Die Schweiger von der Spree

Eine in Sachen "Linksunten" eingereichte Verfassungsbeschwerde nebst Begleitbrief

von
Detlef Georgia Schulze

08/2020

trend
onlinezeitung

Am 9. August des vergangenen Jahres hatte ich beim Bundesministerium des Innern die Rücknahme des – noch einmal zwei Jahre vorher verfügten – Verbotes von linksunten.in­dymedia beantragt (siehe:

Die Sache ist nun bis zum Bundesverfassungsgericht vorgedrungen: Ich habe eine weitere Verfassungsbeschwerde wegen des Verbotes von linksunten eingereicht.

Resümee und Gliederung der Verfassungsbeschwerde sowie der inhaltliche Teil des Be­gleitschreibens folgen als separate Dateien.

Was bis zur Einreichung der Verfassungsbeschwerde passiert war

Ich war damals – vorsichtshalber – zweigleisig vorgegangen:

++ Zum einen hatten ich beim BMI den besagten Antrag gestellt.

++ Zum anderen beantragte ich schon damals – aus fristen-technischen Gründen und um das Kostenrisiko zu begrenzen – beim Bundesverwaltungsgericht Prozeßkostenhilfe für eine Anfechtungsklage direkt gegen das Verbot – also nicht erst über den ‚Umweg‘ des Antrages an das BMI.

Gleis 1: Antrag auf Prozeßkostenhilfe für eine Anfechtungsklage direkt gegen das Verbot

1. Der Prozeßkostenhilfeantrag wurde vom Bundesverwaltungsgericht bereits im vergan­genen Jahr – mangels hinreichender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage – abgelehnt; gegen diese Ablehnung ist unter dem Aktenzeichen 1 BvR 73/20 bereits eine Verfassungsbeschwerde anhängig.

Grund für die Ablehnung bzw. für die negative Erfolgsprognose des Bundesverwaltungsge­richts: Es läßt sich auf mein Argument, daß ich als LeserIn und AutorIn von dem Verbot betroffen sei, nicht ein. Es handele sich um ein Vereinsverbot, und gegen Vereinsverbote könnten Nichtmitglieder nicht klagen:

„der Antragsteller [ist] als Nichtmitglied zur Anfechtung des Verbots und der im Bescheid enthaltenen Nebenentscheidung, die unter der URL http://linksunten.indymedia.org sowie die im Tor-Netzwerk unter der Adresse http://fhcnogcfx4zcq2e7.onion abrufbare Internetsei­te oder sonstige Internetpräsenzen des Vereins zu betreiben und weiter zu verwenden, nicht befugt. Es fehlt an einer gemäß § 42 Abs. 2 VwGO oder § 43 Abs. 1 VwGO für die Zulässigkeit einer solchen Klage erforderlichen Betroffenheit in eigenen Rechten. Auch aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 oder 2 GG lässt sich eine solche Betroffenheit des Antragstellers nicht ableiten.“

Meine unter der unter Adresse http://linksunten.indymedia.org veröffentlichten Artikel (= Meinungsäußerungen) waren von dem Verbot, die URL zu verwenden, mitbetroffen, aber nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts bin ich in meinem Recht auf Meinungsäuße­rungs- und Pressefreiheit aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 und 2 Grundgesetz1 nicht betrof­fen… :

(Meine unter der Adresse http://fhcnogcfx4zcq2e7.onion veröffentlichten Artikel sind im üb­rigen weiterhin betroffen: Während die Adresse http://linksunten.indymedia.org vermutlich im April diesen Jahres – für das Archiv von linksunten.indymedia – wieder in Betrieb genommen wurde; gibt es nun ein neues Tor-Äquivalent zur Adresse http://linksunten.indymedia.org – nämlich: http://xrlvebokxn22g6x5gmq3cp7rsv3ar5zpirzyqlc4kshwpfnpl2zucdqd.onion/.)

Daß ich einen Schaden dadurch habe, daß

  • meine Artikel rund 1 ½ Jahre nicht zugänglich waren und daß ich weiterhin keine neuen Artikel bei linksunten veröffentlichen und lesen kann,

und

  • daß dieser Schaden meine Rechte verletzt, wenn die Voraussetzungen des Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz (Schranken der Meinungsäußerungs-, Presse- und Infor­mationsfreiheit)2 und nicht einmal die Voraussetzung des Artikel 9 Absatz 2 GG (Schranken der Vereinigungsfreiheit)3 geben sind,

interessiert das Bundesverwaltungsgericht nicht! Wohlgemerkt: Das Bundesverwaltungs­gericht prüft gar nicht erst, ob die Voraussetzungen vorliegen oder nicht, sondern sagt: Selbst wenn meine Artikel nicht zugänglich sind und die besagten Voraussetzungen nicht vorliegen, sei ich (als Nichtvereinsmitglied) nicht befugt, mich gegen das Verbot zu wen­den.

