Produktionsverhältnisse

von H. J. Krysmanski

09/02
 

trend
onlinezeitung
Briefe oder Artikel info@trend.partisan.net ODER per Snail: trend c/o Anti-Quariat 610610 Postfach 10937 Berlin

1. Zum Begriff und seiner Geschichte

Der verbreitete alltägliche Gebrauch des Begriffs 'gesellschaftliche Verhältnisse' verweist auf Vorstellungen von der sich in Relationen vollziehenden 'selbstverständlichen Regelhaftigkeit' des menschlichen Zusammenlebens. Demgegenüber sind die Begriffe 'materielle gesellschaftliche Verhältnisse' und P., obgleich sie in der Praxis unmittelbar verständlich sein können, wissenschaftliche, dem Alltag enthobene Begriffe des Marxismus geblieben.

Die Umgestaltungsdiskussion in den sozialistischen Ländern beginnt die wissenschaftliche Bedeutung des Begriffs der P. für den alltagspolitischen Gebrauch (auch im Westen) aufzuschließen. Über gesellschaftliche Verhältnisse, welche die Organisierung der materiellen Produktion betreffen, muß ohnehin ein globaler Diskussionsprozeß in Gang kommen - und in ihm wird auch der Begriff der Produktivkräfte weiter zu klären sein. Einerseits artikulieren sich in dieser Diskussion Auffassungen, man müsse vor allem das System der Wirtschaftsleitung ändern, die Formen der P. vielfältiger gestalten, die Marktbeziehungen ausbauen, Konkurrenzbedingungen schaffen usw., dann würden sich die Produktivkräfte schon in dem erforderlichen Tempo entwickeln. Andere Positionen heben die Entwicklung der Produktivkräfte als den Ausgangspunkt hervor, von dem aus das System der Leitung und Planung, die Ware-Geld-Beziehungen, die Volksbildung und andere Dimensionen der P. weiter zu gestalten seien.

Eine wissenschaftliche Diskussion und Verwendung des Begriffs der P. unter den heutigen Bedingungen muß sich als ein Neuanfang verstehen. Die Klassiker haben ihn zu einem der leistungsfähigsten Begriffe des Marxismus überhaupt entwickelt (hierzu Engelberg/Küttler 1978); in den letzten Jahrzehnten jedoch ist er auch scholastisch sterilisiert und fast unbrauchbar gemacht worden (als Beispiel Friedrich 1981). Als Kategorie des Zusammenhangs bringt er verschiedene Dimensionen der gesellschaftlichen Produktionsrealität, die allesamt und je spezifisch intensiv erforscht werden, miteinander in Verbindung. Einschlägige Fragestellungen und die entsprechende, unübersehbare Literatur tangieren seinen Sinngehalt, ohne in ihm aufzugehen. Literaturberichte üblicher Art würden hier nicht weiterführen. Die folgende Darstellung enthält Anregungen zur Wiederbelebung des Begriffs.

P. sind soziale Verhältnisse in bezug auf die Produktion und das Zusammenwirken von Arbeitskräften und Produktionsmitteln. Der Begriff bleibt grundsätzlich auf das Soziale der ökonomischen Dimension konzentriert. Der Begriff bleibt weiterhin auf die funktionalen Verhältnisse der (Re-) Produktion von Arbeitskräften und Produktionsmitteln, also auf das System der gesellschaftlichen Produktion, bezogen. Außerdem ist es sinnvoll, vom System der P. zu sprechen, um die Tatsache zu berücksichtigen, daß im (welt)gesellschaftlichen Zusammenhang ganz unterschiedliche P. und Produktionsweisen ineinanderwirken.

Im System der allgemeinen P. können Eigentumsverhältnisse, Verwertungsverhältnisse, Verteilungsverhältnisse und Arbeitsverhältnisse unterschieden werden. Eigentumsverhältnisse beziehen sich auf die 'soziale Funktion' der Produktionsmittel, auf Regelungen der Verfügung über die sachlichen Produktionsfaktoren allein. Verwertungsverhältnisse meinen die 'soziale Funktion' der den Produktionsmitteln anhängenden Arbeitskräfte, Regelungen der Ausbeutung der menschlichen Produktionsfaktoren im Prozeß der Wertschöpfung. Verteilungsverhältnisse meinen die 'soziale Funktion' der den Arbeitskräften zugeordneten Produktionsmittel, Regelungen der Konsumtion der im Produktionsprozeß geschaffenen Güter, insbesondere auch Regelungen der produktiven Konsumtion. Arbeitsverhältnisse beziehen sich auf die 'soziale Funktion' der Arbeitskräfte, auf Regelungen der Entfaltung des gesellschaftlichen Handlungspotentials, das in den menschlichen Produktionsfaktoren allein steckt.

Definitionen und Erklärungen des Begriffs finden sich an zentraler Stelle in allen Darstellungen des kategorialen Systems der Historischen Materialismus und in allen einschlägigen Lexika. Zu kritisieren ist, daß der grundlegende Charakter der Kategorie der P. dazu verleitet, die Definitionen und Erklärungen zu überfrachten, eine All-Inklusivität zu erzeugen, in welcher P. als identisch mit Klassenverhältnissen, ja mit gesellschaftlichen Verhältnissen überhaupt erscheinen: "In ihrer Wechselwirkung mit den Produktivkräften geben die P. Aufschluß über Widersprüche, Triebkräfte und den allgemeinen Charakter der gesellschaftlichen Entwicklung." (WBmlSoz 366) - "Das Eigentumsverhältnis ist das Wesen der gesellschaftlichen P., das in allen weiteren abgeleiteten P. erscheint und in ihnen enthalten ist. Es durchdringt die anderen P. sowie die von ihnen abgeleiteten Überbauverhältnisse, prägt deren Charakter." (PÖdKap 25) - "Jede grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse erfordert eine grundlegende Veränderung der Eigentumsverhältnisse in bezug auf die Produktionsmittel." (PhilWB 977) - Aber auch: "Die P. sind materielle gesellschaftliche Verhältnisse. Der materielle Charakter der P. besteht darin, daß sie außerhalb und unabhängig vom gesellschaftlichen Bewußtsein existieren. Sie sind stets an materielle Dinge (Produktionsmittel, Arbeitsprodukte) gebunden und entspringen dem materiell-gegenständlichen Handeln, durch das die Klassen und sozialen Gruppen im Produktionsprozeß innerhalb der Gesellschaft in Beziehungen zueinander treten." (DhMat 361)

Es ist also gegenüber allzu starken Verallgemeinerungen zu betonen, daß gerade die im kategorialen System des Historischen Materialismus ausgearbeitete Einsicht in die Geschichtetheit der gesellschaftlichen Wirklichkeit, in die (historische) 'emergence of levels', die nicht aufeinander reduzierbar sind, eine genaue Abgrenzung der Ebene der P. verlangt und ermöglicht.

Einsichten in die Dialektik von 'Kräften' und 'Verhältnissen', von neuer industrieller Produktion und neuen bürgerlichen Freiheiten und Regelungen gehören zum Kernbestand des Denkens des 18. und 19. Jahrhunderts. Eine Schlüsselfigur ist hier zweifellos Henri de Saint-Simon, der wie schon Condorcet den Fortschritt der materiellen Kultur ins Zentrum der Geschichtsbetrachtung stellt. Für ihn ist der Zusammenhang von fortschreitender wissenschaftlich-technischer Entwicklung und den notwendig daraus folgenden Veränderungen in den sozialen und politischen Verhältnissen das große Thema.

