Linke Debatten
Bluff, Kitsch und Affirmation

von
Georg Fülberth
09/02
 

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»Ein Kommunistisches Manifest für unsere Zeit«  wird Michael Hardts und Antonio Negris »Empire« genannt. Ist dieser Kommunismus mehr als Extasy für den Szenedenker? Oder sind Hardt und Negri für die neue Weltordnung nur, was Horaz und Vergil fürs Imperium Romanum waren?

Event

Es dürfte kein großes Feuilleton mehr geben, das nicht mindestens einen Artikel über das Buch Empire von Michael Hardt und Antonio Negri gebracht hätte. Im Frühjahr 2002 erschien auch eine deutsche Übersetzung, sozusagen auf internationalen Druck: Zunächst war in der BRD kein Verlag in Sicht, der es wagen wollte. Nachdem aber der Erfolg in den USA und Großbritannien unübersehbar war, hiesige Leserinnen und Leser sich in großer Zahl die englische und französische Ausgabe kauften oder sich die Internet-Version herunterluden, wußte der Campus Verlag, daßer kein Risiko einging.

KONKRET war schneller, oder wenn sich der richtige Zeitpunkt nach dem Verlauf einer Konjunktur bemißt - zu schnell. In Heft 2/2001 besprach Lars Quadfasel die englische Fassung von Empire und kam zu dem Ergebnis, die beiden Autoren litten an einem »Realitätsverlust beinahe Daumschen Ausmaßes«. Einer der beiden deutschen Übersetzer ist Thomas Atzert. Noch 2001 begnügte er sich in der Zeitschrift »1999« mit einem Referat des Inhaltes. Werbend wirkte allenfalls der Hinweis ganz am Schluß, Empire sei »vor allem eine Aufforderung zur Kritik«. Im »Argument« äußerten sich Sonja Buckel und Jens Wissel zu »permanenten kategorialen Ungenauigkeiten und größenwahnsinnigen Ubertreibungen«.

Diese teils nüchternen, teils harten Urteile sind noch nicht von dem Event beeindruckt, zu dem Empire inzwischen geworden ist. Den Schutzumschlag der deutschen Ausgabe schmücken bereits begeisterte Zitate aus der »New York Times«, dem »Observer« und der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. In New York, wo sich im Frühjahr 2002 »Socialist Scholars« aus aller Welt trafen, war die Veranstaltung mit Michael Hardt überfüllt. (Antonio Negri, der wegen angeblicher Beteiligung an den Anschlägen der »Brigate Rosse« zu 17 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde, ist mittlerweile Freigänger, darf aber Italien nicht verlassen.) Hardt sprach in Berlin bei der RosaLuxemburg-Stiftung, in der Deutschen Bank (auf Einladung des British Council und des »Economist«) und auf einem Meeting in der Volksbühne, das vom Campus Verlag und von der »Jungle World« veranstaltet wurde. Etwa 600 vor allem junge Leute lauschten bis weit nach Mitternacht dem Autor, der ihnen auf Englisch den »communism« empfahl, und sie waren teils animiert, teils sogar begeistert. Landauf, landab haben sich Lesegruppen zu Empire gebildet.
Was ist los?

Landnahme

Nicht der Gliederung, aber dem Inhalt nach zerfallt das Buch in drei Teile: einen diagnostischen, einen prophetischen und einen therapeutischen. Der erste ist der beste. Er enthält zwei Thesen:

Erstens: Der noch auf Nationalstaaten gestützte Imperialismus befinde sich im Übergang zum Empire. Es habe keinen territorial definierbaren Mittelpunkt. Auch die USA seien dies nicht. Das Empire sei statt dessen netzartig organisiert, ziele nicht auf einen Universalstaat, sondern allenfalls auf Interventionen, die häufig menschenrechtlich legitimiert würden.

Für Hardt/Negri ist dies eine neue Art Herrschaft, die sie ablehnen, die sie aber zugleich als »einen Schritt nach vorn«! verstehen. Jedenfalls sei es reaktionär, das Empire von einer lokalistischen, protektionistischen oder nationalistischen Position aus zu bekämpfen. Zu beseitigen sei es nur dadurch, daß es durchschritten werde. Daß der Nationalstaat keine Bedeutung mehr habe, sei gut.

