Es
ist ein klarer Fall: Die Opfer sind schuld. Bekämpft werden müssen die
Armen, nicht die Armut.
Das Feuer tötete mehrfach in den letzten Monaten in Paris. Am 15. April
dieses Jahres brannte ein heruntergekommenes "möbliertes Hotel", in dem
Immigrantenfamilien mangels eigener Wohnungen jahrelang wohnten, in
unmittelbarer Nähe der Pariser Oper und der benachbarten Prachtboulevards
aus. Der Brand forderte 24 Tote. Nichts hat sich jedoch seitdem an der
Gefahrensituation geändert, in der viele "mal logés" (Schlecht Behauste) -
deren Zahl frankreichweit auf annähernd 2 Millionen geschätzt wird - leben.
In der Nacht vom 25. auf den 26. August brannte ein Wohnhaus am Boulevard
Vincent-Auriol im südlichen Zentrum von Paris. Der Brand forderte 17 Tote,
darunter 14 Kinder; Es handelte sich um ein sechsstöckiges Wohnhaus, in dem
die Stadt Paris rund 150 Personen, überwiegend afrikanischer Herkunft,
"provisorisch" untergebracht hatte. Das Provisorium dauerte für viele der
betroffenen Familien seit - 1991. Damals hatten, beginnend am 13. Juli, dem
Vorabend des französischen Nationalfeiertags, rund 300 Leute (vorwiegend
maghrebinische und schwarzafrikanische Einwanderer) die Riesenbaustelle der
jetzigen Bibliothèque Nationale de France - der größten Bibliothek Europas -
besetzt. Aus dem zeitgenössischen Bericht einer deutschen Tageszeitung:
"Alle 90 Familien verfügen über ein Beschäftigungsverhältnis, niemand lebt
illegal, 80 Prozent sind französische Staatsbürger. Die Geschichten ähneln
sich: Mietrückstände, Abriß oder Verkauf der Wohnungen . (...) Dann kam die
Straße." (Thomas Hahn in der taz vom 14. August 1991.)
Vier Monate lang lebten sie dort in Zelten auf dem Gelände, unterstützt von
Wohnrauminitiativen wie dem kämpferischen DAL (gesprochen "Dall"; von "Droit
au logement", der Name bedeutet "Recht auf eine Wohnung"). Am Ende waren die
Leute "vorübergehend" in Notunterkünften, die der Stadt Paris gehörten,
untergebracht worden. Ein Jahr später fand übrigens erneut eine noch größere
Besetzung statt, 1.400 Menschen - meistens afrikanische Familien -
campierten in ausrangierten US-Armeezelten vor dem Schloss von Vincennes,
vor den Toren von Paris. Dieses mal ließ der Pariser Polizeipräfekt die
Zeltstadt jedoch, Ende Oktober 1992, gewaltsam auflösen.
Die Protestierenden waren in beiden Fällen fast ausschließlich "legale"
Immigranten, die seit Jahren mit Aufenthaltstitel in der französischen
Hauptstadt lebten und beispielsweise bei der öffentlichen Müllabfuhr
beschäftigt waren. Sie waren jedoch aus ihren Häusern geflogen, und sie
fanden schlicht keine neuen Vermieter: Weil sie schwarz sind und aufgrund
flagranter Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt, oder auch einfach
deswegen, weil sie "zu arm" waren. Diese Ausschlussmechanismen haben sich
seitdem nur noch drastisch verschärft: Potenzielle Vermieter verlangen
oftmals als "Sicherheit", dass ihre MieterInnen vier oder fünf mal die Summe
der Monatsmiete als Gehalt verdienen. Die Konsequenzen liegen auf der Hand:
1954 bestand die Bevölkerung von Paris noch zu 65 Prozent aus Arbeitern und
Angestellten sowie kleinen Handwerkern, zu 35 Prozent aus Unternehmern,
Freiberuflern und leitenden Angestellten. Bereits 1990 hatten sich diese
Proportionen umgekehrt. Und derzeit spitzt sich diese Tendenz weiterhin
drastisch zu: In den Jahren 2001 bis 2004 kletterten die Mieten in
Frankreich im Durchschnitt um 14,22 Prozent (laut "Le Parisien" vom 14. März
2005), für das laufende Jahr wird ein Anstieg um weitere 4,7 Prozent
prognostiziert. Wer arm ist, hat also schlechte Karten in Paris, wo die
Eliten der halben Welt mittlerweile um die prestigereichsten Quadratmeter
konkurrieren - und wer noch dazu beispielsweise schwarz ist, hat doppelt
schlechte Karten. Bisher waren einzelne ärmere innerstädtische Wohnviertel,
die seit langem von Immigranten bewohnt waren, davon ausgenommen - doch in
diesen machen sich inzwischen die "Bobos" (Bourgeois-Bohèmes) breit, jüngere
Besserverdienende mit linksliberalem Touch und einem Hang zur
Sozialromantik. Letztere schätzen diese Viertel und lassen gleichzeitig die
Mieten auch dort explodieren.
