Quelle: Rosa-Luxemburg-Stiftung

PDS und feministische Politik – ein Widerspruch?

von Birgit Rommelspacher (*)

 09/00  
trdbook.gif (1270 Byte)  
trend
online
zeitung
Briefe oder Artikel: info@trend.partisan.net  ODER per Snail: Anti-Quariat 
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin

Ich habe mir die »Programmthesen zur programmatischen Debatte« der PDS unter feministischer Perspektive angeschaut und möchte meinen Eindruck thesenhaft vorstellen. Da es hier um grundsätzliche Fragen geht, müssen einige Dinge doch etwas genauer ausgeführt werden. Um aber möglichst deutliche Anknüpfungspunkte für die Debatte zu liefern, werde ich dennoch versuchen, die entscheidenden Punkte pointiert herauszuarbeiten.

Als erstes fällt auf, daß eine enorme Kluft zwischen den Ansprüchen der PDS bezüglich feministischer Politik und deren Umsetzung besteht, denn eine Analyse der patriarchalen Machtverhältnisse und eine entsprechend daraus abgeleitete politische Strategie wird in den Thesen nicht ausgeführt. Es wird zwar immer wieder an durchaus prominenter Stelle auf die Absicht verwiesen, patriarchale Dominanz abbauen und feministische Politik umsetzen zu wollen, aber man sucht vergebens nach einem Abschnitt, in dem dies konkreter ausgeführt würde. Das ist um so überraschender, als die PDS nach außen ein durchaus anderes Bild bietet: In wichtigen Positionen gibt es eine Reihe von starken und interessanten Frauen, und immer wieder hört man von parlamentarischen Anfragen oder Gesetzesinitiativen der PDS mit feministischer Intention. Wenn man sich jedoch die Programmthesen anschaut, fragt man sich, inwiefern diese Politik tatsächlich ausgewiesen ist.

Diese Kluft zwischen Praxis und Theorie läßt sich aus theoretischer Perspektive wohl vor allem damit erklären, daß bei der Analyse der gesellschaftlichen Machtverhältnisse die Unterschiedlichkeit der Systeme von Herrschaft nicht berücksichtigt werden – ob es um das kapitalistische Wirtschaftssystem geht, um patriarchale Machtverhältnisse oder z.B. um kulturelle Dominanz im Sinne von rassistischer Diskriminierung und Ausgrenzung. Diese Dominanzverhältnisse hängen zwar unmittelbar zusammen, sind aber weder von ihrem historisch Len Ursprung noch in der Systematik ihres Funktionierens miteinander identisch. Und nur wenn die Spezifik der jeweiligen Machtsysteme herausgearbeitet wird, kann deren Wechselwirkung genauer untersucht werden.

Das wesentliche Charakteristikum der Unterdrückung im Geschlechterverhältnis sehe ich – grob formuliert – hauptsächlich in den folgenden beiden Dimensionen: Zum einen in der besonderen Ausbeutung der Arbeitskraft von Frauen, und zwar in der Erwerbssphäre, in der sie schlechter bezahlt werden und weniger Aufstiegs-chancen haben und zum anderen im Privatbereich, in dem sie im Vergleich zu Männern ein Vielfaches an unbezahlter Arbeit leisten. Das ist die eine Dimension. Die andere ist die Frage der Inhalte, was machen Frauen im Vergleich oder im Unterschied zu Männern? Und hier ist ebenfalls im Erwerbs- wie auch im Privatbereich Frauen eher Fürsorge, Dienstleistung und Assistenz zur Reproduktion der Arbeitskraft von Männern und Kindern zugeordnet bis hin zu sexuellen Dienstleistungen, die, wie wir wissen, oft genug auch mit Gewalt eingefordert werden.

