Leiharbeit in Deutschland: erstens gesetzlich geregelt und zweitens tarifvertraglich abgesichert

von Red. Gegenstandpunkt

09/03
 
 
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Anfang des Jahres hat der Bundestag eine Gesetzesreform zur sogenannten Arbeitnehmer-Überlassung beschlossen, die nächstes Jahr in Kraft tritt. Diese Neufassung des Gesetzes sieht vor, dass für Leiharbeitnehmer das Prinzip der Gleichbehandlung und Gleichbezahlung gilt. Damit sind zukünftig alle Vereinbarungen hinfällig, nach denen - wie es im Wortlaut heißt - „Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an einen Entleiher schlechtere als die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts vorsehen”.

Mit dieser Gesetzesnovelle ist freilich nicht ein ehernes Gewerkschaftsdogma gesetzlich fixiert worden, das da lautet: Für gleiche Arbeit muss gleicher Lohn gezahlt werden. Denn das Gesetz formuliert im Nebensatz gleich die Ausnahme von dem Gleichbehandlungsgrundsatz: Es sei denn, so heißt es darin, dass ”... ein Tarifvertrag abweichende Regelungen zulässt“.

Das Gesetz wollte nämlich keinesfalls eine verschärfte Form der Ausbeutung von Lohnarbeit verbieten. Ganz im Gegenteil: Es wollte diese Branche aus ihrer ”Schmuddelecke herausholen”, wie Wirtschaftsminister Clement ausdrücklich klarstellte. Nach offiziellem Bekunden der Regierung geht es darum, einen ”endgültigen Durchbruch für die Zeit- und Leiharbeit auch in Deutschland” zu erreichen und so auf breiter Front den Kapitalisten einen günstigen Sektor des Arbeitsmarktes zu eröffnen.

Mit dem Anheuern von Leiharbeitern sparen sich entleihende Betriebe nämlich erstens Sozialabgaben, zweitens den Kündigungsschutz und drittens immer öfter auch direkt Teile des Stundenlohns.

Leiharbeiter kriegen Stundenlöhne ausgezahlt, die 30% und 40 % unter den betriebsüblichen liegen: An ihrer Ausbeutung muss ja noch ein zweiter Kapitalist, der Zeitarbeits-Unternehmer, verdienen. Mit ihrem Geschäft sorgen Zeitarbeitsfirmen für die Senkung der betrieblichen Lohnkosten und machen sich auf diese Weise für die Senkung des gesamtnationalen Lohnniveaus verdient.

Der Bundesregierung reichte das allerdings noch nicht. Dass Leiharbeit noch immer die Ausnahme von der Regel ist, soll mit der neusten Reform endlich anders werden. Mit der Einrichtung der im ”Hartz-Konzept” vorgesehenen Personalserviceagenturen bei den Arbeitsämtern, die bevorzugt von privaten Zeitarbeitsfirmen betrieben werden sollen, wollen die rot-grünen Reformer die Leiharbeit in großem Stil voranbringen. Die Personalserviceagenturen sollen diesen Billiglohnsektor zu einer vollgültigen normalen Anwendungsweise von Arbeitskraft in Deutschland machen.

Deswegen sorgte der Gesetzgeber als erstes für die Abschaffung so ziemlich aller bislang für notwendig erachteten gesetzlichen Einschränkungen des Geschäfts mit der Leiharbeit. Wir zitieren Wirtschaftsminister Clement: ”Wir flexibilisieren für die gesamte Zeitarbeitsbranche das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und bauen bisherige Regulierungen (Synchronisationsverbot, besonderes Befristungsverbot, Wiedereinstellungsverbot, Abwerbverbot, Beschränkung der Dauer der Überlassung) ab.” Die Leistung des Gesetzeswerkes kann sich denn auch sehen lassen: Dadurch wird den Verleihfirmen die Kalkulation entscheidend erleichtert und für die Entleihfirmen wird der Einsatz von je nach Betriebsbedarf anzuheuernden Arbeitskräften entsprechend attraktiver: Der Zeitrahmen des Verleihs und das Abschließen mehrerer Verträge mit einem Entleiher hintereinander können problemlos und je nach Bedarf gemanagt werden. So wird die Mischkalkulation mit sogenannten Rand- und Stammarbeitsplätzen im Interesse eines insgesamt niedrigeren Lohnniveaus angefacht. Kein Wunder, dass sich namhafte deutsche Unternehmen mittlerweile in dem Geschäftszweig tummeln und selber ihre Leiharbeitsfirma gründen, um nicht zuletzt eigene Entlassene als Leiharbeiter lockerer, bedarfsgerechter und billiger anzuwenden.

