Kriminalschriftsteller Gilles Dauvé
Linksradikaler, Negationist, Anarchist, Situationist

von Gudrun Eussner 

09/03
 
 
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Gilles Dauvé ist der Sohn von Guy Dauvé. Dieser ist seit 1943 unter dem Vichy-Regime Kommissar der Renseignements Généraux (RG), des französischen Staatsschutzes. In der Funktion des Kommissars bleibt er für seinen Chef Maurice Papon, Innenminister unter Staatspräsident Philippe Pétain, Polizeipräfekt und Budgetminister unter den Staatspräsidenten Charles de Gaulle und Valérie Giscard d'Estaing, ununterbrochen in der Überwachung der extrem linken Bewegungen tätig. Seine letzte, die Karriere krönende Amtshandlung ist ab Oktober 1980 die systematische Zerstörung durch Verleumdungen, Gerüchte und Bedrohungen bis hin zu Morddrohungen der Präsidentschaftskandidatur des unabhängigen Linken Michel Colucci, bekannter unter seinem Clownsnamen Coluche.

Als er sich Ende der 60er Jahre zu den extrem Linken gesellt, nutzt der Sohn des Kommissars, Gilles Dauvé, das Pseudonym Jean Barrot. Seit 1967 frequentiert er die zu der Zeit noch nicht negationistische anarchistische Buchhandlung La Vieille Taupe (Der Alte Maulwurf). 1970 stößt er auf Veröffentlichungen der Urväter aller Negationisten, des Amadeo Bordiga, eines ehemaligen Funktionärs der kommunistischen Partei Italiens (PCI), schon in den 20er Jahren seiner Nähe zum Nationalbolschewismus wegen aus der Partei ausgeschlossen, und des Paul Rassinier, eines ehemaligen Kommunisten, dann Sozialisten sowie für kurze Zeit Widerstandskämpfers und Deportierten, der sich nach dem Krieg in wüstestem Antisemitismus ergeht, seine Biographie fälscht und seine Freunde unter extremen Rechten und Alt-Nazis wählt. Er schreibt Bücher, in denen er nach und nach den Genozid an den Juden leugnet.

Die exemplarische Reise eines linken Negationisten

Unter seinem Pseudonym Jean Barrot gibt Gilles Dauvé in der Zeitschrift Le Mouvement Communiste (die kommunistische Bewegung) 1973 eine Schmähschrift mit dem Titel "Auschwitz ou le grand alibi" (Auschwitz oder das große Alibi) heraus. Darin erklärt er, die Nazis hätten die Juden nicht als Juden, sondern als Arbeiter vernichten wollen. Der von Amadeo Bordiga inspirierte Text erscheint erstmalig 1960 in der Zeitschrift Programme Communiste, dem theoretischen Organ des Parti Communiste International (Internationale kommunistische Partei). Dort heißt es in einer äußerst eigenwilligen Interpretation der Realität:

"Alle unsere guten antifachistischen Demokraten haben sich gleichzeitig auf die Leichen der Juden gestürzt. Und von dieser Zeit an halten sie sie unter die Nase des Proletariats. Damit es die Schande des Kapitalismus versteht? Nein, im Gegenteil: damit es im Kontrast die echte Demokratie, den echten Fortschritt ... der kapitalistischen Gesellschaft genießt und würdigt."

Der Text gibt insgesamt weder den Nazis noch den Antifaschisten recht. Der Nationalsozialismus sei der schrecklichste Ausdruck des Kapitalismus, aber der Kapitalismus würde diese Wahrheit verstecken und nur zeigen, wie schrecklich der Nationalsozialismus war, damit die Leute nicht sehen, wie schrecklich er selbst ist. Immer wenn er in Gefahr sei, bediene sich der Kapitalismus des Antifaschismus.

