In den ersten Monaten diesen Jahres
haben die Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und
Beschäftigten in vielen Betrieben und Branchen an Schärfe
gewonnen. Einzelne Belegschaften - wie die von CNH in Berlin
und von Panasonic in Esslingen - haben sich verzweifelt gegen
die Schließung ihres Werks zur Wehr gesetzt. In Ländern und
Kommunen kam es zu den längsten Arbeitskämpfen in der
Geschichte des Öffentlichen Dienstes. Der Tarifkonflikt in
der Metall- und Elektroindustrie wurde von der bislang größten
Warnstreikwelle begleitet. Doch trotz beeindruckender
Kampfbereitschaft standen am Ende dieser Konflikte aus Sicht
der Beschäftigten zumeist materielle Verschlechterungen. Auch
konnte die organisierte Gewerkschaftslinke diese Kämpfe kaum
beeinflussen und von der fortgesetzten Polarisierung in den
Beschäftigtenorganisationen nicht nennenswert profitieren.
Trotz „Aufschwungs“ setzt sich die
massenhafte Vernichtung von Arbeitsplätzen unvermindert fort.
Ganze Betriebe werden dicht gemacht - nicht weil sie Verluste
einfahren, sondern weil sie die von den Börsen vorgegebenen
Maximalprofite nicht erreichen oder weil im Ausland noch
billiger und damit profitabler produziert werden kann. Die damit
einhergehenden Entlassungen gehen vielerorts mit wenig
Widerstand und von der breiten Öffentlichkeit kaum bemerkt
vonstatten. Doch es gibt auch andere Fälle, in denen sich die
betroffenen Belegschaften ihrem Schicksal nicht einfach ergeben,
und in teils erbitterten Kämpfen versuchen, ihre Arbeitsplätze
zu verteidigen. Hierfür steht der Kraftwerksbauer Alstom Power
in Mannheim ebenso wie Infineon in München, BSH und Samsung in
Berlin und - das bekannteste Beispiel - AEG in Nürnberg.
Arbeitskampf bei CNH
In den letzten Monaten machte vor allem die
Belegschaft des Baumaschinenherstellers Case New Holland (CNH) -
ehemals Orenstein und Koppel - in Berlin-Spandau von sich reden.
In dem mit 107 Tagen längsten Streik der Berliner
Nachkriegsgeschichte versuchte diese, die Verlagerung der
Produktion nach Italien zu verhindern. Etwa 350 Jobs sollten
diesem Plan unmittelbar zum Opfer fallen - und das obwohl das
zum Fiat-Konzern gehörende Unternehmen allein im ersten Quartal
2006 einen Nettogewinn von 43 Millionen Dollar eingefahren und
mehr als 70 Millionen Euro öffentliche Subventionen für das
Berliner Werk eingestrichen hat. Die Streikenden beeindruckten
in diesem Kampf nicht nur mit ihrem Durchhaltevermögen, sondern
auch mit vielfältigen, öffentlichkeitswirksamen Aktionen. So
wurde ein Riesen-Banner vor dem Reichstag entrollt, kurzzeitig
der Verkehrsknotenpunkt „Großer Stern“ besetzt und die
Delegierten des DGB-Bundeskongresses mit einer Aktion zur
Solidarität aufgefordert. Tag und Nacht harrten die
ArbeiterInnen vor den Werkstoren aus, um den Abtransport bereits
gefertigter Maschinen zu verhindern - mit Erfolg. Zudem
versuchten sie, Verbindungen zu anderen von
Arbeitsplatzvernichtung oder Lohnraub betroffenen Belegschaften
aufzubauen, mit dem Erfolg, dass zum 1.Mai zumindest ein
gemeinsames Flugblatt mit Gewerkschaftern der Telekom, der
S-Bahn und der Charité verteilt wurde. Auch in anderer Hinsicht
bedeutete dieser Arbeitskampf einen kleinen aber wichtigen
Schritt nach vorne. So schafften es die Beschäftigten bei CNH,
Verbindungen zu GewerkschafterInnen in Frankreich und Italien
aufzubauen. Sie nutzten die Internationale Automobilausstellung
in Paris zu einer öffentlichkeitswirksamen Aktion gegen den
CNH-Mutterkonzern Fiat. Gemeinsam mit italienischen
Gewerkschaftern nahm eine CNH-Delegation an der
1.-Mai-Demonstration in Turin teil. Durch diese internationalen
Kontakte konnten die Streikenden verhindern, dass italienische
KollegInnen zu Streibrecherarbeiten eingesetzt wurden.
