http://www.spoe.at/ri/texte.htm

Supranationale Organisationen als Protagonisten eines globalen und entstaatlichten Bildungsmarkts in Europa

Peter J. Weber, Universität Hamburg

 09/00  
trdbook.gif (1270 Byte)  
trend
online
zeitung
Briefe oder Artikel: info@trend.partisan.net  ODER per Snail: Anti-Quariat 
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin

Ich denke, wir sollten im Auge behalten, was letztlich unser aller Ziel ist: das riesige Ausmaß vergeudeter Anstrengungen zu vermeiden, das entstehen würde, wenn sich unsere Bildungssysteme in eine falsche Richtung entwickelten. Wir verwenden durchschnittlich 5% unseres Bruttoinlandprodukts allein auf die öffentliche Bildungssysteme – es ist eine große Verantwortung, dafür zu sorgen, daß dieses Geld auch gut ausgegeben wird." (Alexander, T.J. 1997)

Im Bildungsbereich werden supranationale Organisationen als Entscheidungsträger oftmals nur am Rande wahrgenommen, obgleich in vielen Dritt-Welt-Ländern und den osteuropäischen Transformationsstaaten Bildungsreformen während der letzten 10 Jahren durchgeführt wurden, die vom Internationalen Währungsfond (vgl. http://www.imf.org/), der Weltbank (vgl. http://www.worldbank.org) und der OECD (vgl. http://www.oecd.org) getragen waren. Diese Aktivitäten im Bildungsbereich sind Teil von Strukturanpassungen, bei denen das Schließen der Bildungslücke eine integrale Strategie ist. Diese Strategie soll den Anschluß an die Entwicklungen in den Industriestaaten ermöglichen, aber auch generell zu wirtschaftlicher Stabilität führen.

Mit der steigenden Bedeutung der Europäischen Union (http://www.europa.eu.int/) als Wirtschaftsraum im globalen Wettbewerb wird auch die Gestaltung eines wettberwerbsfähigen Bildungssystems in den Mitgliedsstaaten der EU gefordert. Nicht überraschend mag hier - spätestens seit dem Luxemburger-Prozeß - die starke Ausrichtung der bildungspolitischen Maßnahmen an transnationalen arbeitsmarktpolitischen Vorgaben sein. Zugleich laufen die nationalen Bildungspolitiken mit ihrer Ausrichtung an einem ‚marktfähigen Humankapital‘ Gefahr, sich dem Markt unterzuordnen, wobei supranationale Organisationen eine Katalysatorfunktion durch ihre Programme übernehmen. Denn kein größer angelegtes Förderprogramm z.B. im Technologiesektor ist ohne Impuls oder flankierende Maßnahme aus der EU in den Nationalstaaten durchzuführen

Die Aktivitäten der drei supranationalen Organisationen Weltbank, OECD und EU basieren im Grunde auf der Theorie des Wirtschaftswachstums, nach der eine gut funktionierende Wirtschaft die Basis für stabile Gesellschaften und damit Weltfrieden ist. Im folgenden soll daher die Entwicklung zu Marktelementen im Bildungsbereich insbesondere in Europa skizziert und die zentrale Rolle von supranationalen Organisationen auf einem globalen und entstaatlichten Bildungsmarktes aufgezeigt werden.

Abb. 1:         Argumentationsverlauf

Einleitung: Theorie des Wirtschaftswachstums

Kapitel 1:

Der Faktor ‚Strukturanpassung‘

Kapitel 2:

Der Faktor ‚Humankapital‘

Kapitel 3:

Der Faktor ‚Beschäftigung‘

Schluß: Fragen für die zukünftige Rolle von Bildung

Hierzu wird zunächst die Bedeutung von Strukturanpassungen der Weltbank in ihrer Verschränkung mit den Analysen zu Bildungsleistungen, -standards usw. der OECD betrachtet. Im Anschluß daran soll deutlich gemacht werden, wie das derzeit durch die OECD favorisierte Humankapitalkonzept zu einer ‚Marktorientierung‘ von Bildung führt. Die Beschäftigungsstrategie der EU steht als exemplarischer Endpunkt in der Entwicklung zu einem von marktwirtschaftlichen Elementen geprägten Bildungssektor im Mittelpunkt, in dem sich die Bedeutung von Bildung ändert.