Wir haben also einerseits das direkte Interesse an der Ausbeutung der Arbeitskraft der Frauen und andererseits eine symbolische  Ordnung, die den Frauen bestimmte inhaltliche Rollen zuweist, die sie sich selbst auch aneignen. Dieses kulturelle System der Zweigeschlechtlichkeit wird reproduziert durch bestimmte Bilder, was in dieser Gesellschaft Weiblichkeit und Männlichkeit bedeutet, was für Frauen erstrebenswert erscheint, und was als unweiblich sanktioniert wird; was Männer zu tun haben, um nicht als feminin zu gelten, und welche Einstellungen sie zu sich selbst und Frauen gegenüber vermittelt bekommen. Auf der symbolischen Ebene wird also verhandelt, was Weiblichkeit und Männlichkeit in unserer   Gesellschaft bedeuten, und warum es für Frauen bzw. Männer auch attraktiv ist, diesen Vorstellungen zu entsprechen. Eine Politik, die diese Ordnung aufbrechen möchte, muß nun auf beiden dieser Ebenen ansetzen: auf der Ebene der Ressourcen wie auf der der symbolischen Ordnung. Dies ist meine Grundthese.

Nehmen wir ein Beispiel: Seit 1950 bis heute hat sich die Diskrepanz der Einkommen zwischen voll erwerbstätigen Frauen und Männern in der BRD (West) nicht verändert. Frauen erzielen etwa 70 Prozent des Einkommens der Männer und das, obwohl Frauen inzwischen von der Ausbildung her die Männer nicht nur eingeholt, sondern teilweise sogar überholt haben und spätestens seit den achtziger Jahren eine aktive Gleichstellungspolitik betrieben wird. Trotzdem verdienen sie nach wie vor wesentlich weniger. Was sind die Gründe für die ungleiche Bezahlung trotz gleicher und teilweise besserer Qualifikation von Frauen? Ein Grund ist der, daß weniger qualifizierte Männer Frauen bei den Stellenbesetzungen vorge-   zogen werden. Ein anderer ist der, daß auf dem geschlechtsgetrennten Arbeitsmarkt frauentypische Arbeiten immer niedriger als männertypische Tätigkeiten eingestuft werden. Und wenn Frauen in männerorientierte Berufe vordringen – was ja auch mit vielen Gleichstellungs-Programmen versucht worden ist –, dann werden diese Bereiche abgewertet und Männer ziehen in andere Erwerbssektoren weiter, z.B. in den Bereich der Kommunikationstechnologie und Informatik oder in den Geldhandel etc. und überlassen die geringer bewerteten Erwerbssektoren den Frauen.

In der DDR – das wissen wir – war das deutlich anders: Dort gab es die Geschlechtersegregation nicht entfernt in dem Maße, wie das im Westen der Fall war. Das erstaunliche, um nicht zu sagen, erschütternde ist jedoch, daß innerhalb kürzester Zeit auch die Mädchen aus den neuen Bundesländern sich sehr schnell umorientiert haben und nun auch vorwiegend typische Frauenberufe wählen. Das läßt sich sicherlich nicht allein auf Marktmechanismen zurückführen, sondern auch darauf, daß sehr schnell eine symbolische Ordnung gegriffen hat, beziehungsweise eine latente Struktur offensichtlich geworden ist, die die Zuschreibungen von dem was weiblich und dem was männlich ist, auch öffentlich hat wirksam werden lassen.

An diesem Beispiel sehen wir auch, daß die Umverteilung der Ressource Bildung, die selbst im Westen gelungen ist, nichts oder zumindest wenig an der symbolischen Ordnung und damit den Einstellungen von Frauen und Männern an ihrer Rolle geändert hat. Trotz Chancengleichheit werden das traditionelle Geschlechterverhältnis reproduziert und Bilder weiter gegeben, die Mädchen dazu veranlasse_n, unbedingt Friseuse, Verkäuferin oder Krankenschwester werden zu wollen, und es Jungen nahelegen, doch eher Maurer, Automechaniker oder Techniker zu werden. Das heißt, die Umverteilung gesellschaftlicher Ressourcen ge_nügt nicht, um auch die symbolische Ordnung zu verändern. Sicherlich kann sie auch etwas zu Einstellungsänderungen beitragen. Der Erfolg bleibt allerdings prekär beziehungsweise ist nicht nachhaltig genug, so daß sich uinter anderen Bedingungen die Situation sehr schnell wieder ändern kann.

Es geht also nicht nur um die Frage der Umverteilung gesellschaftlicher Ressourcen, sondern auch um die Umverteilung symbolischer Macht, das heißt um die Anerkennung der unterschiedli-chen Lebensbedingungen, Interessen und Perspektiven von Frauen und Männern und darum, daß ihre Sicht jeweills die gleiche gesellschaftliche Bedeutung hat. Eine solche Politik der Anerkennung hätte das Ziel, für Frauen dasselbe Anrecht auf Respekt, Schutz und öffentliche Teilhabe durchzusetzen wie für Männer.