Doch trotz dieses beeindruckenden
Engagements - am Ende des Konflikts steht die Einstellung der
Produktion und die Entlassung von 333 ArbeiterInnen. Die IG
Metall konnte lediglich einen „Sozialplan“ vereinbaren, in dem
die Einrichtung einer „Beschäftigungsgesellschaft“ und die
Zahlung von Abfindungen „auf AEG-Niveau“ festgelegt sind.
Gemeinsam mit dem Berliner Senat, der die an CNH gezahlten
Subventionen zurückfordert, sollen für die Betroffenen nun
alternative Beschäftigungsmöglichkeiten gesucht werden - ein
Ansinnen, das vor dem Hintergrund der in der Hauptstadt
erfolgten Deindustrialisierung leider von mäßigem Erfolg gekrönt
sein dürfte.
Dieses unbefriedigende Ergebnis weist auf
ein grundlegendes Problem hin: Während die von Schließung
bedrohten Belegschaften erbittert versuchen, ihren Arbeitsplatz
und damit ihre Existenzgrundlage zu erhalten, führt die
Gewerkschaftsführung den Kampf mit der Forderung nach einem
„Sozialtarifvertrag“, der die sozialen Folgen für die
Entlassenen abmildern soll. Doch so wichtig die Zahlung von
Abfindungen im Einzelfall auch ist - an der Vernichtung der
Arbeitsplätze ändert das nichts. Zudem bedeuten auch recht hohe
Abfindungen in Zeiten von Hartz IV nicht, dass die Existenz der
Betroffenen und ihrer Familien dauerhaft gesichert ist.
Sicherlich ist die Streikforderung nach einem
„Sozialtarifvertrag“ eine Möglichkeit, wenn sie als taktische
Maßnahme genutzt wird, um einen Arbeitskampf zu legalisieren.
Dies entspricht der Idee, den Preis der Schließung für das
Unternehmen durch entsprechende Forderungen so hoch zu treiben,
dass dieses darauf letztlich ganz verzichtet. Die Gewerkschaft
kann aber auch durch das Aufstellen anderer Forderungen, die
bisher nicht tarifvertraglich geregelt sind, einen legalen
Arbeitskampf ermöglichen. Zudem gibt diese Forderung der
Gewerkschaftsspitze, der üblicherweise nicht an einer Eskalation
gelegen ist, die Möglichkeit, eine derartige Auseinandersetzung
zu einem „gütlichen“ Ende zu bringen - auf Kosten der Jobs.
Der Grund für die Hilflosigkeit - nicht nur
der gewerkschaftlichen Apparate, sondern auch der betroffenen
Belegschaften - ist vor allem ein ideologischer: Wer das
Privateigentum an Produktionsmitteln und die Profitlogik nicht
in Frage stellt, kann einer vom Eigentümer verfügten Schließung
letztlich nichts entgegensetzen. Deshalb ist es auch und gerade
für solche konkreten Auseinandersetzungen von entscheidender
Bedeutung, die Vorstellung einer Alternative zum
kapitalistischen Privateigentum wieder zu etablieren. Warum kann
eine kleine Clique von Besitzenden über das Schicksal Hunderter
oder gar Tausender ArbeiterInnen entscheiden? Haben die
Streikenden nicht mehr Trümpfe in der Hand, wenn sie nicht nur
die Werkstore sondern auch den Betrieb selbst besetzen? Ist es
nicht möglich, dass die Beschäftigten den Betrieb in eigener
Regie weiterführen? Solche Fragen auf nachvollziehbare Weise
aufzuwerfen und mit der Forderung nach Überführung der von
Schließung oder Massenentlassungen bedrohten Betriebe in
öffentliches Eigentum zu verbinden, ist - neben der konkreten
Unterstützung der Streikenden - Aufgabe linker AktivistInnen in
einem solchen Konflikt. Dabei kann zum Beispiel an die von Oskar
Lafontaine bei einer Rede vor den streikenden AEG-Beschäftigten
vorgebrachte Forderung nach demokratischer Abstimmung der
Belegschaften über Werksschließungen angeknüpft werden. Diese
führt unweigerlich zu der Feststellung, dass man nur über das
demokratisch entscheiden kann, was einem auch gehört. Wegen des
ideologischen Rückschlags, den die Arbeiterbewegung in den 90er
Jahren erlitten hat, werden aber wohl noch eine Reihe von
Kämpfen à la CNH und das verstärkte Aufwerfen solcher
Forderungen in Gewerkschaften und WASG bzw. der zukünftigen
Linkspartei durch SozialistInnen nötig sein, um solche
Vorstellungen wieder zu etablieren.
