Musikindustrie, "geistiges Eigentum" und Internet
MP3, Napster und die Folgen
 
09/02
 

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In den letzten zwei / drei Jahren tobte - von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt - ein Krieg um die Zukunft der Musikdistribution im Internet. Nur der Prozess gegen Napster wurde sogar in der Tagesschau erwähnt. Diese Entwicklung zeigte auch, dass die Musikindustrie als Vermittler zwischen KünstlerInnen und KonsumentInnen überflüssig wird und stellt Frage nach dem Überleben des Kapitalismus im digitalen Zeitalter.

Michael Deters

Von der CD zu MP3

Audio-CDs waren ursprünglich nur für das Abspielen auf einem CD-Player konzipiert. Mit einem CD-ROM Laufwerk und entsprechender Software können sie aber auch von einem Computer abgespielt werden. Es besteht auch die Möglichkeit, die Audiodaten der CD auszulesen, sie auf der Festplatte eines Computers zu speichern und von dort abzuspielen. Das Problem dabei ist die Größe der so erzeugten Audiodateien. Auf eine normale CD passen 74 Minuten Musik; dies entspricht 650 Megabyte. Es ist leicht einzusehen, dass es bei diesen Dimensionen de facto unmöglich ist, ein Musikarchiv auf der Festplatte eines Computers anzulegen. Selbst die größten heute verfügbaren Festplatten währen in kürzester Zeit voll.

Hier kommt der Audiostandard MP3 ins Spiel. Er erlaubt die Kompression der Musikdateien auf einem Computer um den Faktor 10 bei nur sehr geringem Qualitätsverlust gegenüber der CD. Diese hohe Kompressionsrate kommt durch das Weglassen von für Menschen unhörbaren Informationen zustande. Das dieser Technologie zugrundeliegende Psychoakustische Hörmodell wurde von der deutschen Fraunhofer Gesellschaft[1] in den frühen 90er Jahren entwickelt. Ursprünglich war es dazu gedacht, die Tonspur von digitalen Filmdaten zu komprimieren. Daher stammt auch der Name MP3: Er steht für MPEG-1 Audio Layer 3. Die Motion Picture Expert Group (MPEG) ist ein Standardisierungsgremium für digitale Video und Audio-Formate.

Mittels bestimmter Softwareprogramme ist es für jeden Anwender leicht, die großen, direkt von der CD stammenden Wav-Dateien in komprimierte, zehnfach kleinere MP3-Dateien zu verwandeln.

Wie immer in der Geschichte der Audiovisuellen Medien führt das Aufkommen einer neuen Technologie auch zu neuen kulturellen Praxen und Kulturtechniken.

Im Fall von MP3 verändert sich zunächst der Umgang des Konsumenten mit seinem eigenen Musikbestand. Bei Dateigrößen von einem MB pro Minute Musik wird der Computer quasi zur Jukebox. Aktuelle MP3 Player wie Winamp oder xmms erlauben es, die Musikstücke zu Playlists zusammenzustellen und diese zu speichern.

"Der Übergang von der Audiocassette zur CD machte das Navigieren innerhalb eines Tonträgers komfortabler. Ist die Musik auf dem Computer, erleichtert das die Navigation im ganzen Musikbestand des Konsumenten. Er profitiert davon, dass die Musik nicht mehr physisch auf einzelne Tonträger verteilt sein muss, sondern in Dateien und Verzeichnissen organisiert ist.- jeder Song ist gleich schnell zu starten, jede Kombination von Stücken ist gleich flink zusammenzustellen." [2]

Die größte Veränderung im Umgang mit der Musik entstand aber erst durch das Zusammenspiel von Kompressionsstandard und Internet.

MP3 und Internet

Denn wegen der relativ geringen Größe der MP3-Dateien ist jetzt zum ersten Mal in der Geschichte des Internet auch eine Übertragung von Musik in guter Qualität möglich.

Weitere Voraussetzungen für die Verbreitung von MP3s über das Internet waren ein bestimmter Grad an Verfügbarkeit von vernetzten Computern mit einer ausreichend hohen durchschnittlichen Leistungskapazität (CPU; Festplatte, Soundkarte, CD-ROM Laufwerk). Diese Voraussetzungen waren ab den Jahren 1997/98 langsam gegeben.

Allerdings nutzte nicht die Musikindustrie die immensen Möglichkeiten der Verbreitung von MP3s im Internet, sondern zahlreiche Menschen kodierten ihre Privatsammlungen als MP3s und stellten sie von der Musikindustrie unautorisiert ins Netz. Sehr beliebt in dieser frühen Phase war die Verbreitung von MP3s über das WWW. Damals war es bei Freewebspace-Anbietern wie Geocities oder Speicherplatzanbietern wie Freespace noch möglich, anonyme Accounts anzulegen und Material relativ sicher hochzuladen, was auch entsprechend häufig genutzt wurde.

Das Angebot war zunächst noch relativ eingeschränkt, es wurden vor allem Mainstream-Titel angeboten und konsumiert. Dennoch wurde es intensiv genutzt. Viele User waren verärgert über die hohen CD-Preise, die mit 40 DM inzwischen fast doppelt so hoch sind, wie die der alten LPs. MP3 bot die Möglichkeit, über das Internet viel preiswerter an Musik zu kommen und der vielgehassten Musikindustrie eins auszuwischen. Hinzu kommt, dass die Zugangskosten zum Internet immer noch sehr hoch waren und dadurch gerade bei vielen Jugendlichen das zur Verfügung stehende Geld für sonstige Kulturgüter eingeschränkter war als früher.