Geschlechterpolitik in Ost und West

Nun ist das Interessante, daß beide Politiken, also die Politik der Umverteilung und die Politik der Anerkennung – um es pointiert und kurz zu formulieren –, von den Frauen in Ost und West jeweils nahezu paradigmatisch vertreten worden sind. Und das finde ich so enorm spannend an der Entwicklung, daß wir hier in Deutschland zwei völlig gegensätzliche Entwicklungen hatten und mit der Vereinigung zwei Systeme aufein=andergeprallt sind, die kaum unterschiedlicher hätten sein können. In den Programmthesen wird ja auch darauf hingewiesen, daß Ost- und Westdeutschland jeweils die Exponenten der Hegemonialmächte waren und in Deutschland die Grenze der Systemopposition verlief. Und das spiegelt sich eben auch im Geschlechterverhältnis wider.

Das zeigt sich in der eklatanten Diskrepanz zwischen der Posi- tion der Frauen im Westen und im Osten. Die Ostfrauen nahmen bekanntlich weltweit eine Spitzenposition ein, was die Erwerbs-quote anbetrifft: Über 90 Prozent waren erwerbstätig, was es sonst iin keinem Land der Welt gab – zumindest soweit dies statistisch   erfaßt ist und sich auf die bezahlte Erwerbsarbeit bezieht. Die Westfrauen hingegen hatten eine relativ niedrige Erwerbsquote, und die BRD war, was die Berreitstellung von Kinderbetreuungseinrichtungen anbetrifft, so gut wie das Schlußlicht in Europa; nur Portugal hatte noch weniger. Bestimmend war also das traditionelle Familien- und Mutterbild.

Dementsprechend haben sich natürlich auch die Einstellungen der Frauen in den beiden Teilen Deutschlands ganz anders entwickelt. Im westlichen Feminismus der siebziger Jahre war die Diskriminierung von Frauen im Erwerbsbereich zwar auch Thema, aber die zündenden und mobilisierenden Ideen waren der Kampf um die Abschaffung des § 218, die Gewalt gegen Frauen, der sexuelle Mißbrauch – wie auch der Aufbau einer autonomen Frauenkultur mit Frauenzentren, Frauenkunst und Frauenwissenschaft. Es wurden die Bilder von Frauen in den Medien und in den Schulbüchern hinterfragt, die Funktion von Pornographie und der Umgang der Geschlechter im Alltagsleben; die Bedeutung von Sprache und Körpersprache, wie Männer auftreten, wie sie gehen und stehen, wer wen anlächelt oder die Hand über die Schulter legt … also wo und wie die Machtverhältnisse wirksam sind und wie sie die ganze Lebensweise durchdringen.

Hier setzte auch die Kritik der Ostfrauen an, die sich vielfach darüber mokierten, was die Westfrauen doch für Probleme hätten: »Die kümmern sich doch hauptsächlich um das große »I« in der Sprache und um solche Kinkerlitzchen. Wir haben da ganz andere Probleme und ganz andere Dinge geschafft, von denen die keine Ahnung haben«. Aber auch die Westfrauen hatten natürlich ihre Kritik auf Lager. Sie warfen den Ostfrauen u.a. vor, daß sie sich  ihre Emanzipation von den Männern hätten schenken lassen und ihnen deshalb ihr Leben lang dankbar seien. Insofern sind sich wohl weder die West- noch die Ostfrauen viel schuldig geblieben. 

Das Auseinanderklaffen völlig unterschiedlicher Lebensverhältnisse hatte zu unterschiedliche_n Formen des Geschlechterverhältnisses geführt, und dementsprechend unterschiedlich waren auch die Umgangsweisen zwischen den Geschlechtern und das Selbstverständnis von Frauen und Männer. Das führte notwendig zu Konflikten und gegenseitigem Unverständnis – wie in der allgemeinen gesellschaftlichen Auseinandersetzung zwischen West und Ost auch. Hier machen die Frauen keine Ausnahme. Da aber beide Politikansätze notwendig sind, wäre es außerordentlich konstruktiv, wenn Ost- und Westfrauen zumindest jetzt in eine kritische und konstruktive Debatte einsteigen würden, denn beide Strategien, die Politik der Umverteilung wie auch die Politik der Anerkennung haben ihre Vor- und ihre Nachteile. Diese möchte ich im folgenden kurz skizzieren.