Streik im Öffentlichen Dienst
Geprägt waren die ersten Monate dieses
Jahres aber nicht von einzelbetrieblichen Auseinandersetzungen,
sondern vom längsten Arbeitskampf im Öffentlichen Dienst seit
Bestehen der Bundesrepublik. Die Wurzeln dieser heftigen
Auseinandersetzung lagen in dem - von der Spitze der
Dienstleistungsgewerkschaft ver.di als „Jahrhundertwerk“
gepriesenen - Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVÖD),
der zum 1.Oktober 2005 die alten Flächentarife in Bund und
Kommunen ablöste. Dieses Tarifwerk entspricht ganz dem
neoliberalen Zeitgeist: leistungsabhängige Lohnbestandteile,
Wegfall von Sozialzuschlägen, Einführung von Öffnungsklauseln,
die Möglichkeit zur Tarifabsenkung in von Privatisierung
bedrohten Bereichen, die Einführung einer neuen
Niedriglohngruppe - das sind nur einige der „Glanzlichter“
dieser „Jahrhundertreform“. Aber nicht nur das. Der TVÖD
zementierte auch das Ende der Tarifeinheit im Öffentlichen
Dienst: Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) hatte sich
durch die Kündigung der Arbeitszeitverträge frühzeitig aus den
Verhandlungen katapultiert. Und den kommunalen Arbeitgebern gab
der Vertrag die Möglichkeit, eine Verlängerung der Arbeitszeit
auf 40 Wochenstunden sofort wieder auf die Tagesordnung zu
setzten - was deren Verbände in Baden-Württemberg, Niedersachsen
und Hamburg bereits wenige Wochen nach Inkrafttreten des TVÖD
durch die Kündigung der entsprechenden Regelungen dann auch
taten.
Mit den im TVÖD eingegangenen kampflosen
Zugeständnissen versuchte die ver.di-Spitze, die Arbeitgeber zu
beschwichtigen. Doch der Appetit kommt beim Essen - anstatt die
Arbeitgeber friedlich zu stimmen, sahen sich diese zu immer
dreisteren Forderungen ermutigt. Für die öffentlich Bediensteten
hatte das Vorgehen der Gewerkschaftsführung denkbar schlechte
Ausgangsbedingungen für die ihnen aufgezwungene
Auseinandersetzung zur Folge. Statt Bund-, Landes- und
Kommunalbeschäftigte gemeinsam und bundesweit gegen
Arbeitszeitverlängerung und Lohnraub zu mobilisieren, standen
die ArbeiterInnen und Angestellten der Kommunen in einzelnen
Bundesländern sowie die Landesbediensteten alleine da. Für die
ohnehin traditionell gewerkschaftlich schlechter organisierten
Beschäftigten der Länder bedeutete das Streikziel TVÖD zudem,
dass sie für innerhalb der Gewerkschaft heftig kritisierte
Verschlechterungen auf die Straße gehen sollten. Ein weiteres -
von der ver.di-Spitze selbst geschaffenes - Problem war die im
TVÖD enthaltene „Meistbegünstigungsklausel“, die vorsieht, dass
jeder mit den Ländern getroffene Tarifabschluss bzgl.
Arbeitszeiten und Sonderzahlungen, der für die Arbeitgeber
günstiger ist, von Bund und Kommunen übernommen werden kann. Das
machte eine Lösung im Konflikt mit der TdL besonders kompliziert
und hat letztlich dazu geführt, dass es keine bundesweit
einheitlichen Arbeitszeiten in den Ländern mehr gibt.
Auch die von der ver.di-Spitze verordnete
Streikstrategie war nicht dazu angetan, möglichst viele
Kolleginnen und Kollegen aktiv einzubeziehen. Die rotierenden
Arbeitsniederlegungen machten es vielfach unmöglich,
kontinuierliche Diskussionen und Aktivitäten unter den
Streikenden zu entwickeln. In vielen Regionen wurde ein Großteil
der Beschäftigten überhaupt nicht einbezogen. Vor allem aber
wurde der Arbeitskampf zu wenig dazu genutzt, verschiedene
Belegschaften - auch über den Öffentlichen Dienst hinaus -
zusammenzubringen. Die in der Endphase des Arbeitskampfs
beginnende Tarifrunde der Metallindustrie hätte hierfür eine
hervorragende Gelegenheit geboten. Es war wohl in erster Linie
der Widerstand von Teilen des IG-Metall-Apparats, der ein
Zusammengehen von Metallern und ver.dianern - das der
Auseinandersetzung eine neue Qualität und eine zusätzliche
Dynamik hätte geben können - verhinderte. Gemeinsame Aktionen
blieben - wo sie überhaupt stattfanden - zumeist symbolisch.