Schon diese zunächst noch relativ begrenzte Verbreitung von MP3s im Internet, aber auch die Verbreitung von CD-Brennern, nahm die Musikindustrie als Bedrohung ihrer Umsätze wahr und versuchte sie mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern. Zahlreiche von der Musikindustrie bezahlte Privatermittler hatten nichts anderes zu tun, als "illegale" Websites mit MP3s aufzuspüren und diese den Providern zu melden. Sehr schnell setzte sich die Rechtsauffassung der Musikindustrie durch, dass auch das unentgeltliche Anbieten von MP3s in Internet illegal ist. Die Provider gingen daher dazu über, von der Musikindustrie denunzierte Websites zu löschen, ohne die Vorwürfe im einzelnen zu prüfen. Nur sehr selten wurden allerdings Personen angeklagt, die mit der Verbreitung von MP3s zu tun hatten. In den seltenen Fällen, wo dies geschah, wurden diese "Musikpiraten" allerdings zu hohen Strafen und Schadensersatzzahlungen verurteilt.

Mit diesen Maßnahmen war die Musikindustrie in den letzten Jahren sehr erfolgreich. Ihre Methoden zur Aufspürung von MP3s hat sie immer mehr verfeinert und Tausende von Websites schließen lassen.

Der Aufstieg und Fall von mp3.com

Durch die starke Verbreitung von MP3s im Untergrund kamen auch viele Start-Ups auf die Idee, dass mit dieser Technologie Geld zu verdienen sei. Insbesondere auf dem Höhepunkt des Internet- Booms in den Jahren 1998/99 entstanden zahlreiche neue Firmen, die Musik im Internet vertreiben oder auf dem Computer abspielbar machen wollten. Dies waren etwa Nullsoft, mp3.com, SonicNet, Scour, Napster und andere. Ihre Geschäftsidee war, dass die KünstlerInnen über das Internet direkt mit ihren Fans in Verbindung treten würden, um so die traditionellen Firmen der Musikindustrie zu umgehen, die mit ihren drückenden Verträgen und hohen CD-Preisen KünstlerInnen und VerbraucherInnen gleichermaßen gegen sich aufgebracht hatten.

Am bekanntesten dieser Internet Start-Ups war die Website und gleichnamige Firma mp3.com. Ihr Gründer, Michael Robertson, wollte nichts weniger, als mit seiner Website die Musikindustrie überflüssig machen und eine direkte Verbindung zwischen den KünstlerInnen und ihren Fans herstellen.

Auf dieser Website können alle KünstlerInnen ihre Musik veröffentlichen, die kostenlos in Form von Mp3s heruntergeladen werden kann. Inzwischen sind hier mehr als 1 Million Musikstücke von über 150.000 meistens allerdings unbekannten KünstlerInnen verfügbar. Einige wenige bekannte MusikerInnen, wie Tom Petty, Tori Amos, Alanis Morisette, IceT u.a. haben ihre Songs allerdings auch schon bei mp3.com angeboten.

Diese zahlreichen Musikstücke sind nach Stilen geordnet und durch eine Suchmaschine erschlossen. Hitparaden der am meisten heruntergeladenen Songs dienen als Qualitätskontrolle.

Mp3.com wollte vor allem mit dem Verkauf und Versand von CDs Geld verdienen, die auf Wunsch produziert werden, etwa wenn KundInnen bestimmte Musikstücke aus dem Angebot an MP3s so gut gefallen, dass sie diese auch als CD Version haben möchten. Eine CD kostet hier weniger als 10$, also ca. 20 DM. Die MusikerInnen erhalten 50% der Einnahmen und sind nicht an langfristige Verträge gebunden.

Die Musikindustrie nahm mp3.com offensichtlich als Bedrohung wahr und versuchte, diese Firma auf dem Klageweg zu zerstören. Ein Vorwand hierfür war ein spezieller Service, der von mp3.com angeboten wurde namens MyMp3.com. MyMp3.com sollte es den KonsumentInnen erlauben, weltweit auf ihre CD-Sammlungen zuzugreifen. Mp3.com legte daher Anfang 2000 eine Datenbank mit 80.000 CDs an. Durch das Einlegen einer Musik CD in das eigene CD ROM Laufwerk autorisiert man sich mittels einer spezifischen Software als deren Besitzer. Mp3.com schaltete daraufhin die betreffenden Songs für diesen Account frei und erlaubte nun, sie von jedem Internet-PC aus anzuhören. Außerdem konnten Kunden beteiligter Online-CD-Händler ein Album sofort nach dem Bestellen ihrem Account hinzufügen und es sofort als MP3 anhören.

Obwohl es auf den ersten Blick durchaus zweifelhaft ist, dass dieser Service das Copyright der großen Plattenfirmen verletzt hat - denn schließlich wurde eine bestimmte Musik nur jenen KundInnen zur Verfügung gestellt, die diese bereits als CD gekauft haben - entschieden amerikanische Gerichte jedoch zu Gunsten der Musikindustrie. Mp3.com wurde wegen eines absichtlichen Verstoßes gegen das Copyright verurteilt und musste an alle möglichen Plattenfirmen insgesamt ca. 160 Millionen $ Schadensersatz zahlen. Damit war diese Firma praktisch pleite und wurde schließlich im Mai 2001 ausgerechnet von ihrem größten Rivalen, der Plattenfirma Vivendi Universal, aufgekauft. Mp3.com soll nun zwar bestehen bleiben, aber ohne jeden revolutionären Anspruch. Es kann höchstens noch dazu dienen, neue Talente aufzuspüren, die dann nach dem herkömmlichen System vermarktet werden.