1. Der Faktor ‚Strukturanpassung‘

In den Bildungssystemen der Industrienationen zeichnete sich ab Ende der 80er Jahre ein Trend zu marktorientierten Bildungsreformen ab. Daß sich die an den wirtschaftlichen Kategorien des Neoliberalismus orientierten Bildungsreformen durchsetzen ließen, lag zum entscheidenden Teil am Übergang der Weltwirtschaft zu einer informationsgestützten Wirtschaft. Diese machte höhere Investitionen des Staates im Bildungssektor notwendig, obgleich der öffentliche Sektor seine Ausgaben verringern mußte. Die Marktorientierung der Reformen läßt sich somit mit dem Zwang nach einer effektiveren und effizienteren Bildung in einer Zeit der zurückgehenden öffentlichen Ausgaben erklären (Carnoy, M. 2000, S. 68 f.).

Die Diskussion um die Marktorientierung von Bildung wird zumeist auf zwei Argumentationsstränge fokussiert, die Teile der weltweit von Weltbank und OECD verfolgten Strukturanpassungen sind: Dezentralisierung und Privatisierung. Damit werden Grundsätze erwerbswirtschaftlicher Unternehmensführung in die gemeinwirtschaftlich arbeitenden Einrichtungen des Bildungssektors übertragen. Hierdurch ändert sich die Bildungsfinanzierung in ihrem Wesen, da sich erwerbswirtschaftliche Unternehmen in erster Linie um die Gewinnmaximierung bemühen (Formalziel), gemeinwirtschaftliche aber um eine staatlich organisierte Grundversorgung der Bevölkerung (Eichhorn, P./Engelhardt, W.W. 1994) z.B. mit Bildung (Sachziel). Bei Zunahme von erwerbswirtschaftlichen Bildungseinrichtungen oder zumindest der Übernahme von erwerbswirtschaftlichen Prinzipien werden Privathaushalte stärker gezwungen, Bildungsausgaben zu tätigen (OECD 1998b). Solange die Mehrzahl der Bildungseinrichtungen aber stärker an einem gemeinwirtschaftlichen Modell ausgerichtet ist, führen die Instrumente der Dezentralisierung und Privatisierung eher zu Quasi-Bildungsmärkten, in denen sozialstaatliche Elemente weiterhin die Bildungspolitik beeinflussen. Theoretisch zu bedenken ist hier, daß bei der Bildungsproduktion im Gegensatz zur Güterproduktion oder auch einfachen Dienstleistungserstellung (Schlutz, E. 1998) eine Phasenverschiebung in der Produktion auftritt, die den Eigenanteil der Bildungsabnehmer während der ‚Bildungsproduktion‘ (Lernprozeß) und damit die Anwendung der Markttheorie fraglich macht.

Welche Auswirkungen haben Privatisierung und Dezentralisierung als Teil der von Weltbank und OECD unterstützten Strukturanpassungen?

Abb. 2:          Finanzierung von Bildungseinrichtungen

 

Verteilung in % nach öffentlicher und privater Herkunft der Mittel für Bildungseinrichtungen nach (endgültige Mittel) Transferzahlungen zwischen öffentlichen und privaten Quellen im Jahr 1995 (OECD 1998b, S. 102)

 

Primar- und Sekundarbereich

Tertiärbereich

 