Saint-Simon vertritt die Auffassung, daß gesellschaftliche Umgestaltungen in der Produktion beginnen und wissenschaftlich begründet werden müssen, um eine dauerhafte, wirklich neue und nützliche Ordnung zu etablieren. (Höppner u.a. 1987, 33) Folglich muß es zur Assoziation aller 'Produzenten' oder 'Industriellen' kommen - zu denen bei Saint-Simon nicht nur die unmittelbaren Produzenten, die Wissenschaftler, die 'Künstler' (einschließlich der qualifizierten Handwerker), sondern auch die 'aktiven Kapitalisten', die Bankiers und Fabrikanten gehören. Die Eigentümer sollen verpflichtet werden, ihr Eigentum im Interesse der Gesellschaft nützlich anzuwenden; nur dann soll es vererbbar sein. "Saint-Simon tritt für das Recht der Arbeit und für die Pflicht eines jeden Bürgers zu gesellschaftlich nützlicher Tätigkeit ein. Er will, daß ein jeder nach seinen Fähigkeiten arbeitet und seiner Leistung gemäß in seinen Bedürfnissen befriedigt wird, und begründet damit das sozialistische Leistungsprinzip, das er dem egoistischen Profitstreben wie der ausgebeuteten Lohnarbeit entgegenstellt." (Höppner u.a. 1987, 35) In seinen Schriften 'L'Organisateur' (1819/20), 'Du SystÜme industriel' (1820/22) und dem mit Auguste Comte verfaßten 'Cat‚chisme des industriels' (1823/24) entwickelt Saint-Simon, wie Engels schreibt, eine "geniale Weite des Blicks..., vermöge derer fast alle nicht streng ökonomischen Gedanken der spätern Sozialisten bei ihm im Keim enthalten sind." (MEW 19, 196)

Der Beitrag von Marx und Engels zu diesem Denken ihrer Zeit besteht im Versuch, ein allgemeines objektives Gesetz gesellschaftlicher Entwicklung zu formulieren, das die dialektische Bewegung zwischen den Kräften der Produktion und den Verhältnissen oder Strukturen, in denen sie sich entfalten, in ihrer vollen Dynamik erfaßt. (Zeleny 1962) Sie zeigen, daß die jeweilige Gesamtheit der Verkehrsformen, die sich auf der Grundlage der in einer Periode vorhandenen Produktivkräfte herausbildet und deren Entwicklung zunächst vorantreibt, in der Folge die weitere Entwicklung hemmen kann. Dieser Widerspruch findet seine Lösung dadurch, daß "an die Stelle der früheren, zur Fessel gewordenen Verkehrsform eine neue, den entwickelteren Produktivkräften...entsprechende gesetzt wird". "Alle Kollisionen der Geschichte haben ihren Ursprung in dem Widerspruch zwischen den Produktivkräften und der Verkehrsform"; dieser Widerspruch muß "jedesmal in einer Revolution eklatieren". (MEW 3, 50) Nach einigen Jahren der Klärung gelingt Marx die klassische Formulierung dieses entscheidenden gesellschaftlichen Entwicklungsgesetzes: "Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen P. oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolutionen ein." (MEW 13, 9)

Die Einsicht in den sozialen Charakter der P. und in ihre vielfältigen Dimensionen wird in den 'Kapital'-Analysen vertieft. Marx zeigt an seiner Gegenwart, wie der 'spezifische, historische und vorübergehende Charakter' der "Verhältnisse, welche die Menschen in ihrem gesellschaftlichen Lebensprozeß, in der Erzeugung ihres gesellschaftlichen Lebens eingehn" (MEW 25, 885), sich in den Verteilungsverhältnissen und als Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnis konkret entfaltet. "Es ist jedesmal das unmittelbare Verhältnis der Eigentümer der Produktionsbedingungen zu den unmittelbaren Produzenten..., worin wir das innerste Geheimnis, die verborgene Grundlage der ganzen gesellschaftlichen Konstruktion und daher auch der politischen Form des Souveränitäts- und Abhängigkeitsverhältnisses, kurz, der jedesmaligen spezifischen Staatsform finden. Dies hindert nicht, daß dieselbe ökonomische Basis - dieselbe den Hauptbedingungen nach - durch zahllos verschiedne empirische Umstände, Naturbedingungen, Racenverhältnisse, von außen wirkende geschichtliche Einflüsse usw., unendliche Variationen und Abstufungen in der Erscheinung zeigen kann, die nur durch Analyse dieser empirisch gegebenen Umstände zu begreifen sind." (MEW 25, 800)

Die Reduktion auf die Eigentumsfrage, wie sie sich in der Strategiediskussion der II. Internationale vollzieht, verhindert auf folgenreiche Weise die Einsicht in die handlungs-/verhaltensbezogene Seite der P., in ihre Phänomenologie und Dynamik. Auch die rapide Entwicklung kapitalistischer Eigentumsformen (Monopole, Staat) und vieler anderer Formen der Verrechtlichung, der Rationalisierung und Bürokratisierung, der Regelung und 'Sinngebung' von sozialen Handlungen, die für den Produktionsprozeß relevant sind, kann nicht mehr adäquat analysiert werden. Emile Durkheim und vor allem Max Weber stoßen in genau diese Lücke. Max Webers Rationalisierungs- und Bürokratisierungsbegriff, sein Begriff der 'rationalen Lebensführung' usw. sind Explorationen der produktionsbezogenen historischen und zeitgenössischen Verkehrsformen, die letztlich auf nichts anderes als das soziale Verhältnis von Arbeitskraft und Produktionsmitteln zielen - bis hin zum berühmten Bild, die moderne Industriegesellschaft sei zu einem 'Gehäuse der Hörigkeit' geworden, das Arbeitskraft und Produktionsmittel in ihrer kapitalistischen Form unentrinnbar und 'sachgesetzlich' zusammenschweiße.

Nicht-marxistische Thematisierungen der Eigentumsfrage (z.B. Thorstein Veblen, passim) und der Ausbeutungs- bzw. Verelendungsfrage (z.B. Georges Sorel, passim) bleiben unspezifisch - auch wenn letztere als 'soziale Frage' den Ausgang des Jahrhunderts beherrscht. Dagegen wird die Verteilungsfrage zeitweise sehr hochgespielt (Pareto 1897, 1927; vgl. Krelle 1962). Die 'Arbeitsfrage' (industrial relations) schließlich führt um die Jahrhundertwende, als Problem der Organisierung des Verhältnisses Arbeitskraft-Produktionsmittel, zu den praktischen Lösungen der 'wissenschaftlichen Betriebsführung' Frederick Taylors (und auch Henry Fords). (Friedman 1961, Braverman 1977)

Die Taylorisierung der Arbeitsprozesse ist bis heute das Hauptprinzip der Produktionsorganisation - und zwar nicht nur unter kapitalistischen P. - geblieben. Der grundlegende Organisationsgedanke des Taylorismus lautet: Verlagerung der Kontrolle über den Produktionsprozeß aus der Werkstatt ins Büro, 'Zerstückelung' des Arbeitsprozesses und Verfügbarmachen parzellierter Arbeitskraft in flexiblen Produktionsketten. Darin steckt, weil alle Seiten des P. (Verfügung über die Produktionsbedingungen, Verwertung, Verteilung, Arbeitsorganisation) angesprochen sind, einerseits ein allgemeiner Vergesellschaftungsfortschritt: Verwissenschaftlichung von Organisation und Planung, erhöhte Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Andererseits wird durch dieses Vergesellschaftungskonzept der privaten Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel die scheinbar 'sachgesetzliche' Abhängigkeit der Arbeitskraft von den Produktionsmitteln gesamtgesellschaftlich wirksam stabilisiert.

Darüber hinaus, jenseits der Aspekte Handlung, Struktur und Funktion, ist mit dem entwicklungsgesetzlichen Gehalt des Begriffs der P. ein neues Element in die seit der Spätaufklärung intensivierte Debatte um 'Stufen des Fortschritts' gekommen (Kon 1964). Die spezifischen Stärken des Historischen Materialismus in dieser Frage, vom 'Kommunistischen Manifest' bis zum 'Kapital' (MEW 23, 789ff.), gegenüber dem (Comte ablösenden) bürgerlichen Historizismus bzw. dem völligen Abwenden vom geschichtlichen Denken (Nietzsche und die Folgen) wurden evident. Die Erschütterungen des Ersten Weltkriegs und der Oktoberrevolution verlangten Antworten auf die Frage nach dem 'Gang der Geschichte', die von Versuchen der Art O. Spenglers (1918-1922) nicht befriedigt werden konnten. Es war nicht von ungefähr, daß ausgerechnet in den Jahren 1922 und 1923, mehrere theoretische Schriften erschienen, die marxistisches Geschichtsdenken explizierten und mit Strategieüberlegungen zur 'Übergangsfrage' verbanden: Karl Korsch 'Kernpunkte der materialistischen Geschichtsauffassung' mit der Einleitung 'Der Standpunkt der materialistischen Geschichtsauffassung' (1922), Georg Lukacs 'Geschichte und Klassenbewußtsein' (1923) und Nikolai Bucharin 'Die Theorie des historischen Materialismus' (dt.1922).

