Einige eher kritische Anmerkungen zum antirassistischen Camp in Kelsterbach
09/01
trdbook.gif (1270 Byte)
 
trend
online
zeitung
Briefe oder Artikel
info@trend.partisan.net
ODER per Snail:
trend c/o Anti-Quariat
Oranienstr. 45
Außenpolitisch gesehen war das Camp ein großer Erfolg, was die öffentliche Wahrnehmbarkeit und das Ziel anbetrifft, den Staat und die Fraport bzgl. des Internierungslagers und dem Flughafen verfahren stärker als bisher unter Druck zu setzen. Bezüglich des Letzteren war das Eskalationskonzept eine Neuerung und ein großer Erfolg mit wenig Aufwand.

Genua hatte meines Erachtens in Frankfurt und Umgebung stark gewirkt. Ich denke, die Deeskalationsstrategie der Bullen : Zeigen von starker Präsenz , im Einzelnen aber nicht gleich draufhauen, war durchaus auch der öffentlichen Debatte nach Genua geschuldet. Ansonsten hatte der Einsatzleiter gegenüber einem Pressemenschen am Ende der Woche geäußert, er würde den Hut vor unseren taktischen Fähigkeiten ziehen. Eine Zeitung nannte unser politisches Verhalten gar „Guerillataktik", dabei war unsere Unkalkulierbarkeit mehr dem Umstand geschuldet, dass wir ein Querschnitt unserer sonstigen Themen und Tätigkeitsfelder mit einbrachten und die nicht so ganz in den kalkulierbaren antirassistischen Rahmen passte. War der Aufschrei im letzten Jahr im sog. Staatsantifa-Sommer noch recht groß, wir würden als gute Menschen vereinnahmt werden und wir mit unserem wahren Anliegen nicht wahr genommen werden, so haben wir uns in diesem Jahr größtenteils selbst auf die Gute-Mensch-Ebene begeben. Wir waren auch dieses Mal wieder Menschenrechtsaktivistinnen, was an sich was Richtiges ist und es wünschenswert ist, würden diesen Part Menschen massenhaft hier wie auch weltweit einnehmen. Aber von vielen, zumindest von den Linksradikalen auf dem Camp, wird mehr als das an umgesetzter Politik formuliert. Denn auch durch leichtes Überschreiten der vom Staat gesetzten Legitimitätsgrenzen werden die damit transportierten Inhalte nicht revolutionärer. Der rote Faden, der sich durch alle Aktionen zog, war der des Einklagens von Menschenrechten. Wir sprachen damit laut und deutlich aus, dass wir gegen die Ungerechtigkeiten sind und dass wir in einer solch unfreien Welt nicht leben wollen und können, ohne uns zu erheben. Wir wollen keine Kontrollen in den Innenstädten (und natürlich auch nicht anderswo), wir wollen keine Abschiebungen und Abschiebeknäste, wir wollen, dass sich alle v.a. Flüchtlinge frei bewegen können, wir wollen keine CDU-Politiker, die sich öffentlich rassistisch äußern, wir wollen, dass die Gefangenen in Genua frei kommen, wir wollen, dass die NS-ZwangsarbeiterInnen ausreichend entschädigt werden und wir wollen dass das Internierungslager geschlossen wird. Wenn ich mir diese Palette anschaue, so könnte das durchaus auch ein Camp von engagierten, radikaleren Christinnen sein, wäre da nicht die Form der kleinen Legalitätsgrenzüberschreitungen.

Wir sollten uns in Zukunft entscheiden, ob unser Politikansatz der ist, damit an Breite zu gewinnen, uns hör- und sichtbar in der Gesellschaft zu platzieren, in dem wir Inhalte, die durchaus einige teilen, durch provokative und entschlossene Formen an die Öffentlichkeit zu bringen.

Oder:

Liegt unser Politikansatz im Formulieren einer Utopie, die mehr ist als eine Form? Wo sind unsere gesellschaftspolitischen Antworten, die nicht so schnell vereinnahmt werden können, weil sie unbequem sind?

Linksradikale Kritik und linksradikale (meistens auch sehr platte) Gesellschaftsentwürfe hatten auch deshalb immer ihre Berechtigung, weil sie den Blick öffneten, in welche Richtung Reform- und Menschenrechtspolitik gehen sollte.