Nach einem ähnlichen Muster wurden auch die meisten anderen Musikstart-Ups entweder in den Ruin getrieben oder von ihren Rivalen übernommen. Damit ist es der Musikindustrie gelungen, auch im Onlinebereich die Kontrolle über die Distribution von Musik zurückzugewinnen.

Ihr Triumpf ist um so größer, da sie es ungefähr zur gleichen Zeit auch geschafft hat, die Musiktauschbörse Napster zu zerstören, die sich noch vor mp3.com zur größten Bedrohung der Musikindustrie entwickelt hat.

Napster und die Folgen

Die Firma Napster ist wie zahlreiche andere Musikstart-Ups auch im Gefolge des Internetbooms gegründet worden und nahm Mitte 1999 ihren Betrieb auf. Gründer war der damals 19 jährige Student Shawn Fanning.

Die Funktion dieser Musiktauschbörse war es, den gegenseitigen Austausch von MP3s zwischen den Nutzern zu vermitteln. Das funktionierte folgendermaßen:

Mittels eines zu installierenden Tauschprogramms schließen eine große Zahl von Nutzern zu einem Netzwerk zusammen, dessen Zweck es ist, gegenseitig MP3s auszutauschen. Beim ersten Start dieses Programms geben die TeilnehmerInnen diejenigen Verzeichnisse auf ihrer Festplatte an, in denen sich MP3s befinden, die sie zum Tauschen zur Verfügung stellen wollen. Eine Liste dieser Dateien wird anschließend auf den zentralen Napster- Server gespeichert und dieser Suchindex kann von allen an das Netzwerk angeschlossenen Rechnern durchsucht werden. Wenn eine gewünschte Musikdatei gefunden ist, wird sie direkt zwischen den einzelnen TeilnehmerInnen übertragen, wobei die Napster- Server keine Rolle mehr spielen. Damit es nicht zu vergeblichen Download-Anfragen kommt, wird die jeweilige Liste eines Nutzers nur so lange gespeichert, wie er selbst online ist. Beim Beenden der Napster-Software wird sie gelöscht.

Auch wenn genaue Zahlen nicht vorliegen, zeigte sich, dass Napster sehr erfolgreich war und offenbar ein Bedürfnis vieler NutzerInnen befriedigt hat. Denn in der zweiten Jahreshälfte 2000 wurde Napster zu einem der beliebtesten Internetangebote weltweit mit bis zu 37 Millionen NutzerInnen. Aufgrund dieses Erfolgs standen immer mehr Songs zum Download zur Verfügung, der meistens auch viel zuverlässiger war, als MP3-Websites, die gerade im Jahr 1999 immer häufiger von der Musikindustrie geschlossen wurden.

Zu seinen besten Zeiten bildete Napster ein weltweites Musikarchiv, wo nicht nur die neuesten Hits zu finden waren, sondern praktisch alles, was jemals aufgenommen wurde. Dabei kann es sich auch um Klassik- oder Jazzaufnahmen handeln oder um Musik aus anderen Weltregionen, die z.B. in Europa gar nicht verkauft wird. Häufig waren in Napster auch Songs zu finden, die schon lange im Handel vergriffen sind.

Die MusikerInnen reagierten unterschiedlich auf diese Entwicklung: Courtney Love und die Band "Public Enemy" sprachen sich für Napster aus. Einige andere, allerdings weniger bekannte Bands veröffentlichten ihre neusten Stücke zuerst bei Napster, bevor diese in den Läden erhältlich waren.

Die Heavy Metal Band "Metallica", die ein eigenes Label besitzt, hat sich allerdings als einer der schärfsten Kritiker von Napster profiliert. So ließ sie z.B. im Frühjahr 2000 das Napster-Netzwerk überwachen und schickte eine Liste von über 300.000 Usern an Napster, die laut Metallica entweder ihre Songs heruntergeladen oder zum Download angeboten hatten. Sie verlangte, diese Accounts zu sperren, ein Ansinnen, dem Napster auch nachkam. Am 11. Juli 2000 forderte der Drummer von Metallica, Lars Ulrich, bei Anhörung vor dem US-Senat zum Thema Napster sogar, dass die amerikanische Bundespolizei FBI die User von Napster verfolgen solle, die er als Kriminelle und Diebe bezeichnete.

Auch die Musikindustrie sah in Napster eine große Bedrohung ihrer Umsätze. Die Recording Industry Association of America (RIAA), die Lobbyorganisation der amerikanischen Musikindustrie verklagte Napster schon im Dezember 1999. In einem dramatischen Gerichtsverfahren, dessen Ausgang weltweite Bedeutung hatte, wurde Napster am 3.3.2001 dazu verurteilt, den Tausch von urheberrechtlich geschützten Musikstücken zu unterbinden, indem Filter installiert werden, die diese Stücke aus dem Napster Suchindex entfernen. Als die Filter in den Monaten von März bis Mai 2001 immer perfekter funktionierten, verlor Napster den Großteil seiner Benutzer und ging Anfang Juli 2001 schließlich offline, weil der MP3-Tausch über dieses Netzwerk völlig zum Erliegen gekommen war.

