Mitleiden mit Hitler?

von Max Brym
09/04

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Mitleiden mit Hitler?

„Der Untergang“, so nennt Bernd Eichinger seinen Film über die letzten Tage Hitlers im Bunker der Reichskanzlei. Ein Bestseller von Joachim Fest sowie die Erinnerungen der Hitler Sekretärin Traudl Junge liefern den Stoff für den 150 Minuten Film. Ab 16. September wird der Film in den Kinos gezeigt. Bereits im Vorfeld der Aufführungen ereignet sich Ungeheuerliches.

„Mitleid mit Hitler“

Bruno Ganz gibt in dem Film den Hitlerdarsteller. Der Schauspieler äußerte sich öffentlich über seinen Umgang mit der Figur des Massenmörders Hitler. Herr Ganz erklärte: „Ich habe mich zu Hause geschützt, damit ich nicht zu tief eintauche und mich mit der Figur zu sehr identifiziere“ (AZ-25.8.04). Offensichtlich ist es dem Schauspieler nicht gelungen eine Identifizierung mit dem größten Massenmörder der Geschichte zu vermeiden. Bruno Ganz meinte, „er habe sogar Mitleid mit diesem armseligen Mann empfunden“. Kein Wort verliert Ganz über die Opfer Hitlers, im Gegenteil, er ist augenscheinlich von der "leidenden Kreatur" Hitler empfindlich in seinem Seelenleben getroffen. Die Seelenqualen des Herrn Ganz macht die Münchner AZ zu einem Thema, indem sie die Leser auffordert, über die Frage „Mitleiden mit Hitler“ zu diskutieren. Die Entsorgung deutscher Geschichte läuft rasant ab. Mitleiden mit den nazistischen Tätern ist angesagt. Die Opfer des Genozids werden in esoterische Nebel verpackt und wehe jemand versucht, einer empfindsamen Künstlerseele wie Ganz, das Mitleiden mit dem Hauptverantwortlichen des Genozids zu verbieten. Die Normalität des reaktivierten Bösen, verführt den Hauptdarsteller Ganz, seine Figur Hitler historisch zu rehabilitieren. Ganz sagte gegenüber der Berliner Zeitung: „Die Rolle hätte einen Kern berührt, weil es sich um ein zensiertes Thema handelt“ und „Der lebende Hitler vor 1945 sei ein anderer, als der tote Hitler nach 1945-der wäre durch die Nachwelt geschaffen worden“. Die AZ fragt ziemlich vorsichtig, auf was der Schauspieler sich bezieht. Den AZ Redakteuren kann geholfen werden, Herr Ganz bezweifelt die Hitlerdarstellung nach 1945. Er wünscht sich offenbar, dass der von ihm gespielte Star Hitler ähnlich betrachtet wird, wie von vielen Deutschen bis 1945. Deshalb klagt Ganz, wie die nazistischen Geschichtsrevisionisten über Zensur. Den Weg bereiten ihm Filmemacher wie Bernd Eichinger, der erklärte: „Wir wollen Geschichte erzählen, nicht kommentieren“. Bernd Eichinger pflegt die Mär der wertneutralen Erzählung. In der Realität stellt sich immer die Frage, wer was erzählt und mit welcher Absicht. Sucht der Erzähler die Wahrheit in den Tatsachen oder in metaphysischen Spekulationen. Filmemacher Eichinger bereitet „wertneutral“ solchen perfiden Schlüssen, wie sie Herr Ganz an den Tag legt, den Weg. Auch der Regisseur Oliver Hirschbiegel hat etwas gegen die Ablehnung des Täters Hitler. Hirschbiegel meinte: „Die Diabolisierung und damit die Vereinfachung der Materie ging mir auf die Nerven, eine objektive Betrachtung geht nur über Hintergrundbetrachtung und nicht über Vorverurteilung“. Der Regisseur Hirschbiegel bestreitet damit kategorisch die historische Faktenlage und das gängige Urteil über die Person Hitler. Gegen die Erklärungen von Ganz und Hierschbiegel protestierten einige Schauspieler aus der bundesdeutschen Filmszene sowie der bekannte Publizist und Shoa Überlebende Girdano. Das Feuilleton der SZ vom 26. August ficht das nicht an. Unter der Überschrift „So perfide brach das Tabu“ wird eine ironische Breitseite gegen die Presse im „perfiden Albion“ (England) abgeschossen. In Wahrheit brachten einige englische Journalisten die Kritik an Bernd Eichingers Film auf den Punkt. Dem deutschen Publikum sollte diese Kritik nicht vorenthalten werden.

Daily Mail- „Vergibt Deutschland Hitler doch noch ?“

Mit dieser groß aufgemachten Schlagzeile erschien in dieser Woche die Daily Mail. Der Berliner Mail Korrespondent Allan Hall, erkennt in der „Vermenschlichung“ Hitlers durch den Schauspieler Bruno Ganz, den Endpunkt einer Entwicklung. Hall schreibt, „ dass die Deutschen vor einiger Zeit damit begannen, sich in einer Opferrolle zu suhlen“. Damit wurde die „Kriegsschuld“ abgeworfen, indem sie ihr eigenes Leid während des zweiten Weltkrieges in den Vordergrund stellten- „Alliierte Bombardements, Massenvergewaltigung und Vertreibung“. Die Folge ist nach Hall „Nazi-Light“, die sich von einer musealen Tour, „wie vom Besuch einer mittelalterlichen Burg kaum unterscheide“. Scharf attackierte Hall den Historiker Guido Knopp, eine „Ein Mann Hitler Industrie“, dessen Dokumentationen über Stalingrad und Hitlers Liebhaberinnen „in der Maske ernsthafter Forschung daher kämen“. Die konservative Tageszeitung Daily Telegraph kritisiert speziell einige Szenen aus dem Film „Der Untergang“. Nach dem Telegraph trete Hitler in dem Film „als onkelhafter Mensch auf, der Schokolade möge und erst in den Wahnsinn abrutsche, als ihm der Lebenstraum vom Tausendjährigen Reich entgleite. Hitler streichelt seine Schäferhündin Blondie und behandelt seine Sekretärin mit Feingefühl und Geduld.“ Auch für die BBC stellt der Film mit Hitler als zentraler menschlicher Gestalt „einen Tabubruch dar“. Solche Einschätzungen werden von den meisten bundesdeutschen Feuilletons nicht geteilt. In der „Mitte der Gesellschaft“ ist man „objektiv“, „kunstbeflissen“ und sehr „mitfühlend“ gegenüber nazistischen Verbrechern.

 

Editorische Anmerkungen

Max Brym stellte uns diesen Artikel am 26.08.2004 zur Veröffentlichung zur Verfügung. Er lebt als freier Journalist in München.