Hartz IV
Die Lügen von Kabinett und Kapital

von Max Brym
09/04

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Die herrschende Klasse in Deutschland ist wirklich zu bedauern. Seit Jahren hämmert der BDA und der BDI den Menschen ein: „Die Lohnnebenkosten sowie die Lohnstückkosten müssen fallen, denn sonst ist die deutsche Industrie nicht mehr imstande, der globalen Konkurrenz standzuhalten.“ Menschen, die Arbeitslos sind, haben gefälligst den nötigen Willen aufzubringen und jede geringfügig bezahlte Sklavenarbeit anzunehmen. Bedauerlich ist nur, dass die betroffenen Menschen an solche Kleinigkeiten wie Miete, Kleidung, Kinder und an ihre Nahrung denken. Jene genannten Kleinigkeiten kosten bekanntlich Geld. Viele haben auch keine Lust dem Kapital rund um die Uhr für einen feuchten Händedruck (Billig- Jobs) als Lohndrücker zur Verfügung zu stehen. Wenn die Mehrheit der arbeitslosen Menschen nicht begreift, dass es ihnen viel zu gut geht, dann wird neben den blödsinnigsten Argumenten Gewalt eingesetzt. Die „Bundesagentur für Arbeit“ beglückt 120.000 Arbeitslosenhilfebezieher in Thüringen (DGB Berechnung) ab Januar mit der Tatsache, dass sie weniger oder gar keine Leistungen mehr bekommen. Bundesweit werden per Gesetz 4 Millionen Menschen zu zusätzlicher Armut verurteilt. Dieses Schicksal droht in Zukunft allen, die vom Kapital auf die Straße gesetzt werden. Im Rahmen des Hartz Pakets läuft eine gigantische Enteignungswelle. Laut amtlicher Statistik ist jeder dritte Langzeitarbeitslose im 5 Lebensjahrzehnt. Der Arbeiter der seine Knochen, seine Lunge oder sein Herz für das Kapital jahrzehntelang ruinierte, wird kalt enteignet. Ganze 20.000 Euro darf ein 50-jähriger Langzeitarbeitsloser behalten-Alterssicherung inklusive. All die anderen Dinge, das ersparte Eigenheim, das er schleunigst verkaufen muß, wenn noch wenige Jahre Tilgung fehlen, die Lebensversicherung, Vermögenswerte, die er für die Kinder angelegt hat (für deren Ausbildung darf er nur 4000 Euro behalten), Bausparverträge, natürlich ist auch das Partnervermögen aufzubrauchen. Und wer einmal auf ALG II sitzt, muss sich nach Vorgabe des Sklaventreibers „Superminister“ Clement für einen Euro verdingen. Sozial soll sein, was Arbeit schafft. Nach dieser Maxime war die römische Sklavenhaltergesellschaft eine soziale Angelegenheit. Nachdem Kaiser Nero Rom in Brand setzen ließ, gab es nach überlieferten Aussagen von Zeitzeugen viel Arbeit. Wer sich aktuell nicht am Einkommen seiner Angehörigen vergehen will, gilt als Betrüger und wird gemaßregelt, wer keinen Job für 1 Euro akzeptiert, wird dem Hunger preisgegeben. Für Januar rechnet die „Bundesagentur“ mit individuellen Gewaltexzessen im Amt, deshalb gibt es Sonderverträge mit privaten Schlägerfirmen und Abmachungen mit der Polizei. Der Arbeitslose ist nicht argumentativ für das soziale Kahlschlagsprogramm zu gewinnen, deshalb setzen Kabinett und Kapital auf Gewalt. Aber auch auf die depressive Stimmung und das angekratzte Nervenkostüm bei vielen Arbeitslosen. Letzteres führt zur Passivität. Verlogene Argumente sollen das Kleinbürgertum und die noch Beschäftigten dazu verleiten, auf Rogowski und Schröder zu Hören. Hierzu gibt es drei Hauptlügen: 