Noch dezentraler: Gnutella

Allerdings ist mit dem Ende von Napster der Musiktausch über das Internet noch nicht vollständig zerstört. Nach dem Urteil im Napster-Prozess vom März 2001 scheint es zwar sicher, dass auch alle anderen zentralen Tauschbörsen wie Audiogalaxy früher oder später von der Musikindustrie geschlossen werden. Aber mit dem Gnutella-Netzwerk ist eine dezentrale Tauschbörse entstanden, die nicht so einfach wie Napster durch ein Gericht geschlossen werden kann.

Das Gnutella-Netzwerk ist eine Weiterentwicklung von Napster. Die einzelnen MP3 Dateien liegen wie bei Napster nicht mehr auf einem Server, sondern werden direkt von der Festplatte der einzelnen Nutzer heruntergeladen.

Napster lässt jedoch die Suchanfragen noch über einen zentralen Server laufen. Wenn dieser geschlossen wird, ist das Netz tot. Bei Gnutella ist das anders. Hier werden die Suchanfragen von Rechner zu Rechner weitergeleitet. Ein zentraler Server existiert nicht mehr. Um diesen Umstand zu dokumentieren, werden die Teilnehmer des Gnutella-Netzes als Servants bezeichnet, eine Mischung aus Server und Client. Beim Start wird eine Verbindung zu einem Server hergestellt, der eine Reihe gültiger IP-Adressen von gerade eingeloggten Gnutella-Servants gespeichert hat. Wenn eine solche Verbindung nicht möglich ist, versucht sich Gnutella mit IP-Adressen aus einem internen Speicher zu verbinden, der während der vorhergehenden Internetsitzung angelegt wurde.

Der eigentliche Dateitransfer wird wie bei Napster über eine direkte Verbindung zwischen den beiden TauschpartnerInnen über das HTTP-Protokoll abgewickelt, wobei das Gnutella-Netzwerk keine Rolle mehr spielt.

Gnutella wurde Anfang 2000 von einem Programmierer der Firma Nullsoft namens Justin Frankel entwickelt. Am 14. März 2000 stand eine Betaversion von Gnutella auf der Website von Nullsoft zum Download bereit. AOL, das Nullsoft inzwischen aufgekauft hatte, verlangte nach einem Tag von Nullsoft, dass diese Software vom Netz genommen werden sollte, denn man sah darin Gefahren für das "geistige Eigentum" besonders des von AOL aufgekauften Unterhaltungskonzerns Time-Warner. Dennoch war es inzwischen zu spät: Das Gnutella-Netzwerk entwickelte sich eigenständig weiter. Das Gnutella-Protokoll wurde entschlüsselt und dokumentiert. Auf dieser Basis konnten die noch unfertige originale Gnutella Version 0.56 weiterentwickelt und die größten Schwächen dieser Software beseitigt werden. Inzwischen existieren mehrere ausgereifte Servants, die fast so komfortabel zu bedienen sind, wie Napster: Dies sind z.B. Bearshare, Limewire und Gnotella.

Als Reaktion auf den Niedergang von Napster wuchs das Gnutella- Netzwerk seit Beginn des Jahres 2001, um ca. 4 % pro Monat. Inzwischen sind dort auch alle oder zumindest die meisten Mainstream-Songs zu finden. Dennoch ist das Musikangebot bei weitem nicht reichhaltig und vielfältig wie bei Napster. Ein Vorteil des Gnutella-Netzwerk im Vergleich zu Napster ist es jedoch, dass hier auch Musikvideos, Serienepisoden und sogar ganze Filme getauscht werden können.

Das Gnutella-Netzwerk ist zwar dezentral, die TeilnehmerInnen sind aber nicht anonym. Spätestens sobald ein Dateitransfer zustande kommt, ist die jeweilige IP-Adresse bekannt, wodurch die TauschpartnerInnen zumindest durch ihre Provider identifiziert werden können. Diesen Umstand machte sich die Musikindustrie zunutze und beginnt seit Mitte 2001 das Gnutella-Netzwerk systematisch zu überwachen. Wenn die von der RIAA oder einzelnen Musikern beauftragten Firmen entdeckt haben, dass ein Servant copyrightgeschützte MP3s zum Tausch anbietet, schicken sie E-Mails an dessen Provider und verlangen, dass dieser den jeweiligen Account sperrt. Aufgrund der geltenden Rechtslage kommen die meisten ISPs dem Verlangen der Musikindustrie nach. Allerdings ist diese Praxis bisher nur auf die USA beschränkt. Es ist aber sicherlich nur eine Frage der Zeit, bis die Musikindustrie solche Praktiken auch in anderen Ländern anwendet.

Diese Einschücherungsstrategie zeigt bereits jetzt Wirkung: Die Qualität des Gnutella-Netzwerks nimmt merklich ab. Er werden deutlich weniger Dateien zum Tausch angeboten, bzw. es ist schwieriger und dauert länger, diese zu finden. Die Anzahl der Freeloader nimmt zu. Als Freeloader werden diejenigen TeilnehmerInnen bezeichnet, die zwar Dateien herunterladen, aber selbst keine zum Tausch anbieten. Nach Clip2 sollen inzwischen fast 80% der TeilnehmerInnen des Gnutella-Netzwerkes dieser Kategorie zuzurechnen sein. Und nur ganz wenige TeilnehmerInnen bieten noch viele Dateien zum Tausch an. 1 % der BenutzerInnen stellen allein 40 % der verfügbaren Dateien. Es liegt auf der Hand, dass diese schleichende Rezentralisierung es der Musikindustrie in Zukunft noch mehr erleichtern wird, das Gnutella-Netzwerk durch Verfolgung der einzelnen TeilnehmerInnen zu zerstören.

