Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
Berlin-Macher*innen
Der Tagesspiegel berichtete unlängst über zwei aktuelle Vorhaben in Sachen Bau- und Wohnungspolitik in Berlin

von Karl-Heinz Schubert

8/2017

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a) Projektentwickler

Am 22. Juli 2017 war im Tagesspiegel zu lesen, dass auf dem ehemaligen Gelände des Güterbahnhofs Wilmersdorf, gelegen in Friedenau (Stadtbezirk Tempelhof-Schöneberg) demnächst eine der größten innerstädtischen Neubaussiedlungen errichtet werden wird. Die damit verbundene Aufschüttung des Bahndamms führte zu dem illustren Projektnamen "Friedenauer Höhe". Geplant ist dort die Errichtung von 940 Wohnungen unmittelbar parallel zum S-Bahn-Ring und der Stadtautobahn. Von diesen sollen 235 "gefördert"  und die restlichen 705 "frei" vermietet oder als Eigentumswohnungen verkauft werden. 2000 Menschen sollen dort wohnen. Die Siedlungsfläche wird weitgehend "autofrei" bleiben, denn der Autoverkehr soll unter eine zwischen den Wohnhäusern  angelegte Parkanlage verlegt werden. Desweiteren sind eine Kita mit 85 Plätzen  sowie ein Hotel, ein Supermarkt und weitere Gewerberäume geplant. Die Investitionssumme wird mindestens 300 Millionen Euro betragen und bis 2022 soll das Vorhaben abgeschlossen sein. Rechtlichen Support für die Errichtung leistet die Kanzlei Malmendier Hellriegel.

Am 16. September 2016  war der  "Spatenstich" auf der „Friedenauer Höhe“ nur ein hohles Ritual mit wenig Öffentlichkeit, denn ein Bauträger war merkwürdigerweise immer noch  nicht gefunden. Obgleich der Projektentwickler, die BÖ AG Beteiligungs-Aktiengesellschaft, nahezu sechs Jahre gebraucht hatte, um eine baureife  "Friedenauer Höhe" zu konzipieren, nachdem er das Gelände von der Deutschen Bahn 2010 erworben hatte. 

Von der ersten Stunde an wurde die BÖ AG durch das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg tatkräftig unterstützt. Dabei bediente man sich eines sogenannten Werkstattverfahrens, d.h. Bürgern*innen hatten die Möglichkeit mit der BÖ AG als Eigentümer des Geländes unter der Regie des Bezirksamtes über das Projekt zu kommunizieren - eine Mitentscheidung war nicht vorgesehen. Abweichende Meinungen wurden abgewiesen (siehe dazu die Dokumente bei http://www.friedenau-aktuell.de/)

Bis September 2016 hielt die grüne Baustadträtin, Sybill Klotz, hier die Fäden in der Hand. Nach den Wahlen übergab sie den Job ihrem Parteifreund Jörn Oltmann. Oltmann war -  bis er Baustadrat wurde - Immobilienhändler (MCA Berlin Immobilien GmbH) - also einer so richtig vom Fach. Da er beides nicht sein konnte, half ihm Elke Althoff (bis 2013 SPD-Fraktionsvorsitzende in der BVV Tempelhof-Schöneberg) bei der nun dringlich gewordenen MCA-Liquidierung.

Im Juli 2017 konnte  BÖ AG-Vorstand Lars Böge schließlich mitteilen, dass die "Friedenauer Höhe" nun gebaut werden könne. Die BÖ AG hält 25 Prozent des Investitionskapitals am Bauvorhaben und die OFB, ein Unternehmen in der Immobiliengruppe der Landesbank Hessen (Helaba), 75 Prozent. Vermittelt wurde der Deal für dieses Joint Venture von der deutschen Filiale des Chicagoer Unternehmens Jones Lang LaSalle Inc. (JLL). Und sollte die Kapitaldecke für dieses Wagnis nicht reichen, dann ist es nicht ausgeschlossen, dass ein städtisches Wohnungsunternehmen einzelne Bauabschnitte übernimmt. Ein Schelm, der dabei nicht an die Kita und an die Sozialbauwohnungen, die die BÖ AG zu errichten vorgibt, denkt.

Was fällt an diesem Bauvorhaben auf?

