« Man könnte glauben, der Libanon sei eine Insel geworden »
kommentierte ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen spöttisch,
den die Pariser Abendzeitung Le Monde in ihrer Ausgabe
vom Abend des 26. August zitiert. Die ironische Anmerkung
spielt darauf an, dass zahlreiche Länder den UN bislang
Angebote für eine Beteiligung an ihrer Truppe im Libanon, der
Unifil, unterbreitet haben – aber die meisten von ihnen am
liebsten nur vor den Küsten des Landes patrouillieren möchten.
Als ob das Land plötzlich auf vier Seiten Küsten hätte.
Der
kommende Einsatz im Südlibanon, der nunmehr angelaufen ist – am
2. September landete z. Bsp. ein bedeutender Teil der
italienischen Komponente im Libanon an - verspricht heikel zu
werden. Die Unifil soll die Resolution des UN-Sicherheitsrats
Nummer 1701 umsetzen, die den (vorläufigen?) Waffenstillstand
zwischen Israel und dem Libanon brachte, aber auch die
Entwaffnung der Hizbollah vorsieht. Wie genau das vor sich gehen
soll, ist ungeklärt. Jedenfalls nachdem die schiitische Miliz
nunmehr erklärt hat, sich nicht entwaffnen lassen zu wollen,
solange Israel einen Teil libanesischen Territoriums besetzt
hält – die Farmen von Scheeba, die nur rund 30 Quadratkilometer
grob
sind, aber denen strategische Bedeutung zugemessen wird, da man
von ihnen aus von einem erhöhten Standpunkt in den Südlibanon
sehen und horchen kann. Zudem sind noch eine gröbere
Zahl von libanesischen Gefangenen aus der vergangenen
israelischen Okkupation des Südlibanon durch Israel (1982 bis
2000) in Israel eingesperrt. Im Moment sieht alles eher danach
aus, als ob die Hizbollah also ihre Waffen behält.
Wochen hindurch war zunächst nicht geklärt, wie genau die
künftige Unifil zusammengesetzt sein wird. Die bereits seit 1978
bestehende UN-Truppe – sie wurde drei Jahre nach dem Beginn des
libanesischen Bürgerkriegs, der durch die beiden Nachbarstaaten
Syrien und Israel und deren Interventionen angeheizt wurde,
gegründet – soll von bisher 1.900 auf demnächst 15.000 Mann
aufgestockt werden . Aber zunächst bewarben sich fast nur
(süd)asiatische Länder wie Bangladesh, Malysia und Indonesien um
eine stärkere Beteiligung an der UN-Truppe, da der Sold von
Militärs bei UN-Einsätzen für diese Länder Deviseneinnahmen
bedeutet und sie zudem auf diesem Wege ihre ansonsten geringe
internationale Rolle ein wenig verstärken können. Aber Israel
sperrte sich dagegen, da alle drei, mehrheitlich moslemischen
Länder derzeit keine diplomatischen Beziehungen zu Israel
unterhalten. Zuletzt signalisierte die politische Führung
Israels aber, dass es im Falle Indonesiens einlenken könne –
nachdem nunmehr klar ist, dass Europa den gröbten
Teil der Unifil stellen und, so UN-Generalsekretär Kofi Annan am
25. 08. in Brüssel, «ihr Rückgrat bilden» wird.
Europa schickt Truppen
Am Nachmittag des 25. August war auf französische Initiative hin
ein Gipfel der EU-Länder in Brüssel zusammen getreten, an dem
auch Kofi Annan teilnahm. Er beschloss, mehrere Tausend
europäische Soldaten in den Südlibanon zu entsenden. Ihre genaue
Anzahl ist noch nicht näher geklärt, die Rede ist aber von
insgesamt gut 7.000 Mann. Damit würde die Europäische Union rund
die Hälfte der «Union Nations’ Interim Force in Lebanon», UNIFIL
(in den romanischen Sprachen wie etwa im Französischen FINUL
abgekürzt), stellen. Den Rest werden wohl vor allem türkische
und asiatische Soldaten ausmachen.
Das gröbte
Kontingent mit 2 bis 3.000 Mann wird dabei Italien schicken.
