Auflösen und wiederfinden
Sichtachsen in Geschichte und Programm von ›Ästhetik & Kommunikation‹

von Dieter Hoffmann-Axthelm
09/02
 

trend
onlinezeitung
Briefe oder Artikel info@trend.partisan.net ODER per Snail: trend c/o Anti-Quariat 610610 Postfach 10937 Berlin

Was, euch gibt es noch? Nach 28 Jahren Erscheinen, beim 100.Heft angelangt, ist die vorherrschende Reaktion des Publikums offenbar das Erstaunen, daß die Zeitschrift überhaupt noch existiert. Ja damals habe ich euch viel gelesen. Heute? Weder Freude noch Dankbarkeit, eher Enttäuschung: Warum seid ihr nicht längst eingegangen.

Die so reagieren, ergrauten mit den Machern, sie mögen vermutlich auch ihre eigene Lebensgeschichte nicht besonders. Die Verjüngung der Herausgeberbande kam zumindest bei ihnen nicht an – zugegeben, sie liefert sich ein offenes Rennen mit der galoppierenden Fragmentierung und Digitalisierung von Öffentlichkeit. Die historischen Provokationen der Zeitschrift sind die Selbstverständlichkeiten von heute. Die letzte Provokation scheint die Existenz der Zeitschrift selber zu sein.

Ästhetik und Politik

Aber warum eigentlich hat die Zeitschrift bislang alle, auch die dringlichsten, Gelegenheiten zum Eingehen verpaßt? Da ist etwas, womit man noch nicht fertig ist. Die Zählebigkeit von Ä&K hängt, denke ich, am unausgeschöpften Anfangsanstoß. Sie hängt, anders gesagt, an dem Abgrund, der sich in ihrem Titel auftut, ohne darin offen benannt zu sein – am nicht zu bewältigenden, nach hinten und vorne gleich offenen und zum Weiterfragen zwingenden Verhältnis von Ästhetik und Politik.

Damals, 1970, im Banne Adornos, war die Rede zur Kunst der letzte Ort einer politisch unaussagbar gewordenen Hoffnung. Was passiert, wenn man in der Politik das Bilderverbot widerruft – Rückkehr zum Faschismus, Regression in den sozialistischen Realismus, Hereinfallen auf Reklame, Warenbilder, medialen Schein? Doch trat im Titel die Politik nicht offen auf, man hat eine externe Macht hinzugezogen, Kommunikation.

Der Anspruch auf Benutzung also. Der Kommunikationsbegriff hatte damals den Reiz weniger des Technischen als des bloß Formalen, von der Informationstheorie über den Strukturalismus bis hin zu Max Benses binärer Ästhetik. Gegen die Unüberholbarkeit der Kunst als Leitwährung einer Metaphysik des Scheiterns wurde ein Optimismus der didaktisierten politischen Mitteilung gesetzt. Der sollte sich bald darauf zu einer eigenen Medientheorien verselbständigen.

Daß auch da etwas zerreißen könnte, hat damals kaum einer gespürt. Es ging darum, gegenüber der politischen Lähmung durch Adornos Ästhetik einen Bewegungsspielraum zu öffnen. Einen politischen Raum, keine Abkehr, sondern Platz und Anlaß für eine – wir gehen erst einmal in die Schule – benutzbare Ästhetik.


Beiträge zur politischen Erziehung

Der Untertitel lief mit bis Deutsche Mythen und Intimität (1984/85). Da glaubte längst keiner mehr daran. An die Stelle des Erziehungsanspruchs war das Lustprinzip getreten: Was lockt uns? Worüber juckt es uns nachzudenken, welche Standpunkte lassen sich anbohren, welche Empfindlichkeiten, auch eigene, stören? Aber Deutschland als Schule, das war bis 1989 durchaus nicht falsch.

Vor allem war es 1970 ein guter Anfang. Woher bekam man damals ein Stück Praxis, einen gesellschaftlichen Raum zu fassen, ohne sich der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit oder einer K-Partei bzw.den in Kultur, Schule und Hochschule allgegenwärtigen Krypto- und Schwesterorganisationen der SED an den Hals zu werfen? Didaktik statt Kaderschulung, das war damals ein Angebot.

