JustIn Monday, Sommer 2003
Doing Weltmacht 
Ökonomisches Interesse und Antiimperialismus in Deutschland

09/03
 
 
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I. „Niedere Interessen" und innerimperialistische Konkurrenz
II. Was ist ein ökonomisches Interesse?

III. Was soll das mit dem Öl?

IV. Was wäre wenn?

V. Der antiimperialistische Imperialismus

VI. Die Bedürfnisse jenseits des Interesses

Literatur

I. "Niedere Interessen" und innerimperialistische Konkurrenz

Wenn sich die Linke auch in allem uneinig ist, eint sie doch eine Vorstellung: Es ist dies der Glaube an die gesellschaftliche Wirksamkeit "ökonomischer Interessen". So verwundert es nicht, dass dies auch das erste Kriterium zur Beurteilung der Friedensbewegung ist. So argumentiert beispielsweise der Text "Kapitalistische Kriege und kapitalistischen Frieden bekämpfen!" von einigen autonomen Gruppen aus der Zeck 113. (Nahezu gleichlautend unter "Kein Krieg gegen den Irak! Kein Frieden mit Deutschland!" auch als Flugblatt erschienen.) Das Urteil fällt entsprechend hart aus: "Denn um nichts anderes als deutsche wirtschaftliche und politische Interessen geht es der Bundesregierung, wenn sie einen Krieg gegen den Irak ablehnt". Diese Interessen mißachte die Friedensbewegung: "Wer in der unbedingten Ablehnung des geplanten US-Kriegs gegen den Irak, die USA mit dem kapitalistischen Weltsystem gleichsetzt, will die hiesigen und weltweiten Herrschaftsverhältnisse nicht wahrhaben. Mit Antiamerikanismus läßt sich in Deutschland schnell eine breite Basis finden. Mit emanzipatorischer Politik hat das nichts zu tun." Emanzipatorische Politik im Sinne der AutorInnen beinhaltet dagegen zunächst einmal die Einsicht, dass nicht nur die USA "mit dem kapitalistischen Weltsystem gleich[zu]setzen" sei, sondern – so läßt sich mit nur minimalen Anteil an Unterstellung behaupten – eben auch Deutschland und die EU und letztendlich wahrscheinlich jeder Staat weltweit. Denn hergeleitet haben die AutorInnen ihren Begriff des Antiamerikanismus aus der Beobachtung, dass immer dann, wenn bei den FriedensfreundInnen "die Erkenntnis über diverse Hintergründe" aufkeime, nämlich daß es um "wirtschaftliche Interessen in einer der ölreichsten Regionen der Erde" gehe (so zitiert das Flugblatt die Landesbezirksfrauenkonferenz von ver.di Berlin), dass also in diesem hellen Moment "immer den USA, aber niemals der eigenen Regierung ein solch niederes (!) Interesse" vorgeworfen werde. Der Text in der Zeck bezweckt dementsprechend die Bekämpfung der Gesamtheit dieser "niederen Interessen", die dann Imperialismus genannt und seinerseits mit dem "kapitalistischen Weltsystem" gleichgesetzt wird.

An dieser Stelle hört die Behauptung, den AutorInnen gehe es nur darum, auch Deutschland und die EU mit dem Kapitalismus gleichzusetzen, auch schon auf, eine Unterstellung zu sein. Eine Unterstellung ist sie, weil die Gleichsetzung einer Gesamtheit von Interessen, seien sie nun nieder oder nicht, mit dem Kapitalismus selbstverständlich etwas anderes ist als die Gleichsetzung mit denen eines Staates. Immerhin implizieren die verschiedenen Interessen deren Konkurrenz, womit zumindest eine der oberflächlichen Erscheinungen kapitalistischer Gesellschaft benannt wäre.

Als Beispiel für eine ähnlich gelagerte Beschäftigung mit der Konkurrenz von Interessen kann das ebenfalls "Kein Krieg im Irak – Kein Frieden mit Deutschland" überschriebene, aber "Imperialistische Gegensätze im Irakkonflikt" untertitelte Flugblatt der gruppe demontage gelten. Darin wird der Gegenstand der Behandlung folgendermaßen skizziert: "Mitte März bemühte ein Fernsehkommentator für die Beschreibung der Entwicklung im Irakkonflikt folgendes Bild: Zwei Züge rasten aufeinander zu und keine der Konfliktparteien aus den USA und Europa sei in der Lage, sie aufzuhalten. Bleibt man in diesem Bild, stellt sich die Frage, welche der am Konflikt beteiligten Parteien mit welcher Intention die Züge aufeinander zurasen lassen. Um sich den gegenwärtig am Irakkonflikt ausgetragenen Widersprüchen zwischen den verschiedenen imperialistischen Ländern nähern zu können, ist deshalb ein Blick auf die unterschiedlichen ökonomischen, politischen und militärischen Voraussetzungen dieser Akteure sinnvoll. Dabei wird auch deutlich, in welchen ideologischen Formen die Kontrahenten den Konflikt austragen." Diese Skizze ist Programm. Während anzunehmen ist, dass der Fernsehkommentator aus der Unfähigkeit der Akteure, die Züge aufzuhalten, auf verstocktes und uneinsichtiges Führungspersonal auf der einen Seite schloss, also vermutlich die Story von der vom Vater ererbten Familienfeindschaft des Bush junior hervor kramte, möchte gruppe demontage dieses halbseidene Nicht-anders-Wollen auf dahinterstehende ökonomische Interessen zurückführen.

Im weiteren Verlauf changiert der Text dann zwischen zwei Weisen der Darstellung, die sich aus dem Programm ergeben. Auf der einen Seite stehen mit sich selbst identische "Akteure", die wissen und wollen, was sie tun und die weil sie dies wissen, gegeneinander agieren. Letzteres im Gegensatz zu den ihnen friedensbewegt Huldigenden. Hierzu werden die "Akteure" in der Logik der Argumentation der gruppe demontage von der ihnen bekannten Konkurrenz gezwungen. Die Beschaffenheit dieses Zwangs – also das, was jenseits von Wollen und Wissen der Akteure liegt – wird allerdings immer nur gestreift. Geschuldet ist dieses Streifen der zentralen Fragen dem politisch löblichen Ziel, die positive Rolle, die Deutschland und die EU in den Reihen der FriedensfreundInnen spielen, zu demontieren. Dies zeigt folgender Satz: "Umgekehrt führt eine Aufwertung des Dollars zu einer Erhöhung des Ölpreises für die anderen Länder und kann damit zum Schaden von Konkurrenten eingesetzt werden." Hier gibt es zwar die Mechanismen der Konkurrenz, die zu etwas führen – eine Formulierung, in der ein Eigenleben dieser Mechanismen notwendigerweise mitgedacht ist –, aber diese sind ganz in der Hand souveräner ImperialistInnen, die sie instrumentell zu handhaben wissen und somit "einsetzen". Damit ist der Gedanke an das Eigenleben der Mechanismen der Konkurrenz auch schon wieder gestrichen.

Hier zeigt sich, gemessen am Begriff der universellen Konkurrenz, dass obige Unterstellung, dass die AutorInnen der vorliegenden beiden Texte das System der Staaten und jeden Staat weltweit mit dem Kapitalismus gleichgesetzt sehen möchten, zurecht erfolgte. Politisch praktisch kann sich diese antiimperialistische Vorstellung von der Welt die Gesamtheit immer nur als Summe der Interessen, und eben nicht als qualitativ von diesen unterschiedene Gesamtheit vorstellen. Das politisch-praktische Problem in diesem Fall ist dies: Würde mit dem "jeder Staat weltweit" unmittelbar ernst gemacht, fiele zweifellos auch der Irak unters antiimperialistische Verdikt, und das kann ja irgendwie nicht sein. Denn entweder ist der Imperialismus ein Verhältnis zwischen unterwerfenden und unterworfenen Staaten oder aber die Nationalstaatlichkeit selbst ist mit dem Imperialismus so eng verbandelt, dass dieser weniger im Verhältnis der Staaten zueinander, als im Verhältnis der weltweiten Staatlichkeit zu der jeweiligen Bevölkerung zu suchen ist.

Eine Konstellation mit Geschichte

Diese Vorstellungen haben ihre Geschichte in den Entwicklungen des linken Internationalismus. Die erste Variante ist die klassische autonome antiimperialistische Vorstellung, die mit dem Scheitern der nationalen Befreiungsbewegungen des Trikonts, die als nationale gesiegt und als sozialistische verloren hatten, an Attraktivität verloren hat. Der Natur der Nationalstaatlichkeit gemäß kann sie Hoffnungen auf Emanzipation immer nur an noch nicht zur nationalen Souveränität vorgedrungene Staaten heften. Bleibt die Solidaritätsbewegung unreflektiert an den Objekten ihrer "internationalen Solidarität" hängen sobald sich herausstellt, dass die Erlangung nationaler Souveränität kein Zwischenschritt zur Befreiung ist, geht das Moment der Emanzipation verloren. Heute, an einem historischen Zeitpunkt, an dem die zum Nationalstaat mit "eigener" Bourgeoisie befreiten Gegenden dieser Welt eher schon wieder zerfallen anstatt in sozialistischer oder zumindest keynesianisch-sozialdemokratischer Blüte zu stehen, gibt es in dieser Frage nicht viel zu holen. Ganz hart gesottene versuchen es dann noch mit dem "palästinensischen Volk" – mit aller antisemitischen Konsequenz.

Antinationalismus und Antiimperialismus

Die zweite Variante ist auf der Basis linker Kritik der nationalen Befreiungsbewegungen entstanden. Ein markanter Punkt dieser Entwicklung innerhalb der 90er Jahre in Deutschland ist die Debatte um das Buch "Postfordistische Guerilla" der gruppe demontage. Sie ist in verschiedenen Spielarten die aktuellere und sympathischere. Gleichzeitig treibt sie aber das politisch-praktische Problem auf die Spitze, denn in dem Maße, in dem sich die Aggressivität des Imperialismus am Verhältnis der Staaten zu ihrer jeweiligen Bevölkerung mißt, schneiden, aus der Perspektive individueller ökonomischer Interessen gesehen, die klassischen Imperialisten erstaunlich gut ab. Denn wer möchte schon lieber im Irak als in den USA oder einem der reicheren Staaten der EU wohnen?

Der radikal antinationalen Kritik des antiimperialistischen Befreiungsnationalismus a la gruppe demontage, die dieses Problem impliziert, gingen ähnliche Wendungen innerhalb des klassischen Antiimperialismus der 80er Jahre voraus. Diese Wendungen haben dem späteren Bruch mit dem klassischen Imperialismus durchaus vorgearbeitet. Die Vorarbeit, die der klassische Antiimperialismus seinem Widerpart leistete, ergab sich aus dem Paradeproblem der Neuen Linken, der selbst gestellten Aufgabe der subjektiven "Vermittlung". Vermutlich in der Hoffnung, den BewohnerInnen der Metropolen die Erfahrungen zu vermitteln, die ihrer Vorstellung nach mit dem Imperialismus in der Peripherie zu machen waren, entwickelte sich ein Bild vom Alltagsleben in den Metropolen, nach dem jede eigene Erfahrung von Unterdrückung nach dem Muster des Imperialismus vonstatten ging. Der Chef erschien so als imperialistischer Räuber an der Arbeitskraft und die Bullen, überhaupt jedes Staatspersonal, als Handlanger des Imperialismus. Feministische Gruppen beschrieben staatliche Geburtenkontrolle als äußeren Eingriff auf Frauenkörper. Die Stelle der Imperialisten nahmen hier die Ärzte bzw. die Forscher im Bereich Gen- und Reproduktionstechnologien ein. Zentraler Topos war der Begriff der Enteignung. Enteignet wurde die weibliche Gebärfähigkeit, die Arbeitskraft und, ganz allgemein, die lebendige Subjektivität und ihre Identität.

Die Ambivalenz dieser Versuche bekam zuallererst die feministische Bewegung gegen Gen- und Reproduktionstechnologien zu spüren. Schnell war klar, dass die zu agitierenden Frauen sich von den als Imperialisten markierten Ärzten und Technologen keineswegs unterdrückt fühlten, sondern deren Technologien als Mittel individueller Familienplanung recht gerne in Anspruch nahmen. Anstatt der Welt die Übel des Imperialismus am eigenen Leib vor Augen zu führen, hatten die AktivistInnen eher sich selbst die Ansicht eines Großteils der hiesigen Bevölkerung vor Augen geführt, dass es sich mit dem Imperialismus recht gut und vor allem selbstbestimmt leben ließe. So geriet recht bald die Vorstellung von Selbstbestimmung selbst in den Mittelpunkt der Kritik, allerdings nur, um sie fortan zu den Mitteln des Imperialismus zu zählen. Wenn aber die Selbstbestimmung der Individuen nur ein herrschaftlicher Trick war – eine Erfahrung, die zur vermehrten Rezeption poststrukturalistischer Theorie führte – dann, so die naheliegende Rückübertragung auf die Herkunft des Bildes, war es die nationale Selbstbestimmung im Trikont ebenso. Somit lag es nahe, auch die Staatlichkeit der unterdrückten Staaten, in deren Rahmen die nationale Selbstbestimmung vor sich gehen sollte, zum Imperialismus hinzuzuzählen. Was hier einerseits zwangsläufig erscheint, hatte andererseits seinen Ausgangspunkt völlig negiert, weswegen sich zwangsläufig ein Bruch mit denjenigen ergeben mußte, die am Ausgangspunkt festhalten wollten.

