Ein Debattenbeitrag
Klimakrise, Reform & Revolution

von assoziation.info

08/2019

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onlinezeitung

Plötzlich ist der menschengemachte Klimawandel in aller Munde und hat einen bedeutenden Platz in der gesellschaftlichen Diskussion. Friedrich Merz kritisiert Merkel für verfehlten Klimaschutz, Markus Söder fordert einen schnelleren Ausstieg aus der Kohleförderung und selbst die Berliner AfD-Jugend stellt fest, dass der Klimawandel menschengemacht ist. Hätte irgend jemand noch zu Anfang diesen Jahres eine solche Entwicklung prognostiziert, er wäre für verrückt erklärt worden. Vielmehr waren Depressionen bei allen vorprogrammiert, die sich ernsthaft mit dem Klimathema auseinandergesetzt hatten. Dabei sind die Fakten, um die nun vollkommen zurecht endlich Aufsehen gemacht wird, alles andere als neu. Seit Jahren pocht der Mainstream der Wissenschaft darauf, dass alle Vorhersagen zum Klimawandel, die es seit Jahrzehnten gibt, richtig sind und einzig das Manko haben, dass alles viel schneller geht als befürchtet bzw. prognostiziert.

Nehmen wir Deutschland. Der Sonderbericht des Weltklimarates aus dem Herbst 2018
interessierte trotz des gerade erst zu Ende gehenden Hitzesommers eigentlich niemanden. Vollkommen unmissverständlich hieß es in dem Bericht, dass „schnelle, weitreichende und beispiellose Änderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen“ notwendig seien, wenn das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen noch erfüllt werden solle. Dass selbst bei Erreichen dieses Ziels die Folgen dramatisch sein könnten – niemanden schien es zu interessieren. Dass Deutschland die eigens in Paris unterschriebenen Klimaziele nicht einhielt – allgemeines Schweigen in den öffentlichen Medien. Schlimmer noch: Die Bundesregierung hatte eigens eine Kohlekommission berufen, um einen Konsens über einen zukünftigen Ausstieg zu erlangen. Trotz aller Warnungen und Dramatik der vorangegangenen Jahre verkündete diese im Januar 2019 (!!!) einen Kohleausstieg für das Jahr 2038 (!!!).

Und alle, wirklich alle bis auf ein paar kleine Umweltverbände waren zufrieden. Von Altmaier über die Partei der Grünen und Greenpeace bis hin zur Zukunftswerkstatt Erneuerbare Energien – Friede Freude Eierkuchen! Überall wurde die Zumutbarkeit für die deutsche Industrie gelobt und die Versorgungssicherheit betont, während von CO2-Ausstoß und verfehlten Klimazielen bestenfalls in Fußnoten die Rede war. Lieber diskutierte man munter weiter über Leitkultur und Islam, Merkel und AKK, das Für- und Wider von Indianerkostümen an Karneval und andere bürgerliche Nichtigkeiten.

Und nun? Klimaschutz und ökologische Nachhaltigkeit sind nur wenige Monate später so sehr von Interesse, dass, wie eingangs angeführt, selbst Hinterwäldler und Reaktionäre anfangen umzudenken. Dieser Umschwung kam weder durch Zufall noch von ungefähr, sondern ist einzig und allein das Ergebnis des Engagements einer neuen Generation von jungen Aktivisten und vor allem Aktivistinnen, die unvorhergesehen die politische Bühne betritt. Allen voran natürlich die Schulstreikbewegung ‚Fridays for Future‘ (F4F oder FFF). Eine progressive Graswurzelbewegung wie aus dem Bilderbuch: Spontan, jung und transnational vernetzt. Zu den internationalen Streiktagen wurden bereits weit über eine Million TeilnehmerInnen gezählt, allein in Deutschland mehrere Hunderttausend. Ganze 40.000 Aktivistinnen und Aktivisten aus mehreren Staaten hatten sich zum Schuljahresende gemeinsam in Aachen versammelt. Gab es jemals größere Schülerproteste? Kaum. Deshalb kann es zunächst einmal nur heißen: Chapeau, Glückwunsch und vor allem: weiter so!

Zugegeben. Auf ein Lob aus der radikalen Linken kann FFF ganz gut verzichten. Da gibt es ja weit einflussreichere Gratulanten: Merkel, Obama, den Papst… Doch gerade diese Ovationen möchten wir zum Anlass nehmen auch ein paar kritische Worte zu verlieren und darauf hinzuweisen, dass die ökologische Frage radikal zugespitzt werden muss. Radikal im wörtlichsten Sinne des Wortes, also laut Duden „von Grund aus“ bzw. „mit Stumpf und Stiel“.

