Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Jean-Luc Mélenchon
Heikle Positionierungen
 

8/2017

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Man könnte von einer ausgesprochen heiklen Positionierung des französischen Linkspolitikers Jean-Luc Mélenchon sprechen: Auf seinem Blog reagierte der Fraktionsvorsitzende der Bewegung und Wahlplattform La France insoumise (etwa : Das unbeugsame Frankreich) in der Nationalversammung auf jüngste Äußerungen sowie Verhaltensweisen von Präsident Emmanuel Macron. Dabei bezog der Linkssozialdemokrat und Linksnationalist sich einerseits auf dessen Auftritt zum siebzigsten Jahrestag der massivsten Massenverhaftung jüdischer Menschen unter der Nazibesatzung in Frankreich: der „Razzia vom Vel d’Hiv (oder Wintervelodrom)“ am 16. und 17. Juli 1942 im Raum Paris. Andererseits spielte Mélenchon auch auf die jüngste Polemik zur Militärpolitik unter Emmanuel Macron an. Letztere gipfelte an diesem Mittwoch im Rücktritt von Generalstabschef Pierre de Villiers.

Am Sonntag, den 16. Juli 17 gedachte Staatspräsident Macron bei einer offiziellen Veranstaltung der „Razzia vom Vel d’Hiv“, und damit des vielleicht schlimmsten Ereignisses während der vierjährigen Besatzung durch Nazideutschland. 13.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder wurden dabei durch französische Gendarmeriebeamte verhaftet und, über das im Pariser Zentrum gelegene „Wintervelodrom“ – diese Radsporthalle wurde 1959 abgerissen – und das Durchgangslager Drancy als Zwischenstationen, in die Vernichtungslager im Osten deportiert. Beamte, die dem Vichy-Regime verpflichtet waren, hatten dabei Befehle der deutschen Besatzungsmacht übererfüllt, indem sie auch 4.000 Kinder festnahmen, die zu dem Zeitpunkt durch NS-Deutschland nicht „angefordert“ worden waren. Lange Zeit hatten sich spätere französische Regierung nach der Befreiung von 1944 geweigert, Verantwortung für dieses Tun im Namen des Landes zu übernehmen: Allein die Besatzungsmacht sei für alle Verbrechen verantwortlich zu machen, und Frankreich sei nicht in Vichy repräsentiert worden - sondern in London, wo Charles de Gaulle Zuflucht gefunden hatte.

Als erstes Staatsoberhaupt hatte der damals frisch gewählte Präsident Jacques Chirac sich im Juli 1995 explizit zu eine französischen Mittäterschaft bekannt. Er brach damit mit seinen Vorgängern, die sich auf de Gaulle beriefen, aber auch mit François Mitterrand. Dieser nominelle Sozialist hatte selbst seine Karriere in den 1930er Jahren auf der extremen Rechten begonnen, hielt – wie bei seinem Lebensende bekannt wurde – bis in die 1990er Jahre Kontakt zum früheren hohen Vichy-Funktionär René Bousquet und lehnte stets jegliche französische Selbstkritik zur Vergangenheit ab.

Macron trat an diesem Punkt nunmehr erkennbar in die Fußstapfen Chiracs von 1995, welche auch dessen Nachfolger Nicolas Sarkozy und François Hollande nicht verlassen hatten. Er erklärte: „Es war sehr wohl Frankeich, das die Razzia organisierte“; es sei „kein einziger Deutscher“ bei der Massenfestnahme direkt dabei gewesen. Auf Einwände, die sich darauf berufen, Vichy habe keine Legitimation durch die französische Nation erhalten – tatsächlich wurde das Regime infolge der militärischen Niederlage und der Besatzung errichtete, allerdings stimmte das Parlament der kollabierten Dritten Republik noch mehrheitlich einem Ermächtigungsgesetz für Philippe Pétain zu – antwortete Macron: „Vichy, das waren nicht alle Franzosen. Doch es war die Regierung und der Verwaltungsapparat Frankreichs.“

Jean-Luc Mélenchon konnte diese Argumentation nicht überzeugen. Er erwiderte darauf: „Zu sagen, dass Frankreich als Volk, als Nation für dieses Verbrechen verantwortlich sei, bedeutet, eine vollkommen unakzeptable essentialistische Definition unseres Landes hinzunehmen.“ Er fügte hinzu: „Es liegt nicht in der Macht Macrons, allen Franzosen eine Identität als Henker zuzuschreiben.“

Bei Mélenchons Stellungnahme mischen sich dabei sicherlich unterschiedliche Motive. Zum Einen bleibt Mélenchon, obwohl er parteipolitisch mit der Sozialdemokratie gebrochen hat, nach wie vor Mitterrand als einem historischen Vorbild verpflichtet. Zum Zweiten begreift er Frankreich, grundsätzlich zu Recht, als von gegensätzlichen Interessen durchzogene Gesellschaft. Aber zum Dritten stellte er sich auch in eine lange Tradition der französischen Linken – die KP des Landes wies etwa Jahrzehnte lang einen stark linksnationalistischen Tonfall auf, den sie an die Erinnerung an die Kriege gegen Europas Monarchien von 1792 sowie die Résistance knüpfte -, die sich auf sehr apologetische Weise auf den Patriotismus bezieht.

Letzter Punkt wurde auch deutlich, als Mélenchon ferner im jüngsten Ringen zwischen Macron und Ex-Generalstabschef de Villiers, welcher gegen Kürzungen im Rüstungshaushalt im laufenden Jahr protestierte, Letztere deutlich verteidigte. Mélenchons nutzte die Gelegenheit, Emmanuel Macrons autoritären Führungsstil anzuprangern, beklagte aber zugleich eine militärische Schwächung Frankreichs und kritisierte die Pläne zu einer stärkeren europäischen Verflechtung der Rüstungspolitik.

Editorische Hinweise

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