Dieses Land wird ab Februar 2007 das Oberkommando über die
Unifil übernehmen, das bis dahin – wie schon vor dem jüngsten
militärischen Konflikt im Libanon – beim französischen General
Alain Pelligrini verbleibt. An diesem Samstag, 2. September traf
das erste Kontingent an italienischen Soldaten im Südlibanon
ein. Am Vormittag gingen zunächst 5 Schlauchboote mit jeweils
sieben Soldaten am Strand eines Hotels an Land. Im Laufe des
Tages sollten 878 Soldaten des Regiments San Marco, einer
Eliteeinheit der italienischen Marinetruppen, anlanden. Binnen
10 Tagen sollen ihnen noch weitere 120 Soldaten auf das
libanesische Festland folgen. Zugleich bleiben 1.500
italienische Soldaten auf fünf Kriegsschiffen vor der
libanesischen Küste stationiert.
Weder
Washington noch London haben sich überhaupt um eine Teilnahme an
der UN-Truppe beworben. Den Hintergrund bildet, dass
US-Amerikaner und Briten nicht ernsthaft daran denken können,
sich militärisch an der verstärkten Unifil zu beteiligen.
Niemand im Nahen Osten auberhalb
Israels würde ihren Soldaten mit Sympahie entgegen treten, da
sie mit einer Regierungslinie der weitgehenden Unterstützung für
Israels militärisches Vorgehen im Libanon idenfiziert würden.
Heikle Position für Paris
Aber
da Paris zusammen mit der US-Adminstration an der Abfassung der
Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrats an führender Stelle
beteiligt war und von ihnen in einen Kompromiss eingebunden
worden ist, legen beide Mächte starken Wert auf eine Beteiligung
Frankreichs an der Umsetzung der Resolution, und an der
Entwaffnung der schiitischen Hizbollah. Dies bringt wiederum
Frankreich in eine einigermaben
heikle Situation, da der Libanon – der nach dem Ende des
Osmanischen Reiches und bis zur formalen Unabhängigkeit im Jahr
1943 durch Frankreich aufgrund eines Mandats des damaligen
Völkerbunds verwaltet wurde – zu den wichtigsten verbliebenen
Einflusssphären des Landes zählt. Der «Gipfel der Francophonie»,
auf dem Frankreich sich in regelmäbigen
Abständen mit jenen Ländern versammelt, die das Französische
zumindest teilweise als Amts- oder Verkehrssprache beibehalten
haben, fand beispielsweise 2002 in der libanesischen Hauptstadt
Beirut statt. Aus diesem Anlass hatte Präsident Jacques Chirac
sich mit Vertretern aller wichtigen politischen Parteien des
Libanon getroffenen, darunter auch mit hochrangigen
Repräsentanten der im Parlament (und mittlerweile, aufgrund
eines seit 1943 bestehenden konfessionnellen Proporzsystems,
auch mit dem Energie- sowie dem Arbeitsminister in der
Regierung) sitzenden Hizbollah. Traditionell wird Frankreich im
Libanon als Schutzmacht der maronitischen Christen verstanden,
die im Übrigen wesentlich stärker die französische Sprache
pflegen als andere Bevölkerungsteile, und trat dort auch lange
Jahre so auf. Inzwischen versucht Paris aber, bei allen
Bevölkerungsteilen des Libanon ein Mindestmab
an Anerkennung zu finden.
Um
sich vorläufig aus der Affäre zu ziehen, schickte Frankreich am
Wochenende des 19./20. August zunächst ein 200köpfiges
Ingenieursbataillon als Vorauskommando in den Südlibanon. Am
Samstag der vergangenern Woche trafen zunächst 50 dieser
Wiederaufbausoldaten im Hafen von Naqoura in der Nähe von Tyros
ein. Die 150 übrigen wurden am Sonntag (20. 08.) im Militärhafen
von Toulon eingeschifft und kamen fünf Tage später in ihrem
Zielland an. Die Mission diese Ingenieursbataillons soll vor allem darin bestehen, die bei den israelischen
Luftangriffen zerstörten Straben
sowie 15 Brücken zu reparieren und die nicht explodierten Bomben
zu entschärfen.