Die zweite These handelt von »Biomacht« und »Biopolitik«. Hier muß erst einmal etwas erklärt werden. Wer nur Zeitungen liest, nicht aber Foucault, Deleuze und Guattari, könnte vermuten, es gehe um die Eingriffe von Big Science und Big Business in den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur mithilfe von Pharmazie, Gentechnologie und Neurologie sowie um die politischen Versuche, dies zu befördern, zu verhindern oder zu »gestalten«. Biomacht bei Hardt/Negri aber kommt nicht (oder wenigstens nicht ausschließlich) von Biologie, sondern von Bios, vom Leben selbst.

Sie beziehen sich auf Foucaults Untersuchungen, in denen dieser nachweisen wollte, wie seit dem Beginn der Neuzeit die Macht -Staat und Kapital -sich gleichsam in den einzelnen Menschen einnistete, anstatt ihnen nur als Unterdrückung von außen gegenüberzutreten. Das Empire, das hier nicht nur eine außenpolitische Instanz ist, nimmt in den Individuen Platz, unterwirft sie zwar, ist aber zugleich von ihnen abhängig: Ohne sie wäre es nichts. Biomacht sei, so Hardt/Negri in Modifikation eines Begriffs von Marx, »lediglich eine andere Bezeichnung für die reelle Subsumtion der Gesellschaft unter das Kapital, und beide sind Symptome der globalen Produktionsordnung«. Die Gesamtheit der Individuen, in denen das »Leben« zum Ausdruck kommt, heißt »die Menge« (multitude). Sie sei zugleich Subjekt und Objekt von Herrschaft. Die Doppelinstanz, in der die Macht des Empire und die Interessen der einzelnen sich treffen. wird »das Begehren« genannt.

Wer will, kann von Ambivalenz sprechen, Hardt/Negri drücken das lieber so aus, daß Freiheit und Herrschaft jetzt ineinander fallen. Dies sei die Besonderheit der Periode, die sie die »Postmoderne« nennen. In der Vorgängersituation - der »Moderne« - sei das leben der Macht eben nicht reell, sondern nur formell - äußerlich - subsumiert gewesen. Allerlei altmodische Herrschaftsinstanzen können jetzt entfallen.

Freiheit pur entsteht dadurch noch lange nicht. Die Entkolonialisierung entzog große Landstriche der ausschließlichen Unterwerfung unter eine einzige Herrennation: und lieferte sie statt dessen der Gesamtheit des kapitalistischen Weltmarkts aus; die Zerschlagung von Autoritäten 1968 ff. arbeitete den heutigen »flachen Hierarchien« bei der Profitproduktion zu; die Beseitigung der kodifizierten Form des Rassismus schafft diesen nicht ab, macht ihn aber flexibler: Er funktioniert nicht mehr auf Grund politischer Setzung, sondern nach Markterfordernis. Und diejenigen, die sich in neuer Ausbeutung wiederfanden -als formell Befreite haben selbst dafür gekämpft: »Die Menge rief das Empire ins Leben.«

Die beiden Hauptthesen sind nicht völlig neu. Hardt/Negri tragen sie mit dem Gestus historisch-materialistischer Kritik " vor. Die besteht bekanntlich nicht darin, Nachteile einer Ordnung zu beklagen, sondern die immanente Tendenz zur Selbstaufhebung und die diese bewirkenden Kräfte sichtbar zu machen. Die beiden Autoren lösen ihre Aufgabe durch die Verabreichungeiner Designerdroge, die in der Packungsbeilage als »Kommunismus« ausgewiesen wird.

High sein, frei sein

Für die Fülle der hier und im nächsten Abschnitt folgenden Zitate bitte ich vorab um Nachsicht. Wer das Buch selbst zur Hand nimmt, wird einräumen, daß ich zurückhaltend bin.