In dem Text werden einmal mehr die Täter, die sich angeblich auf den "Mittelstand" beschränken, zu Opfern stilisiert, die gewissermaßen zur Rettung der Art aus natürlichem Überlebenswillen einen Teil ihrer selbst, die Juden, vernichten mußten:

"Unter dem ungeheuren wirtschaftlichen Druck, angesichts der Vernichtungsgefahr, die das Leben aller seiner Mitglieder unsicher machte aber noch allgemein und diffus war, hat der Mittelstand einen seiner Teile in der Hoffnung geopfert, so das Leben der anderen zu retten und zu sichern. Der Antisemitismus rührt ebensowenig von einem "machiavellischen Plan" wie von einer "inneren Pervertiertheit" her. Er ist eine direkte Konsequenz des wirtschaftlichen Zwangs. Statt die erste Ursache der Ausrottung der Juden zu sein, ist der Judenhass nur der Ausdruck des Wunsches, die Vernichtung auf sie zu konzentrieren und zu beschränken."

Dieser Text begründet den Negationismus der französischen extremen Linken.

Gilles Dauvé arbeitet auch bei der linksextremen Zeitschrift Guerre Sociale (Sozialer Krieg) mit, die 1979 mit dem Text "De l'exploitation dans les camps à l'exploitation des camps" (Von der Ausbeutung in den Lagern bis zur Ausbeutung der Lager) den Negationismus in die Kreise der Anarchisten und Linksextremen verbreitet.

Er trifft den Negationisten Robert Faurisson, der 1978 in der Abendzeitung Le Monde eine Diskussion zum Thema "La rumeur d'Auschwitz" (Das Gerücht über Auschwitz) eröffnet. Dort werden die negationistischen Thesen einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Der Negationist Robert Faurisson schließt sich der inzwischen von Pierre Guillaume als Verlag geführten Vieille Taupe und seiner gleichnamigen Revue an. Der aus dem Linksextremismus und Anarchismus hervorgegangene Verlag widmet sich ausdrücklich dem Revisionismus und dem Negationismus.

Im Dezember 1978 ist Gilles Dauvé einer der Mitautoren des Verteidigungsbriefes für Robert Faurisson in der Tagezeitung Libération.

In den 80er Jahren geben Gilles Dauvé und Serge Quadruppani die nur einem kleinen Kreis gleichgesinnter Linksextremer bekannten Zeitschriften Le Frondeur (Der Nörgeler), Mordicus (Beißend) und Le Brise-Glace (Der Eisbrecher) heraus. Die Gaskammern seien der Phantasie der Deportierten entsprungen, schreiben sie dort.

Negationismus und Pädophilie: Tabu brechen, um die Proletarier zu befreien!

Von der Zeitschrift Guerre Sociale distanzieren sich deren Mitarbeiter Gilles Dauvé und der Kriminalschriftsteller und Italienisch-Übersetzer Serge Quadruppani, angeblich weil deren Herausgeber Pierre Guillaume und dessen Negationistenverlag La Vieille Taupe unterstützen. Sie gründen die Zeitschrift La Banquise (Das Packeis) mit provokatorischen Inhalten, wie Satanismus, Pädophilie und selbstverständlich Negationismus. Sie erscheint von 1983 bis 1986 mit vier Nummern. La Banquise Nr.1, steht unter dem Motto: "Für eine Welt ohne Moral!" Im Gründungsartikel "L'Horreur est humaine" (Der Schrecken ist menschlich) wenden sie sich vom Antisemitismus ab, nicht ohne jedoch ihre gediegenen Ansichten über diesen beizubehalten: "Die Konzentrationslager sind die Hölle einer Welt, in der der Supermarkt das Paradies ist", schreiben sie.

Das Prinzip von La Banquise sei es, Tabus zu brechen, weil der Kapitalismus und die Reaktion sich durch Tabus schützten. Gilles Dauvé und Serge Quadruppani betrachten die Anerkennung der geschichtlichen Tatsache des Holocaust als ein Tabu, das es zu brechen gelte. Mit dem Tabu des Holocaust seien Proletarier und Arbeitgeber gegen den Faschismus vereinigt zum Nutzen der Arbeitgeber, weil die Proletarier, während sie gegen den Fachismus kämpften, den Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung vernachlässigten.