Das - "provisorisch" belegte - Wohnhaus am Boulevard Vincent-Auriol, nur
einige hundert Meter von der 1996 eröffneten Nationalbibliothek entfernt,
hatte lockere Bretter und teilweise löcherige Decken. Bei Regen tropfte das
Wasser in das Gebäude hinein. Elektrische Drähte hingen lose in der Gegend
herum. Anlässlich der Bauarbeiten in der unmittelbarer Nachbarschaft, wo
rund um die Bibliothek in den letzten Jahren ein neues, "hypermodernes" und
extrem hässliches, Büro- und Geschäftsviertel entstanden ist und weiter
wächst, vibrierte und erzitterte das gesamte Haus. Es war also eher
glücklichen Umständen zu verdanken, dass es nicht schon lange zu
gravierenden Unfällen gekommen ist. Der Brand von Ende August war jedoch
kein Unfall. Am vorigen Freitag hat die Pariser Staatsanwaltschaft ein
Strafverfahren gegen Unbekannt wegen Brandstiftung eröffnet, denn nach den
ersten Ergebnissen der polizeilichen Ermittlungen steht mittlerweile fest,
dass der Feuer wahrscheinlich absichtlich gelegt worden ist. Der Brandherd
ging von Kinderwägen, die im Erdgeschoss im Treppenhaus abgestellt waren,
aus - und der ursprüngliche Verdacht, dass defekte elektrische Leitungen das
Feuer verursacht haben könnten, ist ausgeräumt, denn es befanden sich gar
keine Leitungen in der Nähe der Kinderwägen. Erhärtet sich die Vermutung, so
ist im Moment aber weniger an einen ideologisch-rassistisch motivierten
Anschlag zu denken, sondern wohl eher an eine Manifestation des ohne
Ideologie daherkommenden Sozialdarwinismus. Denn ein "warmer Abbruch" käme
mächtigen Interessen äußerst gelegen: In der Nachbarschaft des abgebrannten
Hauses kostet der Quadratmeter in den zahlreichen (Büro-)Neubauten im
Augenblick 4.000 Euro.
Ein zweiter Brand wenige Tage später, der in der Nacht zum 30. August erneut
7 Todesopfer (darunter 4 Kinder) forderte, traf erneut afrikanische
Immigranten. Dieses Mal brannte ein besetztes Haus, das seit Anfang der 90er
Jahre durch seine früheren Eigentümer aufgegeben und 1999 durch ivoirische
(d.h. aus der Côte d’Ivoire, oder Elfenbeinküste, stammende) Familien
besetzt worden war. Die Mehrheit der "HausbesetzerInnen" in Paris sind keine
Junganarchisten, sondern - wie in diesem Fall - afrikanische Familien, die
auf dem so genannten "freien Wohnungsmarkt" keine Chance haben (da sie auf
der untersten Stufe der bestehenden sozialen Rangleiter stehen) und auch
keine Sozialwohnung erhalten. Denn auch bei letzteren besteht weit mehr
Nachfrage als Angebot, und eine zehnjährige Aufenthaltserlaubnis gehört zu
den gesetzlichen Mindestvoraussetzungen, um überhaupt Anspruch auf eine
Sozialwohnung (HLM) erheben zu können. Das ausgebrannte Gebäude in der rue
du Roi-Doré, in der Altstadt von Paris, gehörten zu den baufälligsten
Häusern der französischen Hauptstadt und war bereits als besonders
gefährlich eingestuft. Eine städtische Gesellschaft zur Renovierung
risikobehafteter Gebäude hatte das Haus vor einem halben Jahr aufgekauft.