Öffentlich

Privat

Öffentlich

Privat

Tschechien

88

12

70

30

Vereinigtes
Königreich

*

*

72

28

Spanien

87

13

76

24

Ungarn

92

8

80

20

Frankreich

93

7

84

16

Italien

100

-

84

16

Deutschland

76

24

92

8

Schweden

100

-

94

6

* Keine Daten verfügbar

Sie lassen sich in den entwickelten Industriestaaten Europas insbesondere im Sekundarbereich und Hochschulsektor finden. Dies verwundert nicht, da gerade diese beiden Bereiche als Schlüsselelemente für das Wirtschaftswachstums angesehen werden (Wigger, B.U / v. Weizsäcker, K. 1998), ihre Expansion aber nicht ausreichend mit öffentlichen Mitteln finanziert werden können. Sehr auffällig in Abbildung 1 ist der hohe Anteil privatfinanzierter Bildungseinrichtungen im Tertiärbereich des Vereinigten Königreichs, von dem die marktorientierten Reformen in Europa ausgingen. Noch deutlicher wird die mangelnde Finanzierbarkeit der Bildungsausgaben durch den Staat in den östlichen Transformationsstaaten, aber auch Spanien, in denen der Tertiärbereich zu 30% zu 24% und 20% aus privaten Mitteln finanziert wird. Andererseits könnte die Stärkung der Privatfinanzierung in diesen Ländern zur Verbesserung der Bildungssysteme durch private Einrichtungen führen, wenn sich damit Grundsätze einer qualitativ hochwertigen, effizienten und effektiven Bildung einführen ließen.

Als Zwischenergebnis läßt sich somit festhalten:

Zusammen mit den Ergebnissen der jüngsten bildungspolitischen Analyse der OECD für das Jahr 1999 (OECD 2000) ergibt sich, daß die Auswirkungen der Veränderung der Weltwirtschaft zu einer Zweiteilung von Bildung führt: Einerseits setzen sich im Tertiärbereich immer stärker Elemente eines Bildungsmarktes durch, andererseits bleibt der Pflichtschulbereich den staatlichen Einrichtungen vorbehalten. Typisch ist demnach die Folgerung der OECD: "...Frauen bleiben jedoch in einigen Fachbereichen in der Minderheit und Studierende aus niedrigen sozio-ökonomischen Gruppen haben die geringsten Chancen, gut ausgestattete Ausbildungsgänge und Einrichtungen zu besuchen" (OECD 2000, S. 97). Entscheidenden Anteil an dieser Entwicklung hat aber auch das von der OECD transportierte und von anderen internationalen und nationalen Institutionen übernommene Humankapital-Konzept in seiner Einbettung in alte und neue Wachstumstheorien.

2 Der Faktor ‚Humankapital‘

In den 90er Jahren entwickelt sich die Weltwirtschaft durch die Informations- und Kommunikationstechnologien weiter zu einer informationsgestützten Wirtschaft. Nach OECD-Schätzungen werden Bildungs-, Gesundheitswesen und Staatsverwaltung zu 20% ihres Volumens durch den elektronischen Handel beeinflußt (OECD 1999, 9). Die Orientierung an den IuK-Technologien ist mithin nur ein Spezialfall der Orientierung an durch die OECD vorgegebenen Standards (z.B. das Projekt International Indicators of Education Systems INES, das als Basis zur Berechnung von Bildungsrenditen dient. Die supranationalen Institutionen steuern indirekt, aber sehr entscheidend, die formale und inhaltliche Ausgestaltung eines zu ‚produzierenden‘ Humankapitals, das dann von den Nationalstaaten als Zielgröße für die Bildungssysteme vorgegeben wird.

Die zunehmende Bedeutung internationaler Organisationen in dem oben genannten Paradigmenwechsel zu einer wissensbasierten Weltwirtschaft liegt in der Förderung eines flexiblen Humankapitals durch non-monetäre sowie finanzielle Steuerungsmechanismen. Das mit dem Paradigmenwechsel aufgekommene neoklassische Modell des Wirtschaftswachstums Anfang der 80er Jahre ist durch die neue‘ makroökonomische Wachstumstheorie abgelöst worden, in der endogene Faktoren wie das Humankapital im Wirtschaftswachstum eine Rolle spielen (Bodenhöfer, H.-J. / Riedel, M. 1998; Weber, A. 1998). Da bei diesem Humankapital-Ansatz der Transfer und die Transformation gesellschaftlichen Wissens im Mittelpunkt stehen, dienen Nutzenbetrachtungen von Bildung z.B. im Hinblick auf politische Stabilität, Umwelt oder Bevölkerungswachstum dazu, die non-monetären Effekte von Bildung zu analysieren (vgl. z.B. McMahon, W. 1999).