Allerdings stand im Mittelpunkt dieser Diskussion nicht das Problem der Epochenbestimmung generell, sondern, eigentlich vorschnell, sogleich die Frage, ob und wie die Epoche des Sozialismus begonnen habe (Engelberg/Küttler 1978). Diese Verengung auf die 'Übergangsfrage', verständlich beim Bemühen um die Einschätzung der Oktoberrevolution, führte unter dem Einfluß des Stalinismus bald zu starren dogmatischen Formeln, in denen die Dialektik Produktivkräfte-P. gleichsam umgekehrt wurde. So galt bis vor kurzem folgende Lesart jener Debatten: "Die Opportunisten verschiedener Schattierungen behaupteten in undialektisch-mechanistischer Fehldeutung der historisch-materialistischen Theorie, daß der Sozialismus nur "eingeführt" werden könne, wenn die für ihn erforderlichen Produktivkräfte voll ausgebildet und intakt seien und wenn die Arbeiterklasse die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung darstelle. Der Leninismus hingegen ging in richtiger und schöpferischer Anwendung der historisch-materialistischen Theorie davon aus, daß die Vergesellschaftung des Produktionsprozesses und die Konzentration der Produktion in den imperialistischen Ländern, die Entwicklung und die Konzentration der Arbeiterklasse wie auch die gegen die imperialistische Ausbeutung und den imperialistischen Krieg gerichtete Empörung breiter Massen den Übergang zum Sozialismus möglich und notwendig machen und daß erst auf der Grundlage der politischen Herrschaft der Arbeiterklasse und der sozialistischen Eigentumsverhältnisse die für die volle Entwicklung des Sozialismus und für den Übergang zum Kommunismus erforderliche materiell-technische Basis geschaffen werden muß." (Eichhorn I 1975, 98ff.)

Diese Lesart ist heute nicht mehr haltbar. Eine Rethematisierung der Debatten zwischen Kautsky, Bucharin, Korsch, Lukacs usw. unter dem Eindruck der Fehlentwicklungen des realen Sozialismus kann durchaus sinnvoll sein (Deborin/Bucharin 1969, Jaeggi/Honneth 1977). Die differenzierte Entwicklung in den sozialistischen Ländern zeigt u.a., daß die 'Herausbildung' sozialistischer P. nicht bei der politischen Etablierung des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln stehen bleiben kann; daß Formen der politischen Herrschaft, hegemoniale Prozesse, Probleme der Administration und Bürokratie berücksichtigt und in die bewußte Gestaltung des sozialen Milieus der Produktion einbezogen werden müssen. Das Konzept der Demokratisierung - als Selbstentwicklung der 'Produzentenpersönlichkeiten', als Entfaltung des gesellschaftlichen Handlungspotentials in den Arbeitsverhältnissen, und zwar 'systemübergeifend', in einem globalen System unterschiedlicher und widersprüchlicher P. - kommt dem Problem der Epochenbestimmung derzeit näher als irgendwelche Ordnungsvorstellungen auf der Basis sozialistischer P.

2. Forschungsstand

2.1. Marxistische und nicht-marxistische Diskussion des Konzepts

Forschung im Bereich der P. kann sich auf die begriffliche (und das heißt in diesem Falle durchaus 'systemtheoretische') Präzisierung beziehen. Die Frage nach dem Forschungsstand muß sich auch auf die empirische Erforschung der systematisch herausgearbeiteten Dimensionen des Eigentums, der Verwertung, der Verteilung und der 'Arbeitsverhältnisse' richten. Hier aber hat nun gerade nicht die marxistische Forschung, sondern die praktische Entfaltung der Widersprüche des Sozialismus die Dinge auf eine ungeahnte und noch höchst unübersichtliche Weise in Bewegung gebracht.

Der damit notwendig werdende Bruch mit etablierten Denkgewohnheiten kann aber auch Verwirrung stiften und nicht zuletzt die selbst im 'Kanonisierten' schon erreichte Klarheit wieder zunichte machen. Es ist deshalb wichtig, die im Zusammenhang der Kategorien des Historischen Materialismus steckenden 'hochabstrakten' Potentiale zur Abbildung komplexer weltgesellschaftlicher Zusammenhänge im Blick zu behalten. Es gibt so etwas wie eine hierarchische Struktur der Kategorien, in welcher sich aus der dialektischen Einheit der jeweils 'niederen' Begriffe die jeweils 'nächste' Stufe der Erfassung des 'Systems der Gesellschaftsformationen' ergibt - also des Gesamts der aus der gesellschaftlichen Bearbeitung der Natur entstandenen gesellschaftlichen Strukturen.

Um es sehr formal auszudrücken: aus dem 'Zusammenspiel' von Arbeitsgegenständen und Arbeitsmitteln 'erwächst' die Ebene eines Systems der Produktionsmittel und eines aus dem Umgang mit ihnen sich entfaltenden Systems der Arbeitskräfte; aus dem 'Zusammenspiel' von Produktionsmitteln und Arbeitskräften 'erwächst' die Ebene eines Systems der Produktivkräfte und eines aus dem Umgang mit ihnen sich entfaltenden Systems der P.; aus dem 'Zusammenspiel' von Produktivkräften und P. 'erwächst' die Ebene eines Systems der Produktionsweisen und eines aus dem Umgang mit ihnen sich entfaltenden Systems der Überbauten; aus dem 'Zusammenspiel' von Produktionsweisen und Überbauten 'erwächst' die Ebene eines weltgesellschaftlichen Systems der Gesellschaftsformationen. (Krysmanski 1982)

In diesem Kategorienschema (mit dem Potential einer leistungsfähigen historisch-materialistischen Entwicklungstheorie, cf. Krysmanski/Tjaden) nimmt die Kategorie der P. u.a. deshalb eine Ecksteinfunktion wahr, weil sie den Übergang zur Möglichkeit der theoretischen Bestimmung des Gegenstandes Gesellschaft sui generis markiert. Während auf allen voraufgehenden Ebenen 'Naturgegenstände' in die sozialen Beziehungen verwoben sind, ist auf der Ebene der P. neben den noch 'physisch durchsetzten' Eigentums-, Verwertungs- und Verteilungsbeziehungen mit den 'sozialen Beziehungen in bezug auf das System der Arbeitskräfte' die Stufe bezeichnet, auf der menschliche Fähigkeiten (einschließlich menschlicher Körperlichkeit) sich selbst zum Gegenstand werden, auf der 'das Soziale' sich entwickelt - ohne daß der stofflich-materielle Bezug aufgegeben wäre.