Von 22 Familien waren 12 in eine andere Wohnung vermittelt worden - alle
Familien, die Aufenthaltsdokumente besaßen. Die anderen 10 Familien, die
keine gültigen Aufenthaltstitel (mehr) aufwiesen, blieben in dem Haus mit
defekten elektrischen Leitungen - letztere haben nach bisherigen
Ermittlungen in diesem Fall möglicherweise den Brand verursacht. Diese zehn
Familien waren es, die am 30. August bei lebendigem Leib zu verbrennen
drohten. |
Fotos von der
Demo in Paris am 3.9.05
Fotos von
Bernhard Schmid
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Der Innenminister im Einsatz
gegen die Opfer
Der französische Innenminister Nicolas Sarkozy hat es erkannt: Das
Problem rührt daher, dass so viele Leute mit akuten
Wohnraumproblemen "sich in Paris zusammen ballen", erklärte er in
den letzten Augusttagen, "von denen einige sich illegal in
Frankreich aufhalten" und deshalb angeblich nicht registriert
seien.
Letztere Behauptung ist freilich Mummpitz, denn den
Polizeidiensten ist sehr wohl die - ungefähre - Anzahl so genannt
"illegaler" Einwanderer und ihre räumliche Verteilung bekannt. Die
Staatsorgane sind sehr genau darüber unterrichtet, dass bestimmte
Wirtschaftszweige (Gebäudereinigung, Teile des Baugewerbes usw.)
in weiten Teilen auf "illegalen" und deshalb besonders
prekarisierten und billigen Arbeitskräften basieren, ohne die sie
in ihrer jetzigen Form zusammenbrechen würden. Der Staat
interveniert in der Regel, wenn ein "Überangebot" an
illegalisierten Arbeitskräften besteht, um einen Teil der
"Überflüssigen" abzuräumen und in ihre Herkunftsländer zurück zu
verfrachten.
Am vorigen Dienstag erklärte Sarkozy in diesem Kontext, er habe
die ihm untergebenen Polizeidienste angewiesen, "all diese
besetzten Häuser und all diese Gebäude zu räumen, um weitere
Dramen zu verhindern". Angeblich, um die potenziell gefährdeten
Menschen darin zu schützen. Der brisante Punkt liegt freilich in
der Frage, ob den von Räumungen betroffenen Personen oder Familien
Ersatzwohnraum angeboten wird oder nicht. Darin liegt die Crux so
mancher (pseudo-)humanitärer Politik, die sich darauf beruft, man
wolle doch endlich den schrecklichen Wohnraumbedingungen an
manchen Orten ein Ende bereiten. Beispielsweise in der Politik des
aktuellen Arbeits- und Sozialministers Jean-Louis Borloo: Er
möchte in den kommenden fünf Jahren erklärtermaßen 25.000
Wohnungen im sozialen Wohnungsbau (HLM) abreißen und zerstören, um
den schlechten Konditionen in den Wohnblöcken und Plattenbauen
mancher Pariser Trabantenstädte ein Ende zu bereiten. Rein
theoretisch ein löbliches Vorhaben - aber die entscheidende Frage
lautet, wo dann der damit wegfallende Wohnraum ersetzt wird. Die
Antwort der Regierung lautet: Irgendwo, noch weiter draußen aus
dem Pariser Ballungszentrum oder in der "Provinz" - aber bitte
nicht in Paris und auch nicht vor seinen Toren!
A propos: Ein Gesetz aus dem Jahr 2000, das vom damaligen
KP-Minister für Verkehr und Wohnungsbau Jean-Claude Gayssot
ausgearbeitet worden ist, verpflichtet alle Städte, Bezirke und
Kommunen dazu, einen Anteil von mindestens 20 Prozent an
Sozialwohnungen auf ihrem jeweiligen Gebiet zur Verfügung zu
stellen - und notfalls Wohnraum umzuwandeln oder Sozialwohnungen
nachzubauen. Seit dem Regierungswechsel von 2002 aber lässt die
Pariser Regierung, die theoretisch alle Kommunen zur Einhaltung
dieser Verpflichtung zwingen oder sie sonst mit einer Geldstrafe
belegen könnte, das Gesetz schlicht und einfach nicht anwenden. Im
Großraum Paris, wo der sozialdemokratische Regionalpräsident
Jean-Paul Huchon ein wenig auf die Einhaltung der Vorschrift
drängt, liefert unter anderem der Bürgermeister des Pariser
Nobelvororts Neuilly-sur- Seine, ein gewisser Nicolas Sarkozy...,
einen anhaltenden Kleinkrieg gegen jede Verpflichtung zum sozialen
Wohnungsbau. Auch die Hauptstadt Paris, seit 2001 unter einem
sozialdemokratischen Stadtoberhaupt (Bertrand Delanoë), leistet
zumindest passive Widerstände; allerdings hat die Stadtverwaltung
tatsächlich Mühe, innerhalb von Paris Neubauten anzusetzen, und
zeigt sich teilweise um die Umwandlung bisherigen gehobenen in
Sozialwohnraum bemüht. Dagegen leisten aber wieder bürgerliche
Bezirkspolitiker erbitterte Widerstände...
