Frankreich:
Gedrängel im rechten Spektrum vor der Präsidentschaftswahl in anderthalb Jahren.  Le Pen, de Villiers und Sarkozy wetteifern um Rechtsaußenstimmen

 
Von Bernhard Schmid

09/05

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Die Ankündigung löste nur mäßige Begeisterung in seiner Partei aus: Jean-Marie Le Pen möchte, koste es wolle, in anderthalb Jahren noch ein – letztes – Mal zur französischen Präsidentschaftswahl antreten. Es wäre seine vierte Teilnahme an der Wahl, die Le Pen, in Übereinstimmung mit seiner auf den „starken Mann“ zugeschnittenen Politikkonzeption, als „Königin aller Schlachten“ betrachtet und als den einzigen Wahlgang, der ihn im Grunde je interessiert hat.  

Erstmalige "positive" Wahlempfehlung von Le Pen? 

Dabei will der rechtsextreme Politiker übrigens – erstmals, seitdem er 1988 erstmals zur Präsidentschaftswahl kandidieren konnte -, beim nächsten Mal nicht ausschließen, eine positive Empfehlung für den entscheidenden zweiten Wahlgang auszusprechen. Sein konkretes Verhalten vor der Stichwahl wird er davon abhängig machen, wie er Ende August ankündigte, wer dann die bürgerliche Rechte vertritt. Falls ihr Kandidat im zweiten Wahlgang wieder Jacques Chirac wäre (wie 1988, 1995 und 2002) und damit ein Mann, den Le Pen persönlich hasst wie kaum einen zweiten, „dann würde es mir schwer fallen“, eine Wahlempfehlung auszusprechen. Bisher hat Le Pen tatsächlich bei den letzten Malen noch nie zur Stimmabgabe zugunsten Chiracs aufgerufen – 1995 erklärte er öffentlich, Chirac, sei „dasselbe wie (sein sozialistischer Gegenkandidat Lionel) Jospin auf die schlimmere Tour“, 2002 konnte er ihn gar selbst als Gegenkandidat herausfordern.  

Wenn jedoch nicht mehr Chirac, sondern – wie von vielen Beobachtern erwartet wird – dessen derzeitiger Innenminister Nicolas Sarkozy in der Stichwahl gegen einen Vertreter oder eine Vertreterin der Linksparteien antreten wird, dann könne er sich eine Wahlempfehlung sehr wohl vorstellen, verkündete Le Pen. Sarkozy wirbt seit Monaten offen mit autoritären Parolen um das Publikum des FN, am 30. Juni verkündete er gegenüber Journalisten: „Ich ziele nicht auf die Wählerschaft des FN ab, ich habe sie bereits“. Immerhin drei Viertel der rechtsextremen Sympathisanten geben an, von seiner Politik zur Inneren Sicherheit angetan zu sein. 

Nicht so sehr bei einer Parlamentswahl (bei der das persönliche Profil des ehrgeizigen Ministers hinter dem allgemeinen Image der Regierungspartei UMP zurücktreten würde), wohl aber bei einer Personenwahl wie dem Rennen um die französische Präsidentschaft könnte Sarkozy derzeit durchaus einen Teil der FN-Wählerschaft anziehen. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass der FN sein theoretisches Potenzial sicherlich im Moment - wo die Partei zerstritten dasteht und ihre Basis eher passiv gehalten denn mobilisiert wird - nicht voll ausschöpfen könnte. Der FN-Kandidat würde im Moment wohl eher 10 Prozent als, wie in der Vergangenheit, 15 Prozent der Stimmen anziehen können; es sei denn, es kommt ihm erneut die Konjunktur eines mobilisierungsträchtigen Themas (wie im Jahr 2002 der "Unsicherheit") zu Hilfe. 

Kongress verschoben 

Im Jahr 2007, in dessen erster Hälfte sowohl der Präsident als auch die Nationalversammlung neu gewählt werden, wird Jean-Marie Le Pen 79 Jahre alt. In den meisten Fällen bedeutet das für einen Politiker: Zeit, abzutreten und eventuell seine Nachfolge zu regeln. Nicht so für den Chef des rechtsextremen Front National (FN), der bestrebt ist, alle innerparteilichen Entscheidungsstränge in seinen eigenen Händen zusammenlaufen zu lassen. Die Entscheidung über eine mögliche Nachfolge wird nach wie vor durch ihn blockiert. Ursprünglich hätte, nach dem Kalender der bisher im dreijährigen Rhythmus stattfindenden Parteitage, im Frühjahr 2006 ein Kongress des FN stattfinden müssen. 