Daneben besitzt die Musikindustrie noch andere Möglichkeiten. Sie kann z.B. die ProgrammiererInnen der Servants verklagen. Sie kann nach Einschätzung des Journalisten Erik Möller auch versuchen, das Betreiben auch von dezentralen Tauschnetzwerken vom Gesetzgeber für illegal erklären zu lassen oder diese Netzwerke mittels Computerviren zu sabotieren.

Aus diesen Gründen ist es unwahrscheinlich, dass das Gnutella- Netzwerk in Zukunft überleben kann. Auch wenn bisher selbst in den USA einzelne Nutzer von Musiktauschbörsen nur sehr selten vor Gericht gezerrt und wegen Copyrightverletzungen zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden, ist nicht gesagt, dass das auch in Zukunft so bleiben wird. Denn die entsprechenden Gesetze existieren in den USA bereits. Zumindest Erik Möller kommt diesbezüglich zu einer sehr düsteren Einschätzung: "Massenverhaftungen sind nicht gänzlich unwahrscheinlich, besonders in den USA, wo nach Statistiken des Justice Policy Institute sowohl relativ als auch absolut mehr Menschen im Gefängnis sitzen als z.B. in China. Ein ‚War on Sharing' analog zum ‚War on Drugs' scheint besonders mit einem erzkonservativen, industriefreundlichen Präsidenten nicht undenkbar."[3] Spätestens in diesem Fall dürfte das Gnutella-Netzwerk zusammenbrechen.

Die Krise der Musikindustrie

Die Geschichte des Musiktausches hat gezeigt, dass die Musikindustrie die von ihr unkontrollierte Verbreitung von MP3s im Internet erbittert bekämpft hat. Öffentlich begründet sie ihr Handeln mit dem Schutz der KünstlerInnen, die auch angemessen bezahlt werden wollen. Durch die Verbreitung von Songs über Musiktauschbörsen würden den Musikern jedoch ihre Einkünfte gestohlen und damit ihr zukünftiges Schaffen behindert. Daraus ergibt sich logisch die Konsequenz, dass die "Musikpiraten" mit aller "Härte des Gesetzes" bekämpft werden müssen. Die breite Öffentlichkeit hat bisher diese Argumentation nicht hinterfragt. Auch Bundeskanzler Schröder und Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin haben sich in diesem Sinne zugunsten der Musikindustrie geäußert.

Aber stimmt diese Argumentation der Musikindustrie überhaupt, oder handelt es sich dabei nur um eine Schutzbehauptung, um ihre Einkommensquellen nicht zu verlieren? Dies wird klarer, wenn wir kurz die Geschichte der Musik im 20. Jahrhundert betrachten.

Musik war ursprünglich ein öffentliches Gut, das sich durch "Nicht-Rivalität und Nicht-Ausschließbarkeit im Konsum" auszeichnete. Nicht-Rivalität bedeutet, dass der Konsum eines öffentlichen Gutes durch eine Person nicht den Nutzen eines anderen Konsumenten verringert. Nicht- Auschließbarkeit meint, dass niemand oder nur unter prohibitiv hohen Kosten vom Konsum eines öffentlichen Gutes ausgeschlossen werden kann, etwa wenn um eine Konzertbühne ein Zaun gezogen und Aufsichtspersonal eingestellt wird um nichtzahlende Menschen vom Konsum dieser Musik abzuhalten.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde es möglich, Musik aufzuzeichnen und zu speichern. Damit wurde aus einem ursprünglich öffentlichen Gut eine Ware. Dennoch führte dieser Umstand zunächst zu einer Demokratisierung des Musikgenusses, wodurch viel mehr Menschen als früher die Möglichkeit hatten, Musik der verschiedensten Stilrichtungen zu hören. Damit war auch die Möglichkeit für einen Aufschwung des Musikmarktes gegeben, dessen Angebot vielfältiger wurde.

Eine Bedingung für die Entstehung einer eigenen Musikindustrie war das Copyright. Dieses ursprünglich aus dem Zeitalter des Absolutismus stammende Monopolrecht räumt dem Schöpfer eines ‚intellektuellen Produktes' die Verfügungsmacht hierüber ein und verbietet u.a. in den meisten Fällen ein Kopieren ohne ausdrückliche Erlaubnis des Urhebers. Die klassische ökonomische Begründung für das Copyright ist, dass die Fixkosten für den Schöpfungsprozess eines intellektuellen Gutes sehr hoch sind. Ist es aber erst einmal geschaffen, so kann sich jeder dieses Werkes bedienen, ohne einen Preis dafür zu bezahlen. Dies würde aber die Produktion intellektueller Werke zum Erliegen bringen.

Selbst unter den Bedingungen der Vor-Internet-Zeit nützte das Copyright aber mehr den Musikverlagen als den Künstlern selbst: "Musiker verkaufen ihre gesamten Rechte meist an die Musikkonzerne, da sie - zumindest am Anfang ihrer Karriere - kaum Verhandlungsmacht haben"[4] Nach einer Untersuchung von Martin Kretschmar können die meisten Musiker in GB nicht von ihrer Kunst leben. Auch sind die Zahlungen für die Künstler höchst ungleich: So bekommen nur 10 % aller Musiker 90 % aller Tantiemen.