Politik der Anerkennung und Politik der Umverteilung: Vor- und Nachteile

Was die Politik der Umverteilung anbetrifft, so liegen die positiven Aspekte unmittelbar auf der Hand: Es geht um Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit, indem Frauen und Männer den gleichen Zugang zru gesellschaftlichen Ressourcen beanspruchen.

Der Nachteil dieser Politik liegt in erster Linie darin, daß Frauen sich dem patriarchalen Modell anpassen müssen, um diese gleichen Chancen tatsächlich auch zu bekommen. So müssen sie im Erwerbsbereich dieselben Karrieremuster aufweisen, wenn sie mit den Männern gleichziehen wollen. Und hier greift die unsichtbare Asym-Smetrie des kapitalistischen wie sozialistischen Wirtschaftssystems: Als Arbeitskräfte sind Frauen und Männer zwar gleich, tatsächlich haben die Frauen aber durch ihre nahezu exklusive Verantwortung für den Privatbereich kaum eine Chance, im Erwerbsbereich wirklich gleichgestellt zu werden.y Im Land des homo oeconomicus kommt Familie einfach nicht vor, obgleich es darauf gründet. Frauen können sich nur dann emanzipieren, wenn auch sie die Realität der Privatheit leugnen und sich dem männlichen Modell von Leben unterworfen haben. Dementsprechend wurde in der DDR auch das Konzept männlicher Gesellschaftsentwürfe nicht hinterfragt. Der Mann war der Schöpfer, die Frau seine Genossin, wie es schon in der Bibel vorgezeichnet ist.

Ein zweiter Negativposten bei der Politik der Umverteilung hängt mit dem ersten eng zusammen, nämlich daß das herrschende patriarchale Systemt bestimmt, in welcher Hinsicht Gleichberechtigung zu verstehen ist. In erster Linie geht es meist um Gleichstellung in bezug auf Erwerbstätigkeit. Die Frage nach der Gleichstellung könnte aber auch ganz anders gestellt werden, z.B. aus der Perspektive des Privaten. Da würde die Situation vollkommen anders aussehen, was die Arbeitsteilung, die Bedeutung von Familie, das Sozialversicherungssystem, Arbeitszeitregelungen etc. anbetrifft. Die ganze Politik würde anders aussehen. Das heißt, es fragt sich, von welchem Standpunkt aus wird Gleichheit definiert – gleich in bezug worauf.

Und der dritte problematische Punkt ist, daß eine solche Politik relativ machtlos ist gegenüber Motivationen und Einstellungen, also gegenüber der normativen Ebene, gegenüber dem, was ich die symbolische Ebene genannt habe. Hierzu noch einmal ein Beispiel. Es gibt Untersuchungen über sogenannte dual-career-families, also Familien, in denen sowohl der Mann als auch die Frau Karriere machen wollen und in denen beide sehr gute Bildungsabschlüsse haben. Beide versuchen also gemeinsam ins Berufsleben einzusteigen. Nun kann man feststellen, daß bereits nach fünf Jahren die Schere zwischen der Position des Mannes und der der Frau auseinanderklafft. Die Frau hat in der Regel, wenn überhaupt, eine erheblich schlechtere berufliche Position als der Mann. Wie kommt das? Einmal natürlich, weil Männer bessere Chancen im Beruf haben. Das alleine genügt aber nicht, vielmehr ist nes so, daß beide meist auch privat einem Arrangement zustimmen, das dem Mann eine bessere Startposition ermöglicht: Muß der Mann z .B. in eine andere Stadt ziehen, um einen lukrativen Posten zu bekommen, ist es nahezu selbstverständlich, daß die Frau dem Mann nachzieht und nicht umgekehrt. Und damit hat sie in der Regel ihre Chancenbereits verspielt – ganz zu schweigen von der Frage der Kinderbetreuung und dem Erziehungsurlaub. Das heißt, es ist auch eine Frage der Einstellung, nicht nur eine Frage der objektiven Chancen. Und hier setzt die Politik der Anerkennung an, ihr geht es im wesentlichen um die Einstellungen und Bilder, die über Weiblichkeit und Männlichkeit in der Gesellschaft weiter gegeben werden.

