War Karl Marx ein Antisemit?
Achtung! Betrüger und Fälscher am Werk.

von Siegfried Buttenmüller

08/2020

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Medien unterster Kategorie verbreiten in den letzten Wochen wieder, dass Karl Marx ein Antisemit gewesen sei. Als „Beweis“ wird auf einen angeblichen Privatbrief von Karl Marx verwiesen, den dieser angeblich anlässlich des Ablebens von Ferdinand Lassall geschrieben haben soll.

Wer aber eine solche Behauptung aufstellt oder verbreitet, trägt natürlich auch die Beweislast darzulegen, das dies der Wahrheit entspricht.

Hier braucht man eigentlich gar nicht weiter zu schreiben oder zu lesen denn die Behauptung das Karl Marx diesen Brief geschrieben habe ist schon sehr alt. Schon der Urheber dieser Behauptung und Herausgeber der Abschrift des angeblichen Briefes von 1913, der Marx Gegner Eduard Bernstein, wurde von namhafter Seite aufgefordert, einen Beweis vorzulegen dass seine angebliche Abschriften auf echten Briefen von Marx beruhen. Eduard Bernstein hat trotz ausdrücklichem Verlangen der damaligen Politiker Karl Kautsky, Victor Adler und Franz Mehring keine Einsichtnahme in die angeblichen Privatbriefe von Karl Marx an Friedrich Engels gewährt.

Die Echtheit dieses Briefes ist also nicht bestätigt und nicht beweisbar, der Herausgeber Eduard Bernstein räumte jedoch damals bereits ein, das er den Brief „überarbeitet“ habe und gab damals schon Abänderungen zu. Auch die angeblichen Abschriften von Bernstein sind kaum zu bekommen da diese nie akzeptiert worden sind oder groß verbreitet worden sind. Mit solchem Schund braucht man sich also gar nicht abgeben oder darauf eingehen solche Behauptungen widerlegen sich mangels Beweis für diese Behauptung selber.

Es lohnt sich aber doch einmal einen Blick auf diesen Eduard Bernstein zu werfen und die Frage zu stellen, welches Interesse er eigentlich an Briefen von Karl Marx und dessen Veröffentlichung haben konnte. Es ist allgemein natürlich nicht üblich, dass Privatbriefe veröffentlicht werden, weil sie eben privat sind. Die von Bernstein veröffentlichten Privatbriefe des Karl Marx stammen aus dem Zeitraum zwischen den frühen Jahren ab 1844 und 1883, dem Jahr als Marx Karl verstarb. Friedrich Engels soll nun die Privatbriefe, auch besagten und angeblichen Brief vom September 1864, ganze 31 Jahre lang bis zum August 1895 aufbewahrt haben natürlich ohne diese zu veröffentlichen - was mit Privatbriefen ja nie gemacht wird. Hernach sollen diese Privatbriefe auf unbekanntem Wege vom Wohnsitz Friedrich Engels zum SPD Vorsitzenden August Bebel gebracht worden sein, wo diese Briefe weitere gut 15 Jahre gelagert haben sollen. August Bebel verstarb im August 1913, war aber die Jahre zuvor über längere Phasen bereits schwer erkrankt gewesen.

Ausgerechnet der Marx Gegner Eduard Bernstein schaffte es in dieser Zeit, vermutlich von der Parteibürokratie um Ebert, Noske, Scheidemann usw. unterstützt, in den Besitz der Briefe zu gelangen und hatte Jahre Zeit für Fälschungen. Und er veröffentlichte diese angeblichen Briefe, ohne irgend Jemandem Einsichtnahme zu gewähren und änderte nach Gutdünken ab.  Und es wurde unter anderem auch besagter und angeblicher Brief von Marx an Engels hinzugefügt oder wesentlich abgeändert.

Natürlich sind „Erbstreitigkeiten“ um den Nachlass von Briefen usw. großer Persönlichkeiten an der Tagesordnung, angebliche Erben möchten gerne die Verstorbene Personen in ihrem Sinne umdeuten, unglaubwürdig machen oder einfach Geld verdienen. In neuerer Zeit war letzteres u.a. bei den angeblichen „Hitler Tagebüchern“ der Fall, die als Fälschung großes Aufsehen erregten. Im Zuge der allgemeinen Volksverhetzung gegen den Islam sind zum Beispiel auch krasse und widerliche Fälschungen von angeblichen Zitaten des Ayatollah Khomeini im Iran aufgeflogen. Solche Beispiele gibt es sicher sehr viele und die Veränderungen und Weiterentwicklungen aller Sprachen sowie die notwendigen Übersetzungen bieten Betrügern und Fälschern Ansatzpunkte, Erfolg bis zu einer Wiederlegung bei Menschen zu haben, die das eben glauben möchten oder allgemein unkritisch sind.

Für den angeblichen Brief von Marx, der ihn als „Antisemiten und Rassisten“ hinstellen soll, gibt und gab es also jemals nicht den geringsten Beweis außer der Darstellung seines Gegners Eduard Bernstein, der seinerseits allerdings selber die antisemitische Rassenideologie des Eugen Dühring gegen die Kritik von Marx und Engels verteidigte. Auch die Wortwahl des Briefes passt viel eher zum Denken des Eduard Bernstein als zu der des Karl Marx.