Der Ausweg aus dieser Sackgasse ist ein scheinbar simpler und macht noch einmal den Begriff der Enteignung stark: Der westliche Reichtum basiere auf dem Raub am Reichtum der Staaten des Trikonts, weshalb der dortige Imperialismus (hier in der Tendenz schon immer identisch mit Staatlichkeit) gar nicht die Chance habe, so freundlich kulturindustriell zu strahlen, wie er das beispielsweise in den USA tut. An dieser Vorstellung ist die Zauberformel der "politischen und ökonomischen Interessen" gebildet, mit der auch die hier behandelten Texte ihre Differenz zur Friedensbewegung herbeizaubern.

Was als Ausweg erscheint, führt aber gleichzeitig noch viel tiefer in die Sackgasse hinein. Das Ergebnis ist eine begriffslose Vorstellung von imperialistischen, ökonomischen oder sonstwie Interessen in der alles in eins fällt: Staatliches Handeln, Politik, Ökonomie und die Interessen der Einzelkapitalien können nur noch mit Mühe auseinander gehalten, geschweige den theoretisch bestimmt werden. Zwar werden die unterschiedlichsten Einzelinteressen aufgezählt und als "verschiedene Formen" von Interessen bezeichnet, letztlich fallen aber durch die verschiedenen gesellschaftlichen Sphären des staatlichen (außenpolitischen) Handelns, der Politik und der Ökonomie unterschiedlich formbestimmte Momente in eins.

Der linke Internationalismus und die Friedensbewegung

Die Qualität der Friedensbewegung besteht im Idealfall, also wenn sie gerade keine nationale Erweckungsbewegung hervorruft – in Deutschland also nie – darin, diesen ideologischen Brei zum guten Gefühl zu adeln. Somit steht die über ökonomische Interessen formulierte Differenz zur Friedensbewegung auf äußerst schwachen Füßen. Denn im gleichen Zug, in dem die materiellen ökonomischen Interessen der Menschen im Trikont vermittels des Begriffs der Enteignung ins Spiel gebracht werden – die zu allerletzt als "niedere" abzuwerten sind – entwickelt sich eine Tendenz zur Verurteilung ökonomischer Interessen überhaupt, die sich durchaus mit dem antimaterialistischen Ressentiment der Friedensbewegung verbinden kann. Zwar benennt eine Position wie die der autonomen Gruppen den Kern des Ressentiments, nämlich das Ausspielen des "niederen" Interesses gegen die eigene kulturelle, also höherstehende Qualität. Daraufhin wird aber kein Loblied gesungen auf die Möglichkeiten (und noch nicht Wirklichkeit) des Reichtums zur Produktion und Befriedigung schönster Bedürfnisse, die jedem autoritären Charakter Schauer über den Rücken laufen ließe vor lauter Dekadenz. Statt dessen tragen die FlugblattschreiberInnen denjenigen, die wie im Krieg gegen Jugoslawien ausschließlich für hehre höhere Werte wie das Menschenrecht auf kulturelle Identität und ethnische Reinheit Bomben fallen sehen möchten, vor, dass es der linke Internationalismus ist, der dem "niederen" Materiellen im Gegensatz zur Bundesregierung wirklich abhold sei. Diese Message ergibt sich aus der Anlage der Argumentation, der der Nachweis eines ökonomischen Interesses ausreicht, um eine Kriegsgegnerschaft zu begründen.

Friedensbewegung und linker Internationalismus stehen in einer ambivalenten Differenz zueinander. Diese besteht wohl darin, dass die Friedensbewegung zum Vorwurf der hemmungslosen Bereicherung, die die InhaberInnen der imperialistischen, also US-amerikanischen, Interessen betrieben, gelangt, indem sie diese an ihrem, in Deutschland zu "Gerechtigkeit" regrediertem, Ideal mißt. Demgegenüber besteht die Linke darauf, dass das bürgerliche Ideal in hemmungsloser Bereicherung besteht, während sie ihre eigenen Ideale jenseits dessen wähnen. Einen Hinweis auf das Ausmaß dieser ambivalenten Differenz gibt der autonome Umgang mit den Produkten des westlichen Reichtums. Trotz gegenteiliger Elemente im autonomen Symbolhaushalt ("... und Sahne obendrauf"), so mancher poplinken Aufladung der kulturellen Symbole des Reichtums und Chumbawamba kann er sich nicht von Vorstellungen trennen, dass diese zu verachten bzw. zu ignorieren seien denn sie existierten ja nur, weil der Imperialismus ein Interesse an ihnen habe. Die Verwendung des Begriffs Enteignung zeigt dieses Problem ebenfalls: Zu enteignen waren nun nicht mehr – klassisch marxistischer Programmpunkt, ohne den keine antikapitalistische Bewegung auskommen wird – die PrivateigentümerInnen an den Produktionsmitteln. Ganz im Gegenteil wurde dem Kapitalismus=Imperialismus Enteignung vorgeworfen, was impliziert, dass die Menschen schon alles hätten, was ihr Glück ausmachen könnte und über die Spießbürgerweisheit, dass Geld allein auch nicht glücklich macht, nicht hinaus kommt. Es handelt sich dabei um eine Verkehrung, die die Individuen schicksalhaft zur (Selbst-)verwirklichung ihrer kapitalistischen Substanz bestimmt. Auch die gegenüber ökonomischen Kategorien weitgehend resistente Rezeption des Poststrukturalismus – der zumindest im Zweig der Postcolonial Studies aus dieser Konstellationen seine Vorstellung von Subjektivität bezieht – hat diese Verkehrung nicht rückgängig machen können. Zwar weisen poststrukturalistische Positionen die Schicksalhaftigkeit des Selbst als "Konstruktion" zurück, indem sie die Unmittelbarkeit und letztlich die Existenz der angeblich vom Imperialismus enteigneten Gegenständlichkeit bestreiten und so den Begriff der Enteignung unsinnig machen. Dies geschieht aber noch immer auf der Basis dieser Verkehrung, was dazu führt, dass die postmodernen Individuen gar kein Aussen mehr zu kennen, also von keiner vom Privateigentum bestimmten ökonomischen Gegenständlichkeit mehr getrennt zu sein scheinen.

Diesem impliziten Antimaterialismus wird mit Flugblättern wie den vorliegenden, welche ihre Kritik an der europäischen Außenpolitik einzig darauf gründen, dass auch hier Materielles im Spiel sei, keineswegs entgegengearbeitet. Das Mindeste wäre eine kurze Andeutung polit-ökonomischer Gründe, was die Verfolgung dieser Interessen impliziert und warum wir und erst recht die Menschen im Trikont keine Hoffnungen in sie setzen sollten. Warum also der Reichtum in der Warenform und als Privateigentum, als der er vorliegt und in der die USA den ihren vermehren wollen (nicht: zu der die USA ihn machen wollen), nicht so beschaffen ist, dass er zur weltweiten Produktion und Befriedigung der Bedürfnisse taugt.

II. Was ist ein ökonomisches Interesse?

Der Kern dieses Problems scheint in der antiimperialistischen Konzeption vom imperialistischen/ ökonomischen Interesse selbst zu liegen. Geprägt ist diese nicht nur von einer Identität der Einzelinteressen mit den staatlichen, sondern von einer äußerst schlichten Vorstellung davon, wie diese Identität zustande kommt. Verursacher und Nutznießer soll die imperialistische Macht selbst sein. Ein Gedanke, der eine unvermittelte Identität von Wollen und Können der Imperialisten impliziert. Genau dagegen richtet sich die folgende Argumentation.

Mit dem Niedergang des proletarischen Klassenkampfs sind sich alle relevanten Strömungen der Linken darin einig, dass die Auswirkungen ökonomischer Interessen als wenig segensreiche rundweg abzulehnen sind. Hier hat die oben skizzierte Konstellation ihren Ausgangspunkt. Unverkennbar gehören ihr auch die orthodoxen leninistisch-trotzkistischen Sekten an, die mit Parolen wie "Arbeit statt Profite" die Denunziation des Reichtums im Namen der Schufterei offen auf Demos vor sich her tragen.

In Bezug auf die Auswirkungen ökonomischer Interessen hatte die Arbeiterbewegung bzw. hatten ihre marxistischen Theoretiker durchaus noch zu unterscheiden gewußt. Auf der einen Seite standen die Interessen der Bourgeoisie und ihnen entgegen die Interessen des Proletariats. Bei beidem handelt es sich um Interessen innerhalb eines und bestimmt durch ein gesellschaftliches Ganzes. Allein schon diese Einheit im Gegensatz, die die Praxis des Klassenkampfs praktisch auszeichnete, zwang zur Qualifizierung der Interessen und nicht zur akademischen Differenzierung.

Interessen sind qualifizierbar

Die heute übliche Differenzierung erblickt die Qualität darin, dass es sich beim Gegenstand der wissenschaftlichen Betrachtung um ein Interesse handelt, welches dann in Untergruppen unterteilt werden kann. Demgegenüber besteht die Qualität eines Interesses für den historischen Materialismus nicht darin, Interesse schlechthin zu sein, sondern in der Stellung der jeweiligen Interessen zum gesellschaftlichen Fortschritt. Während das Interesse der Besitzer der Produktionsmittel das Fortbestehen der bürgerlichen Ordnung zur Folge habe, führe das der Proletarier zu ihrer Aufhebung. So zumindest der dynamische Teil der Sache, denn der letzte Satz läßt sich auch anders formulieren, ohne dabei falscher oder richtiger zu werden. Ebenso könnte er lauten: Während das Interesse der Besitzer der Produktionsmittel das Fortbestehen der bürgerlichen Ordnung ist, ist das der Proletarier ihre Aufhebung.

Auf der Seite des Proletariats führte die Differenz des Gehalts dieser beiden Sätze zum klassischen Problem der Vermittlung der Klasse an sich zur Klasse für sich. Das die Verfolgung der eigenen Interessen zur Aufhebung führt, es also an sich ist, müssen die Proletarier erst wissen. Erst wenn sie dieses Wissen besitzen, ist dies ihr Interesse. Diese Vermittlung ist die politische Aufgabe der kommunistischen Partei. Aus dieser Konstellation heraus wird es erklärlich, warum der marxistisch geprägten Linken Politik immer nur subjektive Zutat zum Ökonomischen war und bis heute ist.

Auf der Seite der Bourgeoisie verweist die Differenz zwischen einem Interesse, dessen Verfolgung zur Aufrechterhaltung der bürgerlichen Ordnung führt, und einem, welches in dieser Aufrechterhaltung besteht, unmittelbar zum politischen Gehalt der bürgerlichen Ökonomie. Wenn heute zu betonen ist, dass es sich beim Kapital (dem Buch) und seinen Vorarbeiten um eine Kritik der politischen Ökonomie handelt, dann verweist das nicht darauf, dass Marx der ökonomischen bürgerlichen Theorie die politische Seite hinzu addiert hätte, sondern auf das Selbstverständnis der von ihm kritisierten. Sie waren politische Ökonome in dem Sinne, dass sie dachten, dass die Handlungen der Politik die segensreichen Wirkungen des freien Warentauschs zur Geltung kommen lassen müßten anstatt sie, wie die feudalen Mächte, zu behindern. Der Segen sollte in einer ständigen Steigerung des "Reichtums der Nationen" bestehen. Eine Reichtumssteigerung, die durch nichts hervorgerufen sein sollte als durch die Einhaltung der Gesetzte des Warentausch und der von ihnen erzwungenen, durch die immer weiter reichende Teilung der Arbeit vermittelte Steigerung der Produktivität der Arbeit.

Der Widerspruch im bürgerlichen Interesse verweist auf die Differenz zwischen dem Bourgeois, dessen erfolgreich verfolgtes Interesse an seinem Reichtum zum Fortbestand der bürgerlichen Ordnung führen soll, weil diese Ordnung die Gestalt des Reichtums voraussetzt, und dem Staatsbürger, dessen Interesse diese Aufrechterhaltung ist. Mit der subjektiven Seite dieses Interesses verhält es sich komplizierter als beim Proletariat, weil sich die in Staatsbürger und Bourgois gespaltenen Bürger den Kopf ums Ganze machen müßten, den sich dagegen die staatsfetischistische, zum Vaterlandsverrat unfähige Arbeiterbewegung immer gemacht hat. Die Theoretiker der politischen Ökonomie betonen, dass die Reichtumssteigerung ein allgemeines Produkt der Verfolgung der bourgeoisen Privatinteressen ist, welches die einzelnen weder kennen noch bewußt in ihre Handlungen einplanen müssen. Hierfür steht das Bild der unsichtbaren Hand, welches Marx zur Erkenntnis dechiffriert hat, dass sich der gesellschaftliche Zusammenhang der Individuen in der bürgerlichen Gesellschaft hinter dem Rücken der Individuen vollziehe.

Während also der Bourgeois nichts wissen muß und letztendlich nicht einmal kann, ist dies für den Staat, wenn er im Moment der Krise die bewußten Interessen an der Aufrechterhaltung des Ganzen vertreten und zur Geltung kommen lassen soll, absolut vorrangig. Wie soll der Staat etwas erhalten, dessen Charakteristik er nur in Gestalt der oberflächlichen Einzelinteressen kennt, die ihre Forderungen an ihn stellen? Vom Standpunkt des Bourgeois und dem Gegenstand der politischen Ökonomie her eine nach rationalen Gesichtspunkten unmöglich zu lösende Aufgabe. Diesen fundamentalen Widerspruch leugnet beispielsweise gruppe demontage, wenn sie Wissen und Wollen der imperialistischen Akteure über ihre gesellschaftliche Lage so unterstellt, wie es sich die Arbeiterbewegung fürs Proletariat gewünscht hat. Zudem impliziert sie, dass eine Weltmacht wie die USA oder auch die EU jedes ökonomische Interesse verwirklichen könne, wenn sie stark und brutal genug wäre. Heraus kommt dann das Bild, dass sich im imperialistischen Staat das Für sich eines bürgerlichen An sich, des Profitinteresses, verkörpere. Die Vorstellung, dass jemand vermittels des Staates die Marktmechanismen, die zunächst einmal auf die Einzelkapitale und nicht auf die Staaten wirken, zum Schaden von Konkurrenten einsetzen könnte, trennt die Dynamik der Vermittlung von der Identität, die die Akteure herzustellen wünschen.