Damit wurde die Chance, eine verallgemeinerte Streik- und
Protestbewegung gegen Lohnraub, Entlassungen und die Angriffe
der Großen Koalition zu entwickeln, durch die
Gewerkschaftsbürokratie sabotiert. Statt dessen versäumte es
DGB-Chef Michael Sommer bei kaum einer Gelegenheit, auf die
„erfreuliche Diskussionsbereitschaft“ von Angela Merkel
hinzuweisen.
Dabei stand für die Gewerkschaftsbewegung
insgesamt einiges auf dem Spiel. Im Öffentlichen Dienst fand
keines der in vergangenen Jahren noch üblichen Tarifrituale
statt. Ein Teil des Arbeitgeberlagers - insbesondere um TdL-Chef
Hartmut Möllring (CDU) - hatte es darauf abgesehen, die
Gewerkschaft zu demütigen und sie entscheidend zu schwächen.
Dieses Ansinnen wurde letztlich durch die große
Kampfbereitschaft - die bereits in den Urabstimmungsergebnissen
von größtenteils um die 95 Prozent - und durch das überraschende
Durchhaltevermögen auch in Bereichen mit bislang wenig
Streikerfahrung zunichte gemacht. Materiell steht am Ende
dennoch eine Niederlage. Die Arbeitszeiten in den Kommunen
Baden-Württembergs wurden unbezahlt auf 39 Wochenstunden
verlängert. In anderen Bundesländern wurden sie zwischen
verschiedenen Beschäftigtengruppen differenziert - was
zukünftige Auseinandersetzungen erschweren dürfte. Noch weit
schlimmer das Ergebnis für die rund 800.000 Landesbediensteten:
Für jedes Bundesland wurden die aktuell durchschnittlich
geleisteten Arbeitszeiten errechnet und auf alle Beschäftigten
angewendet. Zuvor hatten die Altbeschäftigten 38,5, die
Neueingestellten je nach Bundesland 40 bis 42 Wochenstunden
gearbeitet. Die Regelung bedeutet also, dass die dreisteren
Arbeitgeber belohnt werden. Vor allem aber hat sie zur Folge,
dass in den Bundesländern nun völlig unterschiedliche
Arbeitszeiten gelten. Da die Regelungen in diesem Punkt bereits
Ende 2007 wieder gekündigt werden können, wird der nächste
Konflikt nicht lange auf sich warten lassen - wiederum mit
schlechteren Ausgangsbedingungen für die Beschäftigten. Und wie
in anderen Fällen versuchen die Gewerkschaftsoberen, das
Resultat schön zu rechnen. So wird als durchschnittliche
Wochenarbeitszeit für die Länder 39,22 Stunden angegeben. Da
aber in den Flächenländern wie Nordrhein-Westfalen und Bayern
länger gearbeitet wird als in den kleineren liegt die
tatsächliche Arbeitszeit auf die einzelnen Beschäftigten
gerechnet darüber. Auch auf Nachfragen ist der ver.di-Apparat
aber nicht in der Lage - oder nicht willens - über die
wirklichen Durchschnittszeiten Auskunft zu geben. Zudem hat die
Ausnahmeregelung für besonders belastete Beschäftigtengruppen,
die bei 38,5 Stunden bleiben, zur Folge, dass die Arbeitszeiten
der anderen Gruppen noch stärker steigen.
Mit dem TVÖD und den auf diesen folgenden
Tarifregelungen wurden also eine Vielzahl neuer Spaltungslinien
im Öffentlichen Dienst etabliert, die für die Beschäftigten in
künftigen Konflikten von Nachteil sein werden. Andererseits
haben die Streikenden - für viele war es der erste Arbeitskampf
überhaupt - in dieser langen und heftigen Auseinandersetzung
wichtige Erfahrungen gesammelt. Tausende Beschäftigte haben
Streikposten gestanden, auf Versammlungen gesprochen und ihre
Argumente in Diskussionen mit KollegInnen und der Bevölkerung
vorgebracht. Die positive Wirkung der gemachten Erfahrungen und
des gesammelten Selbstbewusstseins werden in nicht allzu ferner
Zukunft deutlich werden.