Welche Vor- und Nachteile hat nun diese Politik, die mehr auf der symbolischen Ebene ansetzt? Ziel dieser Politik ist es, die ganze Lebensweise zu politisieren und alle Bereiche des Lebens in die kritische Reflexion einzubeziehen. Das ist, denke ich, der große Vorteil dieser Form von Politik. Es geht dann eben nicht nur um den Erwerbsbereich, sondern wie gesagt auch um die Frage, welches Bild von Frauen und Männern in den Medien, in der Politik, in der Kunst, Literatur und Wissenschaft wie auch im Alltagsleben ständig reproduziert wird. Jeder Bereich ist durchdrungen von dem kulturellen System der Zweigeschlechtlichkeit. Selbst die Wetterlage wird danach bestimmt. So mußten Frauen lange dafür kämpfen, daß nicht immer das schlechte Wetter, also das Tief, mit einem Frauennamen und das schöne Wetter mit einem Männernamen belegt wurde.

Der Nachteil einer solchen Politik liegt auf der Hand: Es besteht die Gefahr, daß sie auf der Ebene des Symbolischen bleibt und nicht mehr auf die Ebene der materiellen Verhältnisse durchdringt. Und das war ja auch der Kern des Vorwurfs der Ostfrauen gegen-über den Westfrauen, daß sie sich um Nebensächlichkeiten wie die Sprache anstatt um die wesentlichen Dinge der materiellen Existenz kümmerten.

Ein zweites Problem dieser Politik liegt darin, daß die Gefahr  besteht, die Geschlechterdifferenzen festzuschreiben, daß also genau die Unterschiede, die frau eigentlich aufheben möchte, auf neue Weise reproduziert werden. Frauen haben im Zuge der Frauenbewegung Frauenräume geschaffen, Frauenbildung, Frauenkultur und Frauenforschung. Diese Identitätspolitik war und ist ein mächtiges Instrument, um der herrschenden Definition von dem, was Frauen zu tun, zu denken und zu träumen haben, eine andere Sicht und Realität entgegenzusetzen. Gleichzeitig liegt in dieser Form der emanzipatorischen Segregation immer auch der Kern einer affirmativen, konservativen Segregation verborgen. Und da Differenzen zwischen den Geschlechtern in der Geschichte bisher so gut wie immer mit einer Hierarchisierung einhergingen, besteht die Gefahr, sich selbst auch in einem solchen Geschlechterarrangement zu verfangen.

Die Identitätspolitik versuchte, den Frauen eine eigene Stimme zu geben, aber letztlich ist sie damit immer wieder auch ein Stück weit bei den traditionellen Frauen- und Männerbildern angekommen. Ich denke zum Beispiel an die Diskussion um die Frau als das friedfertige Geschlecht (Margarete Mitscherlich). Wie unterscheidet sich diese Vorstellung von dem traditionellen Bild der Frau als fürsorgliche Mutter und dem Mann als Krieger? Es liegt eine große Paradoxie in einer Politik, die Unterschiede betont, um sie aufzuheben.

Ein dritter problematischer Punkt ist, daß sich in der Frauenbewegung zunehmend die Frage stellte, wer bestimmt hier eigentlich, wer die »richtige« Feministin ist, wer übernimmt eigentlich innerhalb der Frauenbewegung die Definitionsmacht.n Denn in der Entgegensetzung gegen die herrschende Politik und Kultur schälte sich immer deutlicher ein einheitliches Bild von Frauen heraus, in dem sich letztlich nur sehr wenige Frauen wirklich wiedergefunden haben. Vror allem aber haben Immigrantinnen, schwarze Frauen,  jüdische Frauen protestiert und gesagt, das ist nicht unsere Frauenbewegung, wir können uns hier nicht wiederfinden, ihr nehmt unsere Sicht und unsere Probleme nicht zur Kenntnis.