Die pädagogische Station nahm Druck weg und erlaubte ein gewisses Handeln, ausreichend, um zwischen Überwältigung durch negative Theologie und dem linken Positivismus, der die Studentenbewegung beerbte, überhaupt ins Freie zu kommen. Das Verhältnis zur Schule wurde irgendwann beidseitig und einvernehmlich gelöst. Heft 39 zeigte: Die Lehrer selber wollten ihre Praxis nicht mehr in den Wind größerer Fragen hängen. Was sie an der Zeitschrift interessierte, war etwas anderes – Material für Leute wie sie, die außer Lehrer auf der Suche nach Unterrichtsinhalten auch reizhungrige Unternehmer ihres eigenen Lebens waren, mit sich verändernden Horizonten und aufkommenden Fluchtinteressen.

Das Anpflocken an Schule, Erziehung, Didaktik bewirkte, im Rückspiegel gesehen, aber weit mehr. Damit hat die Zeitschrift ihr libertäres Verhältnis zu Fächern, Institutionen und Gegenständen eingeübt, Gegenständlichkeit, aber keine Festlegung auf Fachgrenzen. Das begleitet sie bis heute – zu ihrem intellektuellen Vorteil, zu ihrem wirtschaftlichen Nachteil. So wenig eine pädagogische Zeitschrift entstanden ist, so wenig eine für neue Medien oder für sozialistische Kunst. Aus Ä&K konnte nie eine Fachzeitschrift werden. Die entsprechenden Autoren haben wir nicht erst verloren, wenn sie – nicht zuletzt aufgrund ihrer Artikel in Ä&K (so einfach war das damals) – Professoren wurden. Der Streit begann immer schon in den betreffenden Heften selbst.

Anfangs lief es offenbar von alleine, schon aufgrund der Verschiedenheit der Beteiligten und ihrer Wege. Dann, nach dem Übergang von Frankfurt nach Berlin, wurde Bewußtsein und Methode daraus, Bewußtsein und Methode intellektueller Libertinage. Ein Interesse an Praxis jeder Art, an Bewegungen und Brüchen in der geraden Linie, wo auch immer – Eberhard Knödler-Bunte; oder die Fähigkeit Helmut Hartwigs, Irritationen, angefangen mit der Ästhetik der Kulturrevolution, zum Zentrum zu machen und Wegen und Abwegen des Gebrauchs von Bildern zu folgen bis zur völligen Verunsicherung. Daß solche Fähigkeiten auch untereinander in Konflikt geraten, ist nur logisch.

Es konnte aus Ä&K aber auch keine Publikumszeitschrift werden. Dazu wäre nötig gewesen, die anarchischen Interessen einer Disziplin des Erscheinungsbildes, einer Schreibweise, einer vorweggenommenen Leserschaft zu unterwerfen, wie es das Kursbuch vormachte. Hätten wir gern, ging aber nicht, bzw.wäre nur ohne uns gegangen. Die Brechung der immanenten Gegenstandsperspektiven, Öffnung auf Lebensverhältnisse, das Aufhalten der Fenster nach überall hin legte auf eine Zwitterexistenz fest, die die Zeitschrift bis heute, bei wachsendem Luftmangel, die Identifizierbarkeit, ›Zeitschrift für…‹, verpassen läßt.


Ästhetik oder Kommunikation?

Am Anfang stand die Gegenwehr gegen die Immunisierung von Ästhetik als Theorie. Also Öffnung durch Kommunikation – ihrerseits eine Theorie und eine Ästhetik. Kunst fand anderswo statt und beschaffte sich ihre Öffnungen alleine.

Heute haben wir eine Reimmunisierung der Kunst, die sie sowohl gegen ästhetische Theorie, überhaupt Theorie, verschließt wie gegenüber jenen Öffnungen, die in der Zwischenzeit über die Brücke der Kommunikation möglich waren.

Was hat die Zeitschrift damit zu tun? Wo ist die Leitfunktion der Ästhetik abgeblieben? Von heute aus scheint mir die Weichenstellung in der kommunikativen Öffnung selber zu liegen. Die Praxen, die man so zu Gesicht bekommt, sind eben keine genuin künstlerischen, sondern Design, Werbung, Fotografie, Kindermedien usw.einerseits, Schule (Kunstunterricht, Kreatives Schreiben, Theater) andererseits. Auf die Kunst lassen sich so nur schräge Blicke werfen.