Zunächst einmal hat es im Bezirk Tempelhof-Schöneberg kein Alleinstellungsmerkmal. In Mariendorf wurde z.B. mit den Projekt "Hugos Wohngärten" über mehrere Jahre ebenso nach dem gleichen Fahrplan wie bei der "Friedenauer Höhe" verfahren: Der Projektentwickler kauft Terrain und entwickelt ein Wohnprojekt bis zur Baureife, um es dann zu veräußern. Auch hier gab es volle Unterstützung durch das grüne Bauressort des Bezirks, damit 450 Einheiten als Miet- und Eigentumswohnungen auf dem ehemaligen Gelände einer Großgärtnerei gebaut werden können. Nach Abschluss der Projektphase einschließlich der bau- und eigentumsrechtlichen Formalitäten für die Errichtung erfolgte postwendend 2017 der Verkauf von  "Hugos Wohngärten" durch den Projektentwickler an einen Bauträger, in dem Fall die BONAVA.

Auch bei diesem Vorhaben stand für die Grünen sogenannte Bürger*innenbeteilung ganz oben an. Doch was ist im Hinblick auf Bürger*innenbeteiligung gemeint, wenn die grüne Sprecherin für Stadtentwicklung Antje Kapek 2015 programmatisch fordert,

"dass Politik und Verwaltung endlich Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass allen Berlin-MacherInnen, die sich für und in Berlin engagieren, die benötigten Freiräume und Möglichkeiten erhalten bleiben und auch neue geschaffen werden."?  

Und was verbirgt sich hinter dem Label "Berlin-MacherInnen"

"Friedenauer Höhe", "Hugos Wohngärten" oder wie diese Projekte auch immer heißen mögen - für Grüne sind dabei offensichtlich die Baukapitalisten die Berlin-Macher*innen, die lohnarbeitende Berliner Bevölkerung hingegen nur ein partizipatives Alibi bei der Politik gestützten Profitmacherei mit Wohnraum.

Doch das ist nicht der eigentliche Skandal. Bezeichnend ist hier, wie Profite generiert werden, bevor überhaupt mit den Bau begonnen wird. Der Baubeginn wird nämlich über Jahre hinausgezögert, um dann dank zügig gewachsener Bodenpreise höhere Extraprofite abzugreifen. Die lange Wartezeit lässt sich der Projektentwickler selbstverständlich auch als den Endpreis hochtreibende Dienstleistung vergüten. Und handelt es sich dabei um Aktiengesellschaften oder wie bei "Hugos Wohngärten" um eine anfangs in England eingetragene GmbH mit 1 (!) Euro Stammkapital, dann ist für deren fungierende Kapitalisten diese lange Projektphase sowieso mit Null-Riskiko verbunden. Dass solche künstlich aufgeblähten Gestehungskosten  die Miete bzw. den Kaufpreis einer Eigentumswohnung in die Höhe treiben, ergibt sich daraus zwangsläufig. Zu Recht stellen daher im Hinblick auf die "Friedenauer Höhe" Peter Hahn & Jürgen Stich von der Website http://www.friedenau-aktuell.de/ fest:

"Die Freifläche des ehemaligen Güterbahnhofs Wilmersdorf ist zum Spekulationsobjekt gemacht worden – mit Unterstützung der Bezirksfraktionen von SPD, Grünen und CDU."

b) Schulneubauten-Dealer

Ebenfalls am 22. Juli 2017 berichtete der Tagesspiegel in seiner Berlin-Rubrik, wie sich der rot-rot-grüne Senat die Sanierung der maroden Schulbauten und den Bau dringend benötigter Schulneubauten denkt.  Dazu lag ihm die bis dato nicht veröffentlichte Senatsvorlage "S-469/2017" als Quelle vor.