Ver.di und die Ärztestreiks
Die Auseinandersetzungen im Öffentlichen
Dienst gehen ohne Zäsur weiter - vor allem im Bereich der von
der Umstellung des Finanzierungssystems auf sogenannte
Fallpauschalen (DRG) gebeutelten Krankenhäuser. Hier hat der von
ver.di mit dem TVÖD akzeptierte Verzicht der Standesorganisation
Marburger Bund (MB) die Möglichkeit verschafft, die Ärzte in
eine Auseinandersetzung für einen separaten Tarifvertrag zu
führen. Diese bedeutende Entwicklung hat zwar einerseits eine
vertiefte Spaltung zwischen Medizinern und anderen
Klinikbediensteten zu Folge, andererseits hat der Marburger Bund
mit seiner Forderung nach 30 Prozent mehr Geld, mit Streiks und
öffentlichkeitswirksamen Aktionen einer kampfunerfahrenen
Angestelltenschicht gezeigt, dass Widerstand auch hier möglich
ist. Dass die Assistenz-ÄrztInnen allerdings von der MB-Spitze
nicht besser vertreten werden, als von der ver.di-Führung belegt
das dürftige Tarifergebnis mit der TdL. Zwischen den von ver.di
für die ÄrztInnen vereinbarten Regelungen und dem MB-Vertrag
bestehen nur recht geringe Unterschiede. Bezogen auf die miesen
Arbeitsbedingungen der KlinikärztInnen - die für große
Sympathien in der Bevölkerung für deren berechtigte Anliegen
sorgt - beinhalten beide Verträge so gut wie keine
Verbesserungen bzw. im Vergleich zum alten
Bundesangestellentarif (BAT) nur Verschlechterungen. Stattdessen
sind Arbeitszeiten (inklusive Bereitschaftsdienste) von bis zu
66 Wochenstunden vorgesehen. Ob sich für die ÄrztInnen reale
Verbesserungen im Vergleich zu den bisherigen Arbeitsbedingungen
ergeben, bleibt abzuwarten. Die Spaltung zwischen Ost- und
West-ÄrztInnen hat der Abschluss in jedem Fall vertieft.
Dennoch hat das Vorgehen des Marburger
Bundes die ver.di-Spitze ganz offensichtlich unter Druck
gesetzt. Ausdruck davon ist die neuerdings von ver.di erhobene
Forderung nach einer pauschalen Lohnerhöhung von 150 Euro für
alle Beschäftigten der kommunalen Kliniken. Aus Anlass der von
der Bundesregierung gekürzten Pendlerpauschale, die die
Gewerkschaft als Begründung ihrer Forderung anführt, geht ver.di
damit erstmals selbst in die Offensive. Es ist die richtige -
wenn auch reichlich späte - Antwort auf die von der MB-Führung
betriebene Spaltung. Zudem widerlegt sie das von der
ver.di-Spitze vielfach selbst vorgebrachte Argument, ihr seien
durch die Friedenspflicht die Hände gebunden. Dass die
ver.di-Führung hier nur auf den durch die Forderungen des
Marburger Bundes entstandenen Druck reagiert, zeigt sich auch
daran, dass diese Forderung nur in den kommunalen Kliniken
aufgestellt wird. Warum nicht auch bei Nahverkehrsunternehmen,
Energieversorgern und der Müllabfuhr? Die Kürzung der
Pendlerpauschale trifft schließlich auch diese Beschäftigten.
Allerdings wird für die Durchsetzung dieser
völlig berechtigten Forderung eine entschlossene und konsequente
Mobilisierung der Beschäftigten nötig sein. Die nun angelaufenen
Warnstreiks in einzelnen Betrieben werden dazu alleine
sicherlich nicht ausreichen. Zudem darf die 150-Euro-Forderung
nicht länger durch Verzichtsangebote an anderer Stelle
konterkariert werden. So verhandelt die Gewerkschaftsspitze
derzeit in diversen Krankenhäusern über den „Tarifvertrag
Zukunftssicherung“, der Gehaltsabsenkungen bis zu zehn Prozent
erlaubt. Mit dem den Kliniken durch direkte Lohnkürzung oder in
Form von „Genussscheinen“ zur Verfügung gestellten Geld sollen
diese Investitionen finanzieren. Abgesehen davon, dass es sich
die ArbeiterInnen und Angestellten in den Krankenhäusern nicht
leisten können, auf Teile ihrer ohnehin mickrigen Gehälter zu
verzichten, besteht für die den Arbeitgebern überlassenen
„Kredite“ nicht einmal Insolvenzschutz. Dass die ver.di-Spitze
die Angst um den Arbeitsplatz vielfach ausnutzt, um ihre
Zustimmung zu Lohnkürzungen zu rechtfertigen, macht die
150-Euro-Forderung nicht gerade glaubwürdig. Deshalb muss diese
mit der Ablehnung weiteren Verzichts und dem Kampf gegen
Stellenabbau und Privatisierung verbunden werden. So könnte die
Gewerkschaft die Auseinandersetzungen in verschiedenen Kliniken
miteinander verbinden und wieder in die Offensive kommen.