„Es ist kein Geld mehr da“ 

Meint der Bürger mit  Professur in einer beliebigen TV-Debatte. In Wahrheit ist reichlich Geld vorhanden. Das Bruttoinlandsprodukt (der Wert aller Waren und Dienstleistungen, die in der BRD in einem Jahr produziert werden) ist in den letzten letzten 10 Jahren um 530 Milliarden Euro gestiegen. Inflationsbereinigt waren das im Jahr 2003 immer noch 257 Milliarden oder 16% mehr als 1993 ( ISW Wirtschaftsinfo Nr.36 „Bilanz 2003“).Die Nettogewinne der Kapitalgesellschaften sind seit 1991 um 90% gestiegen. Für das laufende Geschäftsjahr rechnen laut AZ vom 2.9.04, die DAX notierten Unternehmen mit durchschnittlichen Gewinnsteigerungen von 30%. Enorm stieg das private Geldvermögen „der Deutschen“ in den letzten Jahren. Seit 1991 stieg das jederzeit verfügbare Geldvermögen auf die gigantische Summe von 3,9 Billionen Euro, das entspricht einer Steigerung um 93% (Statistisches Bundesamt Wiesbaden). Man könnte demzufolge bequem die Strecke München Berlin mit 500 Euro Scheinen zupflastern. Statistisch müßte jeder Erwachsene in Deutschland knapp 48.000 Euro in der Tasche haben. Bekanntlich befindet sich das Geld nicht in der Hand des Volkes. Eine kleine Schicht, bestehend aus 755.000 Euro Millionären, weniger als 1% der Bevölkerung besitzen zwei Drittel dieses Geldvermögens. Die Reichen werden in diesem Land auf Kosten der ArbeiterInnenklasse  immer reicher. Die nicht mehr benötigte Arbeitskraft wird pauperisiert sowie durch bürgerliche Kommentatoren und Schreiberlinge beschimpft, bedroht und belogen. Es findet eine rasante Umverteilung von unten nach oben statt. Das zeigt sich auch am Gesamtsteueraufkommen. 80% des Steueraufkommens wird inzwischen von den Lohnsteuerzahlern aufgebracht. Trotz Rückgang der Beschäftigung und immer höheren Arbeitslosenzahlen steigt die Lohnsteuerquote im Staatshaushalt. Der Anteil der Großverdiener, der Konzerne, der Aktionäre an den Steuereinnahmen ist im Jahr 2003 auf ein historisches Tief von unter 11% gesunken. Die Regierung Schröder ermöglichte den Unternehmen und Konzernen im Jahr 2004, um 30,7 Milliarden Euro weniger Steuern zu bezahlen als im Jahr 2000. Mit der Agenda 2010 und den Hartz Gesetzen erreicht der Klassenkampf von oben einen neuen Höhepunkt. Die Staatsfinanzen sollen auf Kosten der Lohnabhängigen und Erwerbslosen saniert werden. Die Lüge vom fehlenden Geld hat die Funktion, das Kapital weiter zu entlasten und mit der Schaffung eines Niedriglohnsektors die Löhne generell zugunsten der Profite zu attackieren.

„Die Lohnnebenkosten sind zu hoch“

Behaupteten die vom Kapital ausgehaltenen bürgerlichen Ideologieproduzenten. Angeblich gefährden die hohen Lohnkosten die Konkurrenzfähigkeit des deutschen Kapitals. Realität ist jedoch, dass die deutsche Industrie zum zweiten mal in Folge nicht nur pro Kopf sondern in absoluten Zahlen „Exportweltmeister“ ist. Die realen Zahlen aus den unterschiedlichen Industriezweigen belegen, was von dem Unsinn von zu hohen Personalkosten zu halten ist.1970 als es fast gar keine Arbeitslosen gab, machten die Personalkosten 28,3% des Umsatzes der Metallindustrie aus. Bis 1990 fiel ihr Anteil langsam auf 24,7%. Die Arbeitslosigkeit nahm trotz verstärkter Ausbeutung zu. Im Jahr 2001 bejubelten die Metallkapitalisten den Sturz der Personalkosten auf 18,8% (direkt 23.01. 2002). Die Lohnstückkosten in der Metall und Elektroindustrie sind von 1993 bis 2000 um 21,4% gesunken. In der Chemieindustrie sind die Lohnstückkosten von 1993 bis 2000 um jährlich um 2,5% gesunken. Die Beschäftigung ist jedoch nicht gestiegen, sie nahm jährlich um 3,5% ab (Tagesspiegel 06.04.2000). Ähnlich ist es in der gesamten Industrie. Unternehmen wie Siemens begründen ihren Gewinn im Geschäftsbericht 2003 mit gesunkenen Personalkosten sowie „schlankerer intensiverer Produktion“. Weniger Leute arbeiten immer mehr und immer mehr werden auf die Straße geworfen. Dennoch sind die Löhne den Kapitalisten zwecks Erlangung von Maximalprofit in jedem Fall zu hoch. Seit Jahren steigt die Arbeitslosigkeit sinkende Lohnkosten sind also mit steigender Arbeitslosigkeit verbunden. Die sinkende Nachfrage nach der Ware Arbeitskraft erhöht den Druck auf die Löhne. Es gibt seit den siebziger Jahren im Rahmen enger werdender Märkte das Problem, dass die kapitalistischen Betriebe schärfer gegeneinander kämpfen. Da Wertschöpfung und Profit in der Produktion entsteht, auf dem Markt stellt sich nur die Frage, ob der geschaffene Wert realisiert werden kann, wird der Druck auf die Arbeitskraft als Mehrwertproduzent erhöht. Das Märchen von den zu hohen Lohnkosten soll diesen Sachverhalt verbergen, niedrigere Löhne den individuellen Maximalprofit befördern. Dabei kennt der Heißhunger des Kapitals nach unbezahlter Mehrarbeit keine Grenzen. 1997 erklärte der BDA, dass die Löhne der untersten Lohngruppen um 30% gesenkt werden müßten um angeblich die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen ( Wirtschaftswoche 02.10.02). Es ist kein Zufall, wenn jetzt nach Hartz IV jede Arbeit zumutbar ist, die unter 30% des ortsüblichen Tarifs liegt. Clement und Schröder sind personifizierte Vollzugsorgane des Kapitals. Diese politischen Moderatoren kapitalistischer Ausbeutung geben das Ganze allerdings als Kampf gegen die Arbeitslosigkeit aus, statt ehrlich zu sagen, dass sie die Arbeitslosen bekämpfen, um im Interesse der Kapitalverwertung die Löhne generell auf das Maß zu befördern, welches das Kapital vorläufig für angemessen hält.