Aber der Reihe nach. Die Schülerinnen und Schüler lassen sich so schnell nicht für blöd verkaufen und haben selbst erkannt, dass sie in den letzten Monaten zwar viel Anerkennung und Lob bekommen haben, sich aber praktisch rein gar nichts geändert hat. Aber warum ist dem so? Wenn doch eigentlich mittlerweile den vermeintlich entscheidenden Personen in der Politik längst klar ist, wie brenzlig es ist, warum wird dann nicht viel mehr getan?

Die Antwort auf diese Frage ist so traurig wie folgenschwer. Dem Wesen der Sache nach geht es in unserer Gesellschaft nicht darum, wer welche guten Vorsätze und welches Bewusstsein hat sondern darum, aus Geld mehr Geld zu machen. Dies ist keine Frage moralischer Abwägungen, vielmehr gilt dieser gnadenlose Mechanismus im Rahmen dieser auf Markt und Konkurrenz basierten Gesellschaft für alle und ist innerhalb dieser Schranken auch rational. Es handelt sich dabei gerade nicht um ein paar Auswüchse bei den Banken oder an der Börse. Jeder Kapitalist wird durch die Konkurrenz gezwungen bei Strafe des eigenen Untergangs in diesem Spiel mitzumischen. Und somit gilt von vorneherein und überall:

Nichts wird nur produziert, damit die Menschen ein schöneres Leben haben und erst recht nicht, damit sie nachhaltiger mit der Natur im Einklang stehen. Innerhalb dieser
Gesellschaft ist es das Ziel aller Produktion und Reproduktion, maximalen Profit zu
erzielen. Der (möglichst reibungslose) Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur, mit dem sich jede Gesellschaft auseinanderzusetzen hat, ist im Kapitalismus also von vorn herein dem Diktum des maximalen Profits unterworfen. Damit der Laden läuft, muss immer mehr, immer schneller, immer billiger usw. produziert werden. Wie sich dieses Gesetz der Plusmacherei hinter dem Rücken der Produzenten und auch unabhängig von ihrem Willen und ihrer Moral durchsetzt, haben wir in verständlicher Sprache in unserem Buch „Goodbye Kapital“ beschrieben (kostenlose Auszüge zum Lesen gibt es hier < http://assoziation.info/?p=108 > und wem diese nicht reichen, der wende sich bitte per E-Mail an uns).

In einigen radikaleren Parolen, die man auf Fridays for Future Veranstaltungen zu sehen und zu hören bekam, war und ist grundsätzliche Systemkritik durchaus enthalten. Am deutlichsten in dem oft zitierten Slogan „System Change Not Climate Change“. Auch in den Argumentationen von Greta Thunberg, der Inspiratorin und Ikone der Bewegung, kommt dieser Gedanke durchaus vor. So sagte sie bereits beim Klimagipfel 2018 in Katowice sehr treffend: „Sie reden nur deswegen vom ewigen Wirtschaftswachstum, weil Sie Angst haben, unpopulär zu sein. Sie sprechen immer nur davon weiterzumachen, mit denselben schlechten Ideen, die uns in diese Misere gebracht haben.“ Und noch weit deutlicher: „Wenn es unmöglich ist, Lösungen im bestehenden System zu finden, sollten wir das System an sich ändern. Wir sind nicht hierhergekommen, um vor Weltpolitikern darum zu betteln“. (Vgl.: _Tagesspiegel_
< https://www.tagesspiegel.de/>)

Letzterem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Die Fragestellung die sich daraus ergibt ist
aber für den Kampf ums Klima sehr weitreichend. Schließlich impliziert es die Frage, ob es sich überhaupt lohnt, innerhalb dieser Gesellschaft für eine andere Klimapolitik einzutreten. Denn solange man mit Klimaschutz nicht massenhaft Geld verdienen kann – und noch deutet sich da nicht allzu viel an – kann jeder kleine Erfolg nur ein Teilerfolg sein und dürfte auf kurz oder lang dem Profitstreben wieder geopfert werden. Ob nun direkt, weil Beschlüsse im Zuge von wirtschaftlichen Rezessionen oder gar Krisen rückgängig gemacht oder gekippt werden, oder indirekt, weil das Profitstreben die Klimaschutzziele selbst bei klimafreundlichen Maßnahmen und Alternativen ad absurdum führt, wie bei der E-Mobilität. Denn alle, teils berechtigte, teils unberechtigte Detailkritik am E-Auto einmal beiseite gelassen, bleibt das größte Problem dies: E-Autos werden, natürlich entgegen allen Aussagen in der Werbung, nicht produziert, um das Klima zu schützen, sondern um Geld damit zu verdienen. Um möglichst viel Geld damit zu verdienen, werden sie möglichst groß, schnell und möglichst leistungsstark produziert. Für den Klimaschutz bräuchten wir aber schlankere, schlichte, kleine Modelle. Soweit es diese gibt, werden sie – den Subventionen sei Dank – dann allerdings so günstig vermarktet, dass man sie sich als Zweitwagen hinstellen kann, obwohl man früher nur ein Auto hatte… Und genau diese, innerhalb dieser Gesellschaft logischen, Primate der Produktion stehen im prinzipiellen Gegensatz nicht nur zu allen Klimaschutz- sondern letztlich Naturschutzzielen überhaupt!