Die frühen bürgerlichen Soziologen, etwa Emile Durkheim oder Georg Simmel, artikulierten mit ihrer originären Gegenstandsbestimmung 'des Sozialen' - als eines Netzes sozialer Beziehungen des gegenseitigen existentiellen Bejahens - durchaus eine konkrete politische Utopie solidarischen Handelns und solidarischer Gemeinschaft, die sich aus der vergesellschaftenden Wirkung des gemeinsamen Wirtschaftens ergeben sollte und zugleich weit über sie hinaus wies. Die aus der ökonomischen Basis des Kapitalismus entspringenden Widersprüche, die im Überbau als 'Verdinglichungsprozesse' erscheinen, haben die sozialistisch-kommunistische Alternative der Vergesellschaftung der Produktionsmittel hervorgebracht. Wenn die ökonomische Basis des realen Sozialismus ebenfalls 'Verdinglichungsprozesse', etwa eines gängelnden Bürokratismus, zeitigt, so deutet das darauf hin, daß in den P. selbst 'viel mehr Soziales' gesehen und entwickelt werden muß als nur die formale Ablösung von Eigentumsformen. Insbesondere müssen die Kräfte und Fähigkeiten des 'Gesamtarbeitskörpers', des gesellschaftlichen Handlungspotentials der Menschen, stärker beachtet werden. Dies ist denn auch der Trend bei der Neubestimmung des Gegenstandes einer marxistischen Soziologie. "Der Sozialismus beseitigt die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und den durch sie bedingten Antagonismus und begründet damit eine gänzlich neue Art und Weise der gemeinsamen Tätigkeit, einen neuen Typ sozialer Beziehungen - den sozialistischen Kollektivismus, das heißt Beziehungen der kameradschaftlichen Zusammenarbeit und der sozialistischen gegenseitigen Hilfe von Menschen, die frei sind von allen Formen sozialer Unterdrückung und Ausbeutung." (Iwanow 1987, 40)

Auf der weltgesellschaftlichen Stufe der heutigen Entwicklung kann allerdings 'Sozialismusfähigkeit' - im Sinne absoluter sozialer Selbstgewißheit - von keiner bestimmten Gesellschaftsordnung im 'System der Gesellschaftsformationen' mehr allein beansprucht werden. Das ist aber noch nicht der springende Punkt. Eine theoretische und praktische Entfaltung des 'Sozialen' an den P. über die Eigentumsfrage hinaus hätte vermutlich folgende Konsequenzen: es würde deutlich, daß das Feld der Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Hauptformationen - auf dem allein ihr Gegensatz ausgetragen werden kann - erheblich breiter ist als bisher angenommen und Kategorien wie 'Zivilisation', 'Demokratie', 'bürgerliche Gesellschaft' und 'Öffentlichkeit' umfaßt; zweitens müßte eingestanden werden, daß der Sozialismus auf diesen Feldern zivilisatorische Rückstände hat, also seine Spezifik und Gegensätzlichkeit nur entfalten kann, wenn er zugleich in der Entwicklung des 'Sozialen' oder 'Zivilen' vom Kapitalismus lernt (Elias 1969).

Im Sinne der historisch-materialistischen Entwicklungstheorie bleibt 'das Soziale' der P. aber an die Entwicklung von sozialen Beziehungen in bezug auf das Verhältnis zwischen Arbeitskräften und Produktionsmitteln gebunden. Insofern handelt es sich bei den P. um einen spezifischen Aspekt der Sozialstruktur, um die 'materielle Sozialstruktur'. Und zwar in einem doppelten Sinne: einerseits werden im Verhältnis von Arbeitskräften und Produktionsmitteln auf gesellschaftliche Weise Güter (in ihrem Kern Produktionsmittel) produziert; andererseits werden in diesem Verhältnis aber auch - und zuallererst - Arbeitskräfte produziert. Die P. organisieren also nicht nur die Konsumtions- und Produktionsmittelproduktion, sondern auch die Arbeitskräfteproduktion. Dies geschieht im Kapitalismus allerdings auch bezüglich der Arbeitskräfte in 'doppelter', widersprüchlicher Weise: einerseits sind die 'unmittelbaren Produzenten' eben nur als unmittelbar zu Verwertende, allenfalls als 'Humankapital', im Blick; andererseits besteht die Tendenz, der Ausdifferenzierung der Sozialisationsinstanzen (Familie, Schule) durch Ausdifferenzierung, Erweiterung der P. zu begegnen, also letztlich gesamtgesellschaftliches Handlungspotential (auch angesichts der Verwischung der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit) zu organisieren.

Hier besteht eine schwierige Problemlage für die marxistische Diskussion. Die Gefahr einer ökonomistischen Verwendung des Begriffs P. schwindet zwar, doch eröffnen sich 'anthropologisch-historische' Fragestellungen, die erst ansatzweise in die heutige marxistische Forschung einbezogen sind - obgleich sie zu den klassischen Fragen des Marxismus gehören. Sollte beispielsweise der Begriff der P. auf die historische Entwicklung der biologischen Produktion von Menschen angewendet werden? Bei Engels heißt es: "Nach der materialistischen Auffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte: die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens. Diese ist aber selbst wieder doppelter Art. Einerseits die Erzeugung von Lebensmitteln, von Gegenständen der Nahrung, Kleidung, Wohnung und den dazu erforderlichen Werkzeugen; andererseits die Erzeugung von Menschen selbst, die Fortpflanzung der Gattung." (MEW 21, 27f.) Kann diese allgemeine Aussage des Historischen Materialismus für eine Gesellschaftsanalyse fruchtbar gemacht werden, wenn die Produktion von 'Produktionsmitteln' als gesellschaftliche Produktion von 'Lebensmitteln' (und eben nicht Zerstörungsmitteln), wenn die Produktion von 'Arbeitskräften' vertieft als Produktion von 'Menschen' ('alle Sinne und Fähigkeiten') begriffen wird? Darüber hinaus: sind etwa 'Familienverhältnisse' nur dann 'P.', wenn sie der Produktion und Reproduktion von 'Arbeitskräften' im ökonomisch verwertbaren Sinne und allenfalls noch der Reproduktion von 'Eigentümern' (durch Vererbung, Heirat etc.) dienen, oder auch dann, wenn sie Sucht- und Konkurrenzverhalten, Egoismus und Angst produzieren?

Vor diesem Hintergrund lassen sich die 'Grenzen' des 'allgemeinen Systems der P.' noch einmal wie folgt bestimmen: auf der einen Seite haben wir Verhältnisse (soziale Handlungs- und Verhaltensweisen), die sich auf die Produktion/Reproduktion des Systems der Produktionsmittel (und seine natur- und gesellschaftsgeschichtlichen Dimensionen) beziehen; auf der anderen Seite haben wir Verhältnisse (soziale Handlungs- und Verhaltensweisen), die sich auf die Produktion/Reproduktion des Systems der Arbeitskräfte (und seine natur- und gesellschaftsgeschichtlichen Dimensionen) beziehen. 'Dazwischen' liegen jene sozialen Handlungs- und Verhaltensweisen, welche entweder, ausgehend von der Form der Produktion von Produktionsmitteln, das System der Arbeitskräfte einsetzen (die Menschenwelt durch die Sachenwelt verwerten) oder, ausgehend von der Form der Produktion von Arbeitskräften, das System der Produktionsmittel einsetzen (die Sachenwelt durch die Menschenwelt verwerten).

Der Begriff der P. hat außerhalb des marxistischen 'Hauptstroms' nur in Maßen, aber immerhin, anregend gewirkt (Jaeggi/Honneth 1977). Für Anthony Giddens beispielsweise ist der Begriff der P. interessant, weil er auf soziale Beziehungen aufmerksam macht, die, wie Marx im Gegensatz zur Politischen Ökonomie betone, jeglicher Form produktiver Tätigkeit stets vorausgesetzt seien. "Der Begriff der P. ist hier von zentraler Bedeutung, da er die wichtigste begriffliche Verbindung darstellt, durch die im Marxschen Werk die Technik mit dem umfassenden sozioökonomischen System einer Gesellschaft in Beziehung gesetzt wird. Im Marxschen Begriffsgebrauch deckt 'P.' mindestens drei unterscheidbare Komplexe sozioökonomischer Beziehungen: (1) Die Beziehungen, die aufgrund des Einsatzes irgendeiner gegebenen Produktionstechnik entstehen. So setzt das Fließband die Menschen nicht nur in ein bestimmtes Verhältnis zur Maschine, sondern auch zueinander. Wir können das 'paratechnische Beziehungen' nennen. (2) Die Beziehungen, die an den Berührungspunkten produktiver Einheiten entstehen, etwa dort, wo Güter auf einem Markt getauscht werden. (3) Diejenigen, die sich an der Verbindungsstelle zwischen Produktion und Distribution (Konsumtion) ergeben." (Giddens 1979, 103)

In dieser eng produktionsbezogenen Fassung des Begriffs erscheinen 'verwertende', 'ausbeutende' Verkehrsformen schon in einem milderen Licht und aus dem realhistorischen Zusammenhang gelöst. Zugleich werden zahlreiche andere Begriffe denkbar, welche ebenfalls den Prozeß der fortschreitenden Arbeitsteilung und sozialen Differenzierung (samt seinen 'Vergesellschaftungseffekten' im 'Mensch-Technik-Feld') abdecken: Arbeits- und Produktionsorganisation, Marktbeziehungen und deren Regulierung, Verteilungsstrukturen usw.

Jürgen Habermas versucht demgegenüber die historisch-strategische Rolle des Begriffs der P. zu bewahren, ja in Richtung auf eine Evolutionstheorie der Institutionen weiterzuentwickeln. Er weist z.B. richtigerweise darauf hin, daß die Entdeckung der Abhängigkeit des Überbaus von der Basis zunächst einmal nur aus der Analyse jener 'kritischen Phase' erwachsen konnte, in der eine Gesellschaft, und zwar die Feudalgesellschaft, zu einem neuen Entwicklungsniveau überging. (Habermas 1976, 158) "Erst als im Kapitalismus der Markt neben seiner Steuerungsfunktion auch die Funktion übernimmt, Klassenverhältnisse zu stabilisieren", oder genauer: als die neue herrschende Klasse direkte ökonomische Funktionen (der Leitung der Produktion) übernahm, trat die ökonomische Gestalt der P. sichtbar hervor. Habermas fährt fort: "Dieser institutionelle Kern, um den sich die P. kristallisieren, legt eine bestimmte Form der sozialen Integration fest; dabei verstehe ich mit Durkheim unter sozialer Integration die Sicherung der Einheit einer sozialen Lebenswelt über Werte und Normen."(159) Die Form der gesellschaftlichen Organisationsprinzipien oder P. entfaltet sich für Habermas letztlich in evolutiven Stufen der Kommunikation: a) Stufe symbolisch vermittelter Interaktion, b) Stufe der propositional ausdifferenzierten Rede, c) Stufe argumentativer Rede/Diskurs. Dies ist, gerade angesichts der gegenwärtigen 'Revolution' in den sozialistischen P.n, eine interessante Sicht auf das Problem der Entwicklung und Veränderung von P.: zweifellos setzt öffentliche Rede auch 'Infrastrukturen der Handlungssysteme' in Bewegung.

Problematisch bleibt die Verknüpfung von Handlungsebene und historischer Entwicklung gleichwohl. Anthony Giddens etwa formuliert an dieser Stelle sein Konzept der sozialen Strukturierung. "Die Kontinuität der sozialen Reproduktion über Zeit und Raum hinweg" vollziehe sich in einer "Dualität von Struktur". Struktur werde zwar "in der dur‚e des Alltagshandelns" von den Akteuren "reflexiv gesteuert". Da aber menschliche Bewußtheit immer begrenzt sei, produziere der Handlungsstrom zugleich "kontinuierlich Folgen, die die Akteure nicht beabsichtigt haben". "Die menschliche Geschichte wird durch intentionale Handlungen geschaffen, sie ist aber kein beabsichtigter Entwurf; sie entzieht sich beständig den Anstrengungen, sie unter eine bewußte Führung zu bringen." (Giddens 1988, 79) Mit dem Problem der unbeabsichtigten Handlungsfolgen verkompliziert sich die alte Einsicht, daß der Mensch das einzige Lebewesen ist, das seine Geschichte selbst macht, erheblich.

Auf einer konkreteren Ebene und nicht zuletzt bezogen auf das 'System der P.', das sich im historischen Feld zwischen Kapitalismus und Sozialismus herausbildet, wäre allerdings zunächst einmal nach den 'Spielräumen' von Individuen, Kollektiven und Klassen innerhalb der sich z.T. auf 'nichtvorhersehbare' Weise ausdifferenzierenden P. zu fragen. Außerdem gibt es einen Zusammenhang zwischen dem 'Alltagshandeln' in der Produktion und der revolutionären Umwälzung der P.; Thorstein Veblen hat diesen Sachverhalt mit dem Begriff des instinct of workmanship gefaßt und damit folgendes gemeint: auch an den Fließbändern des Fabriksystems bleibt bei den unmittelbaren Produzenten ein Sinn für gute, sorgfältige Arbeitsausführung erhalten, der einen ständigen Widerspruch zu den Zwängen und zur Hetze der Industrieproduktion erzeugt; dieser arbeitsalltägliche 'Instinkt für gute Arbeit' ist die Grundlage für eine Revolutionierung der Arbeitsverhältnisse (Lerner 1948).

2.2. Eigentums-, Verwertungs-, Verteilungs- und Arbeitsverhältnisse

2.2.1. Eigentumsverhältnisse

Daß sich unter dem Gesichtspunkt der ausschließenden Verfügung über die Produktionsmittel Gesellschaften mit und ohne Klassenstruktur unterscheiden lassen, ist eine gesicherte, aber triviale Einsicht der Sozialwissenschaften. Auch die Differenzierung nach Graden der Durchsetzung des Privateigentums und nach Formen der Ausbeutung (staatliche Ausbeutung der Dorfgemeinschaft, Sklaverei, Leibeigenschaft, Lohnarbeit) hat zu breit akzeptierten Periodisierungsversuchen der Entwicklung der Produktion geführt (vgl. Habermas 1976, 167f.; Engelberg/Küttler 1978); selbst die Theorien der postindustriellen Gesellschaft liegen noch auf dieser Linie, wenn sie die Bedeutung des Privateigentums am Produktionsmittel 'Wissenschaft und Expertenwissen' hervorheben. In der sozialwissenschaftlichen Forschung finden sich vielfältige weitere Kriterien zur Bestimmung der produktionsgestaltenden Rolle von Eigentums- bzw. Verfügungsverhältnissen: z.B. Besitzansprüche vs. Verfügungsmacht; Verfügung über menschliche Arbeitskraft vs. Macht über den Arbeitsmarkt; Sanktionsmacht vs. Immunisierungsstrategien; Privilegierungen und Gefährdungen im Rechtssystem und im Familiensystem; Mobilitätschancen; Privilegien und Pflichten im sakralen, politischen, militärischen Bereich. (Finley, zit. bei Habermas 1976, 167f.) Allerdings merkt Habermas zu recht an, daß solche Gesichtspunkte "die Analyse in die Breite statt in die Tiefe" führen und damit die 'Entwicklungslogik der Produktionsweisen' aufweichen.

Die Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus hat zur systematischen Erfassung von Eigentumsformen wichtige Beiträge geleistet. Ihre empirisch untermauerten Typologien der Entwicklung kapitalistischer Eigentumsformen - nicht-kapitalistisches (Klein)Eigentum an Produktionsmitteln, individuelles, kollektives bzw. monopolistisches, staatliches, genossenschaftliches Eigentum - verweisen zumindest auf die zunehmende Vergesellschaftung des Produktionsmitteleigentums schon unter kapitalistischen Bedingungen. (Semjenow 1973) Für die Entwicklung sozialistischer Eigentumsformen steht eine vergleichbare Theorie aus. Auch muß heute, angesichts der vielfältigen 'Reprivatisierungstendenzen', die Frage der ursprünglichen Akumulation neu thematisiert und möglicherweise als ein Dauerproblem gesellschaftlicher Aneignungsprozesse verstanden werden.

Hinzu kommt, daß im kapitalistischen Vergesellschaftungsprozeß neben die Akkumulation von Sachkapital zunehmend die Kapitalisierung immaterieller Werte tritt. Die Eigentümer 'kulturellen' oder 'sozialen' Kapitals verfolgen ähnliche Akumulationsstrategien wie das traditionelle Kapitaleigentum, mit ähnlichen ökonomischen und sozialen Konsequenzen. (Bourdieu 1982)

Immer mehr in den Vordergrund rückt die Erforschung der individuellen Bewegungsformen innerhalb der gegebenen Eigentumsverhältnisse. Einerseits hat es der kapitalistische Vergesellschaftungsprozeß zuwege gebracht, daß heute individuelle Strategien sich in allen möglichen Lebenswelten am Verhaltenstyp des kapitalistischen Unternehmers orientieren: jeder einzelne wird gewissermaßen sein eigenes Planungsbüro zur Wahrnehmung von Lebenschancen (Beck 1986). Marktvermittelte Individualisierung führt hier zugleich zu einer Standardisierung, die Spielräume in Scheinspielräume verwandelt. Andererseits wird nicht nur über die Akkumulation differenzierter kultureller und sozialer 'Produktionsmittel', sondern auch über ihre immer bewußtere 'Konsumtion' (bei der sich auch der gesellschaftliche Gehalt dessen, was man unter 'Profit' versteht, wandelt) Umwälzungspotential angesammelt, welches die "bislang stillscheigend akzeptierten Zielsetzungen der Herrschenden tiefgreifend unterminiert" (Bourdieu 1982, 276; vgl. Gartner/Riessman 1978).

Gerade auch im Kontext der Theorie des staatsmonopolitischen Kapitalismus wird eine fortgeschrittene Bearbeitung der Eigentumsfrage immer dringlicher. "Mit der Entwicklung der Produktivkräfte und der damit einhergehenden Vergesellschaftungsprozesse sind die Realisierungsmöglichkeiten und -bedingungen des im Kapitaleigentum steckenden Ausbeutungsverhältnisses komplizierter geworden und erfordern gesellschaftliche Regulierungsformen: Das personelle oder Familieneigentum wird weitgehend durch das Gesellschaftskapital (Aktiengesellschaft) abgelöst. Der Einsatz von Staatseigentum schafft Voraussetzungen für die private Produktion von Mehrwert und die Aneignung von Profit. Staatsausgaben, Subventionen, Umverteilung über Einkommens- und Steuerpolitik sowie staatliche Rahmen- und Verhaltensvorschriften sind neue Formen der Verwirklichung des kapitalistischen Eigentums." Diese Entwicklungen schaffen zugleich auch Boden "für diejenigen gesellschaftlichen Interessen, die nicht auf maximale Kapitalverwertung um jeden Preis, sondern vor allem auf sinnvolle Arbeit für alle, ausreichende Versorgung, Frieden und saubere Umwelt gerichtet sind." (Huffschmid 1989, 93ff.) Es bestehen Tendenzen, auch bei Marxisten, angesichts der 'überwältigenden Machtverhältnisse' die Eigentumsfrage theoretisch und praktisch auf die lange Bank zu schieben (Huffschmid, ebenda). Sinnvoller ist es jedoch, die Grundlagen des Eigentumsbegriffs zu erforschen und ihn für die heutigen Realitäten verfügbar zu machen.

Ein Ansatz hierzu ist möglicherweise, jegliches - auch kollektives - Eigentum als dem Individualisierungsprozeß unterliegendes, im 'Bannkreis der Person' (Nic. Hartmann) realisiertes Eigentum zu betrachten. "Im Sinne der Marxschen ökonomischen Theorie ist das Auftreten von Arbeitsprodukten als Waren an die Voraussetzung der Existenz des Privateigentums im ganz allgemeinen Sinne der Existenz verschiedener Eigentümer gebunden. Diese Eigentümer können für sich sehr wohl Gemeineigentümer sein. Sie sind auch Privateigentümer im Sinne des Marxschen begriffs, wenn sie kein gemeinsames Eigentum haben...'Privateigentum' als Grund der Warenproduktion ist einfach exklusives Eigentum und besteht mithin, wenn mindestens zwei einander äußerliche Eigentümer über den Tausch zueinander ins Verhältnis treten." (Ruben/ Wagner 1980, 1221f.) Dies ist die Grundlage für ein historisches Verständnis von 'Freiheit', die ja nicht nur für Produktionsmitteleigentümer, sondern auch für individuelle Eigentümer von Arbeitskraft zur Realisierung ansteht.

2.2.2. Verwertungsverhältnisse

Die prinzipielle Freiheit bzw. 'Exklusivität' des Sich-selbst-Gehörenden wird durch Ausbeutungsverhältnisse, die dominante historische Form von Verwertungsverhältnissen zwischen den Eigentümern von Produktionsmitteln und Arbeitskraft, eingeschränkt. (E.O.Wright 1985, Ritsert 1988) Für die Sicherung des Nutzungsverhältnisses zwischen Produktionsmitteleigentum und Arbeitskrafteigentum wird ökonomisch, sozial, politisch und auch kulturell ein ungeheurer Aufwand getrieben. Gleichzeitig befindet sich die Werttheorie hinsichtlich der Erfassung der sozialen Bedeutung von Wert und Be- bzw. Verwertung in einem unentwickelten Zustand. (Ruben/Wagner 1980; Autorenkollektiv 1983) Besonders dringlich werden diese Fragen bei der Herausarbeitung der Spezifik kapitalistischer und sozialistischer Verwertungsverhältnisse im Vergleich. Während die arbeits-, tarif- und steuerrechtlichen Maßnahmen, die sozialpolitischen Vorkehrungen zur Bindung der Lohnarbeit an das Kapital, die Befriedungs- und Krisensteuerungsstrategien des entwickelten Kapitalismus noch immer auf der Grundlage der Analysen des 'Kapital' einigermaßen sinnvoll untersucht werden können, ist die 'Natur der Wertbildung und -realisierung im Sozialismus' (Ruben/Wagner) überhaupt noch nicht zureichend durchschaut - mit den bekannten Konsequenzen in der Praxis. Daß "jede wirkliche ökonomische Wertlehre stets eine Lehre von der Erhaltung und Mehrung des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens vermittels der aktuellen Folge der Produktionen und Reproduktionen" ist (Ruben/Wagner 1980, 1223), wird durch Marx' Begriff der 'wirklichen Ökonomie' in den 'Grundrissen' (Marx o.J., 599) nahegelegt. Doch die soziologischen Folgerungen aus dieser Einsicht, wie nämlich im konkreten Alltagshandeln in der Produktion aus den perennierenden Widersprüchen des Ausbeutungs-, Selbstausbeutungsprozesses Mehrung der gesellschaftlich nutzbaren Werte wird, sind noch nicht gezogen.

Welcher Weg eingeschlagen werden könnte, um das Problem des Wertes, der historisch-sozialen Entwicklung und Veränderung von 'Verwertung' bis zum Punkt des Klassenkampfs um Konsens- und Hegemonieapparate und damit zum Problem revolutionärer Umwälzung zu treiben, wird nur gelegentlich angedeutet: "Wer vom Warencharakter des Geldes abstrahiert und einen Modellkapitalisten danach modelt, daß der stets G zu G' machen wolle und dabei seine Rentabilität maximieren möchte, der kann allerdings zwischen Kapitalisten nur Geldverhältnisse sehen, und da maximieren alle gegen alle. Doch geht in dieser Analyse verloren, daß ein solcher Kapitalist eine reifizierte Kunstfigur ist, und daß die in Geld errechnete maximierte Rentabilität für reale Kapitalisten nicht mehr als ein bestimmter sozialer Risikominderungs-Pfad ist, damit er - der Eigentümer - erstrebte Sanktionen innerhalb eines - seines - Lebens einhandele und befürchteten entrönne." (Clausen 1978, 112) Dieses Sanktionsgefüge gehört zur 'Infrastruktur der Handlungssysteme', zur institutionellen Ausstattung jeder Gesellschaft und ist das Terrain für entwickelte Formen der Klassenauseinandersetzung. Das in solchen "stabil instituierten Sanktions-Tauschzentralen" agierende, "durch Endogamie, College-Schlipse und Frühstückskartelle verbündete Personal" geht vielfältige Koalitionen, "z.B. an der Arbeitskampffront", ein. "Eine durch Koopation entschärfte Mobilität aufwärts kann überdies als 'Leistungsaufstieg' ganze Berufsgruppen zu Verbündeten ('Dienstklassen') machen. Die Gefahr für die Machtlosen ist stets, diese komplexen Koalitionen zu unterschätzen." (Clausen, ebenda) Gramsci hätte Bewegungen in den Verwertungsverhältnissen nicht besser umschreiben können.

2.2.3. Verteilungsverhältnisse

"Die Verteilungstheorie ist in gewisser Hinsicht die Krönung und der Abschluß der gesamten Wirtschaftstheorie." (Krelle 1962, V) Verteilung ist eine wesentliche Oberfläche der P. und wird folglich, wo es den Wertschöpfungsprozeß und seine strukturbildenden Wirkungen zu verbergen gilt, gern für das Ganze der P. ausgegeben. So reduziert z.B. Luhmann Klassenunterschiede auf die ungleiche Verteilung sozialer Güter, auf "die Reflexivität des Verteilens, das Verteilen auf Verteilungen" (Luhmann 1988, 66). 'Verteilungskämpfe', bei denen es, wie im 'Klassenkampf', um mehr als um Verteilung, nämlich um die Struktur der Verteilung geht, kommen unerklärlicherweise aus heiterem Himmel oder werden 'gemacht' (Luhmann: "Marx placiert den Konflikt") und können dann allenfalls 'anthropologisch', etwa aus einem Neidreflex, begriffen werden. (Luhmann 1985)

Die Erforschung der Verteilungsdimension eröffnet längst Perspektiven und Anschlüsse, die über die wirtschaftliche Ebene im engeren Sinne hinausweisen. Neben die 'Verteilung von Markteinkommen' und die 'Verteilung von Tarifeinkommen und öffentlichen Gütern' tritt die 'Verteilung von Lebenslagen', ja von 'Glück'. (Hund 1982) Dieses Einfallstor für ein Verständnis des sozialen Charakters der P. ist auch in den empirischen Ergebnissen zur Einkommens- und Vermögensverteilung präsent. Was bedeuten z.B. unterschiedliche Einkommen für vergleichbare Leistungen bei Männern und Frauen, bei Arbeitern und Angestellten, in benachbarten Regionen und Branchen? Das kapitalistische Gesetz der Entwicklung durch Ungleichmäßigkeit und Ungleichzeitigkeit hat sich längst auf den Weg gemacht, Geschlechterbeziehungen, Privilegien, Egoismen, ethnische Verhältnisse, Nationalismen usw. immer bewußter und z.T. auch auf verwissenschaftlichte Weise auszunutzen.

Sozioökonomisch kommt auch die nicht-marxistische Verteilungstheorie nicht um die eindeutige Differenz zwischen Kapital- und Arbeitseinkommen herum (Krelle 1962, 107f). Gesamtwirtschaftlich und -gesellschaftlich wird damit die Frage nach der Verteilungsstruktur, nach alternativen Logiken der Verteilung, unabweisbar auf eine 'Demokratisierung' von Kapitaleinkommen und auf den Bereich gewerkschaftlicher Verteilungstheorie und -praxis gelenkt, beispielsweise auf die ausgefeilte Be- und Verrechnungspraxis der gewerkschaftlichen Tarifpolitik, die sich unter kapitalistischen Bedingungen im 'strukturverändernden Verteilungskampf' herausgebildet hat. (Vgl. Schäfer u.a. 1982) Wenn hier 'gerechnet' wird, dann kommen auch andere Wertgrößen als die des Profits ins Spiel.

Insofern hängen Verwertungs- und Verteilungsfrage eng zusammen, insbesondere bezüglich des Übergangs von der kapitalistischen zur sozialistischen Verteilungslogik. Rubens an P. Sraffa (1968) angelehntes Modell einer (sozialistischen) Gemeinproduktion entwickelt folgenden Gedankengang. Nimmt man aus Vereinfachungsgründen nur drei Teilproduktionen bzw. Produzenten an, so ergibt sich aus der Logik des Modells, daß der Teilarbeiter (1) dem Teilarbeiter (2) "im Interesse des äquivalenten Gemeinaustauschs weniger an verdinglichtem Wert" gibt, "als er von diesem bekommt. Die Annahmen der abstrakten Gleichheit namens des 'Rechts', das ein rohes Recht wäre, würden die einfache Reproduktion unseres Drei-Teilarbeiter-Systems durcheinanderbringen, d.h. zu Reproduktionsverlusten führen. Stellte sich (2) nämlich auf den Standpunkt, daß er von (1) ja nur Produkte im verdinglichten Werte von genau 9 t Eisen bekommt, daher (1) auch nur 9 t seines Teilprodukts liefern wolle, so bliebe er auf 3 t Eisen sitzen, die der Gemeineigentümer als Verlust abbuchen müßte. Entsprechendes gilt in anderen Fällen." Ruben/Wagner folgern: "Wir sehen also, daß der Übergang von der individuellen Wertform, die im Kapitalismus zugleich die bürgerliche Wertform ist, zur Wertform des Gemeinaustauschs, die nach unserer Auffassung die sozialistische Wertform ist, bezüglich des individuellen Austauschs im Gemeineigentum die unabweisbare Konsequenz des nichtäquivalenten Austausches hat. Der Tausch erfolgt hier nicht auf Grund von Gleichheit, sondern auf Grund von Ungleichheit, d.h. als gegenständliche Realisierung von Ordnungsrelationen im mathematischen Sinne. Mit der Wertform des äquivalenten Gemeintauschs entdecken wir also Ungleichheiten als Wertformen des Indvidualaustauschs im Gemeineigentum. Die praktischen Konsequenzen solcher Feststellung sind gewiß nicht zu übersehen." (Ruben/ Wagner 1980, 1230) Damit wird deutlich, daß erst im Sozialismus Ungleichheit erträglich, weil jederzeit 'nachrechenbar' und 'legitimierbar' ist - und daß genau darin die neue, die alternative Verteilungslogik besteht.

2.2.4. Arbeitsverhältnisse

Das Verhältnis von Arbeitskraft und Monopolkapital und der Prozeß der Abwertung der Arbeit mit den damit verbundenen thematischen Schwerpunkten Arbeitsmanagement, Verwissenschaftlichung und Technisierung, staatsmonopolistisches Verwertungssystem und Erweiterung der Arbeiterklasse um Angestellte und Dienstleistungsberufe bezeichnen die Dimensionen der modernen Arbeitsverhältnisse zunächst einmal durchaus. (Braverman 1977) Berücksichtigt werden muß außerdem die unaufhaltsame Internationalisierung der Arbeitsverhältnisse, einerseits als ein globaler 'Proletarisierungsprozeß' (Wallerstein 1983), andererseits als konkrete Vielfalt ganz unterschiedlicher Arbeitsverhältnisse einschließlich zukunftsweisender Alternativen der Bewertung von Arbeitskraft.

Der Begriff der 'Arbeitsteilung', der für die Soziologie des ausgehenden 19. Jahrhunderts die entscheidende gesellschaftliche 'Triebkraft' erfaßte und durch Durkheim zum Konzept der sozialen (Rollen-) Differenzierung erweitert wurde, ist noch immer der Schlüssel für die Analyse der 'arbeitskraftbezogenen' sozialen Beziehungen - letztlich also des differenzierten gesellschaftlichen Handlungspotentials. Technisch, insbesondere als kapitalistische Rationalisierung, führt Arbeitsteilung verstärkt zu Strukturveränderungen und Segmentierungen, aber auch zu 'Bereinigungen' im Beschäftigtensystem. Sozial wird 'freie Arbeitskraft' als Vertragspartner 'freier Produktionsmitteleigentümer' durch Differenzierungen (etwa: Arbeiter vs. Angestellte, gelernt vs. ungelernt, geistig vs. körperlich, aber auch: formelle vs. informelle Arbeit) manipulierbarer gehalten, als es abstrakten Gleichheitsgrundsätzen entspräche. Territorial wird Arbeitsteilung zum wichtigsten Strukturprinzip eines globalen Systems der Arbeitsverhältnisse (vgl. Diskussion um eine neue internationale Wirtschaftsordnung). Allerdings, und damit wird theoretisch das vereinheitlichende Moment in der Entwicklung der Arbeitsverhältnisse erfaßt, "müssen alle oben genannten Strukturbeziehungen, gleichgültig, auf welcher Ebene sie angesiedelt sind, als Bedingungen der Systemreproduktion thematisiert werden. Sie tragen dazu bei, grundlegende Aspekte der Reproduktionskreisläufe kenntlich zu machen." (Giddens 1988, 245)

Dies führt zum Problem der Möglichkeit 'revolutionärer Umwälzungen' im und durch das System der Arbeitsverhältnisse. Die P. als sozialstrukturell ausgeprägte Arbeitsverhältnisse sind die entscheidende Vermittlungsinstanz für die Umsetzung des gesellschaftlichen Handlungspotentials der Hauptproduktivkraft in gesamtgesellschaftliches, gesellschaftsformationelles Veränderungspotential. (Krysmanski 1982, 221) Das setzt voraus, sich unter Arbeit mehr als Lohn und Leistung vorzustellen. Es geht nicht nur um die ökonomische Besserstellung der Arbeiterklasse und die Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln - und das unter Beibehaltung eines Konsumgesellschafts-Modells, das schon jetzt die Öko-Katastrophe vorprogrammiert (Thüer 1986). Es geht vor allem um die Verwandlung der entfremdeten Arbeit in produktive und freie Arbeit: "Man versteht die Arbeitsvermögen, die unter industriellen Bedingungen hervorgebracht werden, nicht vollständig, wenn man sie nur oder auch nur vorwiegend in den Fabriken sucht. Die industriellen Produktionsbetriebe nehmen nur Ausschnitte und nützliche Resultate dieser Vermögen auf, grenzen sie als vollständige Vermögen dagegen konsequent aus. Die Eigentätigkeit der Arbeitsvermögen, ihr natürlicher Zustand, aus dem lebendige Arbeit ausschließlich besteht, erfolgt nach wie vor strukturiert und zusammenhängend. Auch industrielle Arbeitsvermögen können sich in Wirklichkeit nur vollständig oder gar nicht verausgaben. Vollständig sind sie mitsamt dem Lebenszusammenhang, ihren Variationen, die ins Potential zurückgenommen sind, den Beziehungsverhältnissen, nach denen sie steuern und die sie notwendig mitproduzieren, wenn sie sich der Vereinseitigung fügen. Was wir in der gesellschaftlichen Praxis, die die Lebens- und Arbeitszusammenhänge nach Berufs-, Produktions-, Konsumtionssparten und in private und öffentliche Teile zertrennt, als Arbeitsvermögen betrachten, sind die scheinbaren Bewegungen. Die wirklichen Bewegungen, die sie machen, sind nicht sinnenklar. Sie treten erst auf Grund eines spezifischen Arbeitsvorgangs ans Licht: Wenn wir sie in der Zerstreuung der falsch zusammengesetzten Gesamtarbeit wieder einsammeln und ihre spezifische, als Doppelprogramm zur Realität stattfindende Selbstregulierung für die Sinne rekonstruieren." (Negt/Kluge 1981, 192f)

3. Forschungsprobleme

Alle Fragen führen derzeit zur Aufgabe - im Rahmen eines klaren (wenn auch möglicherweise probeweisen) systematischen Konzepts -, das Soziale in seiner produktionsbezogenen Dimension zu explorieren. Wir wissen: das "System des Privateigentums mit der ihm eigenen Teilung der Arbeit verkrüppelt das Individuum, verhindert die volle Entfaltung seiner Persönlichkeit." Aber: "Ist im Sozialismus Entfremdung unmöglich, das heißt, kann sie nicht aus einer anderen Quelle kommen als dem Privateigentum?...Was heißt das, wenn wir sagen, daß die Entfremdung die Herrschaft der Produkte des Menschen über den Menschen ist?" (Schaff 1970, 52 u. 68) Es ist erstaunlich, wie schnell solche Fragen konkretes Thema der Weltpolitik geworden sind.

Die Frage des Eigentums muß auf Probleme der Aneignung, ja des 'Eigensinns' (Negt/Kluge 1981) zurückgeführt werden. Es ist denkbar, daß in diesem Zusammenhang jener Kernbereich des Sozialen, der mit dem Begriff der Familienverhältnisse i.w.S. umschrieben werden kann, und dessen Grundmuster für Begegnungen, Körperaktivitäten (Aneignung, Entäußerung) und 'Bestandswahrung' ganz neu abgefragt werden müssen. "Alle sozialen Systeme...finden in den Routinen des gesellschaftlichen Alltagslebens ebenso ihren Ausdruck, wie sie diese zum Ausdruck bringen; die Körperlichkeit der menschlichen Akteure - der physische menschliche Körper - spielt als empfindendes Sensorium hier eine vermittelnde Rolle." (Giddens 1988, 89) 'Eigentum', insbesondere 'familiarisiertes Eigentum', kann als Extension dieses empfindenden Sensoriums betrachtet werden - und dort auch seine Grenzen finden. Das heißt, zumindest in den entwickelten Industriegesellschaften ist die 'Vergesellschaftung' des produktiven Eigentums so weit vorgeschritten, daß seine 'Privatisierung' eine umfassende Diskussion über den 'persönlichen Sinn' der Verfügung über ökonomisches, soziales und kulturelles 'Kapital' herausfordert.

Ähnlich verweisen Fragen der Verwertung, des Wertes, des Äquivalententauschs auf 'Tiefendimensionen' des Sozialen, auf raumzeitliche Begrenzungen, auf 'Endlichkeit'. "In dem Maße, wie der Kapitalismus komplexer wird und in sein monopolistisches Stadium eintritt, wird die Berechnung des Wertes unendlich komplizierter." (Braverman 1977, 232) Der Kampf um die Realisierung der Werte erhält soziale und kulturelle Dimensionen, in denen auch bare Münze nicht mehr das ist was sie einmal war. Nirgends wird dieser Übergang vom 'Bargeld' zum 'Sozialen' deutlicher als in der sogenannten Schuldenkrise der Dritten Welt: "Das Problem der Verschuldung ist nicht so sehr ein finanzielles, als vielmehr ein politisches Problem und muß als solches angegangen werden. Hier stehen nicht die Konten der internationalen Gläubiger auf dem Spiel, sondern das Leben von Millionen von Menschen, die der ständigen Bedrohung durch rezessive Maßnahmen nicht Stand halten können, ebenso wenig der Arbeitslosigkeit, die Elend und Tod bringt." (Kardinal Paulo E. Arns in: Boris 1987, 140f.; vgl. Hinkelammert 1989) Dem kapitalistischen Prinzip der Verwertung, 'mehr nehmen als geben', begegnet ökonomisch konkret, als Alternative des internationalen Handelns der Produktionsmittel- gegenüber Arbeitskraftbesitzern, das Prinzip 'mehr geben als nehmen' (Margolis 1982).

Auch die Bewertung von Arbeitskraft führt über die rechtlichen, sozialstrukturellen, 'bevölkerungspolitischen' Dimensionen, über das Qualifikations-, Ausbildungs- und Bildungssystem, über Arbeitsorganisation und neue Produktionskonzepte letztlich zur subjektiven Dimension zurück. Diese einzige Quelle gesellschaftlichen Reichtums ist das Potential der Arbeitsverhältnisse. Noch wird dieses gesellschaftliche Handlungspotential wesentlich durch das kapitalistische Produktionsmitteleigentum entwickelt; zugleich sind im Prozeß der Effizienzsteigerung Formen 'nichtentfremdeter' Arbeit (insbesondere im hochentwickelten wissenschaftlich-technischen Bereich) stabilisiert worden. (Axelrod 1984) Daran anschließend ist nach dem realen Prozeß der gesellschaftlichen Bewertung und Konsumtion von Arbeitskraft durch die Arbeitenden selbst zu fragen. Die revolutionäre Perspektive ist nur von hier aus zu entwickeln: wie bei weit fortgeschrittener Vergesellschaftung der Arbeitsverhältnisse trotz kapitalistischer (und anderer) Sicherheitsvorkehrungen - also trotz vielfältiger Eigentumsformen und deshalb unter unsicheren Bedingungen - 'Selbstproduktionsverhältnisse' möglich werden. Es geht darum, individuell erzeugtes Mehrprodukt zugleich gesellschaftlich, als eine ökologische, ökonomische, soziale und kulturelle Größe, abrechnen zu können. Dies wäre der Inbegriff künftiger P.

Editorische Anmerkungen:

Der vollständige Text und die Literaturangaben finden sich in: Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften, Hg. Hans-Jörg Sandkühler, Hamburg 1990. Der Auszug ist eine Spiegelung von:
http://www.uni-muenster.de/PeaCon/histomat/hm-texte/pv1.htm