Marx selber hat religiöse Menschen nie als Feind oder gar minderwertig betrachtet und seine Einstellung zur Religion in seiner bekannten Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie ausführlich dargelegt, die ein wesentliches Element seiner Denkweise des Dialektischen Materialismus ist. Daher ist es auch undenkbar, dass er in privaten Briefen sich so geäußert haben soll, derartige Primitivität passt nun wirklich eher zu Eduard Bernstein und seines Gleichen. Karl Marx hatte im Falle des selbst verschuldeten Ablebens des Ferdinand Lassalle auch gar keinen Grund sich noch groß und gar in unpolitischer Weise zu äußern, da diese politische Richtung im Vergleich zum Marxismus zu der Zeit nur schwindenden Einfluss hatte. Natürlich konnten aber nur Briefe von Marx gefälscht und erfunden werden, die es gar nicht gab oder die sonst niemand je gesehen hatte, da widrigenfalls die Fälschung und der Fälscher sofort aufgeflogen wären.

Nach dem Ableben von Karl Marx und Friedrich Engels nahmen die Auseinandersetzungen in der damaligen Partei zwischen Marxisten und dem Rechten Flügel, zu deren Wortführern Bernstein gehörte, wieder enorm zu. Rosa Luxemburg schrieb in dieser Zeit das grundlegende Werk: „Sozialreform oder Revolution“, in dem sie die revisionistischen „Thesen“ des Eduard Bernstein gründlich analysierte und zurückwies. Zudem übersetzte die Gruppe Internationale damals die Werke des Karl Marx neu in das russische und wies ihrerseits absichtliche Fälschungen und Falschübersetzungen des Georgi Walentinowitsch Plechanow in Russland nach. Zudem gewann ihre Gruppe Internationale an Einfluss und gehörte zu den führenden Kräften der (gescheiterten) russischen Revolution von 1905, die auch in der deutschen Sozialdemokratie breit diskutiert wurde. Diese ist als „Massenstreikdebatte“ bekannt geworden und in diese griff Rosa Luxemburg ebenfalls mit einem ihrer grundlegenden Werke: „Massenstreik, Partei und Gewerkschaften“, ein.

Wenn also heute von einigen Medien der primitiveren Art behauptet wird, es habe privat noch einen ganz anderen Karl Marx gegeben, ist das eine haltlose und unwahre Behauptung und vom Grunde her unglaubwürdig.

Leider machen auch einige „Linke“ den Fehler, absichtlich oder leichtgläubig und in Unkenntnis des Herausgebers und Verfassers des angeblichen Briefes von Marx, den Fehler, von der Echtheit des Briefes auszugehen und unsägliche Redewendungen des Eduard Bernstein als die von Marx anzuerkennen und diese zu verteidigen.

Hätte Marx so etwas an Engels geschrieben dann hätte dieser ihn jedoch ganz sicher zur Rede gestellt und den Brief zurückgewiesen. Karl Marx hat nie politische Gegner aufgrund ihrer Religion oder Nationalität angegriffen und das hatte er auch gar nicht nötig. Das besondere an Karl Marx und seiner Denkweise des Dialektischen Materialismus ist eben, dass er kein abgehobener Philosoph gewesen ist, sondern seine Denkweise zur Richtschnur des politischen Handelns geworden ist.

2.8.2020

Einige Quellenangaben:

Der Briefwechsel zwischen Friedrich Engels und Karl Marx 1844 bis 1883, hrsg. von A. Bebel und E. Bernstein, 4 Bde, Stuttgart 1913. Für die Vertraulichkeit der Editionsarbeiten anschaulich Victor Adlers Bemühung um Einsichtnahrne in den Brief-wechsel im März 1911 (an Bebel, 19.3.1911, und dessen Antwort vom 22.3, in: Adler Briefwechsel, S. 524–28).

Die komplizierte Entstehungsgeschichte verdient eine eigene Darstellung, soweit sie bis Ende 1910 in unserem Zusammenhang relevant ist, wird sie weiter unten skizziert. Zur Konstellation in der Schlussphase, bis hin zum Versuch Kautskys, die Publikation noch im Mai 1913 zu verhindern oder aufzuschieben, vgl. Adler-Briefwechsel, S. 564–72.

Das Resumé von Dietz (ebd., S. 569f.) betont die persönlich komplizierenden Komponenten, nach Erscheinen haben die Hauptkontrahenten ihre sachlich differierenden Positionen im Rahmen der Parteiloyalität formuliert: F. Mehring, „Engels und Marx”, in: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung, Jg. 5 (1915), S. 1–38, und N. Rjazanov, „Der Briefwechsel zwischen Marx und Engels”, in: Neue Zeit, Jg. 32 (1913–14), Bd 2, S. 564–71.

Rjazanovs Moskauer Akademievortrag von 1923 bietet eine, der veränderten Parteikonstellation entsprechend, „gestraffte” Version, in der allerdings Bernsteins Verantwortlichkeit für die Streichungen in der Edition eher indirekt nahegelegt als behauptet wird, der Gegensatz mit Mehring deutlich und das eigene Schwanken in Bezug auf vollständige Wiedergabe angedeutet bleibt; vgl. ders., „Neueste Mitteilungen Über den Nachiaß von Karl Marx und Friedrich Engels”, in: Archiv usw., Jg. 11(1925), S. 385–400, bes. S. 396.

D. Rjazanov, „Einleitung zum ersten Band des Briefwechsels zwischen Marx und Engels”, in: K. Marx, F. Engels, Historisch-kritische Gesamtausgabe, Abt. III, Bd 1, Berlin 1929, S.IX-L, plaziert durch ausführliche inhaltliche Polemik gegen die Tilgungskriterien des verantwortlichen Herausgebers die Schuldzuweisung für Die Geschichtskosmetik von 1913 sehr einseitig bei Bernstein.

Ed. Hinweis

Wir erhielten den Beitrag vom Autor für diese Ausgabe.