In der jetzigen Krise, die durch die Katastrophen von Ende August
ausgelöst wurde, reagieren die Stadt Paris und der französische
Staat auf unterschiedliche Weise. Das Rathaus der Hauptstadt hat
angekündigt, allen von Brandkatastrophen Betroffenen - demnach
also auch jenen ohne gültige Aufenthaltspapieren, wie implizit aus
der Ankündigung hervor geht - neuen Wohnraum zu beschaffen. Die
133 Überlebenden des Hauses am Boulevard Vincent-Auriol waren am
vergangenen Wochenende tatsächlich alle untergebracht, sie sind
aber überwiegend "legale" Einwanderer. Für die ehemaligen Bewohner
der rue du Roi-Doré, die hingegen in "illegaler" Situation sind,
bleibt die Regelung abzuwarten. Die Stadt hat einige
Unterbringungen an den Rändern von Paris angeboten, aber die
Familien bestehen darauf, in ihrem bisherigen Wohnviertel zu
bleiben. Der Hintergrund liegt darin, dass sie vermeiden wollen,
dass ihre Kinder künftig in "Ghettoschulen" gehen müssen und damit
keine wirkliche Zukunft haben. Einige Schulen in den Randbezirken
von Paris sind als "Ghettoschulen" abgestempelt, und wer dort
einen Abschluss macht und gleichzeitig schwarz ist, dürfte
tatsächlich relativ geringe Chancen in der Gesellschaft haben.
"Viele der Frauen aus dem Haus arbeiten als Putzfrauen in der
Nachbarschaft, haben soziale Kontakte im Bezirk geknüpft und
kennen Eltern oder Lehrer" berichtet etwa "Libération".
*Dagegen hat die französische Zentralregierung, und allen voran
ihr Law and Order-Minister Sarkozy, kein Sterbenswörtchen über
eine mögliche Unterbringung der von Katastrophen oder Räumungen
betroffenen Familien verloren. Um den Applaus des rassistischen
Teils der Wählerschaft bemüht, betont Sarkozy allein den
repressiven Aspekt seiner Ankündigung, Die Polizeipräfektur, die
Innenminister Sarkozy unterstellt ist, kündigte am vorigen
Donnerstag bereits an, eine Liste der 60 gefährdesten Objekte
erstellt zu haben. Diese sollen nunmehr rasch geräumt werden.
Und den Worten folgten Taten: Am vergangenen Freitag um 7 Uhr
morgens rückten Großaufgebote der Pariser Polizei im nordöstlichen
19. Arrondissement sowie im südlichen 14. Bezirk der Hauptstadt
an. Im Norden räumten sie ein ehemaliges Zentrum für Behinderte,
das seit vier Jahren aufgegeben und durch afrikanische Familien
besetzt worden war. Ausgerechnet im Dreieck der Straßen, die "rue
de la Fraternité", "rue de la Liberté » und "rue de la Solidarité
» heißen - das besetzte Gebâude lag in der erstgenannten, der
"Straße der Brüderlichkeit" - rissen die Beamten die Familien aus
ihren Betten, es kam zu gewaltsamen Übergriffen. Es wäre der erste
Schultag für die Kinder gewesen, der damit ausfallen musste. Der
offizielle Vorwand, es habe sich um ein gefährliches Objekt
gehandelt, ist in diesem Fall offenkundig fadenscheinig: Im
vorigen Jahr waren, im Einvernehmen mit dem sozialdemokratisch
regierten Bezirksrathaus, einige Arbeiten an dem Gebäude
durchgeführt worden, um Risiken etwa im Hinblick auf elektrische
Leitungen auszuschalten. Für das Frühjahr 2006 war - so die
Vereinbarung zwischen Bezirksrathaus und
Solidaritätsorganisationen - geplant gewesen, die rund 70 Personen
in andere Wohnungen umzusiedeln, um Instandsetzungsarbeiten
vornehmen zu können.