Die Differenz liegt in der Realität der Vermittlung

Zu betonen ist zunächst einmal der unterschiedliche Realitätsbezug dieser beiden vom Marxismus der Arbeiterbewegung qualifizierten Interessen. Während die Vermittlung der beiden Pole des Interesses im Fall des Proletariats ihre Kraft aus der Zukunft schöpft, findet sie auf der Seite der Bourgeoisie immer schon statt. Als gesellschaftlicher Prozeß ist sie Wirklichkeit, und zwar die Wirklichkeit, unter deren Bedingungen sie das Proletariat produziert. Dies rechtfertigt es, die Gesellschaftlichkeit selbst "bürgerliche Gesellschaft" zu nennen. Während er die Kräfte der Bourgeoisie zur Entfaltung bringt – wir befinden und noch immer in der Blütezeit des Kapitals – vermittelt er das Proletariat nur negativ. Das Privateigentum an Produktionsmitteln erzwingt die dauernde Teilhabe an einer Gesellschaft, deren sachlicher Reichtum immer nur für andere produziert wird. Deutlich wird diese Differenz an der unterschiedlichen Stellung im Warentausch. Auch die Privateigentümer der Produktionsmittel produzieren nicht für sich bzw. lassen nicht für sich produzieren, sondern für andere. Es ist dies das Wesen der bürgerlichen Arbeitsteilung und wer will schon all die Keksdosen, die in der eigenen Fabrik hergestellt werden, behalten. Also muß getauscht werden. Auch die Charaktermasken des Kapitals sind zur Teilhabe an der Gesellschaft gezwungen, aber wenn sie dies erfolgreich bewerkstelligen, sich ihr in den Produktionsmitteln vergegenständlichtes Kapital also als markttaugliches bewährt, erhält es sich nicht nur, sondern es wächst. Und nur im Wachsen kann es sich erhalten, was bereits Adam Smith betonte. Diese – keineswegs streßfreie – Möglichkeit der Erhaltung des Reichtums durch Vermehrung, bestimmt das bürgerliche Interesse, hieraus ergibt – oder vielmehr ergab – sich seine Qualität.

Anders das proletarische Interesse, denn die Teilhabe der ProletarierInnen am gesellschaftlichen Ganzen fällt keineswegs zu ihren Gunsten aus. Immer wieder bleiben sie vom Reichtum so getrennt, dass sie sich ihre materielle Beschaffenheit als Arbeitskraft immer wieder aufs neue sichern müssen. Hieraus ergibt sich die Qualität ihres Interesses, was häufig dazu geführt hat, dieses ein materielles zu nennen.

Die Einheit ebenso

Das gemeinsame dieser beiden Positionen ist, wie bereits ausgeführt, der die Reichtumsproduktion vermittelnde und den Reichtum immer wieder an sich bindende gesellschaftliche Prozeß, der beide Interessen als verschiedene bestimmt. Der Begriff des ökonomischen Interesses selbst, abzüglich der verschiedenen Qualitäten, ist an dieser Stelle noch eine schlechte Abstraktion, weil sich das "ökonomisch" nicht auf das gemeinsame Wesen dieser Interessen bezieht, sondern äußerlich durch den Gegenstand bestimmt ist, an dem ein Interesse behauptet wird. Genau als eine solche schlechte Abstraktion, wie sie das Lebenselexier der gängigen Soziologie ist, behandelt die gruppe demontage die Interessen aber, wenn sie von einem "aktuellen Konflikt um den Irak" schreibt. Gegenstand des Konflikts, der dann auch nicht primär einer zwischen den USA und dem Irak ist sondern eben zwischen den USA und der EU ist die wertvolle Sache "Irak" – auch hier ist nur eine klitzekleine Unterstellung am Werk – und die Bengels streiten sich darum, wer in Zukunft die Beute machen darf. Weil der Irak wertvoll ist bzw. weil es auf bzw. unter seinem Grund und Boden wertvolles gibt (wie gut, dass alle wissen was gemeint ist), so die Logik von gruppe demontage, bestimmen ökonomische Interessen den Konflikt. Auf dieser Basis sagen sie dann für die Zukunft Stellvertreterkriege zwischen den USA und der EU vorher. Im Bezug auf die Friedensbewegung und den Wunsch, als ihr radikaler Flügel in ihr zu agitieren, fällt auf diese Weise als Nebenprodukt auch noch die Möglichkeit ab, sich um die Antwort auf die Frage zu drücken, wer denn im Konflikt USA-Irak siegen soll. Eine Frage, die Friedensbewegte aber wohl selten stellen, denn wenn der Ami gerade nicht Weltunterjochen tut (doing Weltmacht, vgl. Hans/Frantz/Iselbrock im sicherlich bald erscheinenden Sammelband Poststrukturalismus für PolitologInnen), herrscht ja Frieden, gibt’s also gar keinen Konflikt. So schön kann die Welt sein.

Eine solche, von der schlechten Abstraktion bestimmte pauschalisierende und diffamierende Rede vom "ökonomischen Interesse" kann zunächst einmal nur als Verrat am Klassenkampf bezeichnet werden. Dies trifft zweifellos auch zu, wenn sich in den platteren Varianten "Imperialismus" und "unterdrückte Völker" gegenüber stehen.

Soll die Rede vom ökonomischen Interesse irgendeinen Sinn machen, ist ein Blick auf das vermittelnde Ganze zu werfen, aus dem sich die Interessen als solche ergeben und zu dem sie eben nicht zu summieren sind. Gerade im Bezug auf Interessen bleibt dessen Totalität aber zunächst einmal unbestimmt. Hier kommt die unsichtbare Hand ins Spiel, von der sich nichts anderes sagen läßt, als das sie es schon richte, also die einzelnen Interessen segensreich miteinander in Bezug setzt, wenn denn der immer schon vorausgesetzten Neigung der Menschen zum Warentausch politisch freie Hand gelassen werde. Als Kritiker der politischen Ökonomie vermag es Marx, diesen Bezug der Interessen zueinander von ihren Subjekten zu lösen – was einer Erkenntnis gleichkommt, denn in der kapitalistischen Wirklichkeit haben sich die Interessen von ihren TrägerInnen emanzipiert – und als den Gesetzen des Tauschwerts folgende objektive Eigenschaften der Waren zu entziffern. Aber auch bei ihm bleibt das Ganze im Bezug auf Interessen unbestimmt, es existiert als automatisches Subjekt Wert.

Der Segen der unsichtbaren Hand ist im weiteren Verlauf der bürgerlichen Gesellschaft nie eingetreten und wird es auch in Zukunft nicht tun. Durch die Bestimmung von Marx erweist sich allerdings, dass es sich bei ihr um mehr handelt als um ein Hirngespinst des frühen Bürgertums, an welches geglaubt werden kann wie an das Wirken eines Gottes. Sie ist die affirmative Spekulation auf die Auswirkungen der universellen Konkurrenz, für die der Liberalismus eintrat und deren Folgen für Smith wie für Marx offensichtlich waren. Die Möglichkeit der Erhaltung des Reichtums durch Vermehrung, die sich den KapitaleignerInnen darbietet, ist gleichzeitig ein Zwang, und was sie erzwingt ist die Rationalisierung der Produktion und den ökonomischen, am Tauschwert orientierten Umgang mit den Dingen, zu denen von nun an auch die Menschen gehören. Aus dieser Notwendigkeit heraus wandte sich das Bürgertum gegen die unökonomische Verschwendung des Adels als auch gegen die Unproduktivität der potentiellen Arbeitskräfte, die als Proletariat noch nicht so recht taugten. Hier setzt die Geschichte der sozialen Disziplinierung der Arbeitskraft ein.

Nur in diesem Zusammenhang macht es Sinn, verallgemeinernd von ökonomischen Interessen zu reden. Hierin, in diesem real existierenden Zusammenhang, in der beiderseitigen Teilhabe an der Realabstraktion Wert liegt das gemeinsame Wesen beider Interessen. Ökonomisch ist ein Interesse nicht, weil es sich auf einen Gegenstand gesellschaftlichen Reichtums bezieht – also beispielsweise irgendein Werkzeug oder eine Maschine oder ein Rohstoff – sondern weil die bisherige dingliche Gestalt des eigenen Reichtums die Verwendung eines solchen Geräts oder Rohstoffs und von Arbeitskraft erzwingt. Damit das versachlichte Interesse an den Mitteln der Produktion aber ein ökonomisches sein kann, müssen diese selbst den Gesetzen des Tauschwerts gemäß, also für den Tausch mit anderen, produziert sein. So treiben die Dinge die Menschen und bestimmen ihr Verhältnis zur Welt und so setzt sich das Kapitalverhältnis selbst voraus.

Der Widerspruch im Interesse

Bestimmt ist mit diesem Zusammenhang aber auch die widersprüchliche Beschaffenheit des ökonomischen Interesses, sobald es sein Subjekt, welches als Charaktermaske agiert, gefunden hat. Ökonomisch und Interesse stehen im Widerspruch zueinander, weil es den InhaberInnen der Interessen eben nicht um die pausenlose Rationalisierung ihrer Produktion, sondern um den Erhalt ihres Reichtums geht. InhaberInnen der Interessen sind sie, weil sie die EigentümerInnen ihres Kapitals sind. EigentümerIn aber ist kein Begriff der Ökonomie, sondern einer des Rechts. Selbst dort, wo das bürgerliche Individuum ökonomisch bestimmt ist, steckt Notwendigkeit der Politik, die unter bürgerlichen Bedingungen als Organisation des Rechts beschrieben werden kann. Sie ist die Form der Herrschaft über die nichts als Reichtum darstellende weil in immerwährender Produktion befindliche Welt. Von dieser Seite her betrachtet, nehmen die EigentümerInnen ihr Recht an ihrem Eigentum wahr. Sie machen also subjektiv das, zu dem sie die Beschaffenheit ihres Reichtums, also die Art der gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen sie stehen, zwingt. Eine recht genaue Vorstellung dieses Sachverhalts ergibt sich, wenn die Rede davon, dass Menschen ihre Interessen verfolgen, wörtlich genommen wird. Wer das Recht am Eigentum an Produktionsmitteln in Anspruch nehmen möchte, muß den sich daraus ergebenden Interessen andauernd hinterher hecheln. Möglicherweise auch bis in die Wüste des Irak.

Im Gegensatz zu dieser Charakteristik des bürgerlichen Reichtums implizieren die hier kritisierten Betrachtungen imperialistischer ökonomischer Interessen, dass es sich bei diesen nicht um Interessen aus bestehendem Eigentum handelt, sondern um solche an zukünftigem Eigentum der Imperialisten. Je nach Ausrichtung befindet sich in der antiimperialistischen Vorstellung dieses zukünftige Eigentum in einem unbürgerlichen Zustand, oder es gehört noch (!) jemand Anderem.

Die erste Variante redet von Subsistenzökonomie und Rohstoffen im Trikont, die imperialistisch angeeignet werden. Imperialismus ist hier eine böswillige Art zu handeln. Damit wird die ursprüngliche Akkumulation des Kolonialismus in die Gegenwart verlängert. Doch falsch ist an dieser Vorstellung im Wesentlichen nicht die falsche historische Einordnung. Wenn das zukünftige Eigentum wirklich aus unbürgerlichen Zuständen hervorgehen soll, also aus solchen ohne Privateigentum an Produktionsmitteln und ohne die Existent doppelt freier LohnarbeiterInnen, geht der Begriff der Enteignung schlichtweg an der Sache vorbei. Genau genommen behauptet eine solche Klage sogar die bürgerlichen Zustände als vorgesellschaftliche. Auf dieser Basis und aus der Hoffnung heraus, dass die antikolonialen Bewegungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in sozialistischen Staaten enden würden ergab sich eine facettenreiche Überblendung vermeintlich vorbürgerlicher Zustände mit den erhofften nachbürgerlichen. Ein Sprung, der nach marxistischer Orthodoxie ein unmöglicher ist. Als wäre diese Frage nicht längst vom Kapital durch seine weltweite Ausbreitung praktisch entschieden, bestimmte dessen vorgestellte Möglichkeit die Debatten der Neuen Linken zu Fortschritt und Entwicklung. Marx selbst stellte sich dieses Problem am Beispiel von Russland.

Enteignung findet im Spätkapitalismus zwar statt, aber nur im Verlauf der Monopolisierung der Produktion. Die macht aber nicht den Reichtum eigentumslos, wie es kommunistisches Programm zu sein hätte, sondern enteignet die alten Kleineigentümer zugunsten der Aktiengesellschaften. Es ist dies ein Prozess, der für die ökonomischen Inhalte des nationalsozialistischen Antisemitismus von zentraler Bedeutung war. Die Agitation mit der "Brechung der Zinsknechtschaft" beruhte beispielsweise auf einer vorgesellschaftlichen Vorstellung des Reichtums derjenigen Kleineigentümer, die ihre Kredite nicht zurückzahlen konnten, weshalb in der Überblendung vorbürgerlicher mit nachbürgerlichen Zuständen auch antibürgerliche Motive des NS auftauchen. Wenn, wie auf einer Hamburger Friedens-Demo geschehen, Schilder mit der Aufschrift "Erst das irakische Öl und dann unser Trinkwasser" gezeigt werden, liegt es durchaus nahe, darauf zu spekulieren, das hier die Assoziationskette von "Trinkwasser" über "lebensnotwendiger Körperbestandteil" und "Öl" hin zu faschistischen Vorstellungen über die Einheit von Muskelkraft und Maschine verläuft.