Das Empire, so erfahren wir, ist in Wirklichkeit arm dran. Indem es sich das Leben der vielen einzelnen subsumierte, ist es zugleich unter diese subsumiert. Wir können heute schon sehen, »wie das Empire die grausamen Regime moderner Macht wegwischt und sich das Potential der Befreiung verstärkt.« Hier artikulieren sich »die Belange des Lebens selbst«. Das hilflose »Volk« der nationalstaatlichen Moderne transformiert sich in die mächtige »Menge« Zu ihr gehören »dieArmen«, die »Emigranten«, der »Kreis aller Ausgebeuteten und Unterdrückten«, und diese wiederum sind identisch mit der Menschheit, auf keinen Fall natürlich auf die traditionelle Arbeiterklasse beschränkt: »Durch die Postmodernisierung der globalen Ökonomie wird der Reichtum mehr und mehr durch das geschaffen, was wir biopolitische Produktion nennen, durch die Produktion des gesellschaftlichen Lebens selbst.« Nichtregierungs-Organisationen »finden ihr Feld im Humus der Biomacht«.

Das Empire ist zum Parasiten geworden, der von der Menge abgetan werden kann. Als »Kontrollgesellschaft« wird es auf die Dauer nicht mit der »Generation« - das ist die »Macht der Erzeugung« - fertig. Noch verfügt es über die Atombombe, das Geld und die Kommunikationsmittel. Aber gerade letztere sind nur noch dadurch zu halten, daß sie sich de facto in der Verfügung der »Menge« befinden: »Indem sie ihre eigenen schöpferischen Energien ausdrückt, stellt die immaterielle Welt das Potential für eine Art des spontanen und elementaren Kommunismus bereit.« Politik wird aus ihrem bisherigen Zynismus befreit und zeigt sich als »die Macht von Generation, Begehren und Liebe«. Die Globalisierung wechselt sozusagen die Seite: »In einer Art säkularem Pfingstfest vermischen sich die Körper, und die Nomaden sprechen eine gemeinsame Sprache.« Es dürfte sich um eine Art Love Parade in ihrem Anderssein handeln.

Der - recht seltene - Blick zurück in die Geschichte der realen Kämpfe ist ähnlich beschwingt wie die Wahrnehmung von Gegenwart und Zukunft. Wer sich von empirischem Ballast befreit, kann die Auseinandersetzungen der sechziger und siebziger Jahre so sehen: »Das auf imperialistischem
Gebiet geformte Proletariat trat nun selbst organisiert, bewaffnet und gefährlich in Erscheinung.« Das werden wohl weiße Mäuse gewesen sein.

Im letzten Abschnitt ihres Buchs stellen Hardt und Negri drei sympathische Forderungen auf, mit denen sie Anschluß an aktuelle Bewegungen finden: Es geht um »das Recht auf eine Weltbürgerschaft«, »das Recht auf einen sozialen Lohn« und »das Recht auf Wiederaneignung«.
Durch ihre Darlegungen über das Verhältnis von Herrschaft und Fortschritt der Freiheit im Empire haben sie uns selbst Mittel an die Hand gegeben, um die Reichweite dieser Parolen zu überprüfen: Weltbürgerschaft könnte - natürlich gegen die Absicht der Autoren - sich in der Tatsache erschöpfen, daß die Beweglichkeit der Arbeitskraft derjenigen des Kapitals endlich nachkommt. Vom sozialen Lohn - »einem garantierten Einkommen für alle« - mag demnächst auch bei denjenigen die Rede sein, die Stütze und Arbeitslosenhilfe zusammenwerfen wollen. Vor solcher Verkürzung und Vereinnahmung sind diese beiden Forderungen nur sicher im Licht der dritten: »Wiederaneignung. Dies meint zuallererst das Recht auf Wiederaneignung der Produktionsmittel.« Letztere stehen den Produzenten nicht mehr einfach gegenüber: »Die Menge benutzt nicht nur Maschinen zur Produktion, sondern wird auch selbst zunehmend zu einer Art Maschine, da die Produktionsmittel immer stärker in die Köpfe und Körper der Menge integriert sind. In diesem Zusammenhang bedeutet Wiederaneignung, freien Zugang zu und Kontrolle über Wissen, Information, Kommunikation und Affekte zu haben - denn dies sind einige der wichtigsten biopolitischen Produktionsmittel.«