Gegen diese Rechtsauffassung wendet sich meine bereits seit Ende letzten Jahres anhängige Verfassungsbeschwerde. Diese Verfassungsbeschwerde hat, indem sie das o.g. Senatsaktenzeichen erhalten hat, die erste Hürde schon genommen. (Bevor Verfas­sungsbeschwerden überhaupt zu den RichterInnen gelangen, werden sie von BeamtInnen vorgeprüft. Nur die Verfassungsbeschwerden, die – ggf. durch Insistieren der Beschwerde­führerInnen [§ 64 Absatz 2 BVerfGGO]4 – durch diesen ‚Filter‘ kommen, bekommen ein Senatsaktenzeichen. Die anderen landen im sog. Allgemeinen Register [§ 63 Absatz 2 BVerfGGO].)

Gleis 2: Antrag an der Bundesinnenministerium, das Verbot zurückzunehmen

2. Nun zurück zu dem ersten Gleis: Mein Antrag ans Bundesinnenministerium. Zu diesem habe ich nie eine Antwort erhalten.

§ 75 Satz 2 und 3 Verwaltungsgerichtsordnung bestimmen aber: „Die Klage [auf sog. Ver­bescheidung] kann nicht vor Ablauf von drei Monaten […] seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Fal­les eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlas­sen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus.“

Daher hatte ich nach Ablauf der drei Monatsfrist einen weiteren Prozeßkostenhilfeantrag beim Bundesverwaltungsgericht gestellt – nun für eine Klage auf Verpflichtung des BMI

  • mindestens: zur Verbescheidung

  • weitergehend: zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verbotsverfügung und zur Ermessensausübung nach § 48 Absatz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz („Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurück­genommen werden.“)

  • weitestgehend: zur Stattgabe des Antrages (wg. Ermessensreduzierung auf Null).

Dieser PKH-Antrag wurde vom BVerwG (erst) am 13.05.2020 abgelehnt; die dagegen ge­richtete Gehörsrüge am 26.06. zurückgewiesen (mir zugegangen: am 08.07.)

Die Ablehnung erfolgte, weil auch die jetzt beabsichtigte – ja aber durchaus unterschiedli­che – Rechtsverfolgung nach Ansicht des BVerwG „aus den bereits in den Beschlüssen vom 23. Oktober 2019 (6 PKH 4.19) und 13. November 2019 (6 PKH 5.19)“ – zu dem ers­ten PKH-Antrag für die Anfechtungsklage – „erläuterten Gründen keine Aussicht auf Er­folg“ habe. Wesentlicher Grund sei wiederum, daß ich „[a]ls Nichtmitglied des verbotenen Vereins […] durch das Verbot nicht in einer die Klagebefugnis [...] begründender Weise be­troffen“ sei (Textziffer 7) – und zwar trotz der Strafbewehrung von Vereinsverboten auch gegenüber Nichtmitgliedern (§ 20 Vereinsgesetz und verschiedene Bestimmungen im StGB5).

Gegen diese Rechtsauffassung wende ich mich in meiner jetzigen Verfassungsbeschwer­de v.a. mit drei Argumenten:

a) Schon der Ausgangspunkt des BVerwG sei – jedenfalls hinsichtlich der beabsichtigten Klage auf Verbescheidung und Ermessensausübung – unzutreffend, da es insofern nicht darauf ankomme, ob die Verbotsverfügung, deren Rücknahme ich beantrage, meine eige­nen Rechte verletzt. Vielmehr komme es nur darauf an, ob der Umstand, daß das BMI meinen Antrag nicht (und sei es: negativ) beschieden und sein Ermessen nicht ausgeübt hat, meine Rechte aus § 75 Satz 2 VwGO (siehe oben) und Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 GG6 (Vorwirkung aus der Rechtsweggarantie7) auf Verbescheidung und mein Recht aus § 48 Absatz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (im Falle der Rechtmäßigkeit der Verbotsverfü­gung: aus § 49 Absatz Verwaltungsverfahrensgesetz8) auf Ermessensübung durch das BMI verletzt.

b) Selbst wenn der Ausgangspunkt des Bundesverwaltungsgerichts geteilt werde, daß es auf die Verletzung meiner eigenen Rechte durch die Verbotsverfügung (!) ankomme, so sei ich – aus den bereits in meiner ersten Verfassungsbeschwerde vom Dezember des vergangenen Jahres dargelegten Gründen – sehr wohl verletzt: nämlich als LeserIn und AutorIn von „linksunten“ in meinem eigenen Rechten aus Art. 5 I 1, 2 GG.