Doch ursprünglich war die sofortige oder jedenfalls schnelle
Entsendung eines gröberen Kontingents durch Frankreich erwartet
worden. Im UN-Hauptquartier von Kofi Annan hatte man damit
gerechnet, alsbald 2000 bis 5000 französische Soldaten in dem
Land am östlichen Mittelmeerufer zur Verfügung zu haben. Im
Nachhinein erscheint es, als ob diese Erwartung zumindest
teilweise auf einem Missverständnis beruht habe. Der
Elysée-Präsidentenpalast und das Pariser
Verteidigungsministerium haben inzwischen überprüfen lassen, wo
seine Quelle liege. Und kamen zu folgendem Schluss: Am 07.
August hatte ein namentlich nicht genannter Sprecher des
Verteidigungsministerium gegenüber der Nachrichtenagentur AFP
erwähnt, die «operationnelle Reserve» der französischen Armee
liege bei 2.000 Mann. Es handelt sich um jene, für ausländische
Kriegsschauplätze und Krisenherde bestimmten
Interventionstruppen, die nicht mittelbar oder unmittelbar durch
Einsatzplanungen und vorgesehene Ablösungen gebunden sind. Der
Ausspruch war nicht unmittelbar so gemeint, dass die Absicht
bestehe, 2.000 Mann unmittelbar in Richtung Libanon in Marsch zu
setzen. Aber entsprechende Erwartungen waren damit geweckt
worden.
Deshalb sah es sehr nach einem Ausweichmanöver aus, als zu Anfang
der Woche vom 21. August dann plötzlich – zumindest auf kurze
Frist hin - nur noch von den 200 Mann des bereits losgeschickten
Ingenieursbataillons die Rede war. «Der Rückzieher Chiracs»
titelte die linksliberale Pariser Tageszeitung Libération
am 22. August, die liberale Abendzeitung Le Monde
überschrieb einen Leitartikel mit «Das französische Zögern».
Fast die gesamte nationale und internationale Presse zeigte sich
kritisch gegenüber dem, was wie eine Kurskorrektur des
französischen Präsidenten wirkte. Und die israelische Regierung
nutzte die Gelegenheit, um die – von ihr politisch bevorzugte -
Idee ins Gespräch zu bringen, Italien könnte künftig das
Oberkommando der Unifil übernehmen. Seit längerem hatte der
französische General Alain Pelligrini den militärische
Oberbefehl über die Unifil inne. Italien gilt den Regierenden in
Israel vor allem seit der Regierungsära von Silvio Berlusconi
(2001 bis Frühjahr 06) als zuverlässiger aubenpolitischer
Partner. Dies gilt anscheinend auch weiterhin, auch wenn die
neue Regierung unter Romani Prodi leicht von dem Kurs der
bisherigen Unterstützung für den US-Kurs in der Millitär- und Aubenpolitik
abgerückt ist und sich als auf allen Seiten respektierten
Mittler und Makler ins Gespräch zu bringen versucht. So wurde
der Linksdemokrat Massimo d’Alema, seit dem Regierungswechsel Aubenminister
in Rom, im August in Beirut beim gemeinsamen Spaziergang mit
einem Hizbollah-Abgeordneten gesehen. Aber Italien scheint aus
israelischer Sicht nach wie vor als relativ bündnispolitisch
zuverlässig eingeschätzt zu werden.
Sensation?: Bush «verteidigt Franzosen»...
In den USA ergriff im selben Moment ein Teil der Kommentatoren die
Gelegenheit, ähnlich wie im Irakkrieg 2003 auf der aus ihrer
Sicht flagranten «Feigheit der Franzosen» herum zu trampeln. Vor
allem auf dem konservativen Fernsehsender Fox News wurde der
französische Beitrag im Libanon als von Ängstlichkeit geprägt
und lächerlich präsentiert. (Der Moderator Chris Wallache lieb etwa Fernsehbilder von der Ankunft der
beiden Schlauchboote, mit denen die 50köpfige Voraustruppe des
französischen Ingenieursbataillons – insgesamt 200
Wiederaufbausoldaten, die im Libanon zerbombte Brücken und Straben
reparieren sollen – am 19. August im Hafen des südlibanesischen
Naqoura anlandete. Die ausgesprochen harmlos wirkende Szene
wurde präsentiert, als ob es sich dabei um die gesamte
französische Militärpräsenz im Libanon, jetzt und zukünftig,
handele. «Seht: hier kommt die französische Verstärkung!» höhnte
der Sprecher.)