An dieser - der vielleicht wichtigsten - Stelle ihres Buches argumentieren Hardt/Negri tatsächlich konzentriert, lassen sich nichts durchgehen, erkennen auch den Gegensatz zwischen dem, was sie als Chance verstehen, und seiner Aufhebung durch Integration ins Empire. Sie fahren fort: »Doch die Tatsache allein, daß diese Produktionsmittel in der Menge selbst zu finden sind, bedeutet noch nicht, daß die Menge sie auch kontrolliert. Eher läßt das die Entfremdung davon noch niederträchtiger und verletzender erscheinen. Das Recht auf Wiederaneignung ist somit in Wahrheit das Recht der Menge auf Selbstkontrolle und autonome Eigenproduktion.«

Die revolutionäre Substanz wird bei Hardt/Negri durch eine lateinische Vokabel bezeichnet: »posse« = können. Von da führt der Weg zur »potentia«, die in der Gegenwart schon da ist. »Das einzige Ereignis, auf das wir immer noch warten, ist dasjenige der Errichtung oder genauer: der revolutionären Erhebung einer mächtigen Organisation.« Diese Stelle mag Slavoj Zizek unter anderem gemeint haben, als er behauptete, Empire sei »ein >Kommunistisches Manifest< für unsere Zeit«.

Affirmation

Der Vergleich mit dem Vorbild zeigt allerdings vor allem Unterschiede. Anstatt - wie im »Manifest der Kommunistischen Partei« von 1847/48 - Sturz von Herrschaft haben wir bei Hardt/Negri deren Neuinterpretation durch die Intellektuellen und umkehrende Anverwandlung sowie Vermeidung durch die »Menge«, und zwar nicht notwendig, da »bei Strafe des Untergangs«, sondern als Option. Marx und Engels beschreiben einen langen historischen Prozeß, Hardt/Negri eine Gegenwart, in der der Kommunismus schon präsent ist: »Das Empire behauptet, Herr dieser Welt zu sein, weil es sie zerstören kann. Was für eine Illusion! In Wahrheit nämlich sind wir die Herren dieser Welt, weil unser Begehren und unsere Arbeit sie fortwährend neu erschaffen.«

Da ist was dran, nämlich dann, wenn wir dieses »Wir« genauer bestimmen. In den »Armen«, die von Hardt/Negri dazugerechnet werden (plus von ihnen nicht erwähnte Berufsgruppen, zum Beispiel Fleischereifachverkäuferinnen), hat das Empire wohl nur in unzureichendem Maße jene von ihnen selbst erzeugten - Potenzen deponiert, die sie zugleich zu Herren machen könnten. Besser steht es da schon mit uns anderen - Leser(innen) und Autor(innen) anspruchsvoller Zeitschriften, Computer-Intellektuellen, Studierenden und Lehrenden aller Richtungen, Investmentbankern sämtlicher Etagen -, insbesondere mit denen, die in der »postmodernen« Produktion über Verhaltens- und Zeitsouveränität verfugen. Hardt/Negri zählen sie ebenfalls zur Menge, und ihre - also unsere -Lebensbedingungen könnten wir, wenn wir wollten, durchaus als kommunistische bezeichnen (denn es hindert uns niemand daran). Die Autoren schreiben uns zu, daß wir unsere Entfremdung von den in uns abgelagerten Produktionsmitteln als verletzend und niederträchtig empfinden, aber das muß vielleicht gar nicht sein:

Auf den »Berliner Seiten« der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Deutschland« wurde im März 2002 das Protokoll eines Empire-Lesezirkels veröffentlicht. An diesem nahmen teil: ein Journalist, ein Filmemacher, der zugleich Buchhändler und Kritiker ist, ein Philosoph, ein Verleger, eine Filmemacherin und eine Literaturwissenschaftierin. Der Verleger führte aus: »Und jetzt gibt es plötzlich dieses Buch, das sagt: Super, die Globalisierung hat uns total
geholfen. Endlich, die ganzen Träume der Internationalen sind wahr geworden, seit sie der Kommunismus a la Stalin verraten hat. Damit ist man zum ersten Mal wieder mit etwas anderem beschäftigt, als seine Lebensumstände zu kritisieren.« Hier wird Empire zum Wellness-Ratgeber für eine in den OECD-Ländern doch schon recht erhebliche Schicht.

