Ausweitung der Kampfzone
Jihadistische Attacke auf internationale NGO-Mitarbeiter/innen in einer bislang als relativ sicher geltenden Zone im Sahelstaat Niger

von Bernard Schmid

08/2020

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Vier Männer und vier Frauen im Alter zwischen 25 und 50 Jahren: Das ist die Opferbilanz der terroristischen Attacke, die am Sonntag, den 09. August 20 im Südwesten des afrikanischen Sahelstaats Niger stattfand. Sechs französische und zwei nigrische Staatsangehörige fielen ihr zum Opfer.

Die Mehrheit von ihnen wurde aus nächster Nähe erschossen. Einer der Frauen war es jedoch zunächst gelungen, aus der Reichweite der Angreifer zu entfliehen. Diese konnten sie jedoch einholen und schnitten ihr daraufhin die Kehle durch. Nicht nur diese Form der Durchführung einer Tötungshandlung – für die es bislang kein Bekennerkommuniqué gibt - spricht für jihadistische Täter, sondern auch die Tatsache, dass es offensichtlich keinen Versuch zur Entführung der acht gegeben hatte.

Die Angreifer waren auf Motorrädern an den Ort des Verbrechens gekommen und hatten auf ihre Opfer gewartet, die sich an Bord eines Geländefahrzeugs befanden. Im Anschluss an ihre Ermordung verbrannten die Angreifer mehrere der Leichen mithilfe eines Flammenwerfers, ebenso, wie sie den Geländewagen anzündeten. Teilweise waren die Körper dadurch kaum zu infizieren.

Das Geschehen spielte sich rund sechzig Kilometer in östlicher bis südöstlicher Richtung von der Hauptstadt Niamey entfernt statt, sechs Kilometer hinter der ländlichen Gemeinde Kouré. Auf dieser Höhe befindet sich seit rund zwanzig Jahren ein Tierreservat, das eingerichtet wurde, nachdem eine Herde anderswo ausgerotteter Peralta-Giraffen hier im steppenbewachsenen Hügelland Zuflucht gefunden hatte.

Der Wildpark von Kouré beherbergt die weltweit letzten Herden dieser westafrikanischen Giraffen-Art, deren Bestand aufgrund der Schutzmaßnahmen von rund fünfzig auf mittlerweile 220 Exemplare anwuchs. Er bildet ein beliebtes Ausflugsziel in Niger, nur 45 bis 60 Autominuten von der Hauptstadt entfernt.

Bislang wurde die Schutzzone auch nicht als besonders gefährdete Zone eingestuft. Üblicherweise benutzt das französische Außenministerium vier Farben zur Klassifizierung von Sicherheitsrisiken im Ausland: Grün für gefahrlos, gelb für erhöhte Vorsicht, orange für prinzipiell abgeratene Reisen - betreffend Gegenden, in die man nur „mit wichtigem Grund“ reisen sollte -, und rot für eine ausdrückliche Reisewarnung wie etwa in Libyen oder Syrien. Ähnlich wie das Nachbarland Mali war ganz Niger bis vor kurzem in eine wesentlich größere rote Zone, die den gesamten Norden und das Zentrum des Landes ausmacht, und eine kleinere orangefarbene eingeteilt. Allein die Hauptstadt Niamey und die Straße, die von dortüber Kouré und Dosso in den Südosten Nigers und dann weiter ins Nachbarland Bénin führt, waren in Gelb eingezeichnet, jedenfalls für den Streckenabschnitt bis Dosso.

Insofern hatten die Getöteten entgegen anderslautenden Vorwürfen in manchen Medien keineswegs eine besondere Unvorsichtigkeit walten lassen, wie auch Joseph Breham - der Anwalt der in Paris ansässigen NGO Acted, die sieben der acht beschäftigte – am Montag, den 10. August d.J. im französischen Fernsehen bekräftigte. Zum Vergleich: In gelber Farbe, wie die Gegend um Kouré, ist etwa ein Großteil des Touristenlandes Tunesien beim französischen Außenministerium eingezeichnet – vor einigen Jahren allerdings noch in grün -, nur dessen geographische Ränder im Sahararaum sind orange bis rot.

Im Laufe der Woche wurde allerdings ganz Niger nunmehr vom Ministerium in Paris in Rot eingestuft, mit Ausnahme der Hauptstadt Niamey, die nunmehr von Gelb zu Orange wechselt.

