Man könnte von einer
ausgesprochen heiklen Positionierung des
französischen Linkspolitikers Jean-Luc Mélenchon
sprechen: Auf seinem Blog reagierte der
Fraktionsvorsitzende der Bewegung und Wahlplattform
La France insoumise (etwa : Das
unbeugsame Frankreich) in der Nationalversammung
auf jüngste Äußerungen sowie Verhaltensweisen von
Präsident Emmanuel Macron. Dabei bezog der
Linkssozialdemokrat und Linksnationalist sich
einerseits auf dessen Auftritt zum siebzigsten
Jahrestag der massivsten
Massenverhaftung jüdischer Menschen unter der
Nazibesatzung in Frankreich: der „Razzia vom
Vel d’Hiv (oder Wintervelodrom)“ am 16. und
17. Juli 1942 im Raum Paris. Andererseits spielte
Mélenchon auch auf die jüngste Polemik zur
Militärpolitik unter Emmanuel Macron an. Letztere
gipfelte an diesem Mittwoch im Rücktritt von
Generalstabschef Pierre de Villiers.
Am Sonntag, den 16.
Juli 17 gedachte Staatspräsident Macron bei einer
offiziellen Veranstaltung der „Razzia vom Vel
d’Hiv“, und damit des vielleicht schlimmsten
Ereignisses während der vierjährigen Besatzung
durch Nazideutschland. 13.000 jüdische Männer,
Frauen und Kinder wurden dabei durch französische
Gendarmeriebeamte verhaftet und, über das im
Pariser Zentrum gelegene „Wintervelodrom“ – diese
Radsporthalle wurde 1959 abgerissen – und das
Durchgangslager Drancy als Zwischenstationen, in
die Vernichtungslager im Osten deportiert. Beamte,
die dem Vichy-Regime verpflichtet waren, hatten
dabei Befehle der deutschen Besatzungsmacht
übererfüllt, indem sie auch 4.000 Kinder
festnahmen, die zu dem Zeitpunkt durch
NS-Deutschland nicht „angefordert“ worden waren.
Lange Zeit hatten sich spätere französische
Regierung nach der Befreiung von 1944 geweigert,
Verantwortung für dieses Tun im Namen des Landes zu
übernehmen: Allein die Besatzungsmacht sei für alle
Verbrechen verantwortlich zu machen, und Frankreich
sei nicht in Vichy repräsentiert worden - sondern
in London, wo Charles de Gaulle Zuflucht gefunden
hatte.
Als erstes
Staatsoberhaupt hatte der damals frisch gewählte
Präsident Jacques Chirac sich im Juli 1995 explizit
zu eine französischen Mittäterschaft bekannt. Er
brach damit mit seinen Vorgängern, die sich auf de
Gaulle beriefen, aber auch mit François Mitterrand.
Dieser nominelle Sozialist hatte selbst seine
Karriere in den 1930er Jahren auf der extremen
Rechten begonnen, hielt – wie bei seinem Lebensende
bekannt wurde – bis in die 1990er Jahre Kontakt zum
früheren hohen Vichy-Funktionär René Bousquet und
lehnte stets jegliche französische Selbstkritik zur
Vergangenheit ab.
Macron trat an diesem Punkt nunmehr erkennbar in
die Fußstapfen Chiracs von 1995, welche auch dessen
Nachfolger Nicolas Sarkozy und François Hollande
nicht verlassen hatten. Er erklärte: „Es war
sehr wohl Frankeich, das die Razzia organisierte“;
es sei „kein einziger Deutscher“ bei
der Massenfestnahme direkt dabei gewesen. Auf
Einwände, die sich darauf berufen, Vichy habe keine
Legitimation durch die französische Nation erhalten
– tatsächlich wurde das Regime infolge der
militärischen Niederlage und der Besatzung
errichtete, allerdings stimmte das Parlament der
kollabierten Dritten Republik noch mehrheitlich
einem Ermächtigungsgesetz für Philippe Pétain zu –
antwortete Macron: „Vichy, das waren nicht
alle Franzosen. Doch es war die Regierung und der
Verwaltungsapparat Frankreichs.“
Jean-Luc Mélenchon konnte diese Argumentation nicht
überzeugen. Er erwiderte darauf: „Zu sagen,
dass Frankreich als Volk, als Nation für dieses
Verbrechen verantwortlich sei, bedeutet, eine
vollkommen unakzeptable essentialistische
Definition unseres Landes hinzunehmen.“ Er
fügte hinzu: „Es liegt nicht in der Macht
Macrons, allen Franzosen eine Identität als Henker
zuzuschreiben.“
Bei Mélenchons
Stellungnahme mischen sich dabei sicherlich
unterschiedliche Motive. Zum Einen bleibt
Mélenchon, obwohl er parteipolitisch mit der
Sozialdemokratie gebrochen hat, nach wie vor
Mitterrand als einem historischen Vorbild
verpflichtet. Zum Zweiten begreift er Frankreich,
grundsätzlich zu Recht, als von gegensätzlichen
Interessen durchzogene Gesellschaft. Aber zum
Dritten stellte er sich auch in eine lange
Tradition der französischen Linken – die KP des
Landes wies etwa Jahrzehnte lang einen stark
linksnationalistischen Tonfall auf, den sie an die
Erinnerung an die Kriege gegen Europas Monarchien
von 1792 sowie die Résistance knüpfte -, die sich
auf sehr apologetische Weise auf den Patriotismus
bezieht.
Letzter Punkt wurde
auch deutlich, als Mélenchon ferner im jüngsten
Ringen zwischen Macron und Ex-Generalstabschef de
Villiers, welcher gegen Kürzungen im
Rüstungshaushalt im laufenden Jahr protestierte,
Letztere deutlich verteidigte. Mélenchons nutzte
die Gelegenheit, Emmanuel Macrons autoritären
Führungsstil anzuprangern, beklagte aber zugleich
eine militärische Schwächung Frankreichs und
kritisierte die Pläne zu einer stärkeren
europäischen Verflechtung der Rüstungspolitik.
Editorische Hinweise
Wir
erhielten den Artikel vom Autor für diese
Ausgabe.
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