Reichen reicher und die Armen ärmer macht, eine Absage erteilt. Besonders vor den Jobcentern und bei Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, aber auch bei Hausbesuchen bei den von Privatisierung bedrohten Mietern ist die Resonanz gut.

Wie muss ich mir den Wahlkampf praktisch vorstellen und wodurch unterscheidet sich euer von dem der LPDS?

Wir unterscheiden uns vor allem durch unsere Inhalte. Während die LPDS versucht, ihre unsoziale Politik zu rechtfertigen und rot anzustreichen, erklären wir dieser Politik offen den Kampf und fordern Menschen auf, selbst aktiv zu werden. Wir machen täglich Wahlkampfaktionen — Infostände auf der Straße und vor Jobcentern, verteilen Material vor Betrieben und führen Veranstaltungen durch. Wichtiger Teil unseres Wahlkampfes sind Protestaktionen, mit denen wir deutlich machen wollen, dass wir keine rein parlamentarische Orientierung haben.

Die Kampagne gegen Wohnungsprivatisierungen hatte ich bereits erwähnt. Hier haben WASG-Mitglieder zum Beispiel zu Mieterversammlungen eingeladen, um Selbstorganisation und Gegenwehr zu fördern. Das ist dann kein Wahlkampf im direkten Sinn, aber die Mieterinnen und Mieter sehen, wer tatsächlich auf ihrer Seit steht.

Eine andere Aktion planen wir beim Kulturkaufhaus Dussmann. Dussmann hat zu Jahresbeginn 49% des Arbeiterbereichs des Universitätsklinikums Charité gekauft. Ein halbes Jahr später drohen den Beschäftigten nun Löhne von 3,99 Euro bis 4,99 Euro. Diese Teilprivatisierung, die zu Lohndumping und schlechteren Arbeitsbedingungen führen, wollen wir thematisieren, wenn wir Dussmann Anfang September "einen Besuch abstatten".
Wir werden auch in Zukunft einen Schwerpunkt außerhalb des Parlaments haben, da wir wissen, dass nur durch Widerstand in den Betrieben und Büros, in den Schulen und Hochschulen Veränderungen erreicht werden können. Eine mögliche Fraktion soll eben auch dazu dienen, Protest und Widerstand mehr Gehör zu verschaffen.

Ganz aktuell gibt es auch eine Auseinandersetzung beim Bosch-Siemens-Hausgerätewerk. Die Konzernleitung will die Produktion in Berlin-Spandau einstellen. Hunderte Arbeitsplätze würden vernichtet. WASG-Mitglieder beteiligen sich an der Arbeit eines Solidaritätskomitees. Die WASG trägt in diesen Kampf auch politische Lösungsvorschläge hinein. Es sind die Beschäftigten, die dieses Werk aufgebaut haben. Wenn die Unternehmensleitung den Betrieb zur Profitmaximierung schließen will, muss das Werk in öffentliches Eigentum überführt und unter die demokratische Kontrolle der Beschäftigten gestellt werden.

Spielt auch der Libanonkrieg eine Rolle im Wahlkampf?

Bei der relativ großen Demonstration in Berlin am 12.August haben wir uns aktiv und sichtbar beteiligt. Die Linkspartei im Bund hatte ihre Mitglieder zwar auch aufgerufen, es waren aber nur wenige gekommen. Das hing sicher damit zusammen, dass die LPDS Berlin auf eine Mobilisierung verzichtete, da sie die Forderung nach dem Existenzrecht Israels im Demoaufruf vermisst hat. Nun bin auch ich für das Selbstbestimmungsrecht der Israelis einschließlich des Rechts auf einen eigenen Staat, aber es geht bei diesem Krieg nicht um das Existenzrecht Israels, sondern um einen imperialistischen Krieg im Interesse der herrschenden Klasse Israels, der zu Opfern auf arabischer und jüdischer Seite führt. Die LPDS Berlin unterstützt zudem sogar SPD-Innensenator Körting, der eine stärkere Überwachung von Islamisten fordert.

Die Wahlforscher, du hast es erwähnt, sehen euch bei derzeit immerhin 5%, die LPDS bei etwa 15%. Wenn ihr in das Abgeordnetenhaus einzöget, so heißt es, könnte Rot-Rot allein dadurch die Mehrheit verlieren, d.h. wenn die Mehrheit kippt, seid ihr schuld, und wenn ihr gewinnt, bringt ihr den Neuformierungsprozess weiter ins trudeln. Da könnt ihr doch nur verlieren?

Nein, das ist falsch. Ich habe bereits gesagt, dass der Platz für eine linke Partei nicht in einer Koalitionsregierung mit der neoliberalen SPD sein darf. Und in der LPDS Berlin gibt es wahrscheinlich nur dann eine Chance auf einen Kurswechsel, wenn die Partei nicht weiter an der Regierung beteiligt ist.

Eine WASG-Fraktion wird eine glaubwürdige, linke Opposition sein, die den Finger in die Wunden der anderen Parteien legt, die Prozesse öffentlich macht und ihre Fraktion dazu benutzen wird, den außerparlamentarischen Widerstand aufzubauen. Das halte ich für entscheidend.

Und die neu zu bildende Partei kann nur davon profitieren, wenn die Kräfte um die LPDS Berlin, die eine Politik machen, die von der SPD schlecht zu unterscheiden ist, im Neuformierungsprozess geschwächt werden.

Es bleibt die Frage, ob eure Politik nicht jede Form der linken Vereinigungsperspektive, mindestens in Berlin, unmöglich macht.

Eine Vereinigung auf der Basis der Politik der LPDS würde schnell zu Anpassung und in der Folge zu Enttäuschung bei all denen führen, die Hoffnungen in eine neue Linke haben. Wir bekräftigen mit unserer eigenständigen Kandidatur unsere Bedingung für eine Vereinigung: Die neue Partei darf sich an keiner Form von Sozialabbau, Privatisierung und Tarifflucht beteiligen und muss demokratisch aufgebaut werden.

Nach aller Erfahrung wäre eine Wahlniederlage aber nicht unbedingt das Ende der dafür verantwortlichen Politiker. Das Problem, mit ihnen umgehen zu müssen, würde bleiben.

Das stimmt, aber unsere Fraktion würde zu einem Orientierungspunkt für viele Mitglieder und Aktiven bundesweit. Und sie würde diejenigen Kräfte in der neuen Partei stärken, die statt auf die Akzeptanz der sog. kapitalistischen Sachzwänge auf den Kampf gegen die kapitalistischen Verhältnisse setzen. Unser Erfolg am 17.September wird ein Beitrag zu dem notwendigen Kampf sein, aus der neuen Linken tatsächlich etwas Neues und etwas Linkes zu machen. Eine wirklich neue und wirklich linke Linke ist so dringend notwendig, weil der weltweite Kapitalismus weltweit zu Krisen und Kriegen führt. Egal ob die Kriege im Nahen und Mittleren Osten, die globale Umweltzerstörung oder die Armut und soziale Unsicherheit in Deutschland: all dem liegt ein System zugrunde, dass nur die Profitgier der Banken und Konzerne und nicht die Bedürfnisse von Mensch und Natur befriedigen will. Es ist deshalb eine Aufgabe der neuen Linken, über Alternativen zum Kapitalismus zu debattieren und solche zu erkämpfen — damit nicht der Profit, sondern die Vernunft den Planeten Erde beherrscht.
 

Editorische Anmerkungen

Das Interview ist eine Spiegelung aus der Online-SoZ
http://www.vsp-vernetzt.de/soz-0609/0609051.htm  

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