In der Praxis scheint diese Kosten-Nutzen-Analyse allerdings eher für Entwicklungsländer praktikabel, während für die entwickelten OECD-Länder die fehlende mikroökonomische Fundierung sowie die Einseitigkeit der traditionellen Inputmaße deutlich zu Tage treten. In diesen Staaten kommen insbesondere "... der Effektivität und Effizienz des Bildungssystems ... entscheidende Bedeutung für das Wachstum zu" (Bodenhöfer, H.-J. / Riedel, M. 1998, S. 42). Aufgrund dieser Mängel der ‚neuen‘ Wachstumstheorie ändert sich das Humankapital in der Form, daß stärker auf Kapitaleinsatz und Kapitalrendite geachtet wird. Dies macht nur dann Sinn macht, wenn nach der Quantifizierung von Bildung auch eine Monetarisierung vorgenommen wird, was dem monetären neoliberalen Ansatz entgegenkommt. Dann dürfte die Einschätzung der OECD Gültigkeit besitzen, daß "Berechnungen des Humankapitals Renditen anzubieten scheinen, die vergleichbar sind mit denjenigen von Geschäftskapital ..." (OECD 1998a, S. 70).

Welche Bedeutung haben nun Renditenberechnungen der OECD des im Bildungssektor eingesetzten Kapitals?

Abb. 3:          Humankapital und Finanzierung von Bildung

     

 

Jährliche Rendite in % des in Bildung investierten Kapitals im Jahr 1995 (OECD 1998a, S. 71)
– Mittelwerte für Frauen und Männer –

Sekundarstufe II Universität

Anteilige öffentliche und private Bildungsausgaben in % am Bruttoinlandsprodukt im Jahr 1994 (OECD 1998a, S. 37)

Portugal

32,8

27,8

5,7

Vereinigtes Königreich

16,7

15,9

*

Tschechien

17,9

7,9

*

Frankreich

14,1

13,4

6,7

Schweden

10,4

6,7

9,0

Italien

10,0

7,2

4,8

Deutschland

5,6

9,6

6,0

Spanien

*

*

6,4

Ungarn

*

*

6,5

* Keine Daten verfügbar

Beachtlich in Europa ist in Abb. 3 hier die Position Portugals, das unter den OECD-Ländern die höchste Rendite der Bildungsinvestitionen aufweisen kann, wenngleich die Investitionen insgesamt eher gering ausfallen. Hier zeigt sich ein deutlicher Unterschied zu den östlichen Transformationsstaaten wie Tschechien, deren Strukturen der Bildungssysteme weniger auf den effektiven und effizienten Einsatz von Kapital vorbereitet sind. Eher kritisch ist die Situation von Staaten wie Deutschland oder Frankreich zu betrachten, deren relativ geringen Bildungsausgaben zudem schlechte Renditen abwerfen. Dieses sehr gute Abschneiden von Ländern wie Portugal und Tschechien gegenüber anderen Ländern mit Ausnahme des Vereingiten Königreichs spiegelt ausgezeichnet den Wandel des Humankapital Konzepts wider, aber auch die Arbeit von Organisationen wie der OECD.

Dies führt uns zu dem zweiten Zwischenergebnis:

Planung von Bildungsaktivitäten im üblichen Sinne wird immer schwieriger (vgl. a. BLK 1998, S. 1), da z.B. durch das Internet Bildung in vielen nicht staatlich-institutionalisierten Kontexten angeboten wird. Die OECD ist Trägerin dieses Paradigmenwechsel im Umgang mit Bildung und Qualifikationen, da sie eine leistungsorientierte und monetäre Bewertung von Bildung in den Mittelpunkt ihrer Forschung und Entwicklung im Bildungsbereich stellt (Hutmacher, W. 1997). Es ist aber zu betonen, daß die positive Entwicklung in Ländern wie Spanien, Portugal, Ungarn und Tschechien, die sich allesamt schon in Zeiten der Diktaturen an internationalen Bildungsvorgaben insbesondere der OECD orientierten, die Sinnhaftigkeit dieser Leistungsindikatoren der OECD zeigt. Problematisch wird dieser Ansatz erst dann, wenn monetäre Größen die Indikatoren und die daraus abgeleiteten bildungspolitischen Maßnahmen bestimmen. Damit erhöht sich – gerade auch in Zeiten der kapitalintensiven neuen Medien – die Kapitalisierung von Bildung (vgl. a. Becker, E. 2000), die dann zu einem arbeitsmarktpolitischen Instrument für den Arbeitsmarkt wird.

2 Der Faktor ‚Beschäftigung‘

Seit 1994 ist bei der EU eine politisch bedeutsame Akzentverschiebung im bildungspolitischen Ansatz durch die Etablierung einer Beschäftigungsstrategie zu beobachten. Damit hat die Bildungspolitik der EU in ihrem derzeitigen Entwicklungsstadium stark arbeitsmarktpolitische Züge angenommen. Das Grundaxiom dieser Entwicklung ist ein Paradigmenwechsel ausgelöst durch die ‚neue Wirtschaft‘, namentlich der Wissensindustrie. Der EU geht es darum, das Auseinanderdriften des Qualifikationsbedarfs insbesondere in Wissensindustrien (z.B. Internetökonomie und ‘eEurope’) und der auf dem Arbeitsmarkt verfügbaren Qualifikationen durch die Optimierung des Verhältnisses zwischen Bildung und Beschäftigung zu erreichen (Wordelmann, P. 1996). Damit transportiert die EU ein Verständnis eines an Wirtschaftsprozessen ausgerichteten Humankapitals, das demjenigen der OECD gleichkommt.

Wie verankert die EU die Optimierung zwischen Bildung und Beschäftigung (vgl. Abb. 4)? Ähnlich wie die allgemeine und berufliche Bildungspolitik, auf die hier nicht näher eingegangen wird, hat die Beschäftigungsstrategie drei Säulen (Europäische Kommission 1997; European Commission 2000):

Säule 1 ist der Amsterdamer Vertrag, der im Bereich der Beschäftigung neue Impulse mit sich brachte, da in den Artikeln 125 bis 130 die Beschäftigungsstrategie direkt angesprochen wird. Bei der zweiten Säule handelt es sich um das Weißbuch "Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung. Herausforderungen der Gegenwart und Wege ins 21. Jahrhundert", - analog zum Weißbuch zur allgemeinen und beruflichen Bildung.

Abb. 4:          Europäische Bildungspolitik

Die dritte Säule ist der vom 20. bis 21. November 1997 unter Luxemburger Präsidentschaft außerordentlich anberaumte Ratsgipfel, der ausschließlich der Beschäftigungspolitik gewidmet war. Ziel war ein operationaler Prozeß, um die Vertragsbestimmungen in konkrete Aktionen umzusetzen. Seither spricht man vom ‚Luxemburger Prozeß‘. Die Umsetzung der Vertragsbestimmungen sollte in einem Konvergenzprozeß durch Koordination der Beschäftigungspolitiken aufgrund gemeinsamer Zielabsprachen (d.h. durch ein ‚management by objective‘ oder auch change) erreicht werden. Das Augenmerk lag mehr auf der Entwicklung einer maßgeschneiderten Strategie für die gesamte EU, als auf einer passiven Unterstützung nationaler Politiken im Bildungsbereich, wie sie bisher üblich war.

