Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Adama Traoré oder: A black live did not matter to police
In Frankreich führte der mutmaßlich durch Gendarmeriebeamte verursachte Tod eines jungen Schwarzen in Polizeigewahrsam zu Unruhen und Demonstrationen in Pariser Banlieues.

08/2016

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Hat der Herr Staatsanwalt gelogen, oder einfach nur durch Auslassen einer wichtigen Information die Unwahrheit gesagt? Diese Frage stellt sich ein wachsender Teil der Öffentlichkeit in Frankreich, nachdem für die Ermittlungsbehörden peinliche Informationen im Laufe der vergangenen beiden Wochen an die Öffentlichkeit zu dringen begannen.

Es geht um den Tod des 24jährigen Adama Traoré, der am 19. Juli dieses Jahres im Gewahrsam der Gendarmerie – es handelt sich um einen, dem Verteidigungsministerium unterstehenden Zweig der Polizei – verstarb. Sein Tod in der Pariser Vorstadt Persan kam vielen Familienmitgliedern und Freunden des jungen Mannes von Anfang an suspekt vor. Die Staatsanwaltschaft ließ daraufhin eine Autopsie anfertigen, deren Ergebnisse am 21. Juli vorlagen, und holte unter dem Druck der Familie und der örtlichen Öffentlichkeit ein Zweitgutachten ein. Dessen Resultate lagen eine Woche nach der ersten Expertise vor.

Der zuständige Staatsanwalt in der Bezirkshauptstadt Pontoise, Yves Jannier, verkündete zunächst, in den Stunden nach Traorés Tod, der junge Mann sei an Herzversagen verstorben. Nach dem ersten Autopsiebefund trug er eine neue Variante vor: Man habe, ließ er über alle Medienkanäle verkünden, „eine schwere Infektion“ bei Adama Traoré festgestellt. An ihr sei er mutmaßlich verstorben – nur merkwürdig, dass die Infektion ausgerechnet innerhalb der ersten dreißig Minuten nach Traorés Festnahme durch die Gendarmerie urplötzlich zu seinem Tode führte. Die Gutachter hatten allerdings gar nicht von einer akuten Infektionskrankheiten gesprochen, sondern „Spuren“ einer solchen im Körper festgestellt. Es handelte sich möglicherweise um eine Hepatits-Erkrankung, die jedoch sicherlich nicht den schnellen Tod erklären kann. Nach der Zweitexpertise redete der Staatsanwalt sich darauf heraus, die Todesursache sei unbekannt und könne – wenn überhaupt -erst „nach umfassenden Analysen“ toxikologischer, bakteriologischer und sonstiger Art festgestellt werden. Aber, beeilte er sich hinzufügen, es seien „keine signifikanten Spuren von Gewalteinwirkung“ an Traorés Leiche festgestellt worden.

Nur leider vergaß der eifrige Beamte, ein vielleicht nicht unwichtiges Detail zu erwähnen: Beide Autopsieberichte hatten ein „Erstickungssyndrom“ erwähnt, das zum Tode habe führen können. Die Erste-Hilfe-Mannschaft der Feuerwehr, die den klinischen Tod Adama Traorés offiziell feststellte, fand zudem Spuren von Erbrochenem. Mehrere Zeitungsberichte in der ersten Augustwoche, die in der linksliberalen Tageszeitung Libération (vgl. http://www.liberation.fr/) aber auch im konservativen Figaro (vgl. http://www.lefigaro.fr) erschienen, sowie ein Artikel der Nachrichtenagentur AFP – vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu - erhellen nun auch das tatsächliche Geschehen, wie es sich wahrscheinlich zutrug: Drei Gendarmeriebeamte hatten sich mit ihrem vollen Körpergewicht auf Traorés Körper gekniet, um ihn festzunehmen. Der 24jährige hatte selbst keine Straftat begangen. Die Beamten suchten seinen Bruder Bagui Traoré wegen Ermittlungen zu einem Eigentumsdelikt. Adama Traoré, der sich in seinem Beisein befand, hatte sich der Kontrolle zunächst entzogen - nur, weil er zum fraglichen Zeitpunkt keine Ausweisdokumente bei sich trug, gibt jedenfalls seine Familie zu Protokoll. Die Angehörigen haben inzwischen zwei Strafanzeigen gegen die Sicherheitskräfte angekündigt; vgl. http://www.lefigaro.fr/

Die Nachricht vom mutmaßlich durch die Beamten verursachten Tod Traorés löste in den beiden Pariser Trabantenstädten Beaumont – wo die Familie wohnhaft war – und Persan mehrere Nächte lang Unruhen aus. Bei einer improvisierten Pressekonferenz wurden anwesende Jugendliche befragt, warum dabei Autos gebrannt hätten. Diese antworteten: „Hätten keine gebrannt, wären Sie jetzt nicht hier!