In ihren Augen prallen – im Verhältnis zwischen Washington und
Paris - der Nachweis von politischer Männlichkeit auf der einen
Seite, von Jämmerlich- und Ängstlichkeit auf der anderen Seite
aufeinander. Doch in Wirklichkeit handelt es sich nicht darum,
sondern um zumindest teilweise unterschiedliche politische und
strategische Interessen, die in wichtigen Momenten zum Vorschein
kommen.
Dies
weib
auch die US-Administration, und darum kam es zu der seltenen
Situation, dass Präsident Georges W. Bush zu Hause die
französische Regierung gegen Stunk- und Stimmungmacher
verteidigte. Auch der Sprecher des Weiben
Hauses, Tony Snow, selbst ehemaliger Nachrichtensprecher bei Fox
News, sekundierte dem Präsidenten entgegen dem Auftreten seiner
Ex-Kollegen: «Sie sehen mich hier dabei, die Franzosen zu
verteidigen. Das ist eine echte Information!»
Differenzen über das Einsatzprofil
Die gesamte erste Hälfte der vorletzten Augustwoche über hielt
Chiracs Schlingerkurs bezüglich der näheren Ausgestaltung der
Rolle, die Frankreich im östlichen Mittelmeerraum übernehmen
wird, an. Einerseits konnte und wollte er die Erwartungen
bezüglich einer militärischen Beteiligung Frankreichs nicht
unbeantwortet lassen. Andererseits aber hakte es in den
diplomatischen Gesprächen daran, dass auf mehreren Seiten
unterschiedliche Vorstellungen über die Definition des Auftrags
der Unifil bestehen. Wie bei jedem diplomatischen Text, handelt
es sich auch bei der Resolution 1701 um eine Kompromissformel,
die – je nach Interessenlagen und Kräfteverhältnis -
unterschiedliche Auslegungen zulässt.
Einige Tage lang redete Chirac sich darauf hinaus, Frankreich sei ja
bereits mit über 2.000 Soldaten in der Region engagiert. Dabei
rechnete er aber dem, zu jenem Zeitpunkt 400köpfigen (d.h. aus
den bereits seit längerem im Südlibanon stationierten 200
Soldaten und dem neu entsandten Ingenieursbataillon
bestehenden), französischen Unifil-Kontigent noch die 1.700 Mann
der «Operation Baliste» hinzu. Diese kreuzen permanent auf vier
Kriegsschiffen -- unter ihnen ein Flugzeugträger -- vor der
libanesischen Küste. Aber sie unterstehen allein dem Kommando
des Elysée-Palasts. Am Donnerstag (24. August) dann lieb
Chirac die Rechentricks fallen und präzisierte in einer
abendlichen Fernsehansprache, es werde 2.000 französische
Soldaten «unter Blauhelmen», also unter dem Kommando der Unifil,
im Libanon geben. Die Besatzung des Flugzeugträgers ist dabei
also nicht berücksichtigt.
Den zentralen politischen Knackpunkt bildet die genaue Natur der
Mission der Unifil. Die US-Administration wünschte de facto
einen Kampfauftrag nach dem Kapitel 7 der UN-Charta. Nach dessen
Bestimmungen ist, sofern ein Staat oder eine Staatengruppe sich
darauf berufen kann, im Auftrag des UN-Sicherheitsrats zu
handeln, offensive militärische Gewaltanwendung zulässig.
Historische Extrembeispiele dafür liefern die je von US-Truppen
geführten militärischen Allianzen, die im Koreakrieg von 1950-53
gegen Nordkorea sowie die UdSSR und China sowie im Zweiten
Golfkrieg (1991) – hauptsächlich durch Luftangriffe – gegen den
Irak kämpften. Im ersten Falle hatte der Sitzungsboykott der
Sowjets den Weg zu einem Mandat des UN-Sicherheitsrats für die
US-Kriegsführung freigemacht. Im letzteren Falle hatte die
Noch-UdSSR unter Gorbatschow auf die, prinzipiell mögliche,
Einlegung ihres Vetos verzichtet. Ebenso die VR China. Nicht
alle Kampfeinsätze «im UN-Auftrag» gehen so weit in Richtung
einer kriegerischen Eskalation. Aber die beiden historischen
Beispiele zeigen, dass es grundsätzlich keine Begrenzung für den
militärischen Gewalteinsatz mit Mandat des UN-Sicherheitsrats
gibt.