Die europäische Beschäftigungsstrategie ist also über den Punkt hinaus, daß sie berufliche Bildung für wirtschaftliche Ziele operationalisiert, aus zwei Gründen für den Sachverhalt einer globalisierten Bildung interessant. Einerseits stellt sie einen politischen Strategiewechsel der EU von Verordnungen hin zu einem ‘management by objective‘ dar, bei dem Bildung nur als Qualifikation für den Arbeitsmarkt eine Rolle spielt. Die Einbeziehung von Bildung und Ausbildung in die Beschäftigungspolitik erfolgt andererseits im Selbstverständnis der EU komplementär zu den Bildungskompetenzen der EU, wie sie im Maastrichter Vertrag in den Artikeln 126 und 127 definiert wurden (vgl. im Amsterdamer Vertrag Artikel 149 und 150). Während jene Artikel der EU Anschubmaßnahmen im Hinblick auf eine qualitativ hochwertige Bildung und Ausbildung in Europa ermöglichen, versucht der Beschäftigungsansatz eine europäische Strategie zu etablieren, die durch Einbindung von Bildungsmaßnahmen in die Politik einen Veränderungsprozeß initiieren will - und dies mit ungleich höheren Mitteln als die nach traditionellen Maßstäben geförderte allgemeine und berufliche Bildung (Hermans, St. 2000).

Dies führt zum letzten Zwischenergebnis:

In der europäischen Bildungspolitik werden weniger Vorgaben per Gesetz oder Verordnung gemacht. Statt dessen wird mit quantifizierbaren Zielabsprachen, nationalen Aktionsplänen und multilateralen Kontrollmechanismen versucht, Bildungsmaßnahmen in die Beschäftigungspolitik zu integrieren. Ein europäischer oder internationaler Bildungsstandard ließe sich dann als die effektive und effiziente Bereitstellung von qualitativ hochwertiger Qualifikation definieren, die die Beschäftigungsmöglichkeit in der Wissensindustrie erhöht. Damit ändert sich die Rolle von Bildung nachhaltig.

4. Fragen für die zukünftige Rolle von Bildung

Die Ursprünge des Einflusses supranationaler Organisationen auf nationale Bildung in den Aktivitäten der OECD und der Weltbank liegen in den 60er und 70er Jahren. Beide setzen sich weltweit für eine optimale Wirtschaftsentwicklung ein (vgl. z.B. Art. 1 der Konvention der OECD). Die EU als Wirtschaftsgemeinschaft orientiert sich in ihren Aktivitäten an Vorgaben der OECD, wenn es z.B. um Bildungsindikatoren oder -vergleiche geht. Es ist dabei nur ein marginaler Unterschied, wenn in den 60er und 70er Jahren Bildung als jene Qualifikation verstanden wird, die gesellschaftlichen Aufstieg bzw. eine soziale ‚Beförderung‘ legitimiert (Kim, M.-S. 1994, S. 144) -- oder dann in den 80er und 90er Jahren Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft der EU auf die Entwicklung einer koordinierten Beschäftigungsstrategie und insbesondere auf die Förderung der Qualifizierung, Ausbildung und Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmer hinarbeiten sollen. Zentrales Ergebnis ist, daß die hier in die Analyse einbezogenen Organisationen OECD, Weltbank und EU zu aller vorderst eine wirtschafliche Zielsetzung des weltweiten ökonomischen Wohlstandes haben, bei der Bildung nur ein Mittel zum Zweck dieser Zielerreichung ist.

Damit ist Bildung im Verständnis dieser supranationalen Organisationen ein Produktionsfaktor und kann allenfalls als Qualifikation im Rahmen eines arbeitsmarktbezogenen Humankapital-Konzepts verstanden werden. Die Gefahr einer zu einseitigen Ausrichtung an eher kurzfristigen Qualifikationen (‚skills‘) besteht immer dann, wenn nach Max Weber das Primat einer ökonomischen Grundhaltung im gesellschaftlichen und privaten Leben zu groß wird (Weber, M. 1972). Damit setzt nämlich die eigentliche Kapitalisierung von Bildung ein.

Im Hinblick auf die Rolle supranationaler Organisationen als Protagonisten auf einem globalen und entstaatlichten Bildungsmarkt ist daher festzuhalten:

·        Bildung wird globalisiert, da für wirtschaftliche Wachstumstheorien nationale Märkte eine untergeordnete Rolle spielen. In wirtschaftlichen Konzentrationsprozesse einer Konsumindustrie wird ein gebildetes Individuum interessant, das weltweit ähnliche Verhaltensmuster an den Tag legt, da sich darüber Effekte wie die der ‚ecnomies of scale‘ verwirklichen lassen.