Relevanter für diese Betrachtung ist die zweite Variante, nämlich die Vorstellung, dass sich der zukünftige Reichtum der Imperialisten noch im Besitz dann vom Imperialismus betroffener Anderer befindet. Verwiesen ist mit der Vorstellung von diesem Zukünftigen zunächst einmal auf etwas, was in der bisherigen Betrachtung des ökonomischen Interesses nur als Negiertes vorkam. Es ist dies der Profit. Wenn hier bisher die Rede davon war, dass sich das Ökonomische als Gegensätzliches zu einem Interesse am Erhalt des Reichtums ergibt, impliziert dies, dass der aus der ökonomischen Verwertung des Reichtums entspringende Mehrwert nicht im Interesse der BesitzerInnen liegt. Dies ist selbstverständlich nicht der Fall.

Der Profit

Tatsächlich spricht zunächst einmal viel dafür, den Profit der subjektiven Seite der Charaktermaske, unter Umständen sogar als Hauptantrieb, zuzuordnen. Trotzdem ist dagegen ein wesentlicher Einspruch zu erheben, denn entstehen kann Profit nur durch Vernutzung fremder Arbeitskraft, also in dem Moment, in dem sich die EigentümerInnen der souveränen Verfügung über ihren Reichtum aus ihrem Interesse am Erhalt entledigen. Schon die eigene Erfahrung mit den Spargroschen verrät es. Während das Geld Zuhause in der Schublade liegt, verliert es an Wert. Damit das nicht passiert, muß es zur Bank gebracht werden, damit diese es investiert. So wird es mehr, wenn nicht gerade Telekom-Aktien gekauft wurden. Ein "einfach nur behalten" gibt es nicht. Ökonomisch handeln, also ihr Interesse verfolgen, müssen die EigentümerInnen (oder stellvertretend die damit beauftragte Bank / Aktiengesellschaft oder wer auch immer), während ihr Kapital den Formwechsel G-W-G‘ vollzieht. Also immer wieder neu bzw. bis zur Pleite, denn G kommt ja als G‘ zurück. Außerhalb der souveränen Verfügung der EigentümerInnen befindet sich das Kapital während dieses Formwechsels, weil diese arbeiten lassen (müssen, sonst gibt’s keinen Mehrwert sondern nur Produktionsmittel für den eigenen Job) und dabei den einen Teil von ‚W‘, die Arbeitskraft, dazu zwingen, sich dem anderen Teil von ‚W‘, den Maschinen und Arbeitsmaterialien gegenüber, so zu verhalten, als seien es die ihren. Eine notwendige Fiktion, die die Arbeitskräfte aus Sicht der EigentümerInnen nie wahr machen dürfen, denn dann handelte es sich wirklich um Enteignung. Verhält sich die Arbeitskraft nicht ökonomisch, was schon mit unausgeschlafenem Erscheinen beim Job beginnt, haben ihre EigentümerInnen unter dem möglichen Stand der Produktivität produziert, also in der Tendenz zu teuer für den Markt. Mit dieser realen Abgabe der Souveränität bei formeller Beibehaltung korrespondiert das Risiko der EigentümerInnen.

Unter Beachtung dieses Tatbestands ist es durchaus angebracht, das Interesse auf mögliches zukünftiges Eigentum auszuweiten, wobei zu beachten ist, das es sich dabei nur um vermehrtes altes, und nicht um neues im strengen Sinn handeln kann. Neues Eigentum im gegenständlichen Sinn (Produktionsmittel oder Rohstoffe) kann immer nur von in der Form des Geldes vorliegendem verwertetem altem Wert gekauft werden. Jeder andere Wechsel eines Besitztitels hieße Raub, Lottogewinn, Geschenk oder Plünderung und alle vier sind durch und durch unökonomisch.

Das Produkt dieser Vermehrung, der Profit, ist also durchaus subjektivierbar. Die antiimperialistische Vorstellung von den profitgierigen Imperialisten vollzieht die Möglichkeit genauso nach wie die hier behandelte Rede von ökonomischen Interessen als Allgemeinem, wobei es dann problematisch wird, wenn impliziert wird, das Profitinteresse richte sich unmittelbar auf vergegenständlichten Reichtum und sei nicht ein Interesse an der eigenen Vermittlung mit ihm. Die Rede von der Profitgier, die körperliches Verlangen impliziert und üblicherweise mit "Hände weg von xy"-Klauen illustriert wird, überschreitet hier beispielsweise die Grenze des Erträglichen um Längen und ist anders (und nicht einfach nur schärfer) zu kritisieren als Positionen von demontage und den autonomen Gruppen.

Grundsätzlich zu beachten ist allerdings, dass dann, wenn die Charaktermasken des Kapitals diese Subjektivierung des Profits nicht in linker Theorie, sondern in der Wirklichkeit an sich selbst vollziehen, ihnen die Macht der ihnen entgegengesetzten, ihre Interessen als ökonomische bestimmende, Objektivität um so härter ins Gesicht schlägt. Der Profit lebt vom Widerspruch, den das ökonomische Interesse in sich enthält, weil es diesen vermittelt. Somit enthält er diesen Widerspruch verkehrt, weil er Subjekt und Objekt in ein verkehrtes Verhältnis zueinander setzt. Keinesfalls bildet das Profitinteresse die widerspruchslose Synthese aus Können und Wollen der ImperialistInnen und der Widerspruch besteht nicht erst im Widerstand entgegengesetzter, beispielsweise proletarischer Interessen.

Genau eine solche widerspruchslose Synthese von Können und Wollen ist aber in einem Satz wie "Im Falle des Iraks können die USA die machtpolitischen Voraussetzungen schaffen, um sich die strategische Ressource Öl günstig anzueignen" der Grundgedanke – in diesem Fall formuliert von gruppe demontage. Im Gegensatz zu den Autonomen Gruppen, die eher darauf zielen anzumerken, dass Deutschland und die EU militärisch-politisch andere Interessen verfolgt, basiert dieser Text auf der Vorstellung einer grundlegenden ökonomischen Interessenkonkurrenz. Widersprüche ergeben sich dementsprechend zwischen den Interessen. So entwickelt die Analyse folgenden Ausblick: "Die Inkarnation des Teufels sitzt weder in Washington, Berlin oder Bagdad, wie es unterschiedliche Fraktionen der Linken glauben machen wollen. Politisch hilft nur die genaue Analyse eines widersprüchlichen Prozesses, indem versucht wird, sich aus unterschiedlichen Perspektiven ein möglichst umfangreiches Bild zu machen." Mit der klitzekleinen obigen Eingangsunterstellung interpretiert: Zu achten sei nicht auf einen großen, sondern auf viele kleine Teufel.

Das diese "widersprüchlichen Prozesse" nur die Gegensätze des Scheins der Konkurrenz sind und damit den wesentlichen Kern nicht treffen, erhellt sich beispielsweise durch den Gedanken, dass es vom ökonomischen Standpunkt aus gesehen im Interesse der Konkurrenten der USA ist, wenn diese den teuren Job der weltweiten Garantie der Verwertungsbedingungen alleine und auf ihre Kosten erledigten, während aus der politisch-rechtlichen Perspektive der Souveränität über das eigene Eigentum das Gegenteil der Fall ist. Anders herum ergibt sich ein US-amerikanisches Interesse an einer Beteiligung anderer Staaten an der Kriegsführung aus ökonomischer Perspektive, während aus politisch rechtlicher ein Alleingang angesagt ist. Die Gegensätze des Scheins der Konkurrenz sind in sich widersprüchlich aufeinander verwiesen und der Widersinn, dass diejenigen Staaten, die aus eigener Souveränität dem Drängen der USA auf Kriegsbeteiligung nicht nachgeben, diesen dann anschließend "Unilateralismus" vorwerfen, findet in diesen Widersprüchen seinen logischen Grund.

III. Was soll das mit dem Öl?

Der Satz über die günstige Aneignung des Öls ist aber nicht nur vor dem Gedanken problematisch, dass auch die Interessen innerhalb der USA (wie der EU) konkurrierende, also durch ihre Identität bedingt verschiedene sein können. Das wäre eine Ergänzung der Argumentation der gruppe demontage. Hier geht es um eine grundsätzliche Kritik, denn Probleme bekommt sie in der Bestimmung dieses Interesses in den Kategorien der Kritik der politischen Ökonomie.

Dass ein ökonomisches Interesse an Öl immer eines an günstigem Öl ist, ist formuliert aus der Perspektive von KonsumentInnen, deren Horizont beim vollgetankten Auto endet. Aus der Notwendigkeit der Kapitalverwertung im Allgemeinen, auf die die Texte ja in ihrer Kritik an der Identifizierung des Kapitalismus mit den USA hinaus wollen, besteht zunächst einmal eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Ölpreis. Ist der hoch, wächst zunächst einmal nur der Wert derjenigen Waren, zu deren Produktion Öl gebraucht wird. Berührt wird das eigene Interesse nur dann, wenn der eigene Einkaufspreis höher ist als der der Konkurrenz. Einen Markt vorausgesetzt, muß aber nicht einmal ein Interesse an einem hohen Preis für Öl von ökonomischem Unverstand zeugen. Grund dafür kann die Zusammensetzung des eigenen, zu verwertenden Kapitals sein, also genau jene Instanz, die den KapitaleignerInnen vorschreibt, ihre Interessen als ökonomische zu verfolgen. Denkbar ist zum Beispiel, dass das eine Joghurtbecher produzierende Kapital über eine deutlich höheres Geldkapital verfügt als ein konkurrierendes. Bei gleichem Produktionsvolumen steigt im Fall eines allgemein (!) hohen Ölpreises in einem solchen Fall das zu investierende Geldkapital für alle an der Konkurrenz beteiligten. Dies verschafft der Seite, die über mehr flüssiges Geldkapital verfügen kann, die Möglichkeit, dem Konkurrenten Marktanteile abzunehmen. Denn dieses müsste entweder das Produktionsvolumen senken oder die höheren Preise über Kredite finanzieren. Das gleiche gilt, wenn das eine Kapital gerade die Produktion so modernisiert hat, dass es mit weniger Öl pro Gebrauchswert produzieren kann. Steigt der Preis fürs Öl, geht er also prozentual höher ins Endprodukt ein, vergrößert sich der Vorteil gegenüber der Konkurrenz, weil deren Kosten in Relation mehr ansteigen.

Relevant am Preis von Öl oder anderen Rohstoffen ist immer nur, dass es im Vergleich zum Konkurrenten billiger erworben wird. Wer die Schaffung machtpolitischer Voraussetzungen für günstiges Öl als Kriegsgrund anführt, müsste aufzeigen, dass die USA bezwecken, nur für US-amerikanische Konzerne günstigere Preise heraus zu handeln. Die gruppe demontage hält diesen Punkt in der Schwebe. Dagegen, dass dies die kriegsmotivierende Absicht war, spricht manches. Zentral scheint mir hier zu sein, dass die Nichtbeteiligung Deutschlands und Frankreichs eben kein Ergebnis einer US-amerikanischen Intrige mit der Nichtbeteiligung der Konkurrenten am Gewinn war.

Dagegen spricht aber noch ein ganz anderer Grund. Günstig ist ein Rohstoff, dessen Verfügbarkeit militärisch erkämpft werden muß, unter kapitalistischen Bedingungen grundsätzlich nicht. Es ist ja nicht so, dass die USA die zu Kriegsbeginn bereits geförderten Tonnen Rohöl einfach so, ohne zu zahlen, in die USA transportierten. Diese Mengen würden wahrscheinlich nicht einmal reichen, um die Treibstoffe des Militärapparats, die während des Kriegs verbraucht wurden, zu ersetzen. Das Öl, um welches es den USA gehen könnte, muß immer noch gefördert, also produziert werden. Da sich der Wert einer jeden Ware aus der gesellschaftlich durchschnittlich notwendigen Arbeitszeit zu seiner Produktion ergibt und die ungeheuren Kosten für einen Krieg in der Regel nicht anfallen, ist eine solche Methode zum Bezug günstigen Öls immer schon zum Scheitern verurteilt. Unter der Erde herumliegendes Öl ist grundsätzlich ohne Wert.

Im Falle des Erdöls gibt es noch eine zusätzlich Besonderheit, die obigen Punkt relativiert und die zumindest behandelt gehört wenn von Ölinteressen die Rede ist. Rohstoffe lassen sich, im Gegensatz zu Gummibärchen und den meisten anderen Waren, nicht überall produzieren, sondern nur dort, wo sie vorkommen. Daraus entsteht aber noch nicht die enge Kopplung der Erdölproduktion an die Souveräne derjenigen Länder, auf deren Staatsgebiet die Rohstoffe gefördert werden können und schon lange nicht ergibt sich aus diesen Vorkommen ein natürlicher Reichtum irgendeiner Bevölkerung, der ihnen genommen werden könnte. Auch aus der Wichtigkeit des Erdöls für den aktuellen Produktionsprozess ergibt sich diese Kopplung noch nicht. Es sind wiederum Momente des Verwertungsprozesses, die diese Konstellation hervorrufen. Ein nicht unerheblicher Anteil des Ölpreises ergibt sich nicht aus den Kosten für die Förderung – wenn es sich nicht gerade um Bohrinseln in der Nordsee handelt ist die Förderung wohl relativ einfach – sondern aus denen für den Transport, also Pipelinebau und Herumschifferei. Da aber der Weg in die USA länger ist als der nach Europa, die Transportkosten also höher sind, ergäbe sich gerade dann, wenn alles in den USA verbrauchte Öl aus Nahost und alles von US-Kapital gekaufte Öl in die USA verschifft würde, für die USA-Ökonomie als gesamte (bisher war hier nur von Einzelkapitalien die Rede) ein Interesse an einem hohen Grundpreis (ab Förderstelle), weil das den Anteil der Transportkosten senkt, also den Nachteil in der Konkurrenz relativiert. Es mag diverse andere Gründe geben, die die Interessen in die andere Richtung lenken, aber wer ökonomische Interessen analysiert, sollte so etwas berücksichtigen. Es ist sicherlich lohnend, vor diesem Hintergrund einmal die Politik der OPEC zu verfolgen.