„Fördern und Fordern“ oder „Die Arbeitslosen sind selber schuld“

Hartz IV wird umgesetzt“ ist auf der Homepage der Bundesregierung zu lesen. Besonderen Wert legt die Bundesregierung auf das „Fordern“. Arbeitslose haben jede Arbeit anzunehmen, die nicht „Sittenwidrig“ ist. Wer sich dem Konzept der Regierung nicht beugt, ist selber Schuld an seiner Arbeitslosigkeit. In der Boulevardpresse wird die „Faulheitskeule“ gegen arbeitslose Menschen geschwungen. Wer sich weigert für einen Euro zu arbeiten, ist angeblich ein abgefeimter Schmarotzer. Wenn die Reklame der im Kanzleramt installierten Arbeitsgruppe „Hartz IV“ betrachtet wird fällt auf: Die Leute geben den Menschen die Schuld an ihrer Lage. Die Arbeitslosenversicherung in ihrer gegenwärtigen Höhe wird zur Ursache der Arbeitslosigkeit erklärt. Das ist genauso logisch, wie die Ursache von Krankheiten auf die Existenz von Ärzten zurückzuführen. Oder den Tod von Lebewesen mit dem Fakt erklären zu wollen, dass es Friedhöfe gibt. Nein, Ärzte gibt es nur, weil es Krankheiten gibt, Friedhöfe existieren nur, weil Menschen sterben und die Arbeitslosenunterstützung wurde nur eingeführt, weil das kapitalistische Wirtschaftssystem Arbeitslosigkeit produziert. Ein Blick in das 19. Jahrhundert indem es keine Arbeitslosenunterstützung gab belegt dies. Arbeitslose hatten keinen Anspruch auf Fürsorge. Arbeitslosigkeit aber gab es trotzdem. Arbeitslosigkeit gehört zum Kapitalismus wie die Butter zum Brot, sie kann im Kapitalismus nicht beseitigt werden. Die Herrschaften von der Arbeitsgruppe Hartz IV im Kanzleramt lügen durchsichtig. Sie erwecken nicht den Eindruck alle Arbeitslosen in den 1. Arbeitsmarkt zu befördern. Das wäre auch zu paradox, denn bekanntlich meldete die FAZ am 17.08.2004 „In Deutschland gibt es 4.359.000 Arbeitslose dem stehen 296.588 offene Stellen gegenüber“. Den Hartz IV Propagandisten geht es um Billigarbeit, diese soll die regulär Beschäftigten unter Druck setzen. Der Staat diktiert dem Arbeitslosen auf der Straße zu fegen, in der Gastronomie zu schuften und in der Gesundheits und Altenpflege für 1 bis 2. Euro zu werkeln. Letzteres könnte in der Tat ein wesentlicher Beitrag zur Beseitigung des Kostenfaktors alt und krank sein. Auf alle Fälle soll der Druck auf alle Besitzer der Ware Arbeitskraft verstärkt werden. An einer Beseitigung der Arbeitslosigkeit ist das Kapital nicht interessiert, denn verschärfte Konkurrenz unter den Verkäufern der Ware Arbeitskraft belebt das Geschäft

Bilanz

Das Abgehandelte ist nur eine „Kurzdiagnose“ der gegebenen Realität. Dennoch ist die Diagnose wie jede Diagnose, ein entscheidender Ansatzpunkt für die Frage nach der Therapie. Dazu einig Prämissen- Der Kampf gegen Hartz IV kann nur im entschiedenen Kampf gegen Regierung und Kapital gewonnen werden. Die Montagsdemonstrationen sind ein wichtiger Ansatz, aber alleine nicht ausreichend. Entscheidend wird die Frage sein, ob es gelingt  Verbindungen zwischen Montagsdemonstranten und Betriebsbelegschaften herzustellen. Letztendlich muß dem Kapital weh getan werden, ein tatsächlicher Schmerz kann der Bourgeoisie nur zugefügt werden über die Kombination: Proteste auf der Straße Streiks in der Fabrik. Das Land hat über vielfältige Widerstandsaktionen unregierbar zu werden. Jeder der in diesem Sinne arbeitet und Vorschläge hat ist wertvoll. Nicht gefragt sind Schwätzer und Kapitulanten, die über Hartz IV verhandeln wollen. Hartz IV muß bedingungslos vom Tisch. Das ist die notwendige Antwort um endlich aus der sozialpolitischen Defensive herauszukommen.

Editorische Anmerkungen

Max Brym stellte uns diesen Artikel am 06.09.2004 zur Veröffentlichung zur Verfügung. Er lebt als freier Journalist in München.