Richtete sich das Copyright bisher vor allem gegen kommerzielle Nachahmer, so kriminalisiert diese Gesetzgebung im Zeitalter der digitalen Kopie und des Internet zunehmend den privaten Nutzer, der etwa über Musiktauschbörsen Dateien austauscht. Verschärft wird diese Problematik noch dadurch, dass die noch bestehenden Grenzen des Urheberrechts, insbesondere das Recht auf Privatkopieen, auf Veranlassung der Contentindustrie immer weiter ausgehöhlt werden.

Der technische Fortschritt, der die Musikindustrie zu Beginn des 20. Jahrhunderts hervorgebracht, macht sie heute als Vermittlungsinstanz zwischen KünstlerIn und KonsumentIn eigentlich überflüssig. Die panische Reaktion der Musikindustrie scheint darauf hinzudeuten, dass ihrer Vertreter dies selbst befürchten. So sagte beispielsweise Steve Heckler, Vizepräsident von Sony Pictures Entertainment: "Die Musikindustrie wird alle Schritte, welche auch immer nötig sein mögen, unternehmen, um ihre Einkünfte zu sichern. Sie wird diesen Einkommensstrom nicht verlieren, geschehe was wolle [...] wir werden aggressive Schritte unternehmen, [denn] es steht zu viel auf dem Spiel."[5]

Zwei Szenerien: Kulturelle Vielfalt...

Noch im Jahr 2000 waren viele Menschen der Auffassung, dass die Krise der Musikindustrie auch dazu führen könnte, dass das Copyright zumindest im Internet in Zukunft aufgegeben wird. Für diesen Fall prophezeiten zahlreiche Wissenschaftler, wie z.B. der Ökonom Dr. Peter Tschmuck auf dem Kongress Micafocus 1, dass das teilweise Verschwinden des Copyrights auch die Preise für CDs senken und allgemein die Eintrittsbarrieren in diesen von fünf großen Firmen dominierten Markt verringern wird. Die Preise für Musik werden dadurch sinken, was aber durch überproportionale Nachfragesteigerungen mehr als ausgeglichen werden kann. Das Musikangebot wird dadurch steigen und noch vielfältiger werden. Wesentlich mehr Künstler werden von ihrem Musikschaffen leben können als zuvor, weil der Superstareffekt sich abschwächt. Es wird demnach mehr Superstars geben, die aber weniger hohe Einkommen vom Markt beziehen können. In diesem Szenario müssen die Majors vielen kleinen und mittleren Musikanbietern weichen, die ihre Musik direkt und über das Internet vermarkten. Auch die Musiker benötigen das Copyright-System nicht mehr, weil die erfolgreicheren unter ihnen aus der Eigenverwertung ihrer Musik höhere Gewinne ziehen. Die weniger erfolgreichen Musiker konnten ohnehin vom Copyrightsystem nicht Ihren Unterhalt bestreiten und erzielen durch dessen Wegfall höhere Einkommen vom Markt.

Ein Beispiel hierfür ist die Aussage von Roger McGuinn, Mitglied der wenig bekannten Band "The Byrds" vor dem US- Senat am 11.07.2000: Er selbst habe für alle 15 Byrds Alben nur jeweils ein paar tausend Dollar bekommen. Das Verschenken von Musik auf seiner eigenen Website und bei mp3.con habe ihm keine Verluste, sondern Umsatzsteigerungen von bis zu 20% eingebracht.

Es wäre auch denkbar, dass die z.B. in der BRD von der GEMA verteilte Leermedienabgabe moderat erhöht und an die KünstlerInnen auch nach ihrer Downloadhäufigkeit bei Musiktauschbörsen verteilt wird. Dies käme vielen Musikern bestimmt entgegen, nur nicht der Musikindustrie, die daran nichts verdienen würde.

Der amerikanische Rechtswissenschaftler Lawrence Lessing glaubt, dass das Internet gerade im Bereich der Kultur bisher ungeahnte Freiheiten und Möglichkeiten für den Einzelnen bieten würde. Dies ergibt sich aus einem Vergleich der kulturellen Situation der 70er Jahre und heute: "Wollte man damals ein Buch veröffentlichen, brauchte man einen Verleger. Wer Musik vertreiben wollte, brauchte eine Plattenfirma. Und wer ein Video oder ein Radioprogramm senden wollte, war natürlich auf eine Rundfunkanstalt angewiesen. [...] Mit Hilfe von MP3 etwa wurde es Künstlern möglich, direkt an ihre Fans übers Web heranzutreten. Jeder könne zudem mit Streaming-Techniken problemlos seinen eigenen Radio- oder Fernsehsender im Netz eröffnen, ..."[6]

...oder totale Kontrolle

Inzwischen hat sich aber gezeigt, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass obiger Fall eintritt. Mag auch die technische Entwicklung dazu geführt haben, dass sie als Vermittlungsinstanz zwischen KünstlerInnen und KonsumentInnen mehr und mehr überflüssig wird, so haben ihre VertreterInnen doch gezeigt, dass sie an ihrer bisherigen Rolle als Vermittler und Gatekeeper durchaus mit aller Gewalt festhalten will.

