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Die Berliner Wahlen & die WASG

Wir dokumentieren bedeutsame Statements.
09/06

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Revolutionär Sozialistischer Bund
WASG-Berlin: Keine Systemopposition


von
D. Berger
  

Die Hoffnungen so mancher Linker haben sich nicht erfüllt: Die WASG ist nicht zu einem großen Sammelbecken „der“ Linken geworden. Ist wenigstens die WASG-Berlin eine politische Hoffnungsträgerin?

Sowohl aufgrund der unzweifelhaften Dominanz der bürokratischen Apparate von WASG und Linkspartei als auch aufgrund der systembejahenden Grundausrichtung dieser Parteien treten die wenigsten konsequenten AktivistInnen aus den sozialen Bewegungen in eine solche Partei ein. Zu Recht, denn ihre konkrete Funktion wäre nichts anderes denn als Alibi zu dienen, bzw. Wasserträger für eine parlamentaristisch fixierte Politik zu sein.
Als systemoppositionelle (genauer: sozialistische) Kräfte kann mensch heute in der WASG lediglich die entristischen Kreise bezeichnen, d.h. jene TrotzkistInnen, die dort eine eigenständige Arbeit machen. Wie viele von ihnen aufgrund des Drucks in Richtung Realpolitik auf Dauer sozialistisch bleiben werden (ich will „endlich etwas bewirken“), ist noch eine andere Frage.

In einigen Landesverbänden haben sich diese Kräfte auch nach dem Ludwigshafener Parteitag, der auch nach Einschätzung der EntristInnen eine Verschiebung nach rechts mit sich brachte, erst mal noch halten können. In Berlin ist dies wegen der konkreten Erfahrung mit der neoliberalen Regierungspolitik der LPDS am ausgeprägtesten und konnte sich deswegen auch am besten gegen den politischen Druck seitens des WASG-Bundesvorstands behaupten. Die Wahlkandidatur der WASG-Berlin findet daher auch bei nicht-entristischen Kräften der radikalen Linken eine gewisse Beachtung. Doch kann die WASG die Erwartungen erfüllen?

Bescheidenes Programm

Die WASG-Berlin hat auf einem 40-seitigen Wahlprogramm dargelegt, wofür ihre Abgeordneten, so sie die 5-Prozent-Hürde überspringen, eintreten werden. Die Schilderung der Lage ist an vielen Einzelpunkten ganz treffend und daraus wird auch die Handschrift von AktivistInnen erkennbar, die die konkrete Regierungspolitik der (L)PDS ablehnen. Aber auf den Ebenen der grundsätzlichen Orientierung und der Analyse des bestehenden Systems herrscht völlig Fehlanzeige. Am deutlichsten wird dies auf den Seiten 3 und 4.

Dort heißt es: „Wenn eine soziale und linke Partei – hier die PDS – auf Landesebene durch ihre Regierungspolitik die Menschen bekämpft, die sie zugleich für eine bundesweite Linke gewinnen will, muss sie aus dieser Regierung raus.“ An keiner Stelle wird deutlich gemacht, dass es schließlich beileibe nicht nur um die neoliberale Ausrichtung der PDS-Regierungspolitik gehen kann, sondern dass der Systemcharakter bürgerlicher Politik, des bürgerlichen Staatsapparates in Frage zu stellen und die Beteiligung an einer bürgerlichen Regierung grundsätzlich zu kritisieren ist. Ganz konkret wird mit dem Wahlprogramm der WASG-Berlin die Illusion genährt, eine linke Kraft könne in Ausfüllung von Ämtern in einer bürgerlichen Regierung konsequent für die Interessen der Lohnabhängigen und Bedürftigen eintreten, ohne also für die Zerschlagung (Ersetzung) des bürgerlichen Staatsapparates einzutreten. Beides steht jedoch, das lehrt uns die Geschichte, in unüberbrückbarem Gegensatz zu einander. Wir verweisen dazu beispielhaft auf die Erfahrungen des spanischen Bürgerkriegs (vgl. dazu Inprekorr 418/418, Sep./Okt. 2006). 