Aus mehreren Gründen wollte die französische Staatsspitze keinen so
gearteten Einsatz im Libanon durchgeführt sehen. Man befürchtete
etwa, die Waffen der Hizbollah auf diesem Wege ohnehin nicht zu
finden – aber gleichzeitig Haus für Haus auf ihrer Suche
durchkämmen zu müssen und, ähnlich wie im besetzten Iraq, die
Zivilbevölkerung immer mehr gegen die «Besatzungstruppen»
aufzubringen. Der ehemalige Unifil-Kommandant und französische
General Jean Salvan, der am 2. Mai 1978 im Libanon schwer
verletzt wurde, meinte dazu im Interview mit der Tageszeitung
‘Le Parisien’ vom 25. August, die Bewaffnung der Hizbollah
sei ohnehin in den letzten 10 Tagen aus der Unifil-Einsatzzone
im Südlibanon in andere Landesteile («die Vorstädte von Beirut,
in den Norden des Libanon, die Bekaa-Ebene») geschafft worden.
In Paris befürchtet man zusätzlich ein «neues Drakkar». In dem
französischen Stützpunkt dieses Namens starben am frühen
Vormittag des 25. Oktober 1983 bei einem Attentat, das dem
Vorläufer der Hizbollah zugeschrieben wird, 58 französische
Fallschirmjäger. (Parallel dazu fand ein anderes Attentant
statt, bei dem über 200 US-Soldaten getötet wurden.) Damals
nahmen die Franzosen neben US-Amerikanern, Briten und Italienern
an einer multinationalen Eingreiftruppe westlicher Staaten teil,
deren Aufgabe vor allem darin bestand, die Interessen Israels
gegenüber der im Libanon aktiven Palästinensischen
Befreiungsorganiation (PLO) zu schützen. Aber heutzutage böte
der Libanon ein mit damals kaum zu vergleichendes Pulverfass,
denn der Islamismus war in den frühen 80er Jahren – vor diesem
ersten spektakulären Doppelattentat, das wahrscheinlich durch
den Hizbollah-Vorläufer «Islamischer Djihad» verübt worden ist,
auch wenn dieser sich nicht explizit dazu bekannt hat – noch gar
nicht entwickelt.
Heute dagegen befürchtet man, so resümiert die Wochenzeitung für
Satire und Hintergrundinformation’Le Canard enchaîné’,
einem «irakischen Szenario» beiwohnen zu müssen. Neben der
Hizbollah könnte ein Konfliktherd auch sunnitische,
salafistische Milizen mit Al Qaida-ähnlicher Ideologie anziehen,
die –- so die Pariser Wochenzeitung -- in den palästinensischen
Flüchtlingslagern im Libanon Anhänger rekrutieren konnten,
seitdem diese Flüchtlingscamps der vormaligen Kontrolle durch
die Fatah (der bürgerlich-nationalistischen Hauptkraft innerhalb
der PLO) entglitten sind. Käme es darüber auch zu
interkonfessionneller Gewalt wie im Iraq, wäre die Katastrophe
perfekt. Deshalb, so wird Präsident Chirac zitiert, wolle man
«um jeden Preis eine Irakisierung des Libanon vermeiden». (Was
sicherlich auch objektiv eher ein gutes Anliegen sein dürfte,
angesichts des Fortgangs der Dinge im Iraq...)
Ferner fürchte Chirac, so berichtete jedenfalls ‘Le Canard
enchaîné’ vom 02. August bereits am Unruhen in den
Trabantenstädten im Falle solcher Zusammenstöbe
zwischen französischen UN-Truppen und libanesischen Kämpfern
irgendeiner Couleur. Bisher hatten die Riots in den Banlieues
allerdings so gut wie nie aubenpolitische
Gründe.
Frankreich und die Regionalmächte Syrien & Iran
Daneben möchte man aber auch direkten Verwicklungen mit Syrien aus
dem Weg gehen: Frankreich hat durch die, ebenfalls vor allem mit
der US-Administration ausgehandelte, Resolution 1559 vom 5.
September 2004 massiv dazu beigetragen, Syrien aus dem Libanon -
einer Interessensphäre beider Länder – hinaus zu drängen.