Die Kosten permanenter Öffnung summieren sich nicht erst heute in Gegenstandsverlust. Gemeint sind die emphatischen Gegenstände, Kunst, Geschichte, Wahrnehmung, Selbst. Die Öffnung von – als Leitfossil – Kunst auf Kommunikation stellt, indem sie alle einlädt – jeder ist ein Künstler –, den Gegenstand zur Disposition. Mein Vorwurf des Untergangs von Kunst in Kommunikation (»Visuelle Kommunikation bedeutet«, daß »die Frage nach dem Sinn der Bilder durch die nach der informationellen Eignung der Medien ersetzt wird«) bewahrheitete sich in der Zeitschrift nicht. Wohl aber ersetzte der Nachdruck auf Gebrauch und Lebensverhältnisse den Begriff der Kunst durch den der ästhetischen Praxis.

Ästhetische Praxis ist polymorph, nicht abgrenzbar, offen für alle neuen Bewegungen wie für Psychokrisen und Medien technischer Sozialisation. Der Ansatz ist allerdings auch abhängig davon, daß es Bewegungen gibt. Bewegungen sind nicht Massen vor der Formierung zur Partei, und seien es Die Grünen, sondern soziale Suchbewegungen, die mit den Möglichkeiten ästhetischer Praxis im politischen Raum experimentieren. Dabei wird die Linie des Ausprobierten ständig vorverlegt.

Bewegung dieser Art ist heute etwas aus einer anderen Welt. Aber genau genommen war es damit spätestens Anfang der achtziger Jahre vorbei. Am Ende der achtziger Jahre kam die nächste Generation und rekapitulierte das Kapitel unter dem Titel der Lebensstile. Da war von ästhetischer Autonomie nicht mehr die Rede, die Kunst ganz außer Sichtweite, und wir in der Soziologie.

Ästhetische Praxis als Kulturarbeit

Die Spannung von Ästhetik und Kommunikation konnte eine lange Wegstrecke hindurch, die produktivste der Zeitschrift, aufgelöst werden in den – weiten, insofern Ä&K-eigenen – Kulturbegriff.

Der Kulturbegriff hat die Aufgabe, alle menschlichen Verhältnisse, einschließlich der Arbeit, unter dem Gesichtspunkt der bewußten Teilnahme und des Genusses der Menschen aneinander zu fassen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Kulturgeschichte die Geschichte gescheiterter Befriedigungsorganisationen. (Ä&K 21:60).

Nicht die Objekte zählen, sondern die Lebensverhältnisse, die sich in ihnen ausdrücken oder sich ihrer bedienen. Auflösung der kulturellen Fetische, des Werks, in Gebrauch, in lebendige Praxis. Unvollkommene Schreibweisen waren uns als Momente von Praxis wichtig, aber auch die eigene Verwicklung, das Selbermachen.

Unvermeidlich zog man sich auch die Folgen zu: Erfahrung in erster Person zu machen kostet Zeit und Energie, bedeutet also Abwesenheit aus einer akademischen Arena, wo es anderen überlassen wird, Erfahrungen zu machen, und die Wissenschaft sich darauf beschränkt, die Erfahrungen als Produkte abzugreifen und akademisch aufzubereiten.

Rückwärts blickend muß man aber auch anmerken: Dieser auflösende, alles in Bewegung bringende Kulturbegriff statuierte, als Variante der Kapitalismustheorie, eine unbegrenzte intellektuelle Kompetenz. Alles ist Kultur. »Herstellung von Gas- und Folterkammern (auch sozialistischen) ist Kulturarbeit« (Ä&K 21:61), »ein Konzentrationslager ist selbstverständlich…eine Kulturleistung. Nicht nur dann, wenn Streichquartette vorkommen, sondern als Konzentrationslager ist es eine Kulturleistung« (Ä&K 35:98). Einmal aus der Frankfurter negativen Theologie des Kunstwerks entlaufen, kann man über alles reden. Alles ist Kultur. Als Zeitschrift einer permanenten Kulturrevolution hat man den engen Kulturbegriff, und damit ihre Gegenstände, Kunst usw., immer schon hinter sich, steht aber vor der Aufgabe, mit ihren Mitteln nunmehr alles beziehungsfähig zu machen.