Zweitens behauptet die WASG-Berlin an gleicher Stelle: „Wir zeigen mit unsrer eigenständigen Kandidatur zum Berliner Abgeordnetenhaus, dass es sich bei der WASG bundesweit um ein politisch glaubwürdiges Projekt handelt. Im Gründungsprogramm der WASG vom 22. Januar 2005 heißt es: ‚An einer Regierung in Land oder Bund werden wir uns nur dann beteiligen, wenn dies zu einem grundlegenden Politikwechsel in Richtung unsrer Forderungen führt.’“ Zunächst einmal: Was bedeutet eigentlich „glaubwürdiges Projekt“? Kann eine linke Kandidatur in Berlin den Charakter der bundesweiten Partei verändern? Wem wird hier eigentlich was in die Tasche gelogen? Oder haben die AutorInnen trotz des eindeutigen Kurses des Bundesvorstands, trotz der Mehrheit bei der Urabstimmung für die Fusion mit der PDS, die ihren Charakter wahrlich nicht geändert hat und nicht aus den Landesregierungen austreten will, trotz der großen Zahl der Karteileichen in der WASG (nur 57% beteiligten sich an der Urabstimmung), trotz der stagnierenden und rückläufigen Mitgliederentwicklung… immer noch die Illusion, diese Partei sei eine antikapitalistische Kraft oder könne dazu gemacht werden? 

Zum anderen, und das ist für uns von noch grundsätzlicherer Bedeutung: Was soll die vollkommen nebulöse Formulierung „…wenn dies zu einem grundlegenden Politikwechsel in Richtung [!!] unsrer Forderungen führt“? Lässt sich damit nicht jede Regierungsbeteiligung rechtfertigen?  

Für SozialistInnen ist es demgegenüber unverzichtbar, den Klassencharakter des bestehenden Staatsapparates und seiner Organe deutlich zu machen und alle Kraft auf den Aufbau der außerparlamentarischen Kämpfe und der Selbstorganisation zu legen. Eine Repräsentanz im Parlament darf einzig und allein dem Ziel dienen, diese Tribüne für die Propaganda des Klassenkampfes zu nutzen (Lenin), nicht aber die Illusion zu fördern, mensch könne mit einer Regierungsbeteiligung die Verhältnisse (gemäß reformistischer Illusion: stückchenweise) ändern.
Noch deutlicher wird das Programm der WASG-Berlin auf Seite 4: „Wir sehen uns dabei in gemeinsamer Verantwortung mit der bundesweiten Linken und als Bestandteil der weltweiten Proteste gegen den Neoliberalismus.“ Auf das läuft das ganze Wahlprogramm hinaus: An keiner Stelle auf den 40 Seiten wird deutlich: a.) was die strukturellen Ursachen für die Misere in diesem System sind; b.) dass SozialistInnen nicht nur gegen den Neoliberalismus kämpfen, sondern das kapitalistische System als die Ursache der vorhanden Übel ansehen; c.) dass eine grundlegend andere, eine sozialistische Gesellschaftsordnung aufzubauen ist; d.) wie diese andere Gesellschaft aussehen kann; e.) dass dies nicht mit Hilfe der bürgerlichen Parlamente zu gestalten ist; f.) wer als einziger Akteur für eine solche Veränderung in Frage kommt – nämlich die ArbeiterInnenklasse mit Hilfe autonomer Klassenaktivität; g.) dass der Sozialismus international, ökologisch und feministisch sein wird oder er wird nicht sein, usw. 

Auch die Vorstellung, es gebe eine klar umrissene „Linke“ („die Linke“) geht von einem Lagerdenken aus, das der Überprüfung in der Realität nicht standhält. Zu oft erleben wir schließlich, dass sich die Aktionseinheit der Linken je nach Thema und Gelegenheit, je nach Zuspitzung des Konflikts und der Konfrontationen, ganz unterschiedlich gestalten, ständig wechseln. Allzu oft stehen Kräfte, die gestern noch mitgekämpft haben, heute auf der anderen Seite der Barrikade. Je nach Entwicklung des Klassenkampfes und je nachdem, wie gut die Aktionseinheitspolitik der konsequenten, aber nicht sektiererischen Kräfte aufgebaut ist, können sie morgen vielleicht auch wieder zurück gewonnen werden.

Wahlaufruf für die WASG?