Zunächst musste Syrien tatsächlich während des Jahres 2005
weitgehend seine Stellungen im Libanon räumen. Dieser Rückzug,
und die politische Zustimmung zahlreicher Libanesen dafür, ist
aber seit dem jüngsten Krieg hinfällig: Da die Hizbollah ihre
politische Rolle Verankerung im Libanon durch den Krieg stärken
konnte (und ihre Rolle auch in christlichen Kreisen im Libanon
nunmehr als «Widerstand zur Verteidigung des Landes» akzeptiert
wird), die schiitische Miliz aber im libanesischen Kräftefeld
pro-syrisch auftritt, haben sich die politischen Voraussetzungen
für Syriens Rolle im Libanon nun wieder spürbar verbessert.
Seine Einflussnahme dort dürfte also nicht total beendet sein.
Ein weiterer Konfliktpunkt, der dafür gesorgt hat, dass die
Beziehungen zwischen Paris und Damaskus im Moment «von Hysterie
geprägt» (so der ‘Canard enchaîné’) sind, resultiert aus
der Ermordung des früheren libanesischen Premierministers Rafiq
Hariri am 14. Februar 2005. Das Attentat auf Hariri wird vom
französischen Präsidenten Chirac, wie auch von vielen anderen
Beobachtern (ohne dass es bisher einen hieb- und stichfesten
Beweis dafür gäbe), demù syrischen Regime angelastet. Hariri
aber war für Jacques Chirac nicht nur ein persönlicher Freund,
sondern auch einer seiner mit Abstand wichtigsten
Schwarzgeld-Lieferanten. Seitdem wechseln Frankreichs
Staatspräsident und sein syrischer Amtskollege, Baschir
el-Assad, kein Wort mehr miteinander. Im Laufe der Bemühungen um
einen Waffenstillstand im Libanon in der ersten Hälfte des
August hat Frankreich daher das syrische Regime systematisch
umgangen - während der spanische und der deutsche Aubenminister
anfingen, Gesprächsfäden in Damaskus zu knüpfen (damit Syrien
Druck auf die Hizbollah zur Freilassung der beiden entführten
israelische Soldaten ausübe). Frankreichs Aubenminister
Philippe Douste-Blazy versuchte dagegen in den ersten
Augusttagen kurzfristig, den Iran für eine solche Rolle ins
Gespräch zu bringen, und traf seinen iranischen Amtskollegen
Manoucher Mottaki, in der iranischen Botschaft in Beirut. Kurz
darauf musste er aber, unter Druck aus dem eigenen Lager,
spürbar zurückrudern. Von einer Vermittlung durch den Iran
wollten die USA und Israel nichts wissen, während sie eine
solche Rolle Syriens laut Informationen der Pariser Abendzeitung
‘Le Monde’ faktisch akzeptiert hatten (und das dortige
Regime immer noch als das «kleinere Übel» gegenüber den, im
Lande starken, Muslimbrüder betrachteten).
Aber in einen offenen Konflikt mit den Syrern, die ähnlich wie
Frankreich erhebliche Interessen im Libanon hatten oder haben,
möchte man doch nicht schlittern. Bereits der Mord am
französischen Botschafter in Beirut, Louis Delamare, vom 4.
September 1981 wird vielfach (in Paris nahezu allgemein, ohne
dass es einen gerichtsverwertbaren Beweis dafür gäbe) auf
syrisches Agieren zurückgeführt.
Und schlieblich
werde befürchtet, formuliert der ‘Canard enchaîné’, ein
UN-Auftrag für einen Kampfeinsatz im Libanon werde durch die
US-Administration dazu benutzt, die Beteiligten in eine
regionale Eskalation hinein zu führen, die einem Krieg mit dem
Iran den Weg ebnen könne. Tatsächlich mutmaben
eine Reihe von Beobachtern, wie der US-Enthüllungsjournalist
Seymour Hersh im Magazin ‘The New Yorker’, dass in
Kreisen der US-Administration der Krieg im Libanon als Testfall
für einen möglichen Angriff auf den Iran betrachtet wurde. Davon
möchte man aber in Paris, zumindest im Moment, nichts wissen.
Kapitel 6, Kapitel 7... oder «was dazwischen» ?