Es waren zwar zuvor auch schon Differenzen zwischen Frauen diskutiert worden – vor allem die zwischen lesbischen und Hetero-Frauen und die zwischen Müttern und Nichtmüttern, auch gab es erhebliche konzeptionelle Differenzen –, aber es gab eben keine Diskussion zwischen Frauen unterschiedlicher ökonomischer Klassen, zwischen einheimischen und eingewanderten Frauen, zwischen behinderten und nichtbehinderten Frauen, christlichen und islamischen Frauen etc. – all diese Differenzen hatten bisher keine Rolle gespielt. Weiße Mittelschicht-Frauen mit meist christlich-     säkularem Hintergrund hatten sich in der Frauenbewegung die     Definitionsmacht über andere angeeignet, ein Vorgang, den sie bisher bei den Männern aufs heftigste kritisiert hatten.

So können wir resümieren, daß beide politische Strategien, die der Umverteilung und die der Anerkennung ihre Vor- und Nachteile haben. Gleichwohl sind beide notwendig, und die eigentliche Chance besteht darin, daß sie sich gegenseitig ein Korrektiv sein könnten. Und darin könnte eben auch die große Chance in der kritischen Auseinandersetzung zwischen Ost und West bestehen, wenn sie offen die Fallstricke der unterschiedlichen Strategien deutlich macht und eine produktive Weiterentwicklung ermöglicht.

Dazu noch ein Beispiel aus den Thesen zur programmatischen Debatte:

In einem Abschnitt geht es um die zukunftsträchtige Entwicklung in Ostdeutschland. Und in der Hauptthese heißt es: »Wir betrachten die kulturellen Unterschiede zwischen West und Ost auch als eine Bereicherung, die für die ganze Bundesrepublik produktiv gemacht werden sollte«. Wenn man nun anschließend die Punkte liest, die dies ausführen sollen, dann geht es ausschließlich um Wirtschaftsförderung, um den ökonomischen Umbau, um innovative Arbeitsplätze, um nachhaltige Entwicklung, Regionalisierung der Arbeit, aber um die Grundfrage, wie können die kulturellen Unterschiede zwischen den beiden Gesellschaften produktiv gemacht werden, geht es nicht. So geht es nicht um die Frage, wie und durch wen pdie Ost-Perspektive eingebracht werden soll; welches Bild von der DDR z.B. in den Medien und in den Schulbüchern verbreitet wird, welche Forschungen betrieben werden, wie Erinnerung gestaltet und das kollektive Gedächtnis bestimmt wird; also wer die Geschichte schreibt und wie mit ihr umgegangen wird. Wer hat hier die Definitionsmacht und wie wird darum gekämpft? Also ich denke, auch hier wäre die Ebene der symbolischen Auseinandersetzung von großer Bedeutung und möglicherweise ebenso wichtig wie die ökonomische und materielle Ebene. In einer solchen Auseinandersetzung könnten die Frauen durchaus eine Vorreiterrolle spielen, indem sie in einen kritischen Dialog zwischen West und Ost eintreten, der nach der Wende nach meiner Einschätzung sehr schnell abgebrochen worden ist, weil er zuvor vielfach in Polemik untergegangen oder lediglich auf der Ebene von Befindlichkeit stehen geblieben war.

Die bisherigen Aussagen und Analysen möchte ich nun im folgenden dritten Teil einschränken und zugleich erweitern. Und zwar habe ich bisher ausschließlich das Geschlechterverhältnis betrachtet – losgelöst von anderen Machtverhältnissen. Gleichwohl hatte ich am Anfang gesagt, daß es notwendig ist, sich die unterschiedlichen Machtverhältnisse und deren innere Logik anzuschauen, und dann zu sehen, wie sie miteinander in Wechselwirkung treten; also zu fragen, wie ökonomische Klasseern, kulturelle Dominanz, Marginalisierung z.B. von Behinderten und sexuellen Minderheiten mit der patriarchalen Ordnung interagieren. So zeigt uns die Geschichte, daß es das Geschlechterverhältnis als solches nie gab, soðndern es immer mit anderen Machtverhältnissen verwoben war: Denken wir an die Widersprüche der bürgerlichen und proletarischen Frauenbewegung; aber auch an die Geschichte der westlichen Frauenbewegung – also der Kolonialmächte – im Gegensatz zu der Frauenbewegung in den kolonisierten Ländern. Schon diese Geschichte zeigt deutlich, daß immer verschiedene Dimensionen gleichzeitig relevant sind. Aber ich denke, der Blick in die Zukunft unter dem Aspekt der Globalisierung macht es inzwischen völlig unmöglich, Geschlechterverhältnisse ausschließlich als solche zu sehen und nicht gleichzeitig Klassendifferenzen wie auch Unterschiede in bezug auf Ethnizität mit zu diskutieren. Ich möchte mich im folgenden auf die Beziehung zwischen Ethnizität und Geschlecht konzentrieren.

