Israels Atombombe
Europas Verantwortung

von
Ramzi Baroud
09/05

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Am 3.August berichtete die BBC in ihrem Programm Newsnight, Großbritannien habe das Schwere Wassers geliefert, das Israel erlaubte, seinen anfänglich mit französischer Hilfe entwickelten Nuklearreaktor in Dimona, in der Negevwüste, in eine Atomwaffenfabrik zu verwandeln, die in der Lage ist, spaltbares Material zu produzieren.

Die Enthüllungen der BBC über die heimliche und peinliche britische Hilfe zu einer israelischen Atombombe verlangt eine gründliche Untersuchung und die radikale Abkehr von der Doppelmoral, wonach Israels voll entwickelte nukleare Kapazität eine triviale Angelegenheit sei.

Nach den dramatischen Enthüllungen, die der frühere Dimona-Techniker Mordechai Vanunu 1986 gegenüber der Sunday Times gemacht hatte, hatte man stets angenommen, die 20 Tonnen Schweres Wasser stammten aus Norwegen. Norwegen hatte sich offiziell stets in Schweigen gehüllt.

Laut BBC wurde dieser Deal mit Israel als Wiederverkauf einer für Großbritannien nutzlosen Sendung Schweren Wassers an Norwegen verschleiert. Die Sendung wurde in den 50er Jahren nach Israel verschifft, das binnen drei Jahren den größten Teil der 20 Tonnen verbrauchte. Dem Bericht zufolge verlangte Israel 1961 weiteres Schweres Wasser, aber die Enthüllung der nuklearen Ambitionen Israels durch die Zeitung Daily Express machten weitere Verkäufe zu einer komplizierten Angelegenheit.

Viele Jahre später konnte die Weltöffentlichkeit dank der Kühnheit Vanunus das Ausmaß der gefährlichen Experimente Israels mit dem tödlichen Material kennen lernen: Hunderte nuklearer Sprengköpfe — bei maßvoller Schätzung — machten Israel laut westlichen Experten zu einer der führenden Nuklearmächte der Welt, zur Nummer Sechs, um genau zu sein.

Israel erlaubt sich bis heute, das zunehmend gut dokumentierte Nuklearprogramm weder zu bestätigen noch zu leugnen. Der derzeitige Vizepremierminister Shimon Peres, der als führender Architekt des Nuklearprogramms gilt, weigerte sich, den Bericht der BBC zu kommentieren.

Die anerkannte Beteiligung Frankreichs und Norwegens sowie Großbritanniens jüngst enthüllte Rolle bei der Verwirklichung Israels nuklearer Ambitionen beschreibt deutlich die europäische Absicht, Israel eine »einzigartige militärische Überlegenheit« gegenüber seinen arabischen Nachbarn zu verschaffen. Es fällt auf, dass US-Spitzenpolitiker genau diesen Ausdruck verwenden, wenn sie das Engagement der USA für Israel beschreiben.

Während die US-Regierungen unter Eisenhower und Kennedy »sich bemühten, Israel vom Bau nuklearer Waffen abzuhalten«, wie der Guardian schrieb, ignoriert die gegenwärtige US-Regierung Israels Atompolitik, zieht aber »alle Optionen«, einschließlich einer militärischen Intervention, in Betracht, um gegen den Iran vorzugehen wegen seiner angeblichen Bemühungen, eine Atombombe zu entwickeln.

Der Iran, der den Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen (NNPT) unterzeichnet hat, betont, seine nuklearen Ambitionen seien friedlicher Natur. An verschiedenen diplomatischen Fronten hat er sich darum bemüht, seine Probleme mit der IAEA, der Internationalen Atomenergiebehörde der UNO, beizulegen. Israel jedoch ist dem NNPT noch nicht beigetreten und unterliegt auch keinem Druck, dies zu tun. Israels höhere Stellung bleibt bestehen — trotz des Aufrufs von IAEA-Chef Mohamed El Baradei, die Atomwaffen abzuschaffen und den NNPT zu unterzeichnen.

Israels gelassene Haltung stützt sich auf die bedingungslose militärische und politische Unterstützung aus Washington, das Israels Sünden mit vollständig anderen Augen betrachtet als die anderer Länder des Nahen Ostens.

Die Farce wird fast unerträglich, wenn US-Politiker ihren Kreuzzug im Nahen Osten an die Sicherheit Israels knüpfen. Im Januar 2005 warnte US-Vizepräsident Cheney, der Iran habe ein »stabiles Kernwaffenprogramm«, das Hauptziel der Islamischen Republik sei die »Zerstörung Israels«. »Wenn die Israelis davon überzeugt sind, dass die Iraner ein beträchtliches Potenzial besitzen, mögen die Israelis ruhig entscheiden, als erste zu handeln. Soll der Rest der Welt zusehen, wie das diplomatische Chaos dann zu beseitigen ist«, äußerte Cheney.

Nur ein vollkommen naiver Mensch könnte denken, Cheney sei sich vielleicht des Ausmaßes von Israels nuklearem Zerstörungspotenzial nicht bewusst gewesen, als er diese anmaßende Bemerkung machte.

Trotz der nahezu kompletten Fälschung und endlosen Vorwände für die Invasion des Irak, bei der Millionen Menschen geopfert wurden und eine bereits unstabile Region weiter destabilisiert wurde, verfolgt die US-Regierung diese Logik ungehindert weiter. Nun ist der Iran die Bedrohung, und das harmlose Schaf, wie könnte es auch anders sein, ist Israel.
Das letzte Stück des Puzzles ist nun entdeckt worden: Die internationale Gemeinschaft weiß nun, woher Israels Schweres Wasser herkam, und sie weiß, dank des mutigen Mordechai Vanunu, was daraus geworden ist. Selbst der oftmals willensschwache El Baradei gab gegenüber der israelischen Tageszeitung Haaretz zu, dass seine Behörde annimmt, dass Israel über Atomwaffen verfügt.

Zu befürchten ist, dass weder der BBC- Bericht noch der Aufschrei vieler Staaten aus dem Nahen Osten und darüber hinaus die von Israel mit europäischer Hilfe und amerikanischem Segen in Gang gesetzte Spirale von Tod und Zerstörung behindern oder wenigstens vorübergehend anhalten wird.

Es ist diese Doppelzüngigkeit und Doppelmoral des Westens, die den Frieden im Nahen Osten zu einer bloßen Illusion macht, während in der Negevwüste weiter Massenvernichtungswaffen produziert werden.
 

Editorische Anmerkungen

Der Autor lehrt Massenkommunikation an der Curtin University of Technology in Westaustralien. Sein Buch Writings on the Second Palestinian Uprising erscheint demnächst bei Pluto Press (London). (Übersetzung: Hans-Günter Mull).
Der Artikel erschien in der SoZ und ist eine Spiegelung von
http://members.aol.com/sozrst/0509162.htm

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