Nachdem Paris aus diesen o.g. Gründen also keinen Kampfauftrag
nach Kapitel 7 der UN-Charta mitmachen mochte, blieb nach dem
herkömmlichen UN-Recht eigentlich nur noch eine Puffertruppe
nach Kapitel 6 der Charta, die als Waffenstillstandsbeobachter
fungiert hätte. Dagegen aber meuterten wiederum die Militärs in
Frankreich. Denn eine solche Puffertruppe darf nur im äubersten
Notfall und als letztes Mittel Waffengewalt anwenden. Aber die
französische Armee hat vor diesem Hintergrund im letzten
Jahrzehnt 71 Soldaten in Bosnien verloren, während sie dort an
einem Einsatz nach Kapitel 6 teilnahm – über die Hälfte der
Gesamtverluste der dortigen UN-Blauhelmtruppe, von der 167
Angehörige starben.
Die Armeelobby wetterte dagegen, erneut würden ihre Männer
drohen, « wie Hasen abgeschossen zu werden ». Chirac wurde unter
erheblichen Druck gesetzt, zumal er sich mit dieser mächtigen
Lobby ein halbes Jahr vor dem Ende seiner Amtszeit – während er,
von Spannungen unbehelligt, in die Geschichte eingehen möchte –
nicht anlegen will. Er handelte deshalb einen Kompromiss aus:
Die Unifil-Soldaten werden auch über die Notwehr hinaus Gewalt
anwenden dürfen und müssen, wenn sie Bewaffneten (zum Beispiel
Kämpfern der Hizbollah) im Südlibanon begegnen oder wenn sie
diese dabei erwischen, Raketensysteme zu installieren. Aber ohne
dass daraus ein veritabler offensiver Kampfauftrag, der über den
Abbau der bewaffneten Stellungen hinaus eine aktiv Verfolgung
und Zerschlagung der gesamten Organisation einschlösse, wie nach
Kapitel 7 erwachsen würde.
Dagegen scheint es mindestens eine Fraktion innerhalb der
französischen Armee zu geben, die lieber einen Kampfeinsatz nach
Kapitel 7 sähe, im Namen des besseren Schutzes der Soldaten, die
ansonsten zu einer relativen Passivität verdammt seien.
Apologetisch zitiert werden solche Stimmen durch das rechts bis
rechtsauben
stehende französische Wochenmagazin ‘Valeurs actuelles’
in seiner neusten Ausgabe vom 1. September. Das Blatt, das vor
allem über Wirtschafts- und Armeethemen berichtet und bis vor
kurzem einem führenden französischen Rüstungsindustriellen
gehört hat, muss als Sprachrohr bestimmter Fraktionen in der
französischen Armee gelten. (65 % der Leserschaft des Magazins
wählen konservativ und 25 % rechtsextrem, laut einer Umfrage von
2004; aubenpolitisch
ist das Blatt eher pro-amerikanisch und tendenziell
pro-israelisch und liegt damit ungefähr auf einer Linie der
alten pro-kolonialen Rechten aus den Tagen des Algerienkriegs,
nicht aber der faschistischen Rechten.) ‘Valeurs actuelles’
übertitelt seine Story zum Thema: «Das riskante Kalkül
Chiracs». Das Magazin vertritt die Auffassung, der Einsatzbefehl
sei nicht «robust» und offensiv genug, und argumentiert dabei
vor allem mit der Gefährdung französischer Soldaten. Es erinnert
daran, dass (freilich unter ziemlich anderen Bedingungen) seit
Bestehend der UNIFIL (also seit dem Jahr 1978) insgesamt 146
französische Soldaten dort im Libanon umgekommen seien.
Politisch könnte man diese Kritik als «Rechtsopposition»
einstufen.
Fazit
Das Einsatzprofil wirkt relativ undefiniert bzw. schwammig. Mit
ihrer Auftragsbestimmung steht die «neue» UNIFIL irgendwo
zwischen den bisherigen «Modellen», die das Kapitel 6 (friedliche
«Peace Keeping»-Missionen, bei denen die Soldaten nur zur
Notwehr die Waffe benutzen durften) und Kapitel 7 der
UN-Charte (Kampfeinsätze) bereit hielten. Doch wie nun
genau die geplante Quadratur des Kreises funktionieren wird -
das wird die nähere Zukunft erweisen müssen.
Editorische Anmerkungen
Den Artikel schickte uns
der Autor am 3.9.2006 zur Veröffentlichung.