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1897-1933 · Die erste Homosexuellenbewegung in Deutschland
100 Jahre Schwulenbewegung - Teil 1
von Michael Glas

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Die Zeit zwischen 1864 und 1933 stellt die Vorgeschichte der Schwulenbewegung der Bundesrepublik Deutschland dar. Obwohl nach 1970 kein Anknüpfen an deren Traditionen stattfand, lassen sich doch etliche Übereinstimmungen in Zielen und Strategien feststellen. Wesentlich für diese Zeit sind zwei Faktoren. Zum einen entstand Mitte des 19. Jahrhunderts der Begriff ‘Homosexualität’ als Bezeichnung für Sexualität zwischen Männern. Zum zweiten war dieses Verhalten nach dem preußischen Recht strafbar. In den rheinischen Ländern (Code Napoléon) und in Bayern existierten entsprechende Strafvorschriften nicht. Erst 1871 bei der Reichsgründung wurde das preußische Recht im gesamten Reichsgebiet gültig, wodurch sich die Situation der ‘Homosexuellen’ verschlechterte.

Die ersten kritischen Stellungnahmen zur Strafbarkeit der männlichen Homosexualität stammen von Karl Heinrich Ulrichs, einem Juristen aus Köln. Ab 1864 erschien von ihm die Buchreihe ‘Forschungen über die Räthsel der mannmännlichen Liebe’. Er vertrat die These, daß Homosexualität natürlich und im Menschen angelegt sei. Da das Sittengesetz die Gleichbehandlung aller Menschen erfordere, müsse der entsprechende Strafrechtsparagraph gestrichen werden. Auf dem deutschen Juristentag am 29.08.1867 in München wollte er diese Ansicht vertreten, seine Rede ging jedoch in Tumulten unter.

Die erste Organisation, die sich des Themas annahm, war das am 15.05.1897 in Charlottenburg gegründete ‘Wissenschaftlich-Humanitäre-Komitee’ (WHK). Sein Initiator war Magnus Hirschfeld. Das WHK setzte auf wissenschaftliche Forschungsergebnisse, um Vorurteile abzubauen, die Natürlichkeit von homosexuellem Verhalten zu belegen und zu beweisen, daß es sich nicht nur um wenige Einzelfälle handelt. Hirschfeld entwickelte die These vom ‘Dritten Geschlecht’, die Homosexuelle als natürliche Geschlechterzwischenstufe ansah. Daraus wurde abgeleitet, daß Homosexualität weder eine Krankheit, noch eine juristisch zu behandelnde Tatsache sei.

Für das WHK war es wichtig, als seriöse Organisation wahrgenommen zu werden. Deshalb legte man Wert auf die Mitgliedschaft von Juristen, Wissenschaftlern und anderen geachteten Persönlichkeiten. Dies war essentiell für die Eingabe einer Parlamentspetition zur Abschaffung des §175. Diese wurde von Hirschfeld bereits ab Februar 1897 entwickelt und schon im Dezember 1897 mit den Unterschriften von ca. 1.000 angesehenen Personen erstmals dem Reichstag übergeben. Auch die Unterschriften wurden nicht nach Quantität, sondern nach Qualität gesammelt. Daneben trat Hirschfeld dafür ein, daß einflußreiche Hofkreise (Homosexuelle wie Fürst Eulenburg) aufklärend auf den Kaiser wirken sollten. Allgemein versuchte Hirschfeld Kontakte zu einflußreichen Gruppen und Personen aufzubauen und zu pflegen - neben Wissenschaftlern, Hof- und Polizeikreisen, auch zu den politischen Parteien, namentlich der SPD (August Bebel). Nachdem dies nicht den gewünschten Erfolg brachte - die Petition blieb wirkungslos -, begann das WHK langsam seine Basis zu verbreitern und im Bildungsbürgertum nach Bündnispartner zu suchen. So wurden für die Petition weiterhin Unterschriften gesammelt und die Öffenlichkeitsarbeit ab 1899 durch die Herausgabe des ‘Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen unter besonderer Berücksichtigung der Homosexualität’ forciert. Im Jahr 1902 erschien dann die Broschüre ‘Was soll das Volk vom dritten Geschlecht wissen’, die eine größere Breitenwirkung erzielte. Die grundsätzliche Taktik des WHK wurde jedoch nicht verändert. Dies wird deutlich an einer Auseinandersetzung im Jahr 1903, als eine Gruppe im WHK vorschlug, doch einfach angesehene Personen, deren Homosexualität Insidern bekannt war, öffentlich zu entlarven. Hirschfeld hielt dieses ‘Outing’ jedoch für falsch und verhinderte es. Ähnlich verhielt es sich auch nach dem dritten Scheitern der Petition im Reichstag, als einige Mitglieder des WHK eine Massenselbstanklage nach §175 vorschlugen und die Gründung einer Homosexuellenpartei anregten. Auch diese Aktionen wurden unter dem Einfluß Hirschfelds verworfen.

Dies führte zu einer Spaltung des WHK, wobei ein Teil der Exmitglieder in die 1903 von Adolf Brand gegründete ‘Gemeinschaft der Eigenen’ (GdE) eintrat. Diese kämpfte auch gegen den §175, allerdings mindestens genauso heftig gegen das WHK. Im Großen und Ganzen beschränkte die GdE sich jedoch darauf, eine Art ‘Subkultur’ zu gründen. Leitideen dabei waren die Wiederbelebung des griechischen Männlichkeits- und Knabenliebeideals, die Errichtung einer männlichen Kultur sowie die Gründung autarker Siedlungen. Größeren Einfluß erreichte die GdE nicht, dies blieb dem WHK vorbehalten.

Hirschfeld erweiterte den Aktionsradius durch die Gründung des ‘Institut für Sexualwissenschaft’ 1919 in Berlin-Tiergarten. Dort fanden Vorträge, Veranstaltungen verschiedener Art sowie allgemeine Sexual- und Eheberatung statt. Homosexualität sollte dadurch aus dem Zusammenhang von Krankheit und Verbrechen herausgelöst und in einen allgemeinen Rahmen eingebettet werden. Die Durchführung internationaler Kongresse zum Thema Sexualität und die Gründung der ‘Weltliga für Sexualreform’ verweisen in die gleiche Richtung. Die Strategie wissenschaftlicher Überzeugungsarbeit als Fundament für die Einflußnahme auf die politischen Institutionen wurde somit beibehalten. Im Jahr 1933 löste sich dann das WHK selbst auf, und das Institut für Sexualwissenschaft wurde auf Befehl der NSDAP zerstört.

Die dritte Gruppierung dieser Zeit war der 1923 von Friedrich Radszuweit gegründete ‘Bund für Menschenrecht e.V.’ (BfM). Die Ziele dieser Vereinigung waren weitgehend identisch mit den Zielen des WHK. Der BfM wollte sich allerdings von Anfang an nicht nur an das Bildungsbürgertum wenden, sondern allgemein an die Bevölkerung. Von der Struktur her war er ein offener Verein, der auf die Reputation der Mitglieder keinen Wert legte. Der gravierende Unterschied zum WHK lag in der Ablehnung der These vom ‘Dritten Geschlecht’. Auch für den BfM spielte das traditionelle Männlichkeitsideal eine Rolle. Dieser Verein wurde, obwohl Ernst Röhm Mitglied war, 1933 ebenfalls durch die NSDAP zerschlagen.

Michael Glas, Die Schwulenbewegung in der Bundesrepublik Deutschland - politische Ziele und Strategien, 1993, Magisterarbeit, Universität Erlangen-Nürnberg; gekürzt u. überarbeitet