Darauf ließe sich mit Zitaten antworten, in denen Hardt/Negri ihren Kommunismus einer von ihnen abgelehnten aktuellen Realität entgegensetzen. Das sind aber verbale Verwahrungen, die der Grundkonstruktion ihres Buches entgegenstehen. Ihr Empire ist »hybrid«: eine Kreuzung aus angeblich oder tatsächlich - vergangenem Imperialismus und ihrem speziellen Kommunismus.
Mag es kein richtiges Leben im falschen geben, freuen wird man sich ja wohl noch dürfen. Auf der letzten Seite verweisen Hardt/Negri auf das Vorbild des Franz von Assisi und empfinden »die nicht zu unterdrückende Leichtigkeit und das Glück, Kommunist zu sein«. Wer in dieser Gesellschaft schon so gut drauf ist, braucht keine andere, darf sich aber gern so fühlen, als sei er (oder sie) schon fast drin.
Schwerer zu fassen als die Lifestyle-Affirmation ist die außenpolitische. Sie ist im Buch nur implizit entwickelt. In einem Teil der US-amerikanischen Publizistik und Politikwissenschaft wird zur Zeit die Rehabilitation eines »klassischen« Imperiumsbegriffs propagiert: nach dem Vorbild des römischen Reichs oder Großbritanniens im 19. Jahrhundert. Am 1. April 2002 brachte die New York Times einen Artikel mit der Überschrift: »>It takes an empire<, say several U.S. thinkers«. Die Vereinigten Staaten befänden sich außenpolitisch nun in der Rolle Roms nach den punischen Kriegen, und sie müßten diese annehmen.

Hardt/Negri haben sich eine Identifikation des von ihnen geschilderten Herrschaftstyps mit den USA verbeten. Statt des sen sagen sie der »Menge«, daß das Empire deren eigenes Produkt sei. Die Konvergenz der beiden Diskurse ist denkbar, wenngleich das nicht mehr die Sache der beiden Autoren ist.

Laudatia

Als Kritik ist Empire ein Bluff, in seiner Verheißung Kitsch, als Analyse aktueller und sich abzeichnender Realität gleichermaßen scharfsinnig wie affirmativ.

Die literarische Würdigung des Buches mag anders ausfallen. Als essayistisches Werk gehört Empire zur Romantischen Schule im vom klassischen und nachklassischen (nicht so sehr vom höhnenden späten) Hacks herausgestellten überhistorischen Sinne. Deren Essenz bestehe, so war bei jenem zu lernen, in der Affirmation eines neuen Weltzustandes (einst: des jungen Kapitalismus, hier: des Empire), indem bisherige Souveränität negiert, die sich anbahnende Form von Herrschaft in einer verhimmelnden Art aber als schon wieder aufgelöst erklärt wird.
Eine Nominierung für den Literatur-Nobelpreis wäre angebracht. Nachdem 1902 Theodor Mommsen für seine »Römische Geschichte« damit ausgezeichnet wurde (auch dieser Autor sah ein Reich kommen: Er wollte Caesar plus Demokratie und bekam Bismarck), könnte es nicht abwegig sein, wenn hundert Jahre später auch einmal erörternder Prosa diese Ehre zuteil würde. Es wäre ein politisches Signal: Was Horaz und Vergil als Herrschafts-Intellektuelle für den Kaiser Augustus waren, sind Michael Hardt und Antonio Negri für die Neue Weltordnung.

Michael Hardt/Antonio Negri: Empire. Die neue Weltordnung. Aus dem Englischen von Thomas Atzert und Andreas Wirthensohn. Campus Verlag, Frankfurt/Main und New York 2002,461 S., gebunden, 35,~0 Euro.
 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel ist eine Spiegelung vom Google-Archiv.