·        Bildung wird entstaatlicht, weil sich ein Wandel der Weltwirtschaft in eine globale Informationswirtschaft vollzogen hat. In dieser Wirtschaft wird die Vermittlung von Bildung immer kapitalintensiver, die sich ein staatliches Bildungssystem in einer Bildung für alle nicht mehr leisten kann (z.B. IuK-Technologien).

·        Für Bildung wird es keinen Markt geben, da der immaterielle Wert von Bildung nur schwer monetarisiert werden kann. Eine Materialisierung erfolgt in den berufsbezogenen Qualifikationen, die durch scheinbar meßbare Standards zu quantifizieren und zu monetarisieren ist. Damit werden sie zu einer Dienstleistung, für die es Märkte gibt.

·        Supranationale Organisationen sind deshalb Protagonisten eines globalen und entstaatlichten Qualifikationsmarktes, weil sie meist von wirtschaftlichen Wachstumsinteressen gesteuert sind und ihre Finanzierung nicht unabhängig von monetären Gewinninteressen sind. Dazu fördert z.B. die OECD mit ihrem Zentrum für Forschung und Innovation im Bildungswesen (CERI) oder Studien wie PISA zur internationalen Bewertung von Schülerleistungen transnationale Qualifikationen, die die Basis für die internationalen Standards dienen.

·        Hieraus ist zu folgern, daß eine ‚Zwei-Klassen-Bildungs-Gesellschaft‘ entsteht. Grundlegende Werte und grundlegende Qualifikationen werden in Form einer unattraktiven Allgemeinbildung als Mindestanforderung für alle Menschen bestehen bleiben. Eine hochwertige Bildung und hochwertige Qualifikationen wird nur einem kleinen zahlungskräftigen Bildungsabnehmer vorenthalten bleiben, der Teil einer internationalen Elite wird.

·        Dies ist so nichts neues. Neu ist, daß durch die Verkürzung von Bildung als Produktionsfaktor wie bei der OECD mittelfristig das Regulativ einer kritisch gebildeten Öffentlichkeit wegfällt - und dies ist der Beginn einer neuen Willkür.

Fragen, die sich hieraus ergeben sind die folgenden:

·        Ist die Wachstumstheorie, die allen supranationalen Organisationen als Handlungslegitimation dient, eine Basis für die nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung in dieser Welt?

·        Wie läßt sich ein Gleichgewicht finden zwischen Globalisierung und Regionalisierung, Privatisierung sowie Verstaatlichung und Monetarismus?

·        Welche Rolle soll der neoliberale Monetarismus bei der Definition internationaler Bildungsstandards durch supranationale Organisationen, da er bislang nur zu Wirtschaftsräumen führte, in denen immaterielle Werte z.B. der Bildung keine Wertschätzung erhalten?

·        Wie läßt sich eine zu starke Orientierung an Qualifikationen mit der damit verbundenen Kapitalisierung von Bildung verhindern, da damit eine funktionale Bildung ohne langfristige Zukunftsvisionen entstünde?

Es bleibt hier zu hoffen, daß sich supranationale Organisationen bei der eigenen Ausgabe von Geld für Bildung oder der Analyse der Ausgaben für Bildung - wie eingangs mit dem Leiter der Direktion Bildungswesen, Beschäftigung, Arbeitskräfte und Sozialfragen und des Zentrums für Forschung und Innovation im Bildungswesen (CERI) der OECD zitiert - auch auf immaterielle Werte von Bildung besinnen.


Literatur

Alexander, T.J.: Der Informationsbedarf aus der Sicht der OECD. In: OECD: Wissensgrundlagen für die Bildungspolitik: Beiträge einer OECD-Konferenz in Maastricht vom 11. bis 13. September 1995. Frankfurt am Main (Lang) 1997.