c) schließlich: Selbst wenn sich auf den Standpunkt des BVerwG gestellt wird, daß kein Medium, sondern ein Verein verboten worden sei, so sei ich dennoch in eigenen Rechten verletzt, da das strafbewehrte Verbot, Kennzeichen verbotener Vereine zu verwenden und solche Vereine zu unterstützen, mich dann in meinen eigenen Rechten aus Artikel 5 Ab­satz 1 Satz 1 und 2 GG (Meinungsäußerungsfreiheit – in Bezug auf Kennzeichenverwen­dung) und Artikel 2 Absatz 1 GG („freie Entfaltung der Persönlichkeit“, vom Bundesverfas­sungsgericht als „allgemeine Handlungsfreiheit“ verstanden9 – in Bezug auf die Unterstüt­zung) verletzt, wenn die Verbotsgründe des Artikel 9 Absatz 2 GG gar nicht vorliegen. Also gebiete die Rechtsweggarantie, daß sich auch Nichtvereinsmitglieder gegen Vereinsverbo­te mit dem Argument wenden können, die Verbotsgründe lägen in Wirklichkeit nicht vor. Die Weite des Kreises derjenigen, die gegen Vereinsverbote klagebefugt sind, sei die „not­wendige Folge der vom Gesetzgeber statuierten Strafandrohungen gegen vereins-externe Dritte“. Wolle der Gesetzgeber den Kreis der Klagebefugten einschränken, müsse er die Strafandrohung auf die Vereinsmitglieder beschränken. –Bleibt vielleicht noch zu erklären, was meine Verfassungsbeschwerden von der Verfas­sungsbeschwerde der VerbotsadressatInnen (Legal Tribune Online vom 08.06.2020) un­terscheidet:

  • Letztere sagen ja nichts dazu, ob sie tatsächlich zum HerausgeberInnenkreis von linksunten gehörten und ob sie LeserInnen und AutorInnen von linksunten waren und wenden sich folglich auch nicht als VertreterInnen des verbotenen „Ver­eins“ gegen das Verbot. Vielmehr berufen sie sich darauf, daß ihnen die Verbots­verfügung zugestellt wurde und auf ihr – allerdings: strafprozessuales (nicht: ver­waltungsrechtliches) – Recht, sich nicht selbst zu belasten. Das führte im Januar dazu, daß das Bundesverwaltungsgericht auch auf deren Klage hin keine inhaltliche Überprüfung des Verbots vornahm.10 Ob sich dagegen das Bundesverfassungsge­richt von dem Argument bzgl. des Rechts, sich nicht selbst zu belasten11, überzeu­gen läßt, ist zumindest fraglich.

  • Ich trete dagegen ja offen als LeserIn und AutorIn von linksunten auf und kann daher auch auf den oben beschriebenen ‚Schaden‘ vorweisen. Das heißt: Meine Klagebefugnis / Verfassungsbeschwerdebefugnis scheint mir deutlich weniger pre­kär zu sein, als die der VerbotsadressatInnen.

Anmerkungen

1 „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus all­gemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstat­tung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.“ (http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_5.html)

2 „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestim­mungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“ (ebd.)

3 „Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.“ (http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_9.html)

4 Ich mußte nicht insistieren.

5 §§ 85, 86 und 86a StGB.

6 „Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen.“ (http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_19.html)

    7 Die „Begründungspflicht […] ist […] verfassungsrechtlich verankert, nämlich in der Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG). Nur im Lichte der Gründe, auf denen der Verwaltungsakt beruht, kann der Betroffene prüfen, ob Rechtsbehelfe angezeigt sind und Aussicht auf Erfolg haben“. (Tiedemann, in: BeckOK VwVfG, 44. Ed., 1.7.2019, VwVfG § 39, RN 5)

    „Ausnahmen vom Begründungszwang […] sind […] mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz unvereinbar, daß der Staatsbürger, in dessen Rechte eingegriffen wird, einen Anspruch darauf hat, die Gründe dafür zu erfahren; denn nur dann kann er seine Rechte sachgemäß verteidigen.“ (BVerfGE 6, 32 - 45 [44] – Elfes)

8 „Ein rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen In­halts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist.“ (http://www.gesetze-im-internet.de/vwvfg/__49.html)

9 „das Grundgesetz [meint] in Art. 2 Abs. 1 GG die Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne“ (BVerfGE 6, 32 - 45 [36] – Elfes)

10 „Die Kläger aus Freiburg scheiterten, weil sie sich selbst ausdrücklich nicht zu ‚Linksunten.Indymedia‘ bekann­ten. Sie hatten als Einzelpersonen geklagt. Grund dafür sind parallel laufende Strafverfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Hätten die Kläger vor dem Bundesverwaltungsgericht zugegeben, Mitglieder einer Grup­pierung zu sein, wäre das in den Strafverfahren verwertbar gewesen, sagte Anwalt Sven Adam. ‚Eine vollständige Überprüfung des Vereinsverbots kann nur der Verein selbst erreichen‘, sagte Richter Kraft nun in der Urteilsbe­gründung.“ (Süddeutsche Zeitung vom 29.01.2020)

11 „Rechtsanwältin Furmaniak erinnerte an den Grundsatz, dass niemand gezwungen werden könne, sich selbst zu belasten“ (FAZ v. 29.01.2020) / „‚Wenn unsere Mandanten sagen würden: ‚Ja, wir haben Indymedia-Linksunten gemacht‘, könnten sie sich damit selber belasten‘, erläuterte Rechtsanwalt Sven Adam in der Verhandlungspause gegenüber der WELT. Schließlich sei das Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung nur vorläufig und mit Blick auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts eingestellt worden.“ (Die Welt vom 30.01.2020)

Resümee und Gliederung der am 10.8.2020  
eingereichten Verfassungsbeschwerde

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Das Begleitschreiben
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Editorischer Hinweis

Wir bekamen den Beitrag nebst Beilagen von der Autorin für diese Ausgabe.