Wenn sich die WASG-Berlin schon vom Bundesvorstand nicht hat unterbuttern lassen, warum hat sie dann nicht ein sozialistisches Programm vorgelegt und ist statt dessen in den Grenzen der allgemeinen WASG-Orientierung stecken geblieben? Statt eine etwas linkere WASG-Politik zu formulieren, die an keiner Stelle den Systembruch propagiert, hätten diese Kräfte doch genau hier die Chance ergreifen müssen und für politische Klarheit in den grundlegendsten Fragen kämpfen müssen. So bleibt das Programm – wie übrigens auch das gesamte öffentliche Auftreten ihrer SpitzenkandidatInnen –  im bürgerlich-parlamentarischen Rahmen befangen. Eine Chance ist vertan. Sie wird nach dem für das nächste Jahr zu erwartenden Mitgliederbereinigungsprozess, den die WASG-Spitze durchsetzen wird, so schnell nicht wiederkommen.

Für revolutionäre SozialistInnen gibt es in der Grundkonstellation nur zwei Varianten, in denen sie für die Wahl einer anderen Partei aufrufen: 

  • Entweder es handelt sich um eine tatsächliche Massenpartei, deren Wahl auch ohne „Wahlsieg“ im engeren Sinne die Kräfteverhältnisse verschieben bzw. gewisse Kräfteverhältnisse verteidigen kann. Ähnlich ist es, wenn eine solche Wahl die einzige Möglichkeit ist, mit der Stärkung oder Verteidigung einer oppositionellen Kraft Front gegen die kapitalistischen Kräfte zu machen. Dies war auch die Grundlage, auf der wir in den 90er Jahren zur Wahl der PDS aufgerufen haben. Mit der Angleichung der PDS an die bürgerlichen Kräfte und vor allem seit der Regierungsbeteiligung in Berlin und Schwerin ist die Grundlage eines Wahlaufrufs für die PDS allerdings längst entfallen. Die WASG ist nun wirklich keine solche Massenpartei, mit deren Wahl klassenpolitische Kräfteverhältnisse in der BRD beeinflusst werden könnten.
     
  • Leider ist aber auch der zweite mögliche Grund, zur Wahl einer anderen Partei aufzurufen, bei der WASG-Berlin nicht gegeben: Sie müsste, wenn sie schon keine Massenpartei ist, die aufgrund ihrer Verbundenheit mit der ArbeiterInnenklasse und aufgrund ihrer Größe die Kräfteverhältnisse beeinflussen kann, dann doch wenigstens mit einem sozialistischen Wahlprogramm antreten, das die oben angeführten Bedingungen erfüllt (Gegnerschaft zum Kapitalismus und nicht nur zum Neoliberalismus, Propaganda für den Sozialismus, Förderung der Selbstaktivität der ArbeiterInnenklasse etc.)

So bleibt uns nur, anlässlich der Berliner Wahl, zu der wir aufgrund unsrer eigenen beschränkten Kräfte nicht selbst antreten können, die allgemeine politische Aufmerksamkeit dafür zu nutzen, verstärkt Propaganda zu betreiben, vor allem aber mitzuwirken am Widerstand gegen Arbeitsplatzvernichtung und Sozialabbau.

Linke „Hochburg“ Bremen geschliffen

Die Parteivorstandsmehrheit um Axel Troost hat den WASG-Landesvorstand Bremen übernommen. Damit verlor die SAV-nahe Strömung, dort „Linkstendenz“ genannt, eine wichtige Basis, wobei sich überhaupt nur 100 BremerInnen auf der Mitgliederversammlung einfanden (55 : 44 Stimmen).
 

Nicht zufällig hatte sich die „Linkstendenz“ über die Auseinandersetzung gespalten. Eine Minderheit unterstützte die Fusion WASG - Linkspartei/PDS, ohne den Austritt letzterer aus dem Berliner Senat zur Bedingung zu machen. Nicht alle KritikerInnen mögen auf Dauer einer parlamentarischen Karriere entsagen.
 
„Wenn die Berliner Parteifreunde mit der Hilfe der bundesweiten WASG-Opposition im Wahlkampf Erfolg haben, wird das auch die Chancen einer pluralistischen, antineoliberalen Bündnisliste in Bremen deutlich verbessern“, meinte ein Sprecher der „Linkstendenz“. Selbst die Linken der Linken setzen also auf Wahlkampf statt auf Arbeitskämpfe und Mitarbeit in den sozialen Bewegungen!

Editorische Anmerkungen

Der Artikel  erschien am 01.09.2006  wurde gespiegelt von
http://www.rsb4.de/index.php?option=com_content&task=view&id=1972&Itemid=84