Ethnizität und Geschlecht

Die Globalisierung bringt, wie wir alle wissen, keine Egalisierung mit sich. Die Welt rückt zwar näher zusammen, aber das heißt noch lange nicht, daß sich damit die Lebensverhältnisse angleichen. Im Gegenteil, die K luft zwischen Nord und Süd beziehungsweise West und Ost wird eher größer als geringer.

Zugleich wird diese Kluft durch das Zusammenrücken immer deutlicher spürbar – auch in der »ersten Welt«. Durch die Verbilligung und Verkürzung der Kommunikations- und Transportwege wird nicht nur die sogenannte erste in der dritten Welt zunehmend präsent, sondern auch umgekehrt die dritte in der ersten. Aufgrund der Medien und des Tourismus einerseits sowie Flucht und Einwanderung anderseits vermischen sich die Welten, ohne daß die Kluft zwischen ihnen aufgehoben würde.

Für die hochindustrialisierten Länder des Westens hat das in erster Linie zur Folge, daß eine soziale Unterschichtung stattfindet und hier eine neue Unterklasse entsteht aus ArbeitsmigrantInnen und vor allem auch aus Flüchtlingen, denen hier Dokumente und legale Arbeitsmöglichkeiten verweigert werden. Die Folge ist einmal eine harte Konkurrenz um Löhne, Wohnung und Arbeit in den unteren Schichten und zum anderen Aufstieg und Prestigegewinn für die mittleren und oberen Schichten. Die Einwanderinnen und Illegalisierten machen die schlechten Arbeiten und niedrigen Dienstleistungen, so daß die einheimischen Frauen und Männer aufsteigen können. So sind – um es plastisch auszudrücken – die deutschen Putzfrauen immer mehr durch türkische Putzfrauen ersetzt worden; und diese werden möglicherweise immer mehr durch polnische Putzfrauen oder illegalisierte Flüchtlingsfrauen ersetzt, die oft hochqualifiziert sind.

Ein Resultat dieser Entwicklung ist, daß auch die Kluft zwischen Frauen immer größer wird. So können sich einheimische Frauen mit guter Bildung auf Kosten von eingewanderten Frauen emanzipieren. Und damit fragt sich, welche Bedeutung dann der Begriff der Emanzipation noch hat? Kann man dann noch von Befreiung oder von Selbstbestimmung sprechen,g wenn man sich damit gleichzeitig von anderen abgrenzt oder auf ihre Kosten aufsteigt?

Der Begriff der Emanzipation hat inzwischen – um es pathetisch zu formulieren – seine Unschuld verloren. Er ist zu einem Distinktion_sbegriff geworden, also einem Begriff, der die Absetzung und Abwertung des/der Anderen impliziert. Wenn heute türkischen jungen Frauen die Lehrstelle mit dem Argument verweigert wird, sie wären zu traditionell, und ihneen deutsche Frauen vorgezogen werden, die von vornherein als emanzipiert gelten, dann wird der Emanzipationsbegriff eben zu diesem Distinktionsbegriff, zur Markierung einer Grenzlinie, die Macht- und Dominanzverhältnisse  legitimiert. Der Begriff der Emanzipation hat also somit eine doppelte Bedeutung bekommen, zum einen meint er nach wie vor Selbstbestimmung, schließt aber zugleich den der Fremdbestimmung mit ein. Insofern muß ein Feminismus, der sich weiterhin die Gleichstellung aller Frauen zum Ziel setzt, ein kritischer Feminismus sein, der nicht einfach nur nach vorne schaut, wem gegenüber Frauen sich befreien sollen, sondern zugleich auch nach hinten, auf wessen Kosten sich Frauen emanzipieren.

