Zehntausende gehen seit Wochen gegen Hartz IV auf die Straße. Die
Friedhofsruhe, mit der in den letzten Jahren noch jede Verschlechterung
der Sozialstandards fast widerstandslos hingenommen worden ist, scheint
also beendet. Doch solange sich die Mehrheit der Proteste im Osten auf das
Einklagen der Versprechen der Wiedervereinigungszeit und im Westen auf
einen nostalgischen Rückblick auf den Sozialstaat der 80er Jahre
beschränkt, kann es passieren, dass die Proteste mit kleinen kosmetischen
Zugeständnissen einhegt werden.
Das Hartz IV Gesetzespaket ist nicht einfach eine Schweinerei oder
Schikane der PolitikerInnen. Es ist der Versuch, den Preis der Ware
Arbeitskraft zu senken. Es zielt nicht nur auf die Erwerbslosen sondern
auf sämtliche Lohnabhängigen. Das machen die BefürworterInnen der
Hartz-Reform in der Financal Times vom 11.8.2004 deutlich, dazu ein
Zitat:
"Wenn Arbeitslose schlecht bezahlte Arbeit nicht mehr ablehnen können,
weil ihnen sonst sogar die Sozialhilfe gestrichen wird, entfällt jede
Veranlassung für die Unternehmen, einigermaßen auskömmliche Löhne
anzubieten. Der Lohndruck macht dabei nicht bei einfachen
Beschäftigungsverhältnissen Halt. Er setzt sich überall durch. Die von
Regierung und Arbeitgebern bei Löhnen und Gehältern gewünschte
"Flexibilität" - nach unten - wird durch Hartz IV auf allen Ebenen des
Arbeitsmarktes gefördert."
Daher ist es auch kein Zufall, dass die Kapitalisten zeitgleich mit
Hartz-Paketen die Arbeitszeit in den Betrieben verlängern. Das bedeutet
für die Lohnabhängigen neben einer Verlängerung der Arbeitszeit auch eine
faktische Lohnsenkung. Wir müssen die Proteste gegen Hartz IV mit dem
Kampf gegen die Ausweitung der Arbeitszeit zusammen zuführen. Von der
DGB-Spitze können wir dabei nichts erwarten. Sie hat überall in den
Betrieben der Arbeitszeitverlängerung teilweise gegen massiven Protest der
Belegschaften zugestimmt und sie hat nach einem Spitzentreffen mit
Bundeskanzler Schröder am 9. August zugesichert, nicht zu zentralen
Aktionen gegen Hartz IV aufzurufen. Das könnte für uns sogar eine Chance
sein. Schließlich haben schon die Erwerbslosenproteste am 1.November
letzten Jahres gezeigt, dass wir sehr wohl eigenständig mobilisieren
können. Dann müssen wir allerdings verstärkt von der Artikulierung von
Unzufriedenheit auf den Montagsdemos zu Protest und Widerstand bei den
Verantwortlichen übergehen.
Gerade hier im Wedding befinden sich Institutionen, die als
ideologische und repressive Staatsapparate zur Disziplinierung der
Lohnabhängigen eine zunehmend wichtigere Rolle spielen. Da ist das
Arbeitsamt zu nennen. Seine Bedeutung liegt heute immer weniger in der
Arbeitsvermittlung der Betroffenen. Mit ständigen Vorladungen, sinn- und
hirnlosen Jobtrainingsprogrammen und im Hintergrund immer der Drohung mit
der Streichung des Geldes sollen Erwerbslose zu BittstellerInnen
zugerichtet werden, die dann bereit sind, wirklich jeden Job zu jeden
Bedingungen anzunehmen, am besten in einem Leiharbeitsverhältnis, einer
Branche die in der letzten Zeit boomt. Nach Angaben der Berliner Zeitung
vom 9. April 2000 setzte die Leiharbeitsbranche 1999 12, 3 Mrd. DM um. Bis
zum Jahr 2005 wird eine Verdreifachung des Umsatzvolumens erwartet.
Schließlich ist mit den Hartzgesetzen eine enorme Ausweitung von
Leiharbeit und prekärer Beschäftigung verbunden. An den staatlich
aufgebauten Personal-Service-Agenturen sind private Leiharbeitsfirmen
massiv beteiligt. Die Erwerbslosen sollen bis zu 6 Monate lediglich mit
Arbeitslosengeld ohne weiteren Lohn in Leiharbeitsverhältnisse eintreten.
Den Beschäftigten werden alle von der ArbeiterInnenbewegung erkämpften
Rechte wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubsgeld usw.
vorenthalten. Auch gewerkschaftliche Rechte sind natürlich nicht
vorgesehen. Außer die Betroffenen machen diesen Plänen einen Strich durch
die Rechnung.
Es wird in den nächsten Monaten weitere Aktionen gegen Arbeitsämter,
gegen Leiharbeitsfirmen und gegen Einrichtungen wie die Caritas und AWO
geben, die sich schon jetzt um die durch Hartz und Co. bereitgestellten
1-Euro-Jobs reißen. Es wird am 6. November eine bundesweite Demonstration
vor der Bundeszentrale der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg geben. Wir
rufen zur Teilnahme im antikapitalistischen Block auf. Nach dem 1. Janur,
wenn die Hartz-Gesetze in Kraft treten sollen, werden die Aktionen mit der
Aktion Agentur-Schluss verstärkt fortgesetzt. Die Herrschenden hoffen
darauf, dass die Montagsdemonstrationen nur eine Art Dampfablassen werden.
Sorgen wir dafür, dass sie der Beginn einer antikapitalistischen Bewegung
werden.
Für einen emanzipatorischen Antikapitalismus! Klassenkampf statt
Standortlogik!
Internationale KommunistInnen
Terminhinweise:
Am 2.Oktober wird es um 19 Uhr eine Informationsveranstaltung zum
antikapitalistischen Block auf der Großdemonstration gegen die
Bundesanstalt für Arbeit in Berlin geben. GenossInnen von der
Organisierten Autonomie Nürnberg, die den Block vorbereiten werden über
den Stand der Vorbereitung im IKAD in der Skalitzerstrasse 34
berichten.
Im Rahmen des Roten Abends werden wir am 6.10. im Sama-Cafe in der
Samariterstr. 32 Videoclips von Labor-B über die bisherigen
Montagsdemonstrationen zeigen, über den Stand der Protestbewegung gegen
Hartz IV diskutieren und über die in den nächsten Wochen geplanten
Aktionen - Demo in Nürnberg und Agenturschluss informieren.
Editorische Anmerkungen
Der Text wurde uns von den
AutorInnen zur Veröffentlichung am 16.9.2004 zugesandt.
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