Tarifrunde der IG Metall
Ein Grund für die harte Haltung von Ländern
und Kommunen im Konflikt mit ver.di war die von den Arbeitgebern
propagierte „Vorbildfunktion“ des öffentlichen Dienstes - hier
durchgesetzte Arbeitszeitverlängerung und Lohnraub sollte die
Unternehmer der Privatwirtschaft ermutigen, ebenfalls in die
Offensive zu gehen. Nicht umsonst sprach TdL-Chef Hartmut
Möllring von der „Leit- und Pilotfunktion“ des Öffentlichen
Dienstes. In der wichtigsten Branche, der Metall- und
Elektroindustrie, wurde der Ball denn auch dankbar aufgenommen.
Allerdings schreckten die Bosse hier letztlich davor zurück, im
Rahmen der Tarifrunde einen regulären Arbeitskampf zu
provozieren. Hauptgrund hierfür war die Tatsache, dass sich mit
mehr als 800.000 ArbeiterInnen so viele Beschäftigte wie noch
nie an der die Verhandlungen begleitenden Warnstreikwelle
beteiligten. Ein anderer Faktor war die gute Auftragslage in der
Metallwirtschaft - ein längerer Arbeitskampf hätte viele
Konzerne empfindlich getroffen.
Verschärft wurde der Konflikt durch die
Kündigung des „Lohnrahmentarifvertrags II“ im Tarifgebiet
Nordwürttemberg-Nordbaden. Diese 1973 durch einen mehrwöchigen
Streik erkämpfte Vereinbarung beinhaltet eine stündliche
Erholzeit für Bandarbeiter von fünf Minuten - die sogenannte
Steinkühler-Pause. Obwohl nur ein Teil der Tarifbeschäftigten
von dieser Regelung profitierte, beteiligten sich auch andere
Belegschaftsteile massiv an den Protestaktionen für den Erhalt
dieser Errungenschaft. Statt den Angriff der Unternehmer schon
im Vorfeld der regulären Tarifrunde durch einen erfolgreichen
Streik - der ohne weiteres möglich gewesen wäre - abzuwehren,
ließ es die IG-Metall-Spitze zu, dass das Thema in die
Tarifrunde hineingezogen wurde. Letztlich wurde die
„Steinkühler-Pause“ für einen größeren Teil der Beschäftigten
ohne Not geopfert. Sie gilt künftig nur noch für „kurzzügliche“
Fließbandarbeit. Laut Angaben der Arbeitgeber wird für zwei
Drittel der bisher 92.000 Anspruchsberechtigten die Pause
eingeschränkt oder ganz gestrichen. Der Vorgang zeigt die
defensive Ausrichtung der gewerkschaftlichen Strategie: Mit der
Forderung, die „Steinkühler-Pause“ auf alle Beschäftigtengruppen
und Tarifgebiete auszuweiten, hätte die aktive Solidarität aller
Metaller für ihre KollegInnen im Südwesten mobilisiert werden
können. Stattdessen beschränkte sich die IG-Metall-Führung
darauf, die Unternehmerforderung abzulehnen - um sie letztlich
doch teilweise zu akzeptieren.
In Punkto Lohn und Gehalt präsentiert die
Gewerkschaft das erzielte Ergebnis als Teilerfolg, der aber
angesichts von jahrelangem Reallohnverlust nur begrenzt
ausfällt. Von einer Trendwende im Sinne der Beschäftigten kann
allerdings ganz und gar nicht die Rede sein. Der im Pilotbezirk
Nordrhein-Westfalen erzielte und in den anderen Tarifgebieten
übernommene Vertrag sieht bei einer Laufzeit von zehn Monaten
eine dreiprozentige Lohnerhöhung vor. Zudem wurde für die Monate
März bis Mai eine Einmalzahlung von 310 Euro vereinbart. Diese
ist allerdings an die „Lage der Betriebe“ gekoppelt. Bei
angeblich schwieriger wirtschaftlicher Situation können die
Unternehmer mit Zustimmung der Betriebsräte diese Zahlung
streichen. Die Bilanz dieser „Verbetrieblichung“ fällt wenige
Monate nach Vertragsunterzeichnung negativ aus: Die Behauptung
von IG-Metall-Chef Jürgen Peters, der betriebliche Spielraum
könne „eher nach oben“ genutzt werden, hat sich erwartungsgemäß
nicht erfüllt.
Vor allem aber ist diese Regelung ein
gewichtiger Tabubruch und der Einstieg in die von IG-Metall-Vize
Berthold Huber - der sich selbst gerne als „Modernisierer“ im
Gewerkschaftslager sieht - propagierte „zweistufige
Tarifpolitik“. Damit wird ein Teil der Tarifverhandlungen auf
die Ebene der Betriebe verlagert. Die betrieblichen
Interessenvertreter - die nicht das Recht haben, zu
Arbeitsniederlegungen aufzurufen - sind oftmals erpressbar und
haben den Unternehmerforderungen zumeist wenig entgegenzusetzen.