Die Nichtregierungsorganisation Acted wurde 1993 gegründet, ist derzeit in 37 Ländern präsent und leistet humanitäre Hilfe. Auf diesem Gebiet ist sie die zweitgrößte französische NGO nach „Ärzte ohne Grenzen“ geworden. Die bittere Ironie sei, erklärte ihr Direktor Frédéric Roussel am vorigen Montag anlässlich einer Pressekonferenz, dass ihre Mitarbeiter im Niger – und anderswo – in den „roten Zonen“ tätig seien, um der Bevölkerung zu helfen, etwa Binnenflüchtlingen in den Sahelländern, dass der Angriff jedoch in seiner bis dahin als wesentlich sicherer geltenden Region erfolgt sei. In das Giraffenreservat waren sie gefahren, um sich gemeinsam einen Tag Freizeit zu gönnen. Angegriffen wurden sie gegen 11.30 Uhr, zu dem Zeitpunkt befanden sie sich noch keine Stunde in dem Reservat.

Bei den beiden nigrischen Getöteten, deren Namen nicht bekannt wurden, handelt es sich um einen örtlichen Touristenführer sowie einen Fahrer. Letzterer war ebenfalls bei Acted angestellt. Auch alle sechs Französinnen und Franzosen arbeiteten für diese NGO, manche seit Jahren, manche erst seit zwei Monaten. Die aus Toulouse stammende Myriam Dessaivre etwa, Ende Zwanzig, hatte sich seit ihrem Studium auf humanitäre Einsätze spezialisiert und war bereits in Kolumbien, in Tunesien und im Tschad gewesen. Die aus Montpellier stammende junge Frau Stella Gautron war ihrerseits in der Zentralafrikanischen Republik gewesen. Nadifa Loussa hatte von 2015 bis Anfang 2020 für das Verteidigungsministerium gearbeitet, sich dann jedoch für eine humanitäre Tätigkeit entschieden und hielt für eine sechsmonatige Mission in Niger auf. Der 26jährige Absolvent einer Elitehochschule, der Ecole normale supérieure, Antonin Girardi war Umweltökonom.

Am Freitag Nachmittag (14. August 20) trafen die Särge der sechs getöteten französischen Staatsangehörigen am Flughafen von Orly bei Paris ein, und ab 16 Uhr fand ein Staatsakt in Anwesenheit von Premierminister Jean Castex statt.

In den Stunden nach der Tat nahm die Spurensicherung der nigrischen Polizei die Arbeit auf. Zehn französischen Spurensicherungsspezialisten trafen aus Gao im Nachbarland Mali, einem Stationierungsort der französischen Armee, zu ihrer Verstärkung ein. Der Giraffenpark wurde vorläufig für Besucher geschlossen, um die Untersuchung zum Tathergang nicht zu beeinträchtigen. Ferner wurde der Ausnahmezustand über die gesamte südwestnigrische Region Tillabéri – zu welcher Kouré gehört -, was nicht nur Durchsuchungen zu jeder Tages- und Nachtzeit ermöglicht, sondern auch beinhaltet, dass Motorradfahren in der gesamten Region bis auf Weiteres untersagt wurde. Dies soll den Angreifern Fluchtmöglichkeiten abschneiden. Auf Ersuchen der nigrischen Armee hin stiegen zwei französische Kampfflugzeuge vom Typ Mirage-2000 auf, um die Region zu überwachen. Die Webseite InfoNiger spricht auch von einer Unterstützung durch Spezialkräfte der US-Army, die in Niamey einen Drohnenbasis für die Sahelzone unterhält.

Regionale Medien wie Bénin Web TV berichteten ferner bereits am Dienstag, den 11. August 20, einer der Angreifer sei durch die nigrischen Streitkräfte (FDS) gefangengenommen worden. Seit dem frühzeitigen Bekanntwerden dieser Information folgten dazu jedoch bislang keine weiteren Nachrichten.

Als Urheber der Attacke, die laut Auffassung der französischen, auf Terrorismussachen spezialisierten Sonderstaatsanwaltschaft PNAT – diese zog am Montag voriger Woche das Ermittlungsverfahren an sich – vorgeplant war, jedoch eher generell auf „westliche Ausländer“ denn spezifisch auf die getroffene NGO, kommen vor allem der „Islamische Staat in der großen Sahara“ einerseits und die im Nordosten Nigerias verwurzelte Terrorbewegung Boko Haram andererseits in Frage. Erstere greift auf nigrisches Staatsgebiet von ihren Rückzugsräumen im Nordosten Malis und Burkina Fasos her über, Letztere über die gemeinsame Grenze in der nigrischen Region Diffa, die seit längerem unter Ausnahmezustand steht. Getroffen werden sollte dabei auch der nigrische Staat, auf politischer Ebene, aber auch durch einen Schlag gegen seine Tourismuseinnahmen.

  • Wir erhielten den Bweitrag vom Autor für diese Ausgabe.