Weil die Zerstörung dieses Tabus ihnen nicht genug ist, versuchen sie, auch das Tabu der Pädophilie zu brechen. Sie schreiben:

"Heute sind sich die Intellektuellen der rein historischen Eigenschaft der Tabus bewußt, die bisher als naturgegeben betrachtet wurden. Das ist aber nur ein intellektuelles völlig von ihrem eigenen Leben getrenntes Bewußtsein. Man wird einen Universitätsprofessor mit derselben Hysterie reagieren sehen wie einen Proletarier, wenn jemand darauf verfallen würde, sein Kind unsittlich zu berühren. Einer der Gründe, die den Schrecken der Lager sowohl für den Intellektuellen als auch für den Proletarier noch schrecklicher machen, kommt daher, daß sie eine Menge westlicher Tabus durcheinander gebracht haben: den Tod und die Leichen, die Kinder, die Nacktheit der Körper und die sado-sexuellen Phantasien."

Bei Gilles Dauvé und den Linksextremen gehören die Ablehnung des Menschen, des lebendigen menschlichen Körpers und die Leugnung der Lager zusammen. Sie zeichnet ein Haß auf die Menschen aus, die allein unter Verwertungsaspekten beurteilt werden. Das gilt ebenso für ihre Einstellung gegenüber Frauen, denen sie ein Recht auf Unversehrtheit absprechen. Sie verteidigen den Vergewaltiger.

mi(e)s pédophiles, bonjour! (Paedophile Freundinnen und Freunde, guten Tag!), begrüßen sie 1983 in La Banquise Nr. 2 ihre Leser. In ihrer Zeitschrift Mordicus schreiben diese Menschenhasser: "Die bezüglich des Mordes an Kindern herrschende organisierte Hysterie ist die Folge von deren Rolle als Große Kompensatoren."

Gilles Dauvé meint denn auch über Pierre Guillaume und seinen negationistischen Verlag La Vieille Taupe, daß dieser sich zwar an den "Mythos" der Gaskammern gemacht habe, weil seine Zerstörung am meisten Erschütterung bewirkte, er hätte aber auch genauso gut ein großes anderes Tabu brechen können, wie das der Pädophilie.

Diskrete Erlösung

1996, vieilleicht, weil sie fühlen, daß diese negationistische Vergangenheit problematisch für sie werden könnte, schreiben Gilles Dauvé, Serge Quadruppani und François-Georges Lavacquerie, um sich reinzuwaschen, "Libertaires et 'Ultra-gauche' contre le négationnisme" (Anarchisten und Ultralinke gegen den Negationismus), mit einem Vorwort von Gilles Perrault, einem der Begründer und Sprecher der wichtigsten französischen Antifa-Organisation und ihrer Zeitschrift Ras l'Front, die beim linksradikalen Verlag Réflex veröffentlicht wird. Gilles Dauvé bewertet im Original seines Beitrages die Gaskammern als "gigantesque détail de la Seconde Guerre mondiale" (gigantische Einzelheit des Zweiten Weltkriegs), eine Einschätzung, die später wörtlich vom Präsidenten des Front National Jean-Marie Le Pen übernommen wird. Der Nürnberger Prozeß ist für die Autoren nicht betrügerischer als jeder andere. Im Schlußdruck entfernt Gilles Perrault die Äußerung über die "gigantische Einzelheit" als schlechten Geschmack, verteidigt sie aber.

"In dem die Extremisten der Shoah der Geschichte der Förderung ihrer mystischen Thesen und der Rechtfertigung der Politik des Staates Israel dienen wollen, schaden sie der historischen Forschung sehr, vor allem, in dem sie zweifelhafte Zeugen wie Elie Wiesel anerkennen ...", steht ebenso in dem angeblich selbstkritischen Buch.

Die Geschichte kommt ins Rollen, als der Kriminalschriftsteller und Mitbegründer von Ras l'Front Didier Daeninckx, der im selben Verlag veröffentlicht wie Serge Quadruppani, ohne dessen Vergangenheit zu kennen, erfährt, daß Gilles Dauvé ebenfalls einen Roman in diesem Verlag veröffentlichen will. Er kennt Gilles Dauvé dem Namen nach und beschließt, weiter nachzuforschen. Er findet alte Nummern von Guerre Sociale. Daraufhin informiert er Gilles Perrault, der für Gilles Dauvé und Serge Quadruppani wohlwollende Erklärungen und Ausreden findet.