Antirassismus ist was Elementares und sollte als Prozess was Selbstverständliches, was Alltägliches sein. Solange es staatlichen und institutionellen Rassismus gibt, legitimiert er gesellschaftlichen Rassismus, andererseits repräsentiert der Staat und seine Organe lediglich das, was er in der Gesellschaft vorfindet. Wenn wir uns lediglich in diesem Rahmen bewegen. Verdammen wir uns selbst zu dieser Guten-Mensch-Politik, anstatt zu sagen: wir wollen eine freie Einwanderungspolitik innerhalb Europas, wollen gleiche Rechte für alle und wollen auf dieser Grundlage mit all denjenigen, die in einer glücklicheren Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung leben wollen, streiten und Schritte entwickeln, um dahin zu kommen, Strategien für ein Kampf um ein befreites Leben in Wohlstand und Würde für alle praktisch umzusetzen. Dabei müssen wir uns damit auseinandersetzen, dass weder hier Lebende, noch welche, die hier dazu kommen, mit unseren Ideen übereinstimmen, sogar uns massenhaft bekämpfen werden. Das heißt eben auch, mal deutlicher zu sagen, dass in unseren Augen vielleicht genauso viel Arschlöcher einwandern wollen, wie Arschlöcher hier schon leben. Wir aber dennoch dafür sind, dass alle die Bewegungsfreiheit haben sollen, weil eine Unfreiheit sofort die nächste befördert und bedingt.

Ein linksradikales Camp könnte demnach so aussehen, dass mehr gesellschaftliche Bereiche wie Arbeit und Sklaverei, kapitalistische Eigentumsformen, sexistische Ausbeutung und Unterdrückung, immer noch weltweiter Kolonialismus, wenn auch in anderen Gewändern als früher, derart auf der Aktions- und Thematisierungsebene zusammen mit Rassismus stehen., dass nicht nur radikal kritisiert wird, sondern unsere Utopie, unser Gesellschaftsentwurf mit durchscheint: inhaltlich wie auch in der Form.

Beide Politikansätze haben in meinen Augen ihre Berechtigung. Ich denke, wir sollten uns nur konsequenterweise für einen kollektiv entscheiden, weil wir dann auch strategischer an einer konsequenten Verbreiterung oder an einer inhaltlich/politischen Zuspitzung überlegen und sie umsetzen können.

Die bisherigen Camps hatten meiner Wahrnehmung nach zumindest den Anspruch, nach innen einen anderen Gesellschaftsentwurf, zumindest Selbstorganisation zu leben und offen für Experimente zu sein. Das hatte für mich den antirassistischen Ansatz von der Guten-Mensch-Politik in einer guten Art ergänzt und zu einem für mich glaubwürdigeren Politikansatz geführt. Bei diesem Camp fehlte mir dies weitestgehend, so dass meine Gesamt-Bilanz bezüglich des Camps schlechter als bisher ausfällt.

Um das zu verdeutlichen, was ich meine, hier einige Punkte:

  • Das Camp glich eher einem gut organisierten antirassistischem Festival. Das heißt, es hatte eine Beliebigkeit und die wurde auch ausreichend konsumiert. Das Konsumangebot war breit gefächert und du konntest dich an Aktionsvorbereitungen beteiligen, an vielen inhaltlichen Debatten, wie auch am kollektiven Gemüseschnippeln und Schutzschichten schieben. Das an sich ist auch in Ordnung, wenn mensch das Ganze so sieht: Ein paar nette Tage mit 1000 bis 1500 Menschen verbringen und dabei sich auch noch nach außen politisch artikulieren. Wenn du allerdings im Kopf hattest. ein gesellschaftliches Experiment zu versuchen, war dies nicht so einfach umzusetzen: Wir hatten das Organisatorische soweit .perfektioniert, allerdings auch nur auf Wenige zugeschnitten, dass andere gar nicht auf die Idee kamen, Bestimmtes zu hinterfragen oder sich selbstbestimmt einzuklinken. Wir hatten zwar im Eingangsplenum alles vorgestellt, wie die verschiedenen Bereiche sich das vorgestellt hatten, es war jedoch alles zu glatt und „perfekt". Unsere gute Ursprungsidee, täglich abends ein kurzes Infoplenum zu machen, fiel glatt unter den Tisch , so dass es für viele großen Aufwand bedeutet hätte, sich über den üblichen Rahmen von Vokü und Schutz hinaus sich einzuklinken. Auch unsere Selbstbezogenheit (ich meine das nicht nur Flüchtlingen gegenüber!) hätte mit einem solchen Infoplenum abgebaut werden können, d.h. unsere Selbstverständlichkeiten, wie wir solch ein Zusammenleben organisieren ( wie funktioniert die Vokü, wo können Menschen duschen, die keine Leute im Rhein-Main-Gebiet kennen usw.) wären vielleicht besser vermittelt worden.
  • Ein weiterer Akt der Selbstbezogenheit drückte sich in Unsicherheit, aber auch Ignoranz durch die Zunahme der Verdächtigungen (als Spitzel) gegenüber nicht dem jugendlichen Szeneklischee entsprechenden Menschen . Das erfuhr ich leider erst hinterher. Die Verdächtigten hätten das zum Politikum machen müssen, schließlich wollten wir ein Camp gegen Ausgrenzung sein. Genau in solchen individuellen Umgehensweisen bzgl der Betroffenen damit sehe ich, wie das Ganze in eine entpolitisierte Richtung ging. Ich weiß, es erfordert viel Überwindung und Mut, solche Vorwürfe öffentlich zu machen, aber bei so was gibt es eigentlich immer Unterstützung durch andere. In Zittau wurde so was z.B. sofort nach Bekanntwerden auf dem großen Plenum mit einer Selbstverständlichkeit thematisiert. Wie sollen denn solche Denkweisen aus den Köpfen verschwinden, wenn nicht über Konfliktaustragungen? Die politische Selbstorganisierung fiel weit hinter die Camps in Zittau und Forst zurück. Es war bestimmt auch dem Umstand geschuldet, dass wir doppelt bis dreifach so viele Menschen waren und viele nur mal ein paar Tage vorbeischauten. Das Deliplenum war von der Teilnehmerinnenanzahl gemessen an der Campgröße kleiner als bisher. Es gab zwar Zusammenhänge, die diskutiert haben und von Delegierten vertreten waren, aber das war die Minderheit. Die Idee, die Unorganisierten zu organisieren, schlug auch dieses Mal fehl, denn es wurde letztendlich auch keine Energie aufgewendet, dies ernsthaft zu versuchen. Mal zu sagen, die Unorganisierten können sich um 18 Uhr am Infozelt treffen reicht nicht. Politisch-strategische Debatten und richtige Kontroversen blieben weitgehend auf der Strecke. Vielleicht war bei den beiden anderen Camps der anfängliche Konflikt um den Platz eine gute Voraussetzung, um sich in politischen Konflikten und wie antworten wir darauf, sich zu üben. Die großen Plena mit 500 bis 700 Menschen waren tatsächlich ein Experimentierfeld. Das erste war fast nur ein Informationsplenum, politischer Debatte wurde keinen Raum gegeben, was auch der Fülle an Information sprich dem Bedürfnis, das camp möglichst transparent für alle zu machen , geschuldet war. Das Zwischenplenum war moderiert. aber auch da machte sich bemerkbar, wie wenig Übung wir alle haben, mit so vielen zu diskutieren. Moderation ist immer mehr oder weniger eine Art der Manipulation, hat aber den Vorteil, dass nicht nur die Stärksten und Lautesten zu Wort kommen. Das Abschlussplenum sollte anfangs auch moderiert werden. Wir waren zu dritt, die das vorbereitet hatten. Der Dritte sprang nach der Demo ab und wir zwei ließen das dann. ohne es dem Plenum zu vermitteln sein. Ein flapsig dahingeworfene Begründung: „das ist mir alles zu konsumistisch" meinerseits, wurde von jemand anderes eingebracht und blieb so unkorrigiert stehen, was zu etlichem Unmut führte. Es war gut, dass wir nicht moderierten, denn wir hätten auf jeden Fall lenkend eingegriffen. Ich ärgerte mich hinterher, dass ich nur eine Stunde teilnahm. Denn nach den Erzählungen zu urteilen, war dies tatsächlich mal ein Experiment, sich in was Konstruktivem finden zu wollen oder auch nur sich in Abgrenzungen und weißen Westen zu ergehen und das ohne Lenkung „von oben". Das zu lernen hat an sich einen hohen Wert.