Zu Ende gedacht würde dies dafür sprechen, dem Klima- oder generell Umweltschutz nur sekundäre Bedeutung zuzumessen und sich vor allem für eine Revolution im Sinne einer Umwälzung zu engagieren, an deren Ende Profit und Kapital überholt wären. Es bleibt aber traurige Wahrheit, dass eine solche Umwälzung heute nicht gerade zum Greifen nahe ist, um es mal vorsichtig auszudrücken. Und was viel schwerer wiegt sind die nackten und immer wieder erschreckenden Tatsachen bezüglich der bevorstehenden ökologischen Katastrophe mit all ihren Folgen. Jedes weitere Jahr, das derzeit verstreicht, führt zu neuen, oft irreversiblen Schäden in der Natur, die vor allem die jungen und künftigen Generationen werden ausbaden müssen. Das Zeitfenster zum Handeln ist sehr eng geworden!

Was also tun? Gegen Realpolitik scheint die Tatsache zu sprechen, dass jegliche Reformen innerhalb dieser Gesellschaft der Profitmaximierung untergeordnet werden, sich hinter dem Rücken der Beteiligten durchsetzen, und (ökologische) Nachhaltigkeit letztlich nur ein Kampf gegen Windmühlen sein kann. Gegen eine Fokussierung auf eine revolutionäre Umwälzung spricht der drängende Zeitfaktor in einer Situation, in der diese Perspektive in weiter Ferne liegt.

Eine kluge Idee wie sich dieses Dilemma auflösen lässt findet sich in der Dissertationsschrift von Kohei Saito (Natur gegen Kapital, 2016). Saito zieht eine interessante Parallele zum Kampf für den 8-Stundentag, der für sich genommen ebenfalls wenig revolutionär war oder ist. Trotzdem wurde dieser Kampf auch von Karl Marx, dem sowohl analytisch brillantesten, als auch revolutionärstem Kapitalismuskritiker, stets nicht nur befürwortet sondern leidenschaftlich unterstützt. „Man verfehlt Marx` sozialistische Strategie wenn man annimmt, er würde die Gesetzgebung zum Normalarbeitstag als eine sozialdemokratische oder reformistische Strategie ablehnen. […] Die Verkürzung des Arbeitstags und die technische Ausbildung allein schaffen selbstverständlich nicht die kapitalistische Produktionsweise ab, aber sie bieten dennoch eine notwendige Grundlage für weitere Kämpfe gegen das Kapital […]“ (Saito 2016, S. 144ff.).

Die „notwendige Grundlage für weitere Kämpfe gegen das Kapital“ ist hier der Clou. Ebenso wie der Kampf zur Beschränkung der Arbeitszeit müssen an der ökologischen Front Teilerfolge erzielt werden, um überhaupt noch Luft zum Atmen (in diesem Fall recht wörtlich zu sehen) und zum Weiterkämpfen zu haben. Wann auch immer es gelingen sollte, diese Gesellschaftsordnung in einer Umwälzung zu überwinden, wird es sehr entscheidend sein, in welchem Zustand sich das Ökosystem dann befindet. Eines der ersten und größten Planziele für eine neue Gesellschaft, welche nicht mehr auf dem Kapitalverhältnis beruhte würde, wäre vermutlich, begangene Schäden wieder gutzumachen. Aber wie groß und verheerend diese Schäden dann sein werden und welche von ihnen überhaupt umkehrbar sind, dürfte in dieser Situation äußerst entscheidend sein.