Eines ist von den reformfreudigen Sozialpolitikern freilich nicht beabsichtigt: So normal, dass Deutschlands Unternehmer ihre Belegschaften insgesamt in den Status von bei einer hauseigenen Verleihfirma entliehenen Zeitarbeitern versetzen oder gegen Leiharbeiter austauschen, soll das auf eine neue Rechtsgrundlage gestellte Leasing-Geschäft mit Tagelöhnern auch wieder nicht werden. Welche Normalität von Leiharbeit sich der Staat wünscht, das macht er mit seiner Vorschrift klar, dass für Leiharbeiter im Prinzip gleiche Behandlung und gleiche Bezahlung zu gelten habe. Damit wird nämlich auf der einen Seite der Charakter des Irregulären und der Ausnahme von Leiharbeit definitiv getilgt. Andererseits soll die Leiharbeit nicht überhaupt zum Normalarbeitsverhältnis werden, das die bisherige Art der Beschäftigung mit ”Stammbelegschaften” und kollektiven Arbeitsverträgen zwischen Firmen und Gewerkschaften verschiedener Branchen ersetzt.

Teil 2

Im ersten Teil haben wir erläutert, wie und mit welcher Absicht der Staat die Leiharbeit gesetzlich reformiert: Mit der Liberalisierung will der Gesetzgeber die Tagelöhnerei zum normalen Sektor des Arbeitsmarktes ausbauen. Den Unternehmern soll auf breiter Front ein Billiglohnsektor an Arbeitskräften eröffnet werden, von dem sie ausgiebig Gebrauch machen sollen. Allerdings soll die Etablierung der Leiharbeit von den Geschäftsleuten als ein ergänzendes Angebot an Arbeitskräften verstanden werden. Leiharbeit soll nach dem Willen des Staates nicht dazu führen, dass die Tagelöhnerei zum einzigen Normalarbeitsverhältnis wird; das Gesetz soll also andererseits verhindern, dass die bisherigen Stammbelegschaften und die kollektiven Arbeitsverträge zwischen Firmen und Gewerkschaften der verschiedenen Branchen durch Leiharbeitsverträge verdrängt werden.

Diese Einschränkung soll aber wiederum keine Schranke dafür sein, dass der für die Sanierung des Kapitalstandorts Deutschland erwünschte Vorteil der Leiharbeit fürs Geschäft, nämlich die Verbilligung der Belegschaften, auf der Strecke bleibt.

Für dieses Kunststück hat sich die Regierung auch eine Lösung einfallen lassen. So hat sie per Gesetz den Tarifparteien indirekt den Auftrag zur sachgerechten Ausgestaltung des ”Gleichbehandlungsgrundsatzes” erteilt. Und sie hat den hierin bewährten ”Sozialpartnern” auch gleich zwei Richtlinien an die Hand gegeben, wie sie ihre Ermächtigung zu gebrauchen haben. Um die Gesetzesmacher zu zitieren: ”Der Gleichbehandlungsgrundsatz gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Vielmehr sieht unser Gesetz im Sinne von interessengerechten Lösungen zwei Ausnahmen vor: So kann zum einen für die Dauer von sechs Wochen beim Verleih von zuvor arbeitslosen Arbeitnehmern ein reduziertes Arbeitsentgelt gezahlt werden. Und zum anderen kann - soweit ein Tarifvertrag eine abweichende Regelung vorsieht - sogar dauerhaft vom Gleichbehandlungsgrundsatz abgewichen werden. Dies ermöglicht es den Tarifvertragsparteien, die Arbeitsbedingungen flexibel zu gestalten ...”. Soviel ist damit klar: Die erste ”Ausnahme” vom Prinzip der Gleichbehandlung weist den Tarifpartnern schon mal die Richtung: Für Zeitarbeiter, die vorher arbeitslos waren - zufällig das Gros der in dieser Branche Beschäftigten -, wird dem Arbeitgeber für die Dauer von sechs Wochen der ”gleiche Lohn für gleiche Arbeit” nicht zugemutet. Das muss und soll aber zweitens auch sonst nicht sein: Die Regierung forderte die Tarifpartner mit ihrem Gesetz geradezu dazu auf, die Leiharbeit aus den sonst für das Unternehmen geltenden Tarifverträgen herauszunehmen; an Unternehmerverbände und Gewerkschaften ergeht der Auftrag, die Leiharbeit tarifvertraglich zum Billiglohnsektor auszugestalten.