Becker, E.: Von der Zukunftsinvestition zur Effektivitätskontrolle des Bildungssystems. In: Radtke, F.-O./Weiß, M. (Hrsg.): Schulautonomie, Wohlfahrtsstaat und Chancengleichheit. Opladen (Leske & Budrich) 2000, S. 95-116.

Bodenhöfer, H.-J. / Riedel, M.: Bildung und Wirtschfaftswachstum. In: . In: v. Weizsäcker, K. (Hrsg.): Bildung und Wirtschaftswachstum (Schriften den Vereins für Socialpolitik, Bd. 258). Berlin (Duncker & Humblot) 1998, 11-48.

Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK): Multimedia im Hochschulbereich, Heft 63. Bonn 1998.

Carnoy, M.: Volkwirtschaftliche Strukturanpassungen. In: In: Radtke, F.-O./Weiß, M. (Hrsg.): Schulautonomie, Wohlfahrtsstaat und Chancengleichheit. Opladen (Leske & Budrich) 2000, S. 66-94.

Eichhorn, P. / Engelhardt, W.W. (Hrsg.): Standortbestimmung öffentlicher Unternehmen in der Sozialen Marktwirtschaft. Baden-Baden (Nomos) 1994.

Europäische Kommission: Der Weg nach vorn: Die europäische Beschäftigungsstrategie. Luxemburg (Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften) 1997.

European Commission: The Lisbon European Council – an agenda of economic and social renewal for Europe. European Commission (DOC/00/7) 2000.

Hermans, St.: Die europäische Beschäftigungsstrategie und ihre Bildungsdimension. In: Schleicher, K./Weber, P.J. (2000): Zeitgeschichte Europäischer Bildung 1970-2000. Band I: Europäische Bildungsdynamik und Trends. Münster/New York/München/Berlin (Waxmann) 2000, 219-246.

Hutmacher, W.: Ein Konsens über die Erneuerung der Wissensgrundlagen in Bildungssystemen: Gedanken zur internationalen Arbeit auf dem Gebiet der Bildungsindikatoren. In: OECD: Wissensgrundlage für die Bildungspolitik : Beiträge einer OECD-Konferenz in Maastricht vom 11. bis 13. September 1995. Frankfurt (Lang) 1997, S. 101-117.

Kim, M.-S.: Bildungsökonomie und Bildungsreform. Der Beitrag der OECD in den 60er und 70er Jahren. Würzburg (Königshausen und Neumann) 1994.

McMahon, W.: Education and Development. Measuring the Social Benefits. New York (Oxford University Press) 1999.

OECD: Human Capital Investment. An International Comparison. Paris (OECD) 1998a.

OECD: Bildung auf einen Blick. OECD-Indikatoren 1998. Paris (OECD) 1998b.

OECD: The Economic and Social Impact of Electronic Commerce. Paris (OECD) 1999.

OECD: Bildungspolitische Analyse 1999. Paris (OECD) 2000.

Schlutz, E.: Weiterbildungsmarketing I. Teil 1: Organisation, Management und Marketing. Kaiserslautern (Zentrum für Fernstudien & Universitäte Weiterbildung).

Weber, A.: Humankapital, Schulbildung und Wirtschaftswachstum: Eine kritische Betrachtung der Literatur. In: v. Weizsäcker, K. (Hrsg.): Bildung und Wirtschaftswachstum (Schriften den Vereins für Socialpolitik, Bd. 258). Berlin (Duncker & Humblot) 1998, S. 49-76.

Weber, M.: Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen 1972.

Wigger, B.U. / v. Weizsäcker, K.: Bildungsfinanzierung, Ressourcenaustattung und Produktivitätswachstum. In: v. Weizsäcker, K. (Hrsg.): Bildung und Wirtschaftswachstum (Schriften den Vereins für Socialpolitik, Bd. 258). Berlin (Duncker & Humblot) 1998, S. 125-144.

Wordelmann, P.: Internationalisierung des Wirtschaftens – Folgen für die Qualifikationsentwicklung in der Berufsbildung. In: Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.): Transnationale Zusammenarbeit und Qualifizierung für Europa. Berlin und Bonn (BIBB) 1996, 33-47.