  • Eingebrachte strategische Überlegungen wurden von den jeweiligen Aktionsgruppen überlegt, im Deliplenum kurz eingebracht wie z.B. das Ultimatum an Fraport und abgenickt. Oder auch nicht eingebracht, weil es nicht für alle Ohren gedacht war wie z.B. das Vorgehen auf der Abschlussdemo, was dann auf der Demo zu Interessenskonflikten führte, womit eben dann vor Ort praktisch und faktisch umgegangen werden muss, aber auch das bedarf der Übung: in prenzligen Situationen mit unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen schnell und möglichst kollektiv die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die Debatte um den roten Faden fand kurz auf dem Zwischenbilanzplenum am Dienstag statt. Im Deliplenum, wo das politische Hinterfragen von Aktionen mehr Platz gehabt hätte, unterblieb diese Debatte. Was zur Folge hatte, dass die Pressegruppe als politisches Sprachrohr unhinterfragt, soz. als politische Kadergruppe, unangebunden agierte. Die Pressegruppe hätte das von sich aus problematisieren müssen gegebenenfalls sogar kurzfristig ihre Arbeit einstellen und bis zur politischen Einbindung ruhen lassen sollen. Wir (ich war teil davon)  haben in einem vertrauten Trott funktioniert und ebenso wie fast alle anderen, nicht experimentiert und politisch nachgedacht. Mein Fazit: wir glichen eher einem „real-existierenden sozialistischen" Ferienlager mit informeller Hierarchie (in der ich ziemlich oben mit agierte) als einem emanzipatorischen, selbstorganisierten Experiment von temporär anderer Gesellschart. Ich denke, in dieses Fahrwasser geraten wir schnell. Wenn wir unser Hauptaugenmerk auf eher Funktionieren fokussieren als auf Konflikte wahrnehmen, austragen oder bewusst stehen lassen. Ich fühle mich auch schnell vom Funktionieren angezogen, weil es scheinbar das Leben so schön einfach macht und wir doch nach außen agieren und sichtbar werden wollen. Unter anderem deswegen gab es die Idee eines Konfliktgremiums, um auch Konflikte als wichtigen Bestandteil in einem solchen Experiment Raum zu geben.
  • Das ist eine gute Überleitung zur Anlaufstelle. (Für die, die nicht auf dem Camp waren: es gab im Vorbereitungsplenum die Idee, eine Anlaufstelle für Betroffene von sexistischen und rassistischen Übergriffen einzurichten Das führte im Vorfeld zu Kontroversen. Um u.a. den Raum für weitere Diskussionen zu öffnen, hat die Anlaufstellengruppe ihr Vorhaben sein lassen. Es gab im Camp zu dem Thema lange und intensive Debatten, deren Inhalt hoffentlich bald zusammengefasst der veröffentlicht werden). Es gibt zwei Arten mit neuen Ideen umzugehen: sie werden hinterfragt ( zu recht), analysiert, auseinandergenommen, als Ausgangspunkt für weitergehende theoretische Debatten genommen. Dieser Weg wurde vorher wie auch auf dem Camp gegangen. Der andere Weg ist der des Ausprobierens, in seiner ganzen Widersprüchlichkeit und Unfertigkeit und hinterher wird das Erprobte analysiert, hinterfragt und bewertet. Ich hätte gerne diesen letzten Weg bevorzugt, weil sich beim Umsetzen meines Erachtens mehr Erkenntnisprozesse auftun: learning by doing. Mein Fazit: schade auch!
  • Du konntest dich bewegen, wie du wolltest, du durftest als Mann lediglich keine Frau anflirten ( diese, bis zum Abschlussplenum, unausgesprochene Konvention führte bei einigen Flüchtlingsmännern zu Verhaltensschwierigkeiten Frauen gegenüber). Es war kein sexistisches Camp, auch wenn Spanner und Wichser am Baggersee waren. Es gab eine sofortige Reaktion in Form von Schildern im Wald ( Spannern und Wichsern auf s Maul), die dann auch gewirkt hatte. Gesellschaftlicher Alltag vom Tatumstand her. schnelles und wirkungsvolles Handeln als Antwort darauf, eigentlich ganz prima.
  • Alles in allem war es für mich leider ein sehr unerotisches Camp. Es knisterte nirgends. vielleicht lag es auch an mir, weil ich mich nie bis zum Hellwerden im Cafe aufhielt. Bzw. ich vor lauter Organisatorik nicht dazu kam, mich bei pink & silver einzuklinken.  Das erschien mir von außen noch am Erotischsten und am Lebendigsten, auch wenn ich meine tiefe Abneigung gegen bestimmte us-amerikanische Kulturmomente nicht ablegen kann und eigentlich auch nicht will (trotzdem will ich es mal probieren).

Das Gute am Camp war, dass ich viel darüber nachdenke. Verbesserungsideen habe, meine eigene Unzulänglichkeit durchaus sehe und es eigentlich nur besser werden kann oder !?

Eine Rosa Kemper

Editoriale Anmerkung:  Der Text wurde am 06.09.2001 in der Interim, Nr. 533 erstveröffentlicht. OCR-Scan by Red. trend.