Das geht aber nur, wenn die Spielregeln der analogen Welt künstlich auf die digitale Welt der Computer und des Internet übertragen werden. In der Zeit vor den CDs und MP3s war z.B. mittels Audio- und Videocassetten nur ein verlustbehaftetes Kopieren möglich, deren Produkte höchstens im Freundeskreis getauscht, nicht aber weltweit verteilt werden konnten. Das Ziel der Musikindustrie ist es, diese Zustände wieder herzustellen. Das machen aber digitale Medien wie CDs oder MP3s schwer. Denn jede digitale Kopie ist so gut wie das Original. Im Extremfall könnte so einen einzige Kopie den gesamten Bedarf decken. Dann gäbe natürlich für die Musikindustrie nichts mehr zu verdienen. Um das zu verhindern muss also jede digitale Kopie verboten oder durch technische Kopierschutzmechanismen unmöglich gemacht werden.

Wenn man schon mal dabei ist, solche Einschränkungen in digitale Medien einzuführen, könnte man nach Meinung der Musikindustrie auch noch weiter gehen und gleich für jeden Hörvorgang eines Songs gesondert kassieren. Dieses Konzept "Pay per Listen" wird von der Musikindustrie schon seit längerem als Ziel angestrebt.

Der Musikmanager Alex Merck glaubt, dass die Musikübertragung über das Internet - allerdings ohne die Möglichkeit, diese Musik auch zu speichern - langfristig sowohl den heutigen CD- Kauf, als auch die konventionellen Radiosender ablösen wird. Abgerechnet wird dann nach Konsumminuten, wobei ca. 7 Pfennige pro Minute und Hörer mit dem heutigen Modell vergleichbare Einnahmen brächten. Für die Musikindustrie kann dieses Modell die Lösung der heutigen Logistik-Probleme bringen und wird dabei zu Arbeitsplatzabbau in den Bereichen Transport, Herstellung, Lagerhaltung und Handel führen. Hier redet Alex Merck also Klartext: Die Musikindustrie will ihre Kosten reduzieren, aber diese Einsparungen durchaus nicht an ihre Kundschaft weitergeben, die statt dessen mit immer größeren Einschränkungen der Möglichkeiten gepeinigt werden, was sie mit der von ihnen erworbenen Musik machen können.

Auch Bertelsmann-Manager Thomas M. Stein kündigte auf der Popkomm 2000 an: "Sogenannte Digital-Rights-Managementsysteme machen es möglich, sich für wenig Geld sein Lieblingsstück aufs Handy oder die Uhr zu laden. So wie in Mission Impossible wird die Information sich dann nach fünf oder zehn mal Abspielen zerstören."[7]

Verschärfung der Gesetze

Um dieses Ziel zu erreichen, setzte sie vor allem auf drei unterschiedliche Strategien:

  1. Lobbying bei Politikern, um die Rechte der KonsumentInnen auf "Fair Use" auszuhöhlen und ihre eigenen zu stärken.
  2. Zerstörung aller alternativen Vertriebswege für Musik mittels Klagen.
  3. Implementierung eines wirksamen technischen Kopierschutzes.

In den Punkten 1 und 2 hat die Musikindustrie ihre Ziele im Wesentlichen bereits erreicht, während ihr die Implementierung eines wirksamen Kopierschutzes bisher noch nicht wirklich gelungen ist.

In den letzten Jahren hat die Musikindustrie und andere Industriezweige, die geistiges Eigentum verwerten, wie etwa die Film- und die Softwareindustrie bedeutende Erfolge darin erzielt, Gesetze zu ihren Gunsten ändern zu lassen:

Als Resultat der Verhandlungen der sogenannten Uruguay Runde wurde im Jahr 1995 die World Trade Organization (WTO) gegründet. Ein Bestandteil der WTO-Verträge ist das "Agreement on Trade- Related Aspects of Intellectual Property Rights" (TRIPS), einer der meistgehassten WTO-Verträge. Schon damals konnte u.a. die Musikindustrie - weitgehend von der Öffentlichkeit unbeachtet - erreichen, dass die Rechte der Copyright-Inhaber stark ausgeweitet und zugleich die Grenzen des Urheberrechts beschränkt wurden. So sieht dieses Abkommen vor, dass die Urheber das Recht haben, in jedem Fall über die Verwendung ihrer Werke zu bestimmen. Insbesondere sollen sie unautorisierte Kopieren verbieten können.

Die Bestimmungen des TRIPS wurden 1998 in den USA und 2001 in der EU in nationales Recht umgesetzt. Der US-amerikanische Digital Millennium Copyright Act (DMCA) und die EU-Copyright-Richtlinie ähneln sich sehr stark. Sie besagen im Kern, dass die Copyright-Inhaber das Recht haben, ihre Werke durch technische Maßnahmen vor dem Kopieren zu schützen. Eine Umgehung dieser Maßnahmen wird ebenso kriminalisiert, wie die Bereitstellung von technischen Werkzeugen, die diesem Zweck dienen. Nach der EU-Richtlinie haben die KonsumentInnen zwar weiterhin das Recht auf private Kopien, können es aber nicht mehr ausüben, wenn diese Werke mit einem Kopierschutz versehen sind. Würden sie es doch versuchen, begehen sie ein Verbrechen, das mit Gefängnisstrafen geahndet werden kann. In einem Kommentar zu der EU-Copyright-Richtlinie stellte das EU- Parlament ausdrücklich auch fest, dass Musiktauschbörsen wie Napster und Gnutella nach dieser Richtlinie illegal sind.