Aus Ästhetisierung wird Kulturalisierung. Keine Basis-Überbau-Ableitungen, sondern Verstehen von Massenbewegungen, von Alltagskulturen. Worin lag die Verführungskraft des Faschismus? Welche ästhetischen Bindungen gibt es, die uns selber aufs Spiel setzen und es ermöglichen, die Realität einer faschistischen Mehrheit unter Einschluß kommunistischer Massen von innen her zu konstruieren? Daraus ergaben sich zumindest, an Positivem, die Deutschland- und die friedenspolitischen Hefte, die beanspruchen können, unter dem Protest der Intelligenzija die Themen einer heutigen Berliner Republik vorgedacht zu haben.

Ästhetik und politische Kultur

Dies ist eine Geschichte der Titelgegenstände im Spiegel der Zeitschrift, keine der Zeitschrift selber. Die Titelgeschichte geht noch weiter. Die Zeitschrift wäre nicht gewesen, was sie war, hätten ihr andere nicht zu wiederholtem Scheitern ihres Standpunktes verholfen, zur Entdeckung der Grenzen.

Erste Grenze: Weibliche Ästhetik, zweiter Teil von Heft 25, konzipiert von Silvia Bovenschen. Die Männerredaktion saß unvermittelt auf dem Trockenen. Begreift man die Kunst als das andere intellektueller Vergewisserung, dann wird der Frauenzugang zur Kunst zum anderen des anderen, eine Umdrehung, um die man nicht herumgehen kann, um wieder zur Vorderseite zu kommen, sondern die man hinnehmen muß, weil man selber es ist, der sich dies andere verstellt.

Auf die zweite intellektuelle Grenze stieß uns David Bathrick von der New German Critique. Wir hatten eine Heftfolge vor: Deutsche Trennungsgeschichten. Natürlich war auch an die DDR gedacht, aber die DDR war in Wahrheit nicht die gemeinte Trennung, das DDR-Heft kam also folgerichtig erst zum Ende der DDR und also fast von selber. David Bathrick ermutigte uns vielmehr, von uns selber zu reden, wir nicht als Linke, sondern als gelernte Deutsche, durch eine intellektuelle Quarantäne getrennt von uns selber und damit von den entscheidenden Gefahren.

Das daraus entstandene Heft, Objekt heftiger öffentlicher Angriffe und vollkommen unverkäuflich, erbrachte den Beweis, daß die aufgeklärte Rede von Auschwitz ein dünner Rationalisierungsfilm über einer in uns steckenden und uns im Ernstfall sprachlos machenden, ganz und gar nicht bewältigten Geschichte war. Heft 51 entfesselte Bekenntnisse und Kritiken, die einen vor Entsetzen erstarren ließen, etwas von einem nachgeholten historischen Wahnsinn.


Ästhetik und Kommunikation e. V.

Das ›e.V.‹ stammt schon von 1979. Da also war bereits der Punkt, wo eine Verteidigungsstellung bezogen werden mußte. Es galt, das Recht am Titel zu sichern, unabhängig von Zugehörigkeiten zu irgendeinem Verlag. Die Struktur ist noch gültig: ein Kern von Herausgebern, die auch finanziell verantwortlich sind, eine sich flexibel um- und neubildende Redaktion, ein lockerer Freundeskreis.

Es sind aber, im Rückblick, ungeheure Schnitte im sozialen und persönlichen Feld, die diese strukturelle Stabilität durchquerten. Was zusammenhielt, war Denklust und gemeinsame Erfahrungen angesichts noch nicht zu weit auseinanderliegender Lebensweisen. Beides wurde aber zunehmend beruflich strapaziert. Für die einen ist Denken und Schreiben Teil des akademischen Feldes. Andere von uns versorgte das Erwerbsleben zunehmend mit Macher-Erfahrungen. Jeder einzelne probierte daraufhin, z.B.durch längeres Fernbleiben, aus, ob er die Zeitschrift noch braucht.