Damit aber nur ja die heikle Erbfolgefrage nicht vor der kommenden Präsidentschaftswahl aufgeworfen werden kann, hat der Chef des FN nunmehr entschieden, dass der nächste Kongress auf Ende 2007 verschoben wird. Dann ist das „Superwahljahr“ vorüber. Und falls er es sich bis dahin nicht noch einmal anders überlegt, gedenkt Le Pen dann vielleicht auch abzutreten. Bis dahin bleiben aber noch ein paar größere Steine aus dem Weg zu räumen, vor allem der allerdickste Brocken: das Problem der 500 Unterstützungsunterschriften. 

Um als Kandidat zur Präsidentschaftswahl antreten zu können, muss ein Bewerber 500 Unterschriften von Mandatsträgern der Republik – Bürgermeistern, Angehörigen eines Bezirks-, Regional- oder des Europaparlaments, Abgeordneten der beiden nationalen Parlamentskammern – vorweisen können. Bei der letzten Wahl im April 2002 hatte Le Pen bereits die allergrößte Not, die 500 Unterschriften zusammen zu bekommen; wochenlang hatten seine vergeblichen Bemühungen darum die Medien im Atem gehalten, was ihm freilich im Endeffekt damals eine gewisse Publicity verschaffte. Beim nächsten Mal könnte es aber nun wirklich extrem eng werden: Zum ersten Mal haben hohe Parteifunktionäre des FN in der bürgerlichen Presse – etwa in „Libération“ und „Le Monde“ -, wenngleich meist ohne Namensnennung, klar erkennen lassen, dass viele der eigenen Parteikollegen 2007 nicht mehr für Le Pen senior unterschreiben würden. Der FN verfügt über rund 150 Regionalparlamentarier, und wenn selbst die nicht alle für die Kandidatur ihres Spitzenmanns unterschreiben, dann wird es wirklich kritisch. Denn wie die französischen Medien bereits jetzt berichten (vgl. "Le Parisien" vom 13. 09. 2005, Schlagzeile: "Die ¨Bürgermeister zeigen Le Pen die kalte Schulter"), zeigen sich die Bürgermeister auch kleinerer Kommunen im Hinblick auf die kommende Wahl nunmehr äußerst zurückhaltend, was eine Unterschrift für Le Pen betrifft: Erstens hat dessen ausdrückliche Relativierung der mit der deutschen Besatzung in Frankreich verbundenen Verbrechen (in einem Interview für die offen pro-nazistische Zeitung "Rivarol" im Januar 2005) viele von ihnen definitiv abgestoßen. Und zweitens werden im Jahr 2008, das auf die nächste Präsidentschaftswahl folgt, frankreichweit die Kommunalwahlen stattfinden. Und dann werden die kommunalen AmtsträgerInnen sich vor ihren WählerInnen verantworten müssen. Eine Unterschrift für Jean-Marie Le Pen erscheint dabei zur Zeit nicht eben als positives Werbeargument, um eine Mehrheit unter ihnen anzusprechen.  

Bei der letzten Präsidentschaftswahl im April 2002 fielen solcherart Bedenken noch geringer aus: Die letzten Kommunalwahlen (März 2001) waren soeben vorüber, die nächsten würden erst einige Jahre später stattfinden (turnusmäßig eigentlich 2007, aufgrund des "Superwahljahrs" wurden sie gleich auf 2008 verschoben). Doch dieses Mal muss Le Pen wirklich ernsthaft um seine Unterschriften bangen. Deshalb suchte er bereits Ende August, anlässlich der Sommerakademie des FN, moralischen Druck auf die Bürgermeister auszuüben: Diejenigen Amtsträger, die "Mut" bewiesen, "ihrer staatsbürgerlichen Aufgabe nachkommen" und sich nicht von Druck beeinflussen ließen, würden "in die Geschichte eingehen", tönte Le Pen. 

Rechtskatholik Philippe de Villiers 

Neben Jean-Marie Le Pen selbst und Innenminister Sarkozy kommt noch ein weiterer Bewerber um die Stimmen des rechten bis rechtsextremen Wählerpotenzials in Betracht: Der nationalkonservative, rechtskatholische Graf Philippe de Villiers, der am 11. September bereits seine eigene Präsidentschaftskandidatur anmeldete. An jenem Wochenende hielt seine Partei, das "Mouvement pour la France" (MPF), im südostfranzösischen Grasse ihre Sommerakademie mit rund 500 Teilnehmern ab. 