IV. Was wäre wenn?

Um das Aufdröseln dieser Gemengelage soll es hier im Detail aber gar nicht gehen und ich wäre dazu auch gar nicht in der Lage. Genauso wenig wie gruppe demontage, die Autonomen Gruppen oder auch die gerne herbei zitierten Pipelinespezialisten Ebermann/Trampert. Genauso wenig soll es hier, aber dieser Mangel dürfte offensichtlich sein, um die Ausformulierung einer anderen Theorie der Weltmarktbeziehungen gehen. Die zentrale Frage, ob es überhaupt noch Sinn macht, von Imperialismus zu reden oder ob dieser einer vergangenen Epoche angehört, wäre anders zu verhandeln und die hier angesprochenen Grundkategorien der Kritik der politischen Ökonomie sind dafür keinesfalls hinreichend. Mir geht es zunächst nur darum aufzuzeigen, dass die im Umlauf befindlichen Argumentationsbrocken früherer Imperialismustheorien so gar nicht gehen. Aufmerksam machen soll diese Kritik zunächst einmal nur darauf, dass diejenigen, die vorgeben, von Einzelinteressen oder der Summe von Einzelinteressen zu sprechen, aber diese nicht in den oben angerissenen Kategorien qualifizieren, gleichzeitig denken, es handele sich bei der Denunziation der Gesamtheit dieser Interessen um eine materialistische Kritik. Ganz im Gegenteil produziert dieses Vorgehen den einleitend behaupteten antimaterialistischen Effekt, was im folgenden begründet werden soll.

Wie immer es sich auch mit dem Ölpreis verhält, die Kriegskosten kommen hinzu. Kompensieren ließen sie sich nur durch entweder besonders günstige natürliche Förderbedingungen, die die aufzuwendende Arbeitskraft senken, oder die einkalkulierte Nicht-Reproduktion der eingesetzten Arbeitskraft. Letzteres bezeichnet die Zwangsarbeit des nationalsozialistischen Deutschland. Selbst das brächte angesichts der weltweiten Arbeitsbedingungen in Verbindung mit der enorm hohen Produktivität, die die Reproduktion der Arbeitskraft erleichtert, nur geringe Vorteile. Beim NS ist davon auszugehen, dass die "Tod durch Arbeit"-Praxis Teil des nationalsozialistischen Vernichtungsprogramms war.

Ökonomischer Zwang und Menschenwürde

Aus ökonomischer Perspektive abzuwägen sind die eingesparten Kosten für die Reproduktion (die ja die Kriegskosten aufwiegen müßten), mit der minderen Produktivität, die sich aus der Entkräftung durch mangelnde Ernährung, fehlender Motivation und der Notwendigkeit ergibt, dass verschlissene Arbeitskraft ersetzt und daher neu angelernt werden muß. Es ist dies ein Zusammenhang, der schon Adam Smith bewußt war und aus dem heraus er gegen alle vorbürgerliche Herrschaft, die diese Logik nicht beinhaltet, votierte. Diesem durch und durch ökonomischen Zusammenhang – und eben keiner Liebe zu irgendwelchen höheren Werten – entspringt die bürgerliche Humanität. Weil das Kapitalverhältnis seine Grenze nur in der immer schon überschrittenen und damit objektivierten Natur findet, also wie ein Naturgesetz waltet, läßt sich auf seiner Basis ein Naturrecht auf menschliche Würde formulieren. Materialistische Kritik sollte das wissen und nicht unter diesem Niveau agieren.

Dieser Zusammenhang ist es auch, der den Gedanken an "ewigen Frieden" analog zur Harmonie stiftenden unsichtbaren Hand möglich machte (nicht: als Überbauphänomen hervorbrachte), und dass dieser nicht eintritt liegt nicht daran, dass der Zusammenhang nicht existierte, sondern daran, dass seine gesellschaftliche Grundlage in sich selbst widersprüchlich, also die Möglichkeit der Krise gegeben ist.

Die der Totalität des kapitalistischen Verwertungsprozesses permanent eigene Krisendynamik ist es, die die Rolle der USA und der anderen Großmächte darin bestimmt. Soweit es den USA im Irak also um ökonomische Interessen geht, ergibt sich deren Qualität nicht aus irgendeinem statisch gedachten bestehendem Reichtum des Irak, sondern aus dem Vertrauen in die Potenz des eigenen Kapitals und seiner spezifischen Zusammensetzung, die Reichtumsproduktion des Irak zu dynamisieren und so an sich und in die eigene Bewegung ein zu binden. Zunächst einmal muss das so patriarchal formuliert werden, weil es so patriarchal ist. Subjektive Voraussetzung für eine derart ökonomisch bedingte Kriegserklärung ist der in jedem Managermagazin anzutreffende Glaube an eine kraftstrotzende eigene Ökonomie, die neue Herausforderungen nicht nur spielend bewältigt, sondern geradezu braucht und herbeisehnt. Die Charaktermasken der politischen Ökonomie glauben zu können was sie wollen müssen und das antiimperialistische Weltbild kauft es ihnen ab. Dabei ist die subjektive Voraussetzung nichts anderes als die ideologische Reflexion der allgemeinen, den Zwang zur Verwertung aussprechenden Seite der Subjektivierung des Profits, das notwendig falsche Bewusstsein ökonomischer Weltmacht. Spiegeln kann es sich in der politischen Macht, deren Grund der Militärapparat ist, der wiederum ein Zeichen vorangegangener (!) ökonomischer Prosperität ist.

Genauso egal, wie der Kapitalverwertung der absolute Wert des Öls ist – Hauptsache es kann als Material der Verwertung dienen –, genauso egal ist es ihr, worin sich der abstrakte Reichtum vergegenständlicht. Panzer und Bomben gehören hier durchaus dazu, auch wenn ihr Gebrauch keineswegs ökonomisch ist. Er ist Konsum, genauso wie das Lutschen eines Lollies – um in der Bilderwelt der bürgerlichen Triebökonomie zu verbleiben.

Wenn also die USA mit dem Krieg gegen den Irak ökonomische Interessen verfolgten, könnten diese Interessen nur in der Einbindung des Iraks in die Verwertung des eigenen, Kapitals bestehen. Zunächst einmal wäre dann festzustellen, dass diese dann, wenn diesem Wollen auch ein Können entspricht – wie es die antiimperialistische Rethorik durchweg unterstellt – dies für viele im Verlauf ihrer Durchkapitalisierung bereits wieder niederkonkurrierter Regionen dieser Welt zunächst einmal ein Versprechen ist.

Neue Absatzmärkte?

Am deutlichsten wird dies an der häufig als Vorwurf formulierten Unterstellung, dass es den imperialistischen Mächten um die Schaffung neuer Absatzmärkte gehe. Damit ist unterstellt, dass dort Waren zumindest zum Selbstkostenpreis verkauft werden sollen. Wenn vermittels der Produktion dieser Waren dabei Kapital akkumulieren soll, muss es sich bei dem dabei angezogenen Geld um unabhängig gewonnenes, d.h. um die Geldform eines unter der Regie eines anderen Privateigentümers sich verwertendes Kapital handeln. Es zeigt sich hier der berühmte Widerspruch der allgemeinen Formel des Kapitals, dass die "Schmetterlingsentfaltung" des Werts "in der Zirkulationssphäre und [...] nicht in der Zirkulationssphäre vorgehen [muß]" (MEW 23, S.181) von der anderen Seite. Die These von der Schaffung neuer Absatzmärkte setzt die Arbeitskraft als immer schon verwertete und den Wert der Waren als immer schon realisierten voraus und sieht den Mehrwert als der Produktion entsprungenen an, der als solcher zur Aneignung durch die Imperialisten bereit liege.

Bei den üblichen Nachkriegswiederaufbaumaßnahmen ist diese Bedingung nicht erfüllt, solange von national identifizierbarem Kapital ausgegangen wird. Selbstverständlich profitiert die Bauindustrie, an die die konkreten Aufträge gehen, mehr als die Joghurtbecherindustrie. Aus allgemeiner Perspektive handelt es sich beim Wiederaufbau aber um keynesianistischen Staatskonsum. Das Geld für den Wiederaufbau fließt in der Regel dadurch, dass die Aufträge an die Konzerne der Siegerländer gehen, wieder zurück. Wiederaufbau zu Weltmarktkonditionen können sich die angegriffenen Länder also nur leisten, weil dieser von den Angreifern finanziert wird. Zwar versprechen sich die beauftragten Firmen auch Folgeaufträge (Ersatzteile, Instandhaltungsmaßnahmen etc.), aber die müssen auch aus einer funktionierenden Kapitalakkumulation bezahlt werden.

Als Markt für Waren aus den Metropolen bzw. von Metropolenkapital produzierten oder allgemein für auf Weltmarktniveau produzierte Waren zu fungieren, setzt eine eigenständige Produktion auf Weltmarktniveau voraus. Für einen Großteil der Menschen dieser Welt wäre das ein Geschenk des Himmels, was ein Grund dafür sein mag, dass Allah als Ersatz herhalten muß.

Profit durch Zerstörung?

Funktionierende Kapitalakkumulation zur Voraussetzung hat auch die Verwendung der Bevölkerung des Irak als billige Arbeitskraft. Angesichts der Tatsache, dass momentan die ganze Welt das Kapital dieser Welt aggressiv nach Arbeit anbettelt, herrscht daran momentan kein Mangel. Das ist aber wohl auch der gruppe demontage klar, denn in ihrem Papier spielen ausschließlich Handelsinteressen eine Rolle. Als einziges Interesse, welches sich mit der Produktion des Reichtums in Verbindung bringen läßt, nennen sie das aus einer Überakkumulationskrise sich ergebende Interesse an Zerstörung, damit neu gebaut werden kann. Das Kapital habe a) ein Interesse an der Produktion von Waffen, mit denen b) "Güter" zerstört werden könnten und der Neubau wiederum bringe Profit. Dass sich das einzelne Charaktermasken so zurecht reimen mag ja sein, nur ist das a) äußerst unökonomisch, weil zunächst einmal Kapital zerstört wird (Waffen verwerten sich nicht und die kaputten Bauwerke waren ebenfalls Teil irgendeines Kapitals) und b) bliebe zu erklären, warum das Geld aus der Überakkumulation nicht einfach ein zusätzliches Haus bauen kann. Die Erklärung ist einfach und führt wieder zu obigen Ausführungen zurück: Weil die Nachfrager nach dem Haus den Bau bezahlen müssen, es nützt nichts, wenn nur das überakkumulierte Kapital genug zum vorschießen hat. Und wer nur noch ein kaputtes Haus hat, kann darauf nicht mal eine Hypothek aufnehmen.

Es hilft alles nichts: Ohne Verwertung kein Wert und ohne bereits realisierten Wert auf der einen Seite keine Wertrealisierung auf der anderen. Die Ölförderung alleine kann eine solche funktionierende Kapitalverwertung nicht garantieren, schon gar nicht auf dem bestehenden hohen Stand der Produktivkräfte. Sie macht ansonsten aber den Unterschied zwischen Staaten wie dem Irak und anderen, vom Weltmarkt abgekoppelten Staaten, in denen trotzdem die Gesetze der Wertverwertung herrschen. Zwar ist der aus der Ölförderung gewonnene Reichtum nicht akkumulationsfähig, das ist nur die durch die Produktion des Öls geschaffene Armut, reicht aber aus, um eine autoritär regierende Elite an der Macht zu halten.

Vor diesem Hintergrund macht es Sinn, wenn der Premierminister der Regionalregierung Kurdistan im Irak, Barham Salim, in einer Rede vor dem sozialdemokratischen Socialist International Council die Vermutung, dass es den Alliierten ums Öl gehen könnte gar nicht erst als Grund gegen den Krieg anerkennt und erwidert, wenn dem so wäre, sei das eben eine glückliche "Ironie des Schicksals": "Sollte dies der Falls sein, warum nicht? Das Öl wäre dann ein Segen und kein Fluch mehr, der es so lange war." (dokumentiert in konkret 4/2003, S. 47) Eine ressentimentfreie Einschätzung, wie sie in Deutschland unmöglich erscheint. Ein Niveau, auf das sich die hiesige PDS und der klassische Antiimperialismus erst mal begeben müssen, bevor erstere wieder ohne schlechtes Gewissen als sozialdemokratisch kritisierbar ist.