Eine Zeitschrift, die nicht durch die Antwort des Marktes, durch Redaktionskonzept, Bezahlung, Hierarchie, Verlag usw.auf Linie gehalten wird, woran orientiert sie sich noch? Aus welchem Interessenzentrum heraus mutet man sich heute diese Arbeit zu, und welche Zwänge nimmt man dabei in Kauf? Debatten provozieren, in Debatten eingreifen – wo wäre heute die Bühne dafür? Alle zur Zeit veröffentlichten Debatten und ihre Ebenen sind mehr oder minder fiktiv. Das uninteressierte Nebeneinander der Teil- und Intro-Debatten ist die Realität von heute. Für wen man die Zeitschrift macht, das war auch früher nicht zu beantworten, aber immerhin von uns her beantwortbar – auch für uns selbst. Und genau dieses: für uns selbst, und dadurch für viele, ist heute unklar.

Der Durchbruch zur Marktwirtschaft wäre eine Lösung. Das bedeutete Erwachsenwerden, eine Zeitschrift machen, die ankommt und so viel Geld einbringt, daß Autorenhonorare und ein bezahlter Redaktionsapparat möglich sind. Eine solche Professionalisierung liegt aber offensichtlich nicht in den Genen des Blattes. Sie wäre nur mit anderen Leuten und einer ganz anderen Redaktionsstruktur zu machen, nicht mit einem, wiewohl sich erweiternden und verjüngenden Haufen von Einzeltätern. Es wird, wenn es die Zeitschrift weiter gibt, wohl auch weiter bei der so peinlichen wie überholten Figur einer distinguierten Bettelei um kostenlose Mitarbeit bleiben.

Wir und unsere Autoren subventionieren uns einen Zustand, der es uns einstweilen erlaubt, wie bisher unberechenbar und unorganisiert zu bleiben.

Eine Zeitschrift für die Berliner Republik

Das andere sind die ebenso brutalen Schnitte im Wechsel der Generationen. Marxismus, Kulturgesellschaft, Babylon und Mythos Berlin, alles ist auf grausame Art weit, weit weg oder nur noch in den Langzeitredakteuren, dem mit zahllosen Fäden vertäuten Kern der Zeitschrift, als Erinnerung lebendig. Wie und wem erklärt man heute die Disziplin marxistischen Denkens? Ihre Notwendigkeit damals, 1970, das Weitergehen später, ohne abzuschwören, aber mit der Lust, in einer veränderten Welt eine veränderte Sprache zu sprechen? In der Welt nach 1989 ist alles vergessen, was die Zeitschrift einmal in Bewegung gebracht hat. Es ist vergessen, weil es allgemein und selbstverständlich wurde.

Bis zur Wende, 1989, hielt die kulturelle Klammer. Die Zeitschrift war, als einzige, gut vorbereitet, wie auch noch das Hauptstadt-Heft von 1991 zeigt. Zumindest auf die westliche Seite der Sache. Eine östliche Hälfte zu finden, dieser Roman konnte, trotz einiger Zusammenarbeit und Zeltaufschlagung in Berlin–Mitte, nicht wirklich werden.

Doch im neuen Raum fallen ohnehin sowohl Orientierung wie Zusammenhalt schwer. Die Hefte redaktioneller Zusammenarbeit seit 1989 sind größtenteils Versuche, sich in der veränderten Welt zu orientieren. Man sieht das besonders gut am Kontrast zu den davon ganz unbeeindruckten Diskurs-Heften, die Gerburg Treusch-Dieter tatkräftig in die Pausen redaktioneller Arbeit hineinstellte.

Die Pausen gehören dazu. In meinen Ä&K-Unterlagen finde ich ein Blatt, das überschrieben ist: »Traum in der Nacht vom 18.zum 19.4.92«. Ein veritabler Theorie-Traum, über das Altern der Kulturtheorie. Das war zehn Jahre nach Fertigstellung meines Wahrnehmungsbuches, zu einem Zeitpunkt, wo ich die Redaktionsarbeit für zwei Jahre aufgab und, alle Kräfte konzentrierend, ganz in die Stadtplanung ging.

Daß es schwerfiel, den eigenen Gegenstand in der neuen Lage wiederzufinden, ist normal. Zu viel hat sich, und überall, geändert. Wir sollten uns nur über das intellektuelle Problem dieser Lage keine Illusionen machen: Bloße Zeitschrift für intellektuelle Beweglichkeit – halten wir das intellektuell durch? Gibt es für einen solchen Anspruch genug nachwachsende Beweglichkeiten, genug Autoren wie Leser? Ich bezweifle das. Als bloße Zeitschrift für weitergehende subjektive Beweglichkeit hat Ä&K keine Zukunft.