Zunächst einmal haben wir es aber leider noch mit der auf Markt und Konkurrenz beruhenden Gesellschaft zu tun. Und die Analogie zum erkämpften 8-Stundentag sollte man hier mit allen ihren Folgen sehr ernst nehmen. Natürlich war die Erkämpfung des 8-Stundentages ein großer Fortschritt. Trotzdem führt das Primat der Profitmaximierung dazu, ihn von allen Seiten auszuhöhlen. So wird etwa die Arbeit innerhalb der 8-Stunden immer dichter, intensiver und damit erschöpfender. Letzteres Übel vor allem auch durch das 3 Schichtsystem, welches es dem Kapital ermöglicht auch beim 8-Stundentag 24 Stunden zu produzieren. Es werden Überstunden angeordnet und überall Ausnahmeregelungen durchgesetzt. Selbst in Deutschland, welches in Sachen Arbeitsschutz noch einen recht guten Ruf haben dürfte, sind in Ausnahmefällen bis zu 60 (!!!) Arbeitsstunden pro Woche möglich. Und genau hier liegt der Hase im Pfeffer. Der Kampf um den 8-Stundentag war und ist nicht nur zu begrüßen, sondern eine absolute Notwendigkeit. /Trotzdem reicht er nicht aus/. Erstens weil die auf Konkurrenz und Profit basierende Gesellschaft ihn permanent von allen Seiten aushöhlt und zweitens, weil die objektiven Bedingungen für eine Gesellschaft, in der man noch weit weniger arbeiten müsste und nachhaltigen Wohlstand für alle hätte, längst herangereift sind. Der Kampf für Arbeitszeitverkürzungen müsste deshalb immer sowohl als sofortige Verbesserung der Lage als auch als Teilstück des Kampfes um das große Ganze – eine Gesellschaft, in der freie Zeit der wahre Reichtum wäre – geführt werden.

Und genau diesen Gedanken sollten wir auf die Kämpfe für den Klima- und Umweltschutz übertragen. Sofortmaßnahmen sind mehr als notwenig, ohne sie geht es gar nicht. Von daher ist es natürlich richtig und wichtig, wenn jetzt Ziele, wie etwa Rückkehr zum Klimaschutzabkommen von Paris oder für Deutschland ein schnellerer Kohleausstieg erhoben werden. Es ist auch verständlich, dass diese zunächst an die Politik gestellt werden, an wen auch sonst. Es ist nur genauso wichtig sich bewusst zu machen, dass /dies nicht ausreicht/. Alle hehren Ziele müssen nicht nur erkämpft, sondern auch verteidigt werden. Überall lauert Gefahr, dass sie auf der Suche nach Profit und Extraprofit unterlaufen und ausgehöhlt werden. Man denke an das Kippen der Klimaschutzziele von Paris, bei den einen lautstark polternd, bei den anderen subtil faktisch. Man denke an das Hin-und-Her beim deutschen Atomausstieg. Man denke daran, dass Merkel bereits vor über 10 Jahren einmal als Klimakanzlerin gehandelt wurde und schon 2007 (!!!) einmal zusammen mit ihrem Eisbären Gabriel vor einem schmelzendem Gletscher in Grönland posierte. Man denke an die immer nur
zögerliche, zaghafte und inkonsequente Umsetzung von Umweltschutzmaßnahmen, obwohl die dramatischen Folgen seit Jahrzehnten bekannt sind. Dies gilt selbst, wenn Parteien an der Macht waren oder sind, die sich den Umweltschutz auf ihre Fahnen geschrieben haben. Die Grünen in Deutschland mussten in ihrer Geschichte sehr schnell lernen, was es im Zweifelsfall heißt, diese Gesellschaft (mit) zu regieren. Man denke an die Rot-Grün-Regierung von 1998 bis 2005, man denke an Diesel-Kretschmann in Baden-Württemberg. Viel Hoffnung sollte man hier also nicht haben.

Diese Erscheinungen liegen aber – wie beschrieben – eben nicht (nur) daran, dass
betreffende PolitikerInnen inkonsequent, inkompetent oder moralisch korrumpiert sind. Innerhalb dieser Gesellschaft sind PolitikerInnen auch Repräsentanten dieser Gesellschaft und damit in letzter Instanz auch Repräsentanten der Tatsache, dass diese Gesellschaft auf dem Streben nach dem nächsten Geldgewinn beruht. Aber genau dieses Gewinnstreben steht einem nachhaltigen und rationalem Umgang mit den endlichen Ressourcen der Natur diametral entgegen. Wirtschafts- und Konjunkturzyklen sind kurz und der ihnen inhärente Drang zur maßlosen Ausbeutung der Natur gnadenlos. Das Ökosystem hält dem nicht mehr lange stand. Ein Kampf für Klima- und Umweltschutz sollte deshalb immer auch Ausgangspunkt sein, die
Gesellschaftsform zu überwinden, deren notwendige Bedingung diese gnadenlose Ausbeutung von Natur und Mensch ist.

Hinweis: Der Beitrag wurde erstveröffentlicht bei http://assoziation.info  - TREND wurde von den Autor*innen um Zweitveröffentlichung gebeten.