Aus einer kapitalismuskritischen Perspektive jenseits solcher entwicklungspolitischen Hoffnungen macht es durchaus Sinn, zu befürchten, dass es der kriegsführenden Allianz letztlich nur ums Öl gegangen sein wird – also voraussichtlich die autoritäre Trennung vom Reichtum nur aufs Neue organisiert werden wird – weil die in ihr vertretenen Kapitale aufgrund ihres Vertrauens in die Potenz ihres Kapitals zwar sicher sind, ihren sie über den Globus hetzenden Interessen im Irak habhaft zu werden, diesem herrschaftlichen Wollen aber kein Können entspricht, bzw. wenn dies der Fall ist, der ökonomische Vorteil in Gestalt der Eigenschaften des bereits existierenden Kapitals bereits bestand. Die Propaganda von einer Befreiung des Irak verspricht zuviel und die "junge Welt" merkt nicht einmal, dass sie das von den USA gegebene Versprechen noch einmal toppt, wenn sie "US-Bundesstaat Irak" titelt und damit amerikanische Pläne zur "US-Nachkriegsherrschaft" meint. Vielleicht sollten mal diejenigen, die in der "junge Welt" über europäische und amerikanische Flüchtlingspolitik schreiben, ihren KollegInnen mitteilen, dass dann, wenn diese Prophezeiung eingetroffen ist, die kurzfristigen Hoffnungen vieler Flüchtlinge auf amerikanische Staatsbürgerschaft erfüllt wäre. Und das ganz ohne Flucht. Oder gelten Flüchtlinge neuerdings als VaterlandsverräterInnen, weil sie Zuflucht beim imperialistischen Feind suchen?

Demokratie nach westlichem Muster, die den Metropolen angemessene Herrschaftsform, ist vor diesem Hintergrund ein nahezu uneinlösbares Versprechen. Einlösbar wäre es nur, wenn die antiimperialistische Grundannahme in Bezug aufs ökonomische Interesse zuträfe, wenn Wollen und Können garantiert zusammenkämen. Ein solcher Zustand bestünde aber in der liberalen, von der unsichtbaren Hand vermittelten Harmonie der Interessen und existierte nicht als absolute Machtvollkommenheit, unter der er im antiimperialistischen Weltbild fungiert. Angezeigt wäre damit ein Zustand, in dem ökonomische Interessen eben nicht als Ganzes zu verwerfen wären, sondern zu bestimmen wären als welche, die ganz nebenbei Produktion und Befriedigung materieller Bedürfnisse organisieren.

V. Der antiimperialistische Imperialismus

Deutlich hingewiesen sei noch einmal auf den "Was wäre wenn die antiimperialistische Vorstellung vom imperialistischen ökonomischen Interesse zuträfe"-Charakter obiger Argumentation. Dann – und nur dann – wäre den US-amerikanischen Ambitionen vorbehaltlos zuzustimmen, sprich eine Antikriegsposition lässt sich daraus gerade nicht ableiten. Zu kritisieren wäre nur die Ungerechtigkeit, dass der imperialistische Segen des "sogenannten Amerikanischen Internationalismus" (Gruppe demontage und US-amerikanische Selbstbeschreibung. Daniel Cohn-Bendit nennts "demokratischen Bolschewismus", der der Partei des demokratischen Sozialismus wahrscheinlich zu radikal ist.) nicht dem kompletten Trikont zugleich zuteil würde. KommunistInnen müssten dann nicht auf das von der kapitalistischen Produktion hervorgerufene Elend auf der Welt verweisen sondern hätten dann das zu tun, was der selbstbewusste Liberalismus andauernd von ihnen verlangt, nämlich den Beweis anzutreten, dass eine andere Produktionsweise die menschlichen Bedürfnisse besser befriedigt. Angesichts einer Produktionsweise, die die ganze Welt an sich bindet und einem Großteil der Menschen diese Befriedigung nicht einmal mehr schlecht erlaubt, ist die Forderung eines solchen Beweises heute allerdings lächerlich.

Jede Aufforderung, die Intervention zu unterlassen, käme dann einem "Arbeitsplätze nur für Deutsche" gleich. "Ihr habt eure ökonomischen Interessen gefälligst hier zu haben" ist der Gedanke, der die deutsche Geißelung der Vaterlandslosigkeit des Kapitals begleitet und die Standortkonkurrenz reflektiert. "Beutet mich aus, aber erinnert mich dabei nicht daran, dass ich mir vom Produkt meiner Arbeit ja auch materielles Glück versprechen könnte" ist eine der Sehnsüchte, die den deutschen Sozialcharakter umtreibt. Eine Sehnsucht, die mit seinem Rassismus und Antisemitismus in wesentlichem Zusammenhang steht.

Dass die Autonomen Gruppen und die gruppe demontage nicht von diesem Schlag sind und sich diese Sehnsüchte auch nicht wie Linksruck zu eigen machen, indem sie an sie appellieren, ist belegt dadurch, dass sie den imperialistischen Hauptfeind im eigenen Land suchen. Dass aber bei der Suche nach dem imperialistischen Hauptfeind im eigenen Land die Gefahr besteht, nichts als antimaterialistische AntiimperialistInnen zu finden, darauf sei dann zur Sicherheit doch noch verwiesen. Zum Beispiel mit einem längeren Zitat des für die deutsche Geisteshaltung wie für den Nationalsozialismus nicht gerade unwichtigen Oswald Spengler. Hieran läßt sich hervorragend demonstrieren, dass die Rede vom Imperialismus und vom ökonomischen Interesse in der deutschen Ideologie einen ganz eigentümlichen Charakter annimmt und in der Vergangenheit keinesfalls in Gegensatz zu eigenen imperialistischen Ambitionen stand. Angesichts der Tatsache, dass der aktuelle Aufbau einer EU-Armee neben der NATO gerade mit dem Konflikt mit den USA um den Krieg gegen den Irak und der darin bewiesenen Friedensliebe begründet wird, ist es angebracht, dies in Erinnerung zu rufen. Die Bilder, die sich die deutsche Öffentlichkeit – also die Friedensbewegung und ihre Militärexperten – vom Wirken der USA im Irak macht, hat durchaus etwas von Spenglers Vorstellungen.

Der "Imperialismus" ist ihm "das typische Symbol des Ausgangs [...], reine Zivilisation", also "das Dasein ohne innere Form. Weltstadkunst als Gewohnheit, Luxus, Sport, Nervenreiz. Schnellwechselnde Stilmoden ohne symbolischen Gehalt", heute also durchaus "Amerikanismus", aber: "In dieser Erscheinungsform liegt unwiderruflich das Schicksal des Abendlandes." Zwar mag Spengler den Inhalt dieser Form, also den dinglichen Reichtum nicht, weshalb er ihn als "Äußerlichkeiten" verschmähen und der "inneren Form" entgegenstellen muß. Die Form selbst aber, die er zum Schicksal hypostasiert, hat es ihm angetan. Das liest sich dann so: "Wer nicht begreift, dass sich an diesem Ausgang nichts ändern läßt, daß man dies wollen muß oder gar nichts, daß man dies Schicksal lieben oder an der Zukunft, am Leben verzweifeln muß, wer das Großartige nicht empfindet, das auch in dieser Wirksamkeit gewaltiger Intelligenzen, dieser Energie und Disziplin metallharter Naturen, diesem Kampf mit den kältesten, abstraktesten Mitteln liegt, wer mit dem Idealismus eines Provinzialen herumgeht und den Lebensstil verflossener Zeiten sucht, der muß es aufgeben, Geschichte verstehen, Geschichte durchleben, Geschichte schaffen zu wollen." (Hervorh. im Original) Die Großartigkeit des Schicksals selbst setzt die Differenz: "Der kultivierte Mensch hat seine Energien nach innen, der zivilisierte nach aussen [...] Er repräsentiert den politischen Stil einer ferneren, abendländischen, germanischen, insbesondere deutschen Zukunft. [Das] Wort ‚Ausdehnung ist alles‘ enthält in dieser napoleonischen Fassung die eigentlichste Tendenz einer jeden ausgereiften Zivilisation. [...] Hier gibt es keine Wahl. Hier entscheidet nicht einmal der bewußte Wille des einzelnen oder ganzer Klassen und Völker. Die expansive Tendenz ist ein Verhängnis, etwas Dämonisches und Ungeheures, das den späten Menschen des Weltstadiums packt, in seinen Dienst zwingt und verbraucht, ob er will oder nicht, ob er es weiß oder nicht." Die "modernen Deutschen" seien "das glänzende Beispiel eines Volkes, das ohne sein Wissen und Wollen expansiv geworden ist." (Zitate aus "Der Untergang des Abendlandes, S. 51ff und S. 70f)

Imperialistische Politik zu betreiben – Spenglers politischere Aufsätze dienten in der Mehrzahl dem Zweck, Deutschland nach der "Schmach von Versailles" wieder zu seiner ihm angemessenen Größe zu verhelfen – und sich dabei antiimperialistisch zu fühlen, ist angesichts einer solchen Machtphantasie keineswegs ein Widerspruch.

Antisemitismus und abstrakter Reichtum

Das Bindeglied hierbei war und ist auch heute der Antisemitismus. Im Kapitel "Probleme der arabischen Kultur" weiß er zu berichten: "der moderne Europäer [meint bei Spengler nicht die Deutschen, siehe unten] blickt überall durch die Begriffe Verfassung, Parlament, Demokratie hindurch auf fremde Schicksale, obwohl die Anwendung solcher Vorstellungen auf andere Kulturen lächerlich und sinnlos ist, und der Angehörige des jüdischen consensus verfolgt die Geschichte der Gegenwart, die nichts ist als die der über alle Erdteile und Meere verbreiteten faustischen Zivilisation, mit dem Grundgefühl des magischen Menschen, selbst wenn er von dem abendländischen Charakter seines Denkens fest überzeugt ist.

Da jeder magische consensus landfremd und geographisch unbegrenzt ist, so sieht er unwillkürlich in allen Kämpfen um die faustischen Ideen des Vaterlands, der Muttersprache, des Herrscherhauses, der Monarchie, der Verfassung eine Rückkehr von Formen, die ihm innerlich durchaus fremd und deshalb lästig und sinnlos, zu denen, welche seiner Natur gemäß sind; und aus dem Wort international, das ihn begeistern kann, hört er eben das Wesen des landlosen und grenzenlosen consensus heraus, ob es sich nun um Sozialismus, Pazifismus oder Kapitalismus handelt. Wenn für die europäisch-amerikanische Demokratie die Verfassungskämpfe und Revolutionen eine Entwicklung zum zivilisierten Ideal bedeuten, so sind sie für ihn - was ihm so gut wie nie zu Bewußtsein kommt - der Abbau all dessen, was anders ist als er. Selbst wenn die Macht des consensus in ihm erschüttert ist und das Leben seines Wirtsvolkes eine äußere Anziehung bis zu wirklichem Patriotismus auf ihn übt, so ist seine Partei doch immer diejenige, deren Ziele dem Wesen der magischen Nation am vergleichbarsten sind. Deshalb ist er in Deutschland Demokrat und in England - wie der Parse in Indien - Imperialist. Genau dasselbe Mißverständnis liegt vor, wenn der Westeuropäer die Jungtürken und Reformchinesen für Geistesverwandte, nämlich für ‚konstitutionell‘ hält. Der innerlich zugehörige Mensch bejaht im letzten Grunde doch selbst dort, wo er zerstört; der innerlich fremde verneint, selbst wo er aufbauen möchte. Was die abendländische Kultur in ihren Kolonialgebieten durch Reformen eigenen Stils vernichtet hat, ist nicht auszudenken, und ebenso vernichtend wirkt das Judentum, wo es auch eingreift. Das Gefühl von der Notwendigkeit dieses wechselseitigen Mißverstehens führt zu dem furchtbaren, tief ins Blut gedrungenen Haß, der sich an sinnbildliche Merkmale wie Rasse, Lebenshaltung, Beruf, Sprache heftet, und beide Teile, so oft diese Lage bisher eingetreten ist, verzehrt, verdorben und zu blutigen Ausbrüchen getrieben hat." (Untergang des Abendlandes, S. 954f, Hervorh. im Original)

Gegen die Macht des Schicksals stellt sich der deutschen Ideologie ein Imperialismus, wenn er "landfremd" und "innerlich fremd", d.h. dem "jüdischen consensus" entsprungen ist. Mit dieser antisemitischen Pointe wird Imperialismus zum Synonym für "verneinenden Aufbau", zur Zerstörung innerer Zugehörigkeit. Vor dem Hintergrund, dass für Spengler und den deutschen Imperialismus die Welt nicht nur in Ordnung, sondern erhaben und großartig ist, wenn "eine Privatwirtschaft mit ihrer altgermanischen Freude an Macht und Beute" das Schicksal bestimmt, wird in der Ablehnung des "consensus" das Ressentiment gerade gegen das ökonomische Moment des Interesses erkennbar, dem die bürgerliche Humanität ihre Substanz genauso wie ihren Rassismus verdankte. Das vermittelnde, in Bezug auf ökonomische Interessen unbestimmbare Ganze des Kapitals existiert bei ihm doppelt, nämlich einmal unmittelbar in den Formen des Schicksals, dem sich die Menschen willentlich und ohne materielles Interesse zu unterwerfen haben indem sie sie als ihr Innerstes anerkennen, und einmal als etwas entfremdendes, als "jüdischer consensus". Schon sprachlich steht der "consensus" für die liberale Harmonie des Ganzen. Weil die Einheit dieses Ganzen ohne Kampf zu existieren scheint - weshalb diejenigen, die an ihm teilhaben sollen, alle "entfremdende" Gewalt zerstörerisch nach aussen richten können - zieht sein Wirken den Hass derjenigen auf sich, die diese Einheit für ihre "innere Form" halten und sich dazu bestimmt sehen die Welt so zuzurichten wie sich selbst. Hiermit steht Spengler keineswegs alleine. Vielmehr ist dies eines der zentralen Motive der deutschen antiliberalen Tradition, an der selbst der Neoliberalismus der 50er-Jahre ff teilhat. Gerade der Eintritt des ökonomischen Erfolgs ist es, der die deutschen BetrachterInnen abstößt. Ihr Problem ist, das diejenigen Macht zu erlangen und Beute zu machen scheinen, die die "altgermanische Freude" daran gar nicht empfinden können.

