Hirntod oder Popanz
Perspektiven radikaler Neoliberalismuskritik nach Genua 

Radio-Kommentar von Holger Schatz für Radio Dreyeckland Freiburg 

09/01
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"Wer gegen die Globalisierung des Kapitals wettert, muß zwingend das Kapital selbst und den Nationalstaat bejahen." Vielleicht haben sie recht, die antideutschen KommunistInnen aus Berlin, denn in der Tat war es schon vor Genua schlecht bestellt um die inhaltliche Stoßrichtung der ‚Bewegung'. Vereinzelte symphatische Parolen wie "Globalisierung von unten, statt Klassenkampf von oben" (FAU) konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass es einer grundlegend antikapitalistischen Begrifflichkeit des Phänomens Neoliberalimus allerortens ermangelte. Die bürgerlich-liberale Umgarnung der Bewegung (Spiegel: "die Protestbewegung hat in vielen Punkten recht"), die angesichts der Empörung über die wahrhaft neue Qualität staatlicher Repression noch enger wurde, ist der besonders krasse Ausdruck dessen.
Binnen mehrerer Jahre ist es nicht gelungen den Begriff Globalisierung und dessen hegemoniale Konnotation - räumliche Entgrenzung der Kapital- und Warenmärkte, Bedeutungsverlust des Nationalstaats - zu ersetzen durch den der kapitalistischen Totalität, die als strukturelle unter den Bedingungen postfordistischer Akkumulation nunmehr vollends zu sich kommen muss, real und als Ideologie.

Zurecht wird also der "Hirntod der GlobalisierungsgegnerInnen" (so der Untertitel des Beitrags der Berliner antideutschen KommunistInnen, siehe Trend 06/01) diagnostiziert, zumal "alle Neoliberalismuskritik die Vergangenheit verklären" müsse.
Die hier anklingende Polemik gegen die notorische Neigung, sich über die besonders brutalen Auswüchse des Kapitalismus - hier also in Form des Neoliberalismus - oder eben der staatlichen Repression, die in Genua tatsächlich protofaschistische Formen annahm, ist insofern notwendig, als dass sie tatsächlich vor der Gefahr warnt, die kapitalistische Normalität zu verharmlosen und als das kleinere Übel dann auch akzeptabel erscheinen zu lassen.
Doch es wäre verhängnisvoll, vom genannten inhaltlichen Elend der empirischen Bewegung deshalb per se davon auszugehen, eine Skandalisierung der Auswüchse des Kapitalverhältnis vertrage sich nicht mit dessen grundlegender Kritik. Im Gegenteil, man könnte gar polemisieren, dass wer sich nicht über den neoliberalen Ausdruck des Kapitalverhältnis empören kann, wohl kaum was an einem wohlfahrtsstaatlich abgefederten auszusetzen in der Lage ist.

Schaut man sich die radikale Kritik an der ‚Globalisierungsbewegung'- ob nun die durchsichtige Polemik der antideutschen KommunistInnen oder die Vorwürfe, die beispielsweise Udo Wolter jüngst gebündelt vortrug (siehe Jungle World Nr. 30) - genauer an, entdeckt man den Kurzschluss einer richtigen Bestandsaufnahme (falsche Inhaltlichkeit der Bewegung) hin zu einer daraus gefolgerten Aporie (kategorialer Antikapitalismus verträgt sich nicht mit dieser Bewegung) - garniert durch den alten konstruierten Popanz: Ideologiekritik vs. Praxis. 

Ob die Kritik des globalen Neoliberalismus kontraproduktiv wirkt oder nicht hängt aber vielmehr davon ab, wie das Verhältnis von Neoliberalismus und Kapitalismus verstanden wird und ob sich dieses Verständnis wiederum auch in den Kampfformen und -Inhalten niederschlägt. 
Wird Neoliberalismus nicht länger als die momentan hegemoniale Variante im Widerstreit verschiedener Konzepte politischer Ökonomie, sondern als logische Konsequenz einer spezifischen Entwicklungsstufe krisenhafter Kapitalakkumulation betrachtet, dann könnte die Kritik neoliberaler Ausbeutung durchaus auf die Irrationalität des normalen Kapitalverhältnis verweisen. Beispielsweise ließe sich anhand der weltweit verschärften Arbeitsbedingungen, die nicht selten von einer Rückkehr sowohl frühkapitalistischer als auch feudaler Elemente begleitet werden, eine grundlegende Kritik der Arbeit bzw. ihrer Form im Kapitalismus formulieren. Vor allem dann, wenn diese Entwicklung der ‚neoliberalen Arbeit' in ihrer Widersprüchlichkeit offensiv aufgegriffen wird, wie es Carlos Kunze (Jungle World Nr.31) implizit fordert: "Wo hat es Diskussionen gegeben, die das alte antikapitalistische Programm der Räterevolution im Hinblick auf die jüngste - in ihrer kapitalistischen Form schreckenerregende, in ihren Möglichkeiten faszinierende - Entwicklung der Produktivkräfte aktualisierten?"

Die Chancen einer deratigen inhaltlichen Radikalisierung scheinen nach Genua allerdings geringer denn je. Viele derer, die eine solche Debatte organisieren könnten, sehen sich angesichts des Ausmaßes der noch lange nachwirkenden Repression gezwungen, auf der politischen und juristischen Ebene erst einmal Schadensbegrenzung zu üben. Die Eigendynamik der gerade hereinbrechenden Gewaltdebatte wird erfahrungsgemäss ihr übriges dazu beitragen, dass die nötige inhaltliche Verständigung ausbleibt. Dabei wäre es durchaus wichtig, auch in der Frage der Militanz - analog zur notwendigen offensiven Klärung des Begriffs Neoliberalismus - die reaktive Haltung gegenüber den besonders brutalen Repression durch die grundsätzliche Delegitimierung staatlicher Gewalt zu ersetzen und gleichzeitig auf den Möglichkeiten einer emanzipativen und entschlossen-solidarischen Militanz zu beharren, von der in Genau trotz alledem erstaunlich viel zu sehen war.

Editoriale Anmerkung. Der Autor schrieb uns folgende Email:

Date sent:                  Thu, 16 Aug 2001 14:54:52 +0200 (MEST)
From:                       Holger.Schatz@gmx.de
To:                           
info@trend.partisan.net
Subject:                   
Artikel

Hi, hier etwas zur Globalisierungskritik-Diskussion unter dem Eindruck von Genua. Das bezieht sich beispielsweise auch auf den Text der Berliner Antideutschen KommunistInnen in Trend 06/01.