Seine, bisher noch im Aufbaustadium steckende, „Bewegung für Frankreich“ (MPF) konnte im Abstimmungskampf vor dem Referendum zur EU-Verfassung vom 29. Mai dieses Jahres Aufmerksamkeit gewinnen. Das MPF hat in den letzten Monaten auch viele enttäuschte ehemalige FN-Funktionäre gewonnen (darunter den jetzigen MPF-Generalsekretär Guillaume Peltier, früher Chef der Jugendorganisation des FN), die hier einen neuen; vom Verdacht auf Naziparolen und anderen Anrüchigkeiten „unbelasteten“, eher konservativen Rahmen für „nationale Politik“ entdeckten. Tatsächlich steht das MPF nicht in einer offen faschistischen Tradition, wohl aber in jener der rechtskatholischen Republikgegner der ersten Jahrzehnte nach 1789, von denen einige auch – neben Kreisen aus der Armee und der Kirche - am Vichy-Regime teilnahmen. Philippe de Villiers hat Ende August auch offen erklärt, die Türen seiner Partei stünden ehemaligen FN-Leuten offen. Und, wie etwa die liberale Pariser Abendzeitung "Le Monde" (u.a. in ihrer Ausgabe vom 16. September) feststellt, begibt sich Philippe de Villiers inhaltlich "auf das Terrain des Front National". Seine Kampagne nährt er zur Zeit vor allem mit Ressentiments, die er durch Parolen gegen den EU-Beitritt der Türkei, gegen Immigration und gegen die "zunehmende Islamisierung Frankreichs in allen gesellschaftlichen Bereichen" mobilisiert. 

Rechtsdissidenten des FN im Kontakt mit den Nationalkatholiken 

Der derzeit einzige FN-Bürgermeister einer Kommune von mehr als 10.000 Einwohnern – Jacques Bompard, Stadtoberhaupt im südfranzösischen Orange, einer Kommune von rund 30.000 EinwohnerInnen  – hat nach Informationen von „Libération“ (10. September 2005) den Grafen de Villiers jüngst getroffen. Bompard steht seit längerem mit Le Pen im Konflikt, der sich verschärft hat, nachdem der Bürgermeister von Orange es wagte, der FN-Sektion im Département Vaucluse – und damit der eigenen Partei – im Mai einen Geldstrafbefehl wegen illegalen Plakatierens in seiner Kommune auszustellen. Am 9. September 05 wurde Bompard aus den Führungsgremien des FN ausgeschlossen; er hat bereits angekündigt, der Partei nicht als einfaches Mitglied angehören zu wollen. 

Ende August ließ Bompard erneut, wie bereits im Vorjahr, in Orange eine Sommeruniversität seines Clubs „Esprit Public“ (Staatsmännischer Geist) beinahe zeitgleich - ihr Beginn war um zwei Tage versetzt - zur „offiziellen“ Sommeruniversität des FN stattfinden. Letztere fand dieses Jahr in Bordeaux statt und hatte die „globalen Probleme“ wie Erderwärmung, Ökologie und Hunger zum Thema – freilich nur, um zu verkünden, dass lediglich eine Rückkehr zum Nationalstaat als Politikrahmen Abhilfe verschaffen könne. In Orange hielt man sich dagegen nicht damit auf, sich auf diese Weise als pseudo-moderne und aufgeschlossene Kraft zu präsentieren, sondern widmete sich gleich viel „klassischeren“ rechtsextremen Themen, wie dem Problem der „Meinungsfreiheit“ für Geschichtsrevisionismus. Teile des katholisch-fundamentalistischen Parteiflügels und militante rechtsradikale Aktivistenkreise fanden sich in Orange ein. 

Aber auch in Bordeaux, wo der „offizielle“ FN tagte, war die Haltung zu den Nationalkatholiken um Philippe de Villiers ein Thema. Denn ein Teil des Hardlinerflügels und der „alten Garde“, der zwischen der Unterstützung für die innerparteiliche „Nummer zwei“ Bruno Gollnisch und jener für Jacques Bompard schwankt, machte sich am Rande der Tagung von Bordeaux für eine „Annäherung“ an die neue Partei des rechtskonservativen Grafen stark. „Schon seit dem Referendum (Ende Mai) hätten wir uns an diese Leute annähern sollen“ forderte etwa Marie-France Stirbois, die der Partei seit den 70er Jahren angehörte, in Bordeaux vor der Presse. Hintergrund ist, dass dieser Teil der „alten Garde“ sich von einer Annäherung an die Nationalkatholiken verspricht, einer „modernistischen Aufweichung der Werte“ vorbeugen zu können – denn diese Gefahr ist in ihren Augen mit dem möglichen späteren Aufstieg der Le Pen-Tochter, Marine, an die Parteispitze verbunden. Dagegen plädierte die innerparteiliche „Nummer drei“, FN-Generalsekretär Carl Lang, gegen eine solche Annäherung, da Philippe de Villiers nicht mit dem bürgerlichen Konservativismus und der Regierungspartei UMP gebrochen habe. 

Befürchtet wird von den Gegnern einer solchen Annäherung vor allem, dass der sozial schwächere, vor allem von den „Protest“aspekten des FN-Parteidiskurses angezogene Teil der Wählerschaft ihr nicht folgen würde. Tatsächlich ist das Publikum des Grafen de Villiers mehrheitlich materiell weitaus besser situiert, und in anderen Wohngegenden ansässig, als zumindest ein Teil der Wählerbasis des FN.

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde uns vom Autor am 19.9. 2005 zur Verfügung gestellt.