Und wo der Staat mit so viel sozialpolitischer Verantwortung winkt, lässt sich die Gewerkschaft nicht zweimal bitten. Sie hat den Auftrag der Regierung sogleich erhört und sich daran gemacht, die Tagelöhnerei als neuen Billiglohnsektor tarifvertraglich auszugestalten und damit deren Gleichstellung mit den Stammbelegschaften flächendeckend zu verhindern.

Mittlerweile gibt es Verträge, deren Tarife kaum noch mehr als die Hälfte eines branchentariflichen Normallohns ausmachen. Die Profigewerkschaft für ”Moderne Dienstleistungen”, ver.di, hatte schon vor Bekanntgabe des Gesetzes - gewissermaßen in vorauseilendem Gehorsam - solche Verträge mit dem Marktführer Randstad abgeschlossen. Auch der DGB hatte es, zusammen mit allen großen Einzelgewerkschaften, schon zu einem ”Eckpunktepapier” mit dem größten Zeitarbeitsverband BZA gebracht. Und Jürgen Peters von der IG Metall hielt Abmachungen über sachdienliche Abschläge vom Branchenlohn schon vorweg für einen ”Meilenstein in der Tarifgeschichte”.

Die Gewerkschaft hat ihre Chance genutzt, die Zeitarbeit, angeblich Quelle eines neuen Beschäftigungswunders, tarifautonom sozial zu ”gestalten”. Ohne sie war nämlich Leiharbeit ein schäbiges ”Instrument des Lohndumpings”.

Jetzt, wo der Deutsche Gewerkschaftsbund sie tarifautonom mitgestalten darf, ist sie als ”eigenständiges Tarifgebiet” voll anerkannt. Dementsprechend vereinbarte die Gewerkschaft im ”Eckpunktepapier” unter Verweis auf die ”besondere Lage” in der „Branche Leiharbeit“ Mindeststundensätze, die den Grad der Unterschreitung der je nach Branche unterschiedlich hohen Mindesttarife festlegen. Und ganz nebenbei fixieren sie die zum guten tarifpolitischen Ton gehörenden obligatorischen Abschläge für Beschäftigte in den östlichen Bundesländern. Das Ganze pendelt sich dann ungefähr zwischen 5,11 und 6,85 Euro für die Leiharbeitsstunde ein.

Zur Umsetzung der ”Eckpunkte” in geltende Tarifverträge haben Leiharbeitsfirmen dann schnell eigene Arbeitgeberverbände gegründet, um mit den Gewerkschaften zu passenden Vereinbarungen zu kommen. Das formvollendete Ergebnis liegt mittlerweile vor: Seit ein paar Wochen gibt es gleich zwei komplette Tarifverträge für Leiharbeiter. Und ganz im Sinne des Gesetzgebers erklären die Tarifverträge die schlechtere Bezahlung durch einen Tarifvertrag mit einer Gewerkschaft tarifautonom zur Regel.

So kann der sozialdemokratische Wirtschaftminister Clement für sich und seinen Kanzler zufrieden feststellen - Zitat: ”Es dürfte sich damit zeigen, dass der von uns beschrittene Weg richtig war, den Tarifparteien die Entscheidung über die Beschäftigungsbedingungen im Zeitarbeitssektor zu überlassen.”

Wo er Recht hat, hat er Recht.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erschien GegenStandpunkt aktuell vom 31.08.03 und wurde uns zur Veröffentlichung überlassen.