Eine solche kritische Hinterfragung des Emanzipationsbegriffs betrifft auch allgemeine Begriffe der Selbstbestimmung – so auch den Begriff der Demokratie. Damit möchte ich wieder auf die Thesen zur programmatischen Debatte zurückkommen, in denen ein Kernpunkt auch die »Demokratisierung der Demokratie« ist – zweifellos ein zentrales Anliegen jeder emanzipatorischen Politik. Allerdings denke ich, daß auch bei aller prinzipiellen Bedeutung dieses Ziels dennoch auch hier kritische Reflexionen notwendig sind. Demokratie hat heute unter den Bedingungen von Globalisierung nicht mehr nur die Funktion von Selbstbestimmung, sondern bedeutet zugleich auch immer Fremdbestimmung.

So ist strukturell mit Demokratie auch die Macht der Mehrheit gemeint. Sie bedeutet Herrschaft des Volkes. Wer aber ist das Volk und worüber herrscht es? Alexis de Tocqueville sprach bereits nach seiner 1831 durchgefühÿrten Reise in die USA in der Abhandlung »Über die Demokratie in Amerika« von der »Tyrannei der Mehrheit«, denn die Mehrheit bestimmt die öffentliche Meinung und die gesetzgebende Versammlung und damit über das Schicksal der verschiedenen Minderheiten. Die Minderheit hat niemals die Chance, zur Mehrheit zu werden und Tocqueville sah angesichts der Dominanz des Christentums und der Realität der Sklaverei die Gefahr einer neuen Art von Despotismus entstehen. Heute können wir diese mit einem Zitat des Bürgermeisters von Gollwitz belegen, der sagte: »Demokratie heißt ja immer noch Herrschaft des Volkes und wir sind das Volk, und wir bestimmen, wer in diesen Ort zieht und wer nicht«. Damit begründete er die Abweisung von osteuropäischen Juden, die in Gollwitz untergebracht werden sollten. Das heißt, die Mehrheit bestimmt, was mit der Minderheit geschieht. Bei der      Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft wurde dieses strukturelle Problem der Demokratie unmittelbar deutlich: Wer bestimmt eigentlich darüber, wer zu diesem Volk gehört oder nicht und wer die Staatsbürgerschaft bekommt oder nicht.

Im Zuge der Globalisierung und angesichts der krassen Gegensätze zwischen Reichtum und Armut oder auch diktatorischer und freiheitlicher Regierungssysteme, kann die Staatsbürgerschaft zu so etwas wie einem Feudalprivileg werden, in dem allein aufgrund der Abstammung jemand ganz andere Vorrechte genießt als Menschen, die zufällig einige hundert Kiloameter weiter weg geboren wurden. Insofern denke ich, daß auch im Zusammenhang mit Demokratie die Frage, was Selbstbestimmung und was Fremdbestimmung heißt, unter den globalisierten Bedingungen kritisch hinterfragt werden muß, und daß sich hier ein kritischer Feminismus und auch eine kritische Demokratiedebatte gegenseitig durchaus befruchten können.

Damit komme ich zum Schluß. Demokratie heißt nicht nur Herrschaft der Mehrheit, im Sinne der Mehrheit der Personen, sondern sie bedeutet auch Herrschaft der Normalität, der herrschenden  Normen, was auf die Frage zurückführt: Wer bestimmt hier, was in dieser Gesellschaft als normal zu gelten hat, wer hat die Defini-     tionsmacht und wer die symbolische Macht? Ich denke, daß es heutzutage unabdingbar ist, das Geschlechterverhältnis, die Klasse_nverhältnisse und die Machtverhältnisse zwischen der sogenannten ersten Welt und dritten Welt und all die Fragen, die mit ethnischer Dominanz zu tun haben, aber auch mit der ökologischen Ausbeutung der Welt, zunächst jeweils in ihrer eigenen Logik zu betrachten, aber dann auch ihre Wechselwirkungen zu analysieren, da wir uns heute nicht mehr abschotten und kleinräumig innerhalb des Nationalstaates denken können. Wobei es sicherlich notwendig ist, die feministische Perspektive in alle Bereiche einzubringen, ob es sich um das Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschen handelt, um eine kritische Reflexion von Demokratie oder um das Thema Globalisierung. So könnte eine feministische Perspektive in all diesen Bereichen die Debatte bereichern und umgekehrt die Analyse der anderen Machtverhältnissel die feministische Perspektive differenzieren.

(*)Vortrag in der Veranstaltung des AK Feministische Politik der PDS-Bundesfraktion