„Ein wichtiges Signal für die Zukunft“ nennt denn auch
Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser die Regelung. Eine
Folge wird sein, dass sich die „negative Lohndrift“ - die
Tatsache, dass von den in Flächentarifverträgen erreichten
Lohnsteigerungen immer weniger in den Betrieben ankommt - noch
verstärkt.
Gewerkschaftslinke
Die derzeitige Situation in den Betrieben
und Gewerkschaften ist geprägt von tiefen Widersprüchen. Auf der
einen Seite nutzen die Arbeitgeber jede Gelegenheit, um in der
Vergangenheit erkämpfte Errungenschaften zu beseitigen und die
Durchsetzungsfähigkeit der Gewerkschaften zu schwächen.
Andererseits klammert sich ein Teil der Gewerkschaftsspitzen in
Inhalt und Form an die von der Gegenseite längst aufgekündigte
„Sozialpartnerschaft“, den in der bundesrepublikanischen
Nachkriegsperiode angeblich vorherrschenden „Klassenkompromiss“.
Andere Gewerkschaftsführer verstehen zwar, dass sich in den
Klassenbeziehungen Grundlegendes verändert hat, reagieren darauf
aber damit, die neoliberale Agenda der Kapitalseite „offensiv“
zu übernehmen. Exemplarisch findet dies im Konflikt zwischen
Peters und Huber in der IG Metall ihren Ausdruck. Die infolge
des verlorenen Arbeitskampfs für die 35-Stunden-Woche in
Ostdeutschland 2003 offen ausgebrochene Auseinandersetzung wurde
zwar vorläufig beigelegt. Ein erneutes Aufflammen des Konflikts
ist im Zuge einer neuerlichen Kandidatur von Peters zum Vorsitz
allerdings keineswegs ausgeschlossen.
Beide Flügel des Apparats geben jedoch
keine adäquate Antwort auf die Kapitaloffensive. Nötig wäre es,
die in vielen Bereichen vorhandene Kampfbereitschaft für
konsequente Gegenwehr zu nutzen und zu bündeln. Voraussetzung
hierfür ist ein Bruch mit der in weiten Teilen übernommenen
Standortideologie sowie mit der gewerkschaftlichen Bindung an
die Sozialdemokratie. Die Entstehung der Partei Arbeit und
soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative (WASG) und die
Bildung der Fraktion Die Linke bietet für Letzteres wichtige
Möglichkeiten. Die Umorientierung von Teilen der
Gewerkschaftsapparate auf diejenigen in der WASG-Spitze, die
sich in der Tradition „der guten alten Sozialdemokratie“ sehen,
verbreitert zwar den Spielraum der Beschäftigtenorganisationen,
ist mit dem notwendigen ideologischen Bruch aber nicht
gleichzusetzen.
Profitieren von der sich innerhalb der
Gewerkschaften entwickelnden Polarisierung könnte und müsste die
organisierte Gewerkschaftslinke, die sich in den letzten Jahren
in der „Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken (IVG)“
und anderen Strukturen zusammengefunden hat. Die
Auseinandersetzungen der vergangenen Monate - insbesondere der
ver.di-Streik und die Tarifrunde der IG Metall - haben die
politische und organisatorische Schwäche der bestehenden
oppositionellen Strukturen allerdings offengelegt. Trotz des
Engagements Einzelner gingen die Aktivitäten der
Gewerkschaftslinken über schriftliche Solidaritätsbekundungen
kaum hinaus. Nur das Netzwerk für eine demokratische und
kämpferische ver.di hat während der ver.di-Tarifrunde immerhin
regelmäßige Flugblätter veröffentlicht und dadurch versucht in
die Streikbewegung direkt einzugreifen. Die Gründe für die
Schwäche der gewerkschaftlichen Linken sind zum einen
personeller Natur. Der große Druck in den Betrieben und die
sinnvolle Arbeit vieler IVG-Aktiver in der WASG bindet wichtige
Kräfte. Zum anderen sperrt sich ein Teil der in die
Hauptamtlichenapparate eingebundenen Gewerkschaftslinken
dagegen, die IVG zu einer tatsächlich handlungs- und
kampagnefähigen Struktur weiter zu entwickeln.
Den Einfluss, den linke GewerkschafterInnen
auf den Verlauf von Kämpfen nehmen können, sah man ansatzweise
beim ver.di-Streik in Stuttgart. Hier gehören wichtige
ver.di-Funktionäre zur Gewerkschaftslinken und konnten
erreichen, dass die Streiks besser und mit einer größeren
Einbeziehung der KollegInnen verliefen. Doch auch hier wurde
die starke lokale Position nicht genutzt, um bundesweit mit
Nachdruck eine effektive Streikstrategie einzufordern und aus
dem Kampf heraus oppositionelle Strukturen zu stärken.