Bereits im Frühjahr 2017 hatte der Berliner Senat die Sanierungskosten für die Schulbauten auf 5,5 Milliarden Euro geschätzt. Im Hinblick auf die anwachsenden Schüler*innenzahlen ging der Senat damals von 70.000 bis 2024/25 aus.  Dafür werden 40 Schulneubauten fällig. Im Juni 2017 hieß es dann in einer Presseerklärung, die die Senatvorlage "S-469/2017" vermutlich zusammenfasst, dass

  • die Bezirke als Schulträger in voller Verantwortung für den baulichen Unterhalt  und die  Sanierungsmaßnahmen verbleiben;
  • zur Entlastung der Bezirke bis zu vier bezirkliche Schulsanierungs-GmbHs eingerichtet  und bei diesen Maßnahmen federführend sein werden;
  • Schulneubauten und Sanierungsfälle mit einem Umfang von jeweils mehr als 10 Mio. Euro der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen übertragen werden;
  • eine Gesellschaft als mittelbare landeseigene Planungs- und Projektsteuerungsgesellschaft mit eigener Geschäftsführung als Tochter der Wohnungsbaugesellschaft HOWOGE gegründet wird, die die Stadtentwicklungsverwaltung bei Neubau- und großen Sanierungsmaßnahmen von mehr als 10 Mio. Euro entlasten soll.

Zeitgleich verbreitete der Finanzsenator über seine Facebookseite folgendes Schaubild, um die zwei Planungsphasen zu illustrieren, die für die Installation dieser Struktur als notwendig angesehen werden.:


Screenshot vom 26.7.2017

Diese vier Punkte und jene Planungssphasen werden zu einem bürokatischen Wirrwarr führen, denn es werden gemäß Tagesspiegel immer die Zuständigkeiten von mindestens drei Senatsverwaltungen (Finanzen, Bildung, Stadtentwicklung) abzulangen sein und dieser Prozess ist unabdingbar eingebunden in Erörterungen mit den Vertretern der Bezirke sowie mit den Sanierungs-GmbH's und der Senatskanzlei. Daher soll es dem Vernehmen nach noch ein "Projektteam" geben, mit dessen Hilfe eine "Taskforce" Entscheidungen an allen vorbei direkt an sich ziehen kann.

Der eigentliche Hammer verbirgt sich freilich hinter der nichtssagenden Formulierung "Projektsteuerungsgesellschaft als Tochter der HOWOGE". Laut Tagesspiegel soll diese Gesellschaft dazu dienen, über ein von ihr zu schaffendes privatwirtschaftlich arbeitendes "Profitcenter" Kredit am Kapitalmarkt zu akquirieren. Es soll sich zunächst um eine Milliarde Euro Kredit handeln. Damit droht ein prächtiger Schattenhaushalt - schließlich geht es um 5,5 Milliarden Euro (gut 20% des Berliner Haushalts 2017), die insgesamt bis 2024/25 finanziert werden müssen. Mit ihm wird die ab 2020 gesetzlich greifende Haushaltsschuldenbremse umgangen.

Und wozu das Ganze?

Die Antwort dazu gibt uns Finanzsenator Kollatz-Ahnen (SPD) auf seiner Facebookseite:


Screenshot vom 26.7.2017

... und wenn diese famose Tochtergesellschaft, wie weiland die Bankgesellschaft Berlin in "Zwang" gerät, dann werden eben privatkapitalistische Gläubiger fortan Eigentümer dieser Schulen.

Viele Leute in der Stadt glaubten - und nicht zuletzt wegen rein partizipativ fungierender Initiativen wie z.B. Kotti & Co., dass durch "Teilhabe"-Diskurse ein Kurswechsel mit Rot-Rot-Grün in der Wohnungspolitik angestoßen werden kann.  Das Gegenteil davon erweist sich erneut als richtig: Nicht die Politik bestimmt die Ökonomie, sondern das Wirken der Gesetze der Kapitalverwertung treibt die Politik vor sich her.

Vielfältige Kommunikationsebenen, dem staatlichen Machtapparat zu Diskurszwecken an- und eingegliedert, bilden einen wunderbaren Rauchvorhang, der nicht nur diesen kapitalistischen Verwertungzusammenhang verdunkeln hilft, sondern auch viele kleine Selbstdarstellungsbühnen für prekäre Mittelschicht-Intellektuelle bereit hält.

Nun kommen zu guter Letzt auch noch Handel und Vermietung von Schulgebäuden als Staatsaufgabe dazu. Und das alles unter aktiver Mittäterschaft der letzten in der Stadt verbliebenen sozialdemokratischen Bastion für soziale Gerechtigkeit im Kapitalismus: Die Linkspartei.