Das in den deutschen Medien permanent prognostizierte wie erhoffte Scheitern der USA, sowohl während des Krieges als auch beim "Wiederaufbau" trägt diese Züge in postfaschistischer Gestalt. Dafür ist eine direkte Parteinahme für "die Araber" gegen die USA nicht nur nicht nötig, sondern auch hinderlich. Die Liebe zur fremden Kultur, wie sie ein Peter Scholl-Latour an den Tag zu legen sich bemüht, ist durchaus eine rassistische. Zu Ehren kommen "die Anderen" nur dann, wenn sie als Projektionsfläche der eigenen Herrschaft zur Verfügung stehen. Dafür werden sie dann aber um so inniger dafür geliebt, dass sie es beispielsweise erlauben, die Vorstellung wiederzubeleben, dass die "Begriffe Verfassung, Parlament, Demokratie" manchen einfach nicht wesenseigen sind und die als US-amerikanisch identifizierte Entnazifizierung also doch irgendwie Zwang war, also Teil des Schicksals, dem sich zu fügen Großes verheißt. Nicht aus humanistischen Gründen haben die Deutschen ihre Vergangenheit bewältigt, sondern ihrer Zukunft als Großmacht wegen. Die herbeigesehnte neue Rolle verlangt subjektive Verarbeitung der alten: "Den Arabern darf die Demokratie nicht wesenseigen sein, weil sie es uns auch nicht war" ist der aus Staatsräson verdrängte und somit unbewußte Wunsch, der die Berichterstattung über den Nachkriegs-Irak leitet.

So klärt sich, warum Leute, deren politischer Horizont ansonsten jenseits der Demokratie das reine Nichts vermutet, eben nicht in Jubelschreie ausbrechen, wenn George Bush junior der arabischen Welt eben diese verspricht, sondern zu 500.000 in Berlin auf die Straße rennen und "Bush = Hitler" Plakate nicht für eine postfaschistische Einverständniserklärung mit der Welt und ihren "Herausforderungen" halten sondern für einen legitimen Ausdruck ihres schlichten Gemüts. Ob sie dabei bejammern, dass die USA jetzt einen Führer haben während sie den ihren nicht einmal betrauern konnten oder einen antifaschistischen Feldzug gegen die USA vom Zaun brechen wollen, sei hier mal dahingestellt. Es ist dies wahrscheinlich der Unterschied zwischen "Bush = Hitler" und "Hitler = Bush."

Genauso macht es übrigens verständlich, warum das Argument, dass Israel ja die einzige Demokratie im Nahen Osten sei, den deutschen Demokraten gegenüber so absolut gar nichts nützt. Denn dass der Jude in Deutschland Demokrat war, wusste man ja schon immer, also nimmt es wenig Wunder, dass er es in Israel jetzt auch ist. Also hat er selbst dort innerlich verneint, wo er aufbauen wollte und wegen des "Gefühls von der Notwendigkeit dieses wechselseitigen Mißverstehens" kam es also "zu dem furchtbaren, tief ins Blut gedrungenen Haß, der sich an sinnbildliche Merkmale wie Rasse, Lebenshaltung, Beruf, Sprache heftet, und beide Teile, so oft diese Lage bisher eingetreten ist, verzehrt, verdorben und zu blutigen Ausbrüchen getrieben hat." Wer kennt sie nicht, die in jeder Tagesschau auftauchende Rede von dem abgrundtiefen Hass auf beiden Seiten. Dass dieser nicht mehr ins Blut dringt, liegt wohl mehr am Ersatz der Rassebiologie durch die Biotechnologie und weniger an aufgeklärter Einsicht seitens der Deutschen.

Allein mit diesem Zitat ließen sich noch etliche Motive der postfaschistischen Sicht Deutschlands auf sich und die Welt bearbeiten und auch die anderen einschlägigen Texte der "konservativen Revolution" der 20er-Jahre, für die Spengler soetwas wie eine Initialzündung war, verraten einiges unerfreuliche über den Werdegang heutiger deutscher Wirklichkeit. Dies auszuführen, dafür ist hier nicht der Platz. Festzuhalten ist zunächst einmal nur, dass sich die Suche nach dem imperialistischen Hauptfeind im eigenen Land in Deutschland um einige Fallen kümmern muss. In die tappt nahezu zwangsläufig, wer innerhalb der Friedensbewegung als deren radikaler Teil agitieren und gleichzeitig den Imperialismus mit antiimperialistischem Gefühlshaushalt im eigenen Land angreifen möchte.

Auch dieser antiimperialistische Gefühlshaushalt ist beherrscht von der Machtphantasie einer Übereinstimmung von Wollen und Können, nur ist hier ein anderes Wollen zu unterstellen. Es ist dies eben kein im obigen Sinne ökonomisches, kein in der eigenen Wahrnehmung an Reichtum und Profit interessiertes, weil es vom Moment der Ohnmacht gegenüber der Krise und ihrer Objektivität seinen Drang zur realen Macht - jenseits der Phantasie - entwickelt. Als solches ist es auch zufrieden, wenn es nur zerstört. Dazu passt, das da, wo zuletzt Deutsche als "Befreier" einmarschierten, im Kosovo, keine Plünderungen stattfanden, sondern als erste Maßnahme die dort wohnenden SerbInnen, Sinti und Roma sowie Jüdinnen und Juden vertrieben wurden. Hauptsache, innerlich Zugehörige bejahen.

So verhielt es sich mit dem deutschen Imperialismus zumindest beim letzten Mal und es steht zu befürchten, dass sich allzu viel beim anstehenden nächsten Anlauf nicht geändert hat. Sicherlich, der neue deutsche antiimperialistische Imperialismus ist momentan nur als einer der EU möglich und außerdem anders ans internationale Recht gebunden als der nationalsozialistische. Gerade letzteres, die Verteidigung des nie so, wie die deutsche Öffentlichkeit es gerade herbei phantasiert, existent gewesenen internationalen Rechts hebt aber auch die antimaterialistische Pointe auf eine neue Stufe. Dass wenig von den Menschenrechten zu halten ist, weil sich auch angesichts ihrer Geltung trefflich verhungern lässt, wie beispielsweise Thomas Ebermann immer mal wieder bemerkt, galt schon immer. Dass es aber zu diesen Rechten gehören soll, materiell knapp gehalten zu werden, weil ansonsten irgendwelche kulturellen Eigenarten flöten gehen könnten, ist neu. Genau das kommt aber heraus, wenn beispielsweise die islamistisch verwalteten kapitalistischen Elendsgebiete deswegen unangetastet bleiben müssen, weil jemand ein ökonomisches Interesse an ihnen haben könnte, neben die Pipeline also einen McDonalds stellen möchte. Es mag andere Gründe gegen einen militärischen Angriff auf den Irak gegeben haben, einige davon habe ich angedeutet, aber genannt wurde bisher im wesentlichen genau dieser.

VI. Die Bedürfnisse jenseits des Interesses

Dass der McDonalds a) eher nicht gebaut werden wird und b) wenn doch in großem Maßstab, die marxistische Kritik des Kapitals ihren historischen Ausgangspunkt wiedergefunden hätte, den Klassenkampf, in dem die Internationale das Menschenrecht erkämpft, verweist allerdings darauf, dass es mit der Abkehr vom allzu positiven Bezug aufs materielle Interesse auch so seine kommunistische Bewandtnis hat.

Auch von dieser Einsicht steckt etwas in der autonomen Bilderwelt, die auf ein problematisches Verhältnis zu den Gegenständen des kapitalistischen Reichtums hinweist. Zumindest gruppe demontage konnte damit auch mal umgehen, als sie zur Selbstbeschreibung den Begriff des "kommunistischen Kosmopolitismus" wählte.

Vermittelt ist diese Einsicht allerdings nur als politischer Reflex, weil sie ihren Ausgangspunkt in einer Wendung gegen die neoliberale "sozialen Marktwirtschaft" in der postfaschistischen Demokratie hat. Ludwig Ehrhards "Wohlstand für alle" war hier durchaus stilbildend und besorgte die Popularisierung des Neoliberalismus. Aufschlußreich für diese Betrachtung ist, wie er im Kapitel "Verführt Wohlstand zum Materialismus?" (S. 211ff, von dort alle nun folgenden Zitate, Hervorh. im Original) zu beruhigen weiß: "Manche Erfahrungen auch in anderen Ländern stimmten skeptisch und lehren, daß die Freizeit, die widerspruchsvollerweise aus dem Wunsch nach erhöhtem materiellen Konsum heraus gefordert und gewährt wird, weder dem Seelenheil des einzelnen Menschen noch seinem äußeren Glück diente." Die Befürchtung, zum Materialismus verführt zu werden, habe also seine Berechtigung, erst recht wegen der "besondere[n] deutschen[n] Situation", die sich ihm als altem Nazi und neuem Bundeswirtschaftsminister 1957 folgendermaßen darstellte: Das deutsche Volk neigt wohl überhaupt dazu, das Gefühl für die Realitäten recht schnell zu verlieren, eine Charakterschwäche, die uns gerade auch in jüngster Vergangenheit zum tragischen Verhängnis geworden ist. Es mag psychologisch verständlich erscheinen, daß mit der Überwindung der Not und gar der Hochkonjunktur da und dort Anzeichen einer Hybris zu spüren sind. Um so mehr gilt es diese zurückzudämmen, damit unser Volk, das in der Not die bewundernswertesten Tugenden entfaltet, Zeiten des Glücks wirklich ertragen kann." Schwere, seelenlose Zeiten stehen also bevor. Ertragen werden muss nichts schrecklicheres als Glück, aber es gibt Hoffnung. Denn was sein muss ist der "Wille zum Verbrauch": Der Zustand einer in Permanenz optimal ausgelasteten Wirtschaft, die zugleich auch die Wachstumskräfte lebendig halten und im Fortschritt bleiben will, setzt allerdings eine dynamische und im Grunde konsumfreudige Bevölkerung voraus. Erst dieser von mir oft angeschnittene Wille zum Verbrauch gestattet es, daß sich die Produktion ohne Störungen fortentwickeln kann und daß das Streben nach Rationalisierung und Leistungsverbesserung lebendig bleibt." Wäre ja wohl gelacht, wenn das Leben nicht ein Schicksal Spenglerschen Ausmaßes bereit gehalten hätte bevor alles im Wohlleben erschlafft. Wie die westliche Demokratie ließ sich so sogar der materielle Reichtum ertragen. Auf dieser Basis ließ sich dann die absurde Überlegung formulieren, dass "je besser es uns gelingt, den Wohlstand zu mehren, um so seltener werden die Menschen in einer nur materiellen Lebensführung und Gesinnung versinken."

Der reale Schein der Autonomie

Wo die Produkte des Reichtums unmittelbar Befehl sind, ist Konsumverweigerung Befehlsverweigerung und damit nicht völlig zu unrecht linke Angelegenheit. In dem Moment, in dem ein Wirtschaftsminister derartiges predigt, ist dies das sichere Zeichen dafür, dass es endgültig an der Zeit ist, "daß Streben nach Rationalisierung und Leistungsverbesserung" als unnötig zu erachten und Arbeit, den lebendigen Träger dieser Rationalität, nicht mehr länger als Naturnotwendigkeit zu sehen. In dieser Konstellation kann sich der Subjektivismus entfalteten, der die Politik der Neuen Linken und hier insbesondere den spontaneistisch/Autonomen Flügel und ihre Vorstellung vom Imperialismus bestimmte.

Was so entsteht, ist der reale Schein einer Wahlmöglichkeit zwischen Arbeit und Konsum auf der einen oder weniger Arbeit und weniger Konsum auf der anderen Seite. In diesem Schein besteht die "Autonomie", die das autonome Selbstverständnis ausmacht. Der Verzicht auf die Rationalität des ökonomischen Gesamtzusammenhangs – von der kritischen Theorie als objektives Verhängnis und subjektive Regression analysiert – erscheint den Einzelnen als ihr subjektives Vermögen und liefert sie so der instrumentellen Vernunft aus. So verwandelte die Gestalt des auf Massenkonsum geeichten produktiven Kapitals die Frage nach den eigenen Interessen in eine nach den eigenen Bedürfnissen.

 

Wahres und falsches Bedürfnis

Es entsteht der Wunsch, an sich selbst eine Trennung wahrer und falscher Bedürfnisse vollziehen zu können und heraus kommt – nicht nur die Alternativbewegung der 80er hat es demonstriert – die Denunziation "materieller Bedürfnisse" als Falsche. "Sein" statt "Haben" sei angesagt. Liefen wir nicht immer der materiellen Reproduktion (die Produktion als Zwang scheint ja "ausgeschaltet") unseres Lebens hinterher, so der Gedanke, gestalteten sich auch unsere persönlichen Beziehungen besser, wäre der Konsum nicht Reproduktion sondern Genuß und das Bedürfnis nach Reproduktion nicht patriarchal. Es ist dies kein absolut falscher Gedanke, wäre er nicht unter dem Schein der freien Wahl, der in den Metropolen den der Konkurrenz durch Integration ersetzt hat, der Anreiz, mit der Suche nach der Ausmerze der falschen Bedürfnisse noch strenger fortzufahren – denn Glück und Genuß sind ja noch nicht. Nicht zufällig vergeht diese Vorstellung regelmäßig, wenn es die neuen Lebensumstände nach Abschluß des Studiums erzwingen. Es zeigt sich dann, dass der Schein der Autonomie so, wie er in der autonomen Subkultur gelebt werden kann, sich nur solange positiv fassen läßt, solange von den Individuen, die die Autonomie für sich in Anspruch nehmen, noch kein Beitrag zur Produktion der Gesellschaft verlangt wird – also in der Ausbildung. Die erleichterte Reproduktion, die die Gesellschaft den in der Ausbildung befindlichen gewährt, ist nichts als ein Vorschuß auf zukünftiges Funktionieren.