Trotz der sich ergebenden Möglichkeiten und
vor allem der großen Notwendigkeit einer innergewerkschaftlichen
Opposition ist die Entwicklung der Gewerkschaftslinken derzeit
weitgehend von Stagnation geprägt. Auch auf einzelbetrieblicher
Ebene gibt es nur wenige Durchbrüche, wenn auch oppositionelle
Betriebsratslisten in verschiedenen Betrieben ihre Position
ausbauen konnten. Das gilt unter anderem für die Liste „Gegen
den Strom“ im Berliner Krankenhauskonzern Vivantes. Wichtigstes
Beispiel ist aber die oppositionelle Betriebsgruppe
„alternative/Klartext“ im DaimlerChrysler-Werk Untertürkheim.
Diese konnte trotz heftiger Anfeindungen von Seiten der
Betriebsratsspitze und des IG-Metall-Apparats bei den Wahlen zur
Beschäftigtenvertretung im März ihren Anteil auf zehn Sitze
ausbauen. Die Liste konnte 3100 Stimmen - vor allem aus den
kampfstarken Produktionsbereichen im Werksteil Mettingen - für
sich verbuchen. Die IG-Metall-Bürokratie reagierte auf diesen
Erfolg mit verstärkter Repression. „Alternative“-UnterstützerInnen
wurden aus den Sitzungen der gewerkschaftlichen Vertrauensleute
ausgeschlossen. Dieser „kalte Ausschluss“ - der den Betroffenen
die Mitgliedschaft in der IG Metall belässt, ihnen die
gewerkschaftliche Arbeit aber faktisch unmöglich macht - ohne
ordentliches Verfahren ist ein Angriff nicht nur auf diese
betriebliche Oppositionsgruppe sondern gilt der
Gewerkschaftslinken insgesamt. Das Signal ist: Sobald eine
konsequente Gewerkschaftslinke breitere Unterstützung findet und
für die Politik der Bürokratie damit zur Gefahr wird, reagiert
der Apparat mit Repression. Deshalb ist es für die Linke
zentral, den „alternative“-UnterstützerInnen soweit wie irgend
möglich ideelle und praktische Solidarität zukommen zu lassen.
Das gilt übrigens auch für WASG und Linkspartei.PDS.
Die Gründung der IVG, des Netzwerks für
eine demokratische und kämpferische ver.di, der ver.di-Linken
und anderer Strukturen in den vergangenen Jahren waren und sind
Ansätze einer notwendigen Vernetzung der gewerkschaftlichen
Linken. Die fortgesetzte Polarisierung bietet die Chance,
kämpferische KollegInnen, die bislang nicht in die
Gewerkschaftslinke einbezogen sind und sich zum Teil auch gar
nicht als Linke bezeichnen würden, für oppositionelle Arbeit zu
gewinnen. Das ist der IVG allerdings bislang kaum gelungen, u.a.
wegen der nach innen gerichteten, auf den Funktionskörper
bezogenen Ausrichtung und einer Debattenkultur, die sich kaum in
gemeinsames Handeln übersetzt. Wenn es die Gewerkschaftslinke
nicht schafft, einen realen Gebrauchswert für die Beteiligten zu
entwickeln, wird sie nicht zum Anziehungspunkt breiterer
Aktivistenschichten werden können.
In gewissem Sinne stellt sich die Aufgabe,
die Arbeiterbewegung neu aufzubauen. Das gilt ideologisch, aber
auch ganz praktisch beim Neuaufbau kampagnefähiger Strukturen
und der Entstehung einer neuen Schicht kämpferischer
Aktivistinnen und Aktivisten. In beiderlei Hinsicht stehen wir
erst am Anfang. Jetzt gilt es, im einzelnen Betrieb - und so
weit wie möglich auch auf branchen- und
gewerkschaftsübergreifender Ebene -die sich ergebenden
Möglichkeiten zum Aufbau von Kernen einer kämpferischen
Gewerkschaftslinken zu nutzen.
Editorische Anmerkungen
Die Übersicht wurde von
Daniel Behruzi am 20. Juli 2006
geschrieben und uns im August 2006 zu Veröffentlichung gegeben.
Daniel Behruzi ist Mitglied im
Sprecherrat des Netzwerks für eine kämpferische und
demokratische ver.di. Er lebt in Berlin und arbeitet als
Journalist unter anderem für die Tageszeitung junge Welt.