Kreuz mit Spass

von Peter Nowak

09/05

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Der Wahltag rückt näher und  die Diskussionen um das Abschneiden dieser oder  jener Partei oder Koalition füllen die Medien. Dabei gibt es hierzulande auch Menschen, die an diesen Debatten gar  kein Interesse haben. So fleißig, wie andere  ihr Kreuz am Wahlzettel zur Bürgerpflicht erklären, rufen sie vor jeder Wahl zum Boykott auf (www.wahlboykott2005.de).  

Ein  ordentlicher Wahlboykott beschäftigt  in Deutschland zunächst mal die Juristen.  Gleich vier Rechtsanwaltsbüros  sind mit der Sammlung der Unterstützerunterschriften für den Boykott zuständig. Was dem einen der Wahlzettel, ist dem anderen seine Boykotterklärung, denkt man bei soviel bürokratischen Gehabe. Auch die Argumente für den Wahlboykott zeigen, dass es sich hier um enttäuschte Staatsbürger handelt, die die Versprechen der Parteien ernst nehmen, aber feststellen, dass sie gar nicht verwirklicht wurden.. So wird noch mal aufgezählt, dass Rot-Grün  keine Kriege verhindert habe, den Atomausstieg nicht wirklich geschafft  und den Sozialabbau mächtig vorangetrieben haben soll. Die liberal-konservativen Regierungsanwärter werden diesen Kurs beschleunigt fortsetzen,  heißt es im Aufruf. Schwerer tut man sich da schon mit den den Argumenten zur Linkspartei.  Einerseits wird davor gewarnt, sich abermals die Finger zu verbrennen, nachdem man doch schon mit den Grünen so seine Erfahrungen gemacht hat. Andererseits wird aber auch darauf verwiesen, dass sie Linkspartei gar nicht die Macht und den Einfluss haben wird, um sinnvolle Ideen durchzusetzen. Ein solches Argument kommt auch gern von großen Parteien, um die Wähler von der Stimmabgabe von kleinen Parteien, die ja eh nichts bewirken können abzuhalten. Wenn in den Diskussionsforen dann einige  ihre Unterstützung des  Wahlboykotts mit der angeblichen Beschädigung der Demokratie und der Verfassung durch die vorzeitige Parlamentsauflösung begründen, vermisst man doch mal eine nüchterne Staatskritik, wie sie beispielsweise der Politologie Johannes Agnoli in seinen früher auch gerne für  Wahlkritik herangezogenen Standartwerk „Transformation der Demokratie“ vor mehr als  35 Jahren geliefert hat.    Auch Wahlboykottinitiativen, die nicht  so sehr aus Enttäuschung über Rotgrün sondern aus anarchistischen Motivationen entstanden sind,  fehlt meistens eine theoretische Grundierung, so dass sie über das Wiederholen der immergleichen Postulate nicht hinauskommen.. Da kann der Wahlboykott ebenso zum Dogma werden, wie bei den anderen das Wahlkreuz.

Doch das ist längst nicht mehr für alle die Alternative. Zahlreiche Spaßparteien erfreuen sich vor allen in Großstädten im Umfeld des kulturellen Milieus am Übergang von der Subkultur zur Etablierung verstärkter Beliebtheit.   

Am bekanntesten ist die  vom Satiremagazin Titanic geförderte Partei geworden, die es mit  immer wieder versteht, in die Schlagzeilen zu kommen. Etwas anachronistisch wirkt dagegen die Anarchistische Pogo-Partei.   Einst hatte sie eine Vorreiterrolle bei der Etablierung der Spaßparteien, aber heute wirkt sie wie eine in die Jahre gekommene Punkband, die nicht abtreten will. Seit Christoph  Schlingensief mit seiner „Chance 2000“  die Spaßparteien-Szene modernisierte, sehen die Alt-Punks von der APPD ganz schön alt aus.   Forderungen, wie  die Einrichtung von Mitfickzentralen und das Verbot aller angemeldeten Demonstrationen mögen mal provokativ gewesen sein, heute kann man das Gähnen schwer  unterdrücken. Im realen Leben haben führende APPD-Aktivisten wie Erik Vogel  und Karl Nagel aus reiner politischen Unkorrektheit auch schon mal mit Neonazis geflirtet.  Mit der Bergpartei ) ist eine neue Variante von Spaßpartei in Berlin  aus dem subkulturellen Milieu der Ostberliner Hausbesetzerbewegung, das sich mittlerweile im Friedrichshain zum neuen Mittelstand gemausert hat, aufgestiegen. Die Spaßparteien  sind für das bisher staatskritische Milieu auch ein Einstieg ins Politikgeschäft. Bei den Spaßparteien können die Techniken erlernt werden, die für eine späterer Karriere in anderen Parteien  nützlich sind.    Obwohl der Bergpartei aus formalen Gründen die Teilnahme an den Wahlen untersagt wurde, wollen Einzelkandidaten den  grünen Direktkandidaten Ströbele in seinem Wahlbezirk herausfordern. „Bei uns macht Hauke den Ströbele“, heißt es unter Verweis auf den Bergpartei-Kandidaten Hauke Stiewe auf Plakaten.   „Spaß kann auch Politik machen“, lautet eine andere Parole.   Hier macht Hauke den Westerwelle. Schließlich war es der FDP-Chef, der bei der letzten Wahl den Spaßwahlkampf so richtig populär gemacht hatte.

 Editorische Anmerkungen

Der Autor stellte uns seinen Artikel am 1.9.2005 zur Verfügung.