Der Verlag Réflex versteht nicht, wieso dieses Buch von ehemaligen Anarchisten und Linksextremen, die auch mit Negationistenkreisen in Berührung gekommen seien, so umstritten und von Haß und Diffamierung durch bestimmte Personen aus dem linken Spektrum, allen voran des Kriminalschriftstellers Didier Daeninckx verfolgt ist. Diese reichhaltige Dokumentation und die Ernsthaftigkeit der Autoren, die einen Schlußstrich unter ihre Vergangenheit und ihre politischen Aktivitäten ziehen wollten, hätten das Verdienst, die Lage zu klären.

Didier Daeninckx recherchiert weiter, sowohl über die Vergangenheit seines Kriminalschriftstellerkollegen Gilles Dauvé als auch des Schriftstellers und Geheimdienstagenten Gilles Perrault, der während des Algerienkrieges Fallschirmspringer ist, der die Folterer General Jacques Massu und General Marcel Bigeard verteidigt, Mitleid mit Rudolf Hess hat, der "schon inhaftiert war, als noch nicht der erste Ofen in Auschwitz rauchte" und der den Holocaust herunterspielt.

Didier Daeninckx entdeckt, daß Gilles Perrault in der 60er Jahren seinerseits extrem rechte Bücher verfaßt und für die vom französischen Geheimdienst finanzierte rechtsextreme Zeitschrift Le Nouveau Candide (der Neue Aufrichtige) tätig ist. Die Veröffentlichung der Untersuchung führt zu einer großen Krise bei Ras l'Front und in der Krimischriftsteller-Szene, die sich deutlich links engagiert. Diedier Daeninckx wird im Juli 2001 während eines Vortrages von gedungenen Schlägern tätlich angegriffen.

Wenn Leugner leugnen, daß sie Leugner waren .....

Quellen

Internationale Situationniste. RÉVOLUTIONNER LA VIE QUOTIDIENNE
http://perso.wanadoo.fr/libertaire/archive/98/206-mai/situ68.htm 

1981: Les Renseignements Généraux contre Coluche ..... Par Didier Daeninckx, Paris, 3 avril 2001
http://www.amnistia.net/news/articles/rgcoluch/rgcoluch.htm 

Rassinier: un imposteur. Pratique de l’histoire et dévoiements négationnistes
http://www.phdn.org/negation/rassinier/index.html 

Auschwitz oder das große Alibi. Internationale Bibliothek der Kommunistischen Linken.
http://www.sinistra.net/lib/upt/kompro/cipo/cipoqgabed.html 

Faurisson, un falsificateur. Pratique de l’histoire et dévoiements négationnistes
http://www.phdn.org/negation/faurisson/ 

Ras l'Front, n°39, 07-08/1996
Collectif, Négationnistes, les chiffonniers de l'histoire, Golias/Syllepse, 1997

Didier Daeninckx, Le Goût de la Vérité, Verdier, 1997
Le goût de la vérité. Réponse à Gilles Perrault, par Didier Daeninckx.
Darin: Que Perrault s'explique, par Robert Deleuse, Libération, 4 décembre 1997
http://www.editions-verdier.fr/france/titres/gout_verite.htm 

Négation des camps et promotion de la pédophilie, par Didier Daeninckx, 13 janvier 2000
http://www.amnistia.net/news/enquetes/negped/negped.htm 

Les profiteurs du "Grand Bazar", par Didier Daeninckx, Les enquêtes interdites, 12 mars 2001
http://www.amnistia.net/news/articles/profbazr/profbazr.htm 

Gilles Dauvé ist auch Autor oder Mitautor mehrerer Bücher :

"Communisme et question russe" (Kommunismus und russische Frage), La Tête de Feuille, 1972, "La Légende de la gauche au pouvoir, le Front populaire" (Die Legende von der Linken an der Macht, die Volksfront), La Tête de Feuille, 1973, "La Gauche communiste en Allemagne" (Die kommunistische Linke in Deutschland), Payot, 1976 und "Bilan, contre-révolution en Espagne", (Bilanz. Gegenrevolution in Spanien), 1979

Der Artikel baut auf einem Entwurf auf, der mir vom "Informationsdienst gegen Rechtsextremismus" übermittelt wurde. Ich danke dem Verfasser http://www.idgr.de 

Editorische Anmerkungen

Gudrun Eussner schrieb diesen Artikel am 6.6.2003   und übersandte ihn uns im September 2003 zur Veröffentlichung.

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