So zur Auseinandersetzung mit der eigenen Subjektivität gezwungen, ergibt sich eine sehr viel radikalere Perspektive auf die Zumutungen der gesellschaftlichen Totalität als die Arbeiterbewegung sie je gehabt hat – wenn es zu einer Kritik überhaupt noch kommt. In den Mittelpunkt der Kritik kann die Gewalt rücken, die sich die Individuen im Verlauf der Vermittlung ihrer Bedürfnisse mit den ökonomischen Gegebenheiten anzutun gezwungen sind. Nicht, dass diese nicht schon immer Thema bürgerlicher wie proletarischer Selbstreflexion gewesen wäre. Politisch organisierbar wie in der antiautoritären Bewegung war sie aber zuvor nicht. Die Kritik dieser Gewalt schließt die Kritik des Ökonomischen als solches mit ein und befindet sich damit jenseits der Interessen. Ein ökonomisches Bedürfnis kann es nicht geben bzw. wenn, dann besteht es ausschließlich in der Verneinung des Interesses, wie sie der Antimaterialismus heute praktiziert.

Die Internationale in den Metropolen und damit auch die Vorstellungen von Imperialismus hat diese Entwicklung gehörig durcheinander gebracht und dabei den Internationalismus produziert, denn: "Die Frage nach der Sofortbefriedigung des Bedürfnisses ist nicht unter den Aspekten gesellschaftlich und natürlich, primär und sekundär, richtig und falsch zu stellen, sie fällt zusammen mit der Frage nach dem Leiden der gewaltigen Mehrheit aller Menschen auf der Erde. Wird produziert, was alle Menschen jetzt, hier am dringendsten brauchen, so ist man allzu großer sozialpsychologischer Sorgen wegen der Legitimität ihrer Bedürfnisse enthoben. Diese Sorgen entstehen vielmehr erst, wenn sich boards und bevollmächtigte Kommissionen etablieren, die Bedürfnisse klassifizieren und unter dem Ruf, der Mensch lebe nicht vom Brot allein, ihm einen Teil der Brotration, die als Ration immer schon zu klein ist, lieber in Gestalt von Gershwinplatten zuteilen." (Adorno, Theodor W., Thesen über Bedürfnis, in: ders., Soziologische Schriften, S. 395, Hervorh. im Original) Hier liegt die kommunistische Motivation begründet, vom Interesse den Abstand zu gewinnen, den dieses gegenüber den Individuen und ihren Bedürfnissen hat. Der linke Internationalismus hat sich mit einem Problem herumzuschlagen das entsteht, weil die ideelle eine Menschheit, die der Internationalismus proklamieren muß und die Adorno hier proklamiert, in der Wirklichkeit selbstverständlich nicht existiert. Die Gershwinplatten bekommen diejenigen zugeteilt, die problemlos ahnen können, dass die Brotration keine Ration sein muß. Dementsprechend scheint an den Gershwinplatten anderes falsch zu sein als die Bedingungen, unter denen sie produziert wurden. Genauso wie sie existieren, weil der Imperialismus als Synonym für die aktuelle Gestalt des Kapitalismus ein Interesse an ihrer Produktion hat, er also zum "Willen zum Verbrauch" verpflichtet, erscheint in ihnen dieser Wille als ein ökonomisches Interesse am Fortbestehen des Imperialismus. Denn alternativ könnten sich die Platten hier ja auch in Brot dort verwandeln.

"Würde ich jetzt nicht den teuren Lachs, könnten soundsoviele Kinder in der dritten Welt eine Handvoll Reis ..." lautet der zugehörige Gedanke. Eine Verwandlung, die nur mit der von Wasser in Wein verglichen werden kann, weil dies bei gegebener materieller Beschaffenheit der Produktivkräfte unmöglich ist. Fabriken und erst recht die Landwirtschaft sind keine Replikatoren. Gleichzeitig affirmiert aber dieser Gedanke die Produktionsverhältnisse, denn nur unter der Bedingung der universellen Geltung der Tauschabstraktion ist es überhaupt möglich, mal eben so Lachs durch Reis von gleichem Wert zu substituieren. Wie nah am antisemitischen Ressentiment wiederum eine solche ethische Affirmation der Wertform ist, hat zuletzt, nach allem was an Zusammenfassungen in den Feuilletons zu lesen war, wohl Ted Honderich mit seinem Traktat "Nach dem Terror" demonstriert.

Da zudem – bei korrekter Fassung des Vergleichs – ja Wein in Wasser verwandelt werden müßte, verschwindet auch noch der Gedanke an ein besseres Leben und die Abkopplung von der Materialität des Bedürfnisses ist perfekt. Wenn die IslamismusexpertInnen der deutschen Öffentlichkeit diesem mit Gerechtigkeit beikommen möchten, ist genau eine solche Abkopplung die Voraussetzung. Ein Schritt, den der linke Internationalismus ungern machen möchte – es wäre auch seine Selbstaufgabe – dem er sich seiner eigenen Geschichte nach aber nicht wirklich entgegenstellen kann.

Viel zu sehr lebt der internationalistische Begriff vom ökonomischen Interesse und das damit verbundene Bild vom Imperialismus von der Vorstellung eines ursprünglichen Reichtums, der sich wieder einstelle, sobald der Imperialismus seine Truppen und sein Interesse von ihm abzöge. Verzicht (aufs Interesse) hier, schaffe Reichtum dort. Dieser permanente Aufruf zum Verzicht aufs "Objekt der Begierde" trifft sich allzu häufig mit jener kapitalistischen Ethik die sich entwickelt, weil die Individuen eben nicht für sich und ihre Bedürfnisse, sondern den Gesetzen der Dinge gemäß produzieren. Sind die zudem dem "Willen zum Verbrauch" verpflichtet, reproduzieren sie sich auch noch gemäß diesen Gesetzten, die der Wertform ihrer Arbeitsprodukte geschuldet ist. Ihren ursprünglichen Reichtum suchen sie so in ihrem Innern, weshalb sie immerzu an ihrem Seelenheil zu werkeln haben.

Die sich selbst als "amerikanisiert" erlebende deutsche Öffentlichkeit, in deren Psychologie das "Wirtschaftswunder" bzw. der "Wille zum Verbrauch" untrennbar mit dem Marshallplan und damit mit den USA verknüpft ist, kümmert sich in der Sorge ums islamische Seelenheil vornehmlich ums eigene. Seiner suspekten vermeintlichen Herkunft wegen droht der notwendige "Verbrauch", so die Sorge, permanent in "Konsum" umzuschlagen. Wer "Kein Frieden mit Deutschland" propagiert, sollte diese Sorge ums eigene Seelenheil weniger als zu radikalisierendes Potential betrachten, sondern als Drohung, auch in Zukunft an Befreiung nicht interessiert zu sein. Sollte sich diese Befürchtung bei einzelnen Beteiligten als falsch erweisen: Um so besser.

Glossar:

Zeck - Regelmäßige Infobroschüre der Roten Flora, Autonomes Zentrum in Hamburg.

Zitierte Literatur:

Adorno, Theodor W., Thesen über Bedürfnis, In: Ders., Soziologische Schriften I, S. 392ff, Frankfurt am Main 1979

Autonome Gruppen, Hamburg, Kapitalistische Kriege und kapitalistischen Frieden bekämpfen, Zeck 113

gruppe demontage, Kein Krieg im Irak - Kein Friede mit Deutschland, Zeck 114, www.demontage.org

Ehrhard, Ludwig, Wohlstand für alle, Düsseldorf, 1957

Marx, Karl, Das Kapital, MEW 23, Berlin 1962

Spengler, Oswald, Der Untergang des Abendlandes, zitiert nach Sonderausgabe München 1981, Erstausgabe 1918

Ergänzendes:

Pohrt, Wolfgang, Anti-Imperialismus, Anti-Amerikanismus, In: Stammesbewußtsein - Kulturnation. Pamphlete - Essays - Feuilleton, Berlin 1984, S. 70ff.

Pohrt, Wolfgang, Durchbruch in die gleiche Richtung, Konkret 01/1992, S. 32. Hier finden sich einige Spekulationen in Bezug auf den Charakter des deutschen Imperialismus, entwickelt aus der NS-Politik Jugoslawien gegenüber, die sich umgekehrt auch aus der hier dargestellten Position der deutschen Öffentlichkeit zum Irak-Krieg ergeben. Unter anderem heisst es dort resümierend: "Wenn heute die Motive für den verbissenen Eifer rätselhaft bleiben, den Deutschland bei seinen Attacken auf Jugoslawien entwickelt, so deshalb, weil die Politik das Ereignis antizipiert, das sie erklären würde. Als hätte der bevorstehende Kollaps der Weltwirtschaft [im hier behandelten Zusammenhang = Untergang der USA als Weltmacht, JM] schon stattgefunden, stellt man sich hier auf Verhältnisse ein, unter denen die herkömmliche ökonomische Vernunft keine Basis in der Realität mehr besitzen würde. Denn ist der Kapitalismus einmal zusammengebrochen, so gewinnt die Regression eine gewisse Plausibilität, statt in Wertverhältnissen wieder in Naturalien zu denken. Nicht mehr die Höhe des Bruttosozialprodukts, die Außenhandelsbilanz und die Stabilität der Währung zählen dann. Denkt man sich den internationalen Warentausch weg, so kommt es allein auf die direkte, nicht ökonomisch vermittelte Verfügungsgewalt über Nahrungsmittel, Ackerland, Bodenschätze, Arbeitskraft und andere Ressourcen an. Die neueste Ökonomie ähnelt der ganz alten, wo man sich statt aufs Sparbuch lieber aufs Eingemachte im Keller verließ. An die Stelle der wirtschaftlichen Konkurrenz zwischen den Nationen tritt wie zuvor im Zeitalter der Dynastien wieder der Kampf um Gebiete. Der bankrotte Osten und Südosten, den keiner geschenkt haben möchte, der in den noch gültigen ökonomischen Kategorien denkt, verwandelt sich dann in den Lebensraum, von dem die Nazis schwärmten. Wo heute die nackte Not regiert, entstehen vor dem inneren Auge auf der Landkarte schon Kornkammern und Erdöllager. Die Welt erscheint als Anhäufung von Beutegut, und sie wird mit den Augen des Plünderers betrachtet. Vergessen wird dabei freilich, daß der existierende Reichtum unter dem Kapital nur ein flüchtiges, ein verschwindendes Moment seiner Bewegung ist. Es lohnt kaum, sich in den Besitz irgendwelcher Produkte zu bringen, wenn man nicht auch produzieren kann, wozu wiederum die Einrichtung des entsprechenden gesellschaftlichen Produktionsverhältnisses erforderlich wäre." Interessant für ein Verständnis der Probleme der autonomen Imperialismustheorie ist hierbei der Kontrast zu

Hartmann, Detlef, Völkermord gegen soziale Revolution - Das US-imperialistische System von Bretton Woods als Vollstrecker der nationalsozialistischen Neuen Ordnung, In: Autonomie. Materialien gegen die Fabrikgesellschaft. Neue Folge Nr. 14, Hamburg 1985. Versucht sich zwecks eines Vergleichs mit dem "US-Imperialismus" ebenfalls an einer Einschätzung der Politik der Nazis in bzw. gegenüber Südosteuropa. Bringt ansonsten zur Kenntnis, das die autonome Theoriebildung auch schon mal bessere Tage gesehen hat.

Sohn-Rethel, Alfred, Ökonomie und Klassenstruktur des Faschismus, Frankfurt am Main 1973. Entwickelt einige hier vertretene Überlegungen ausführlich. 

Editorische Anmerkungen

Die AutorInnen schrieben uns am 17.9.2003:

Liebe GenossInnen,

anbei ein Text namens "Doing Weltmacht. Ökonomischen Interesse und Antiimperialismus in Deutschland.", der sich zur einen Seite hin noch einmal recht ausführlich mit dem Irak-Krieg, der Friedensbewegung und der Linken befasst und zur anderen Seite hin, ausgehend von den Stellungnahmen zweier linksradikaler Hamburger Gruppen (gruppe demontage und ein Bündnis Autonomer Gruppen) theoretische Überlegungen zum Begriff des ökonomischen Interesses und zur Imperialismustheorie anstellt und insofern nicht unbedingt den aktuellsten politischen Ereignissen verpflichtet ist. Ich hoffe, dass er die aktuellen Fronten ein wenig durcheinanderwirbelt.

In der Hoffnung, das ihr etwas damit anfangen könnt, schicke ich ihn Euch zur Veröffentlichung. Er ist nicht gerade kurz, aber im Internet geht da ja einiges mehr als in Zeitschriften. Die PDF-Version ist ausserdem zum Weiterverteilen (auch in gedruckter Form gedacht). Auch dazu rufe ich Euch hiermit gerne auf. Falls ihr eine Mailadresse angeben möchtet, nehmt bitte nur die anonyme JMProductions@gmx.net. Der Link auf die No Birds Seite funktioniert momentan noch nicht, der Genosse, der die Seiten betreut, bekommt die endgültigen Versionen der Dateien gleichzeitig mit Euch. Wundert Euch also bitte nicht, falls ihr früher dran seid.

Bis dann und viele Grüße