Die Einzelstaaten haben in Umsetzung der EU Copyright-Richtline zusätzlich die Möglichkeit, in ihrer nationalen Gesetzgebung die Privatkopie völlig zu verbieten. Genau dies fordert die deutsche Musikindustrie von der Bundesregierung, die auf der Musikmesse Popkomm 2001 behauptete, sie hätte durch Musikdownloads und die Verbreitung von CD-Brennern Milliardenverluste erlitten.

Die Cybercrimeconvention des Europarats, die im September 2001 unterzeichnet wird, fordert darüber hinaus in Artikel 10, dass unbefugte Nutzung von urheberrechtsgeschützten Werken per Computer kriminalisiert wird. Bis jetzt war nach der Rechtsauffassung der meisten Juristen in der BRD nur der unautorisierte Upload von MP3s verboten, nicht aber deren Download oder Besitz. Nach dieser Regelung kann schon bestraft werden, wer MP3s herunterlädt oder auf seinem Rechner speichert, ohne eine Original CD vorweisen zu können.

Technischer Kopierschutz

Bis jetzt ist es der Musikindustrie aber noch nicht gelungen, einen wirksamen Kopierschutz für digitale Werke zu finden, obwohl sie schon bedeutende Anstrengungen in diese Richtung unternommen hat. Der bisher wichtigste Versuch, die Medien, also CDs oder Musikdateien direkt vor dem Kopieren zu schützen, war die "Secure Digital Music Inintiative" (SDMI). Sie sieht vor, dass alle Musikstücke mit einem digitalen Wasserzeichen versehen werden, das einmalig ist und sie eindeutig identifizierbar macht. Unter einem digitalem Wasserzeichen versteht man zusätzliche in den Audio-Dateien versteckte Daten. In Zukunft müssen sowohl Abspielgeräte als auch Musikstücke bei der Musikindustrie registriert werden. Dies erlaubt es, Musikstücke eindeutig bestimmten Geräten zuzuordnen, die dann nur noch auf den Geräten des Besitzers abgespielt werden können. Allerdings haben die Bemühungen um SDMI gegenwärtig einen Rückschlag erlitten. Denn im September 2000 forderte die SDMI Hacker im Rahmen eines Wettbewerbs dazu auf, die von diesem Gremium zur Kontrolle von Online-Musik entwickelten Wasserzeichen zu hacken, um ihre Sicherheit zu beweisen. Hacken meint hier, die digitalen Wasserzeichen aus dem Musikdateien zu entfernen, ohne die Musik selbst zu beschädigen. Entgegen den Erwartungen gelang dies tatsächlich für alle verwendeten Wasserzeichen.

Da dieser Kopierschutz wohl vorerst gescheitert ist, bringt die Musikindustrie seit dem Sommer 2001 CDs verstärkt mit einfacheren Schutzmechanismen auf den Markt, die entweder nicht am CD-Laufwerk eines Computers abgespielt werden können oder deren Inhalt nicht auf die Festplatte des Computers kopiert werden kann.

Resümee

Im bisher noch wenig kontrollierten "elektronischen Grenzland" des Cyberspace kam es mit MP3 und Napster zu einer spontanen Vergesellschaftung des weltweiten Musikbestandes, die nur gewaltsam gestoppt werden konnte. Wie insbesondere mp3.com gezeigt hat, ist auch die Funktion der Musikindustrie als Vermittler zwischen KünstlerInnen und KonsumentInnen mehr und mehr überflüssig. Hatte sie in der Vergangenheit auch die Demokratisierung der Musik gefördert, so behindert sie inzwischen den technischen und gesellschaftlichen Fortschritt genauso wie eine weitergehende Demokratisierung der Kultur, die nach den Worten von Lorenz Lessing den Unterschied zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen von Kulturgütern stark einebnen könnte.

Anmerkungen:

[1] Die Fraunhofer Gesellschaft ist ein eingetragener Verein, der von der öffentlichen Hand finanziert wird. Seine Aufgabe ist anwendungsorientierte und industrielle Auftragsforschung.
[2] Dr. Thomas J. Schult: Musik ist Schrumpf, in C't 14/99, S. 78.
[3] Schöner Tauschen III, Telepolis, Erik Möller, 08.08.2000, URL: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/8504/1.html
[4] Her mit dem Markt! , Telepolis, Konrad Lischka, 06.05.2001, URL: http://www.heise.de/tp/deutsch/special/auf/7554/1.html
[5] Mitte August 2000 auf der Americas Conference on Information Systems 2000 vor Computerfachleuten im kalifornischen Long Beach, Quelle: Internet-Zensur durch Medienkonglomerate? , Telepolis, Peter Mühlbauer, 24.08.2000, URL: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/8600/1.html
[6] Good Bye Internet, welcome Disney.net, Telepolis, Stefan Krempl, 13.02.2000, URL: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/5784/1.html
[7] Dieses Lied zerstört sich in fünf Minuten selbst, Telepolis, Günter Hack, 21.01.2001, URL: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/musik/4734/1.html (Update). Die Originalversion, die hier zitiert wird, wurde auf Verlangen von Bertelsmann gelöscht.

 

Editorische Anmerkungen:

Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 361 (November 2001) und ist eine Spiegelung von http://inprekorr.de/361-nap.htm