Alle ernsthaften Probleme war also dabei, geregelt zu werden. Aber
das Gebäude war aus anderen Gründen wohl Leuten aus dem
Staatsapparat ein Dorn im Auge. Einmal wöchentlich traf sich hier,
und das dürfte bekannt gewesen sein, die Solidaritätskoordination
für die Sans papiers (illegalisierte Einwanderer) des 19.
Arrondissements. Ferner hatte ein Immobilienspekulant das Gebäude
seit 2003 aufgekauft - und der konnte nun seine finanziellen
Interessen geltend machen, er hatte im übrigen auch die Justiz
angerufen.
Die afrikanischen Familien wurden im Laufe des gezwungen, ihre
Sachen in Müllsäcke und notdürftige Kartons zu verpacken. Jedoch
erwiesen sich viele Bewohner der Nachbarschaft solidarisch, einige
boten den Afrikanern etwa an, die Sachen, die sie nicht
unmittelbar mitnehmen könnten, in ihren Garagen abzustellen. Die
70 betroffenen afrikanischen Erwachsenen und Kinder campieren
nunmehr seit Freitagabend Zelte im Park am nahe gelegenen
Boulevard d’Algérie, am Pariser Stadtrand. Unterstützung
erhielten sie von Wohnrauminitiativen, Antirassismusgruppen, KP,
Grünen, undogmatischen Trotzkisten. Auch sozialdemokratische
Hochschullehrerinnen aus der unmittelbaren Nachbarschaft
engagierten sich aktiv. Die Pariser Stadtverwaltung hat jetzt
angekündigt, jenen 18 Familien unter den Betroffenen, die über
Aufenthaltserlaubnisse verfügen, neuen Wohnraum zu besorgen.
Im Süden von Paris handelte es sich um ein 2.200 Quadratmeter
großes Gelände, auf dem der letzte erhaltene Bauernhof auf Pariser
Stadtgebiet liegt. Das Areal ist ebenfalls Objekt einer
Immobilienspekulation, derentwegen lokale Initiativen seit Jahren
mit den Bezirksbehörden im Konflikt lagen, um die geplante
Zerstörung zu verhindern. Seit circa zwei Jahren wohnten dort
ebenfalls 70 bis 80 afrikanische Immigranten, viele unter ihnen
ivoirischer Nationalität. Sie wurden am Freitag vormittag durch
ein großes Polizeiaufgebot geräumt. In ihrem Fall hat die
Polizeipräfektur angekündigt, ihnen für 14 Tage eine Unterkunft in
einem möblierten Hotel zur Verfügung zu stellen und ihr Hab und
Gute für einen Monat aufzubewahren. Seit Freitag sind die Familien
nun in einem Hotel in Suresnes, einer Pariser Trabantenstadt,
untergebracht - weit entfernt von den Schulen, in denen ihre
Kinder am vorigen Freitag eingeschult werden oder in eine neue
Klasse kommen sollten.
Die nähere Zukunft wird zeigen, ob es zu größeren
Solidaritätsbekundungen kommt. Am vorigen Samstag demonstrierten
8.000 bis 10.000 Menschen aus der gesamten Linken (links von der
Sozialdemokratie), Solidaritätsvereinigungen, Antirassismus- und
Wohnrauminitiativen vom Boulevard Vincent-Auriol bis zur Place de
la République auf der anderen Seine-Seite. Angesichts der
Tatsache, dass die Demonstration innerhalb von drei Tagen
vorbereitet worden war, ein beachtlicher Erfolg. Der Versuch eines
Teils der DemonstrantInnen, bis zu dem Park im 19. Arrondissement
vorzudringen, in dem die zwangsgeräumten Familien campieren, wurde
durch massiven Polizeieinsatz vereitelt.
Post scriptum: Die französische Volkszählung von 1990 hatte
ergeben, dass es 118.000 leerstehende Wohnungen in Paris (und
frankreichweit 1,9 Millionen) gebe. Die letzte Statistik aus dem
Jahr 2001 weist allein für das Pariser Stadtgebiet 136.000 leer
stehende Wohnungen aus. Nach einer Verordnung aus dem Jahr 1945
könnte die Regierung - theoretisch - Wohnraum, der etwa zu
Spekulationszwecken durch seine Eigentümer leer gelassen wird,
legal beschlagnahmen.
Editorische
Anmerkungen
Der Text und die Fotos wurden uns vom Autor am
6.9. 2005 zur Verfügung gestellt.
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