Wo also sind die Überlebensbedingungen eines Nachdenkens in einer fragmentierten Öffentlichkeit und abseits des Marktes? Ich habe darauf nur eine Antwort: Der Ansatz Ästhetik und Kommunikation ist noch nicht ausgeschöpft.

Dazu zwei Hypothesen.

Erstens: Daß die Antworten, die man einmal gefunden hat, wieder verloren gehen, ist normal. Hauptsache, man erinnert sich noch an die Fragen. Das Verdienst der Zeitschrift vor 1989 liegt im Programm einer theoretischen Begleitung der Bewegungen. Die Aufgabe war, zu trennen, was zusammenklebte, und zu vermischen, was unvereinbar schien – die politische Anstrengung war vom Komplex der Moderne, von Fortschrittsglauben und Sozialisierungswahn zu trennen; dagegen waren, um aus der Quarantänestation hundertprozentiger Aufklärung auszubrechen, die politischen, wissenschaftlichen, technischen, männlichen usw.Trennungen in Frage zu stellen und das Getrennte tunlichst zu vermischen.

Daß der Rahmen nicht mehr da ist, der diese Zugriffsweise möglich machte, ist also das eine Problem. Das läßt sich nur nach vorne beheben, dadurch, daß man in diesen neuen Verhältnissen seit 1989 so weit vorstößt und so viel Souveränität gewinnt, daß man sich das Themenfeld wieder leisten kann – genauer: politische Ästhetik als Paradigma einer klebrigen, störenden, hinterhältigen Vermischung der Praxen.

Zweitens: Daß das heute so viel schwerer fällt, hängt an den fehlenden Bewegungen. Wenn es aber richtig ist, daß eine Zeitschrift nicht aus ihrer Haut kann, die professionelle Lösung also ausscheidet, dann liegt das Kriterium des Gelingens oder Mißlingens in der Frage, ob es eine andere externe Abstützung gibt. Nach Lage der Dinge kommt dafür nur das Feld beruflicher Praxen in Frage, in die uns, die altgedienten Redakteure, die veränderten Umstände hineingeführt haben.

Hier ist ein Ort neuer Erfahrungsbildung entstanden, für den es jede Menge Auseinandersetzungs- und Verallgemeinerungsbedarf gibt. Erst recht stellt sich diese Frage für die nächsten Generationen. Intellektuelle Existenz ist von vornherein nur innerhalb fragmentierter Arbeitsverhältnisse zu realisieren, von Gelegenheit zu Gelegenheit, vielseitig kompetent-inkompetent, in punktueller Verknüpfung von inhaltlichen und verfahrenstechnischen Fähigkeiten.

Die neuen Berufssituationen sind es also, die die alten Fragen – ästhetische Praxis, Wahrnehmungsfähigkeit, Beweglichkeit als Politik – im kalten globalen Licht dieser Tage neu stellen. Können wir noch sehen? wahrnehmen? begreifen? beweglich sein in einer von der unübertrefflichen Beweglichkeit und Arroganz globaler Geldströme und medialer Spiegelungen und Vernetzungen sich unterscheidenden Weise?

Die Zukunft der Zeitschrift hängt dann, zum einen, daran, daß man sich weiter ästhetische Kompetenz zutraut und nimmt, weniger an soziologisch-politologischer Kompetenz. Also daran, ob es der Zeitschrift gelingt, in Bezug auf die Berliner Republik das Niveau ästhetischer Genauigkeit und Abwegigkeit im Politischen wiederzufinden, das sie für die Bonner Republik einschließlich Westberlins bewiesen hat.

Das Weitergehen hängt zum andern durchaus auch an der Art und Weise, wie man die Zeitschrift an die nächste Generation weitergibt. An uns aber ist es klarzumachen, was das ist, was wir weitergeben: Will die nächste Generation überhaupt noch ein optimistisches Projekt? Für die Gründergeneration gilt: Solange die Sprengkraft ästhetischer Vermischungen noch etwas in Bewegung bringt, solange wird es auch Hoffnung und Leser geben, solange hat die Zeitschrift ihren Sinn. Ihren wohlgemerkt.

Editorische Anmerkungen:

Der Text erschien in Ästhetik & Kommunikation 100 (April 1998) und ist eine Spiegelung von: http://www.prkolleg.com/aesthetik/100_01.html