Hornitex:

"Wir sind alle beschissen worden"

09/01
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Dem kleinen lippischen Städtchen Horn Bad Meinberg winkt nach Angaben der IG-Metall eine atemraubende Karriere als "Armenhaus"(1). Der größten Firma am Ort, der Spanplattenhersteller Hornitex - Werke Gebr. Künnemeyer GmbH & Co. KG droht die Pleite. Bundesweit sind mehr als 2700 Arbeitsplätze "gefährdet" und davon allein 1500 in Horn. Jahrzehntelang hat man hier modische Presspappe hergestellt, bis "große Liquiditätsprobleme" auftauchten und das ganze schöne Geschäft in Frage stellten. Für die betroffenen Arbeiter ist diese neue Lage gleichbedeutend mit einem Anschlag auf ihre gesamte Existenz. Jahrelang haben sie sich darauf eingerichtet, dass eine Beschäftigung bei Hornitex ein halbwegs gesichertes Auskommen bedeutet. Das war wohl nur eine fromme Hoffnung...

Ein Arbeitsplatz bei Hornitex war nie eine besonders gemütliche Angelegenheit. Reich werden konnte man dort nicht, doch es sollte wenigstens das Auskommen der Leute gesichert sein. Klar, eine Garantie auf Beschäftigung bis zur Rente hat es bei der Firma auch nicht gegeben, als sie noch als grundsolide galt. Und jeder, der den Leistungsdruck nicht mehr aushalten konnte oder wollte, wurde halt gefeuert. Aber für die große Masse der Beschäftigten schien ein Arbeitsplatz bei Hornitex eine sichere Sache. Diese Leute erhalten jetzt eine unangenehme Lektion in Sachen Rentabilität von Arbeitsplätzen in der Marktwirtschaft.

Hauptsache Arbeit

Was ist das eigentlich für ein Irrsinn, wenn Arbeitsplätze von heute auf morgen für unrentabel erklärt werden? An der Leistung der Leute wird es doch wohl nicht gelegen haben, denn die haben kein bisschen langsamer oder schlechter gearbeitet als vorher. Bis gestern konnte das Unternehmen jedenfalls einen ziemlich eindrucksvollen Umsatz auf der Grundlage ihrer Arbeit einfahren!

Der Lebensunterhalt von Leuten, die auf einen Arbeitsplatz angewiesen sind, ist eben in der freien Marktwirtschaft nicht der Zweck, sondern abhängig von der Kalkulation der Unternehmer: Lohn wird gezahlt, wenn er für Gewinne taugt. Und sonst nicht. Firmen wie Hornitex steigern ihre Konkurrenzfähigkeit und Erträge durch stetige Kostensenkung: Aus den Leuten, die sie bezahlen, holen sie immer mehr und produktivere Arbeit heraus, damit sie insgesamt weniger Leute beschäftigen und weniger Löhne zahlen müssen.

Das Recht der Unternehmer auf diese Kalkulation führt dann notwendig immer zum gleichen Ergebnis: Auf der einen Seite immer weniger ‚glückliche' Besitzer rentabel gemachter Arbeitsplätze, die jetzt zusehen können, wie sie den erhöhten Arbeitsdruck aushalten. Auf der anderen Seite diejenigen, die für den Profit überflüssig sind und mit ihrer Arbeitsstelle auch ihren Lebensunterhalt verlieren. Weil sie überflüssig sind, stört ihre Not dann auch die Politik nicht. Jedenfalls nicht, solange sie nicht rebellisch werden.

Wenn Politiker versichern, sie würden sich des ‚Arbeitslosenproblems' annehmen und ‚Beschäftigung' fordern, so ist das für die von Arbeitslosigkeit und Armut Bedrohten kein Grund zur Hoffnung, sondern eine Drohung! Die kennen nämlich die immer gleiche Lösung für alle Fragen: Das deutsche Lohnniveau muss sinken. Die zu hohen Einkommensansprüche sind eben das Beschäftigungshindernis, das beseitigt werden soll. Vorbild bleibt der Konkurrent Kronospan: Weniger Lohn bei längerer Arbeitszeit!

Die Tatsache, dass es für die große Mehrheit der Hornitex-Arbeiter nach ihrer Entlassung mit Sicherheit keine neuen Arbeitsplätze in der Region gibt, wird ihnen noch zum Vorwurf gemacht: Wenn sie keine neuen Jobs finden, so liegt das jetzt angeblich an ihrer "mangelnden Qualifikation". Warum eigentlich? Wo die ganze Qualifikation bisher doch auch nur darin bestanden hat: Ranklotzen und Aushalten. Aber Leute, die sogar auf solche Arbeitsplätze angewiesen sind, bevölkern eben schon tausendfach die Flure des örtlichen Arbeitsamts.

Solche Arbeitsplätze?

Man hört so manches und wenig gutes über die Arbeitsbedingungen bei Hornitex. Kollegen, die es wagen in 23 Jahren zweimal krank zu werden, müssen sich von ihren Vorgesetzten fragen lassen, ob sie noch ganz richtig ticken. Schichtarbeit rund um die Uhr und stupide Maschinenarbeit sind auch nicht gerade das, was sich einer freiwillig aussucht. Chemikalien und stinkige Luft tragen den letzten Rest zum proletarischen Wohlbefinden bei und man munkelt, dass der ein oder andere Unvorsichtige auch schon mal als ungewollter Rohstoff in die Tischplatte gepresst wurde. Das alles haben die Arbeiter bei Hornitex über Jahre ausgehalten. Warum kann man sich eigentlich nicht freuen, wenn man so eine Arbeit los wird? Warum ist das im Berufsleben etwas anderes als im Privatleben, wo man sich immer freut, wenn man eine unangenehme Arbeit erledigt hat?

... nie beklagt und stolz auf die Firma ...

Jetzt sind die Leute enttäuscht und verbittert, weil sie ohne ein Wort des Dankes "im Regen stehen gelassen" werden. Viel hatten sie sich ja nicht versprochen außer ein bisschen Einkommen, Gesundheit und ein wenig Sicherheit für die Zukunft. Schon diese bescheidene Forderung ist aber in der sozialen Marktwirtschaft für Arbeiter zu viel verlangt.

Die Belegschaft war auf Einschränkungen vorbereitet und hatte Entlassungen schon einkalkuliert. 25.000 Überstunden wurden bei Hornitex ohne die Aussicht auf Bezahlung abgeleistet, nur in der vagen Hoffnung irgendwann diese Arbeitszeit in Freizeit umzuwandeln. Jetzt wird es eine Runde härter und es bleibt den Arbeitern nur noch die Opfergabe einer "Durststrecke ohne Lohn". Der Bürgermeister bringt die brutale Realität schön zynisch auf den Punkt:

"Die Leute werden in die Hände spucken" nicht zuletzt, weil es für viele der türkischen Beschäftigten keine Alternative gebe: Ihr Lebensmittelpunkt sei Horn und ihr Job bei Hornitex.

Ähnlich der Betriebsratsvorsitzende der seine Leute auffordert "kühlen Kopf zu bewahren und engagiert weiterzuarbeiten". Jedem ist klar: "Federn werden allerdings alle lassen müssen"!

Und die Arbeiter sind tatsächlich mal wieder zu allem bereit. Und warum, ist auch klar: Es muss doch irgendwie weitergehen!

Ist es nicht ziemlich verrückt, wenn man trotz einiger Jahrzehnte härtester Maloche sofort in größte Not gerät, wenn der Arbeitsplatz auch nur bedroht ist und die Löhne einmal ein paar Wochen später ausgezahlt werden? Der Urlaub in diesem Jahr fällt für die meisten voraussichtlich erst einmal flach. Die Anschaffung des neuen Wagens wird vertagt und die Abzahlung der Leasingraten für den alten wird zum unlösbaren Problem. Kredite wollen bedient werden und manch einer, der auf die pfiffige Idee kam, dass Miete altmodisch, Eigentum an Wohnraum aber eine super Sache sei, merkt jetzt, dass er sich die Hypotheken nicht mehr leisten kann.

Nie war dieser bescheidene ‚Wohlstand' mehr als eine Ansammlung von Notwendigkeiten, mit denen die Leute versucht haben, ihr (Arbeits-)Leben auszuhalten. Jetzt wird den Betroffenen klar gemacht, dass es ihnen eigentlich schon länger ‚viel zu gut' geht. Wenn mit ihrer Arbeit kein Geschäft mehr zu machen ist, werden diese Notwendigkeiten zum Luxus erklärt, den sich keiner mehr leisten kann. Brauchen Arbeitslose etwa eine Urlaubsreise nach Mallorca oder ein idyllisches Reihenhaus auf der Moorlage? Kann man sich mit einem gekürzten Lohn ein ordentliches Auto noch leisten? Wohl kaum! Armut darf man das alles nicht nennen. Oder?

Die Gewerkschaft: Opfer einer Erpressung?

Die Gewerkschaft will angeblich die besten Bedingungen für ihre Mitglieder rausholen: Voraussetzung dafür ist für sie das Wohl des Betriebs. In der Vergangenheit hat die Gewerkschaft deshalb auch alles mitgetragen, damit bei Hornitex rentabel produziert wird. Sie hat Überstunden zugestimmt und Entlassungen nicht verhindert, wenn diese arbeitsrechtlich abgesichert waren. Lohnforderungen wurden von ihr - wie im Rest der Republik - immer nur umsichtig und maßvoll gestellt. Niemand sollte den Gewerkschaftsheinis vorwerfen, dass ausgerechnet an ihnen der betriebsinterne Wirtschaftsaufschwung scheitert. Jetzt kriegen ihre Mitglieder und auch alle anderen Beschäftigten die Quittung für diese Politik reingereicht. Im Nachhinein stellen sich die Gewerkschaftsfunktionäre aber rotzfrech vor ihre Leute und behaupten allen Ernstes:

"Der Betriebsrat ist seit anderthalb Jahren knallhart erpresst worden. Künnemeyer haben die Standorte bei Investitionen ausgespielt und mit Entlassungen gedroht". Der Betriebsrat sei genötigt worden, Flexibilisierungsmodellen und Lohnverzicht zuzustimmen. "Es sind zehntausende Überstunden nicht bezahlt worden. Den Leuten fehlt Lohn in Millionenhöhe." Eine Zusammenarbeit jedweder Art mit Künnemeyer sei nicht vorstellbar.

Diese Nummer ist schon saukomisch! Warum haben die Gewerkschaften sich nicht schon früher darüber beschwert? Wie wehrt man sich gegen Erpressung? Indem man sie unterschreibt und seinen Mitgliedern als Notwendigkeit verkauft?

Bis gestern hat man in trauter Sozialpartnerschaft ein Verhältnis zur Geschäftsleitung gepflegt bei dem für beide Seiten etwas herausspringen sollte. Für die einen ein schöner Batzen Gewinn, mit dem sich locker eine Pleite überleben lässt und für die anderen ein äußerst bescheidener Lohn, mit dem das Konto an jedem Monatsende wieder auf Null steht.

Die Interessenvertretung der Arbeiter hat mit ihren Interessen den Arbeitern so sehr geschadet, dass man sich schon fragen muss, welchen Interessen sie letztlich gedient hat. Jetzt werden die Leute ruhig gestellt: Auf "Demonstrationen oder andere Aktionen" verzichtet die IG-Metall ...

"aber nur, solange bei den Verhandlungen niemand blockiert. Dann greifen wir zu anderen Mitteln. Das kann ganz schnell gehen."

Au weia! Da müssen wir uns ja glatt noch drauf einstellen, dass der soziale Frieden im Städtchen nicht ewig dauert. Es ist nur die Frage welche "Mittel" Arbeiter in der Hand haben, denen gerade der Betrieb vor der Nase zumacht.

Mit den "Verhandlungen" ist das übrigens noch so eine Sache: Zur Zeit gibt es für die Arbeiter von allen Seiten den Trost, dass es schon irgendwie weitergeht. Klar ist aber, das die Arbeiter dann schon wieder Opfer bringen müssen. Sanierung heißt die Grundlage dafür, dass der Schornstein weiter qualmt. Ein Teil der Leute wird also entlassen und der Rest darf dann zusehen ob und wie er mit der Arbeit und dem (mit Sicherheit) gekürzten Lohn fertig wird.

Ganz zum Schluss noch ein Wort des Betriebsratsvorsitzenden Jürgen Mende:

"Was wir brauchen, sind Holz und Leim." Wenn die Teilelieferung stimme, "können wir bis August 10 bis 15 Millionen Mark daraus machen".

Und die verteilt Mende dann an seine Leute! Was? Stimmt nicht?


(1) Die Zitate in diesem Flugblatt sind verschiedenen Ausgaben der Lippischen Landeszeitung entnommen. <=

Editoriale Anmerkung:   
Der Text wurde
von http://www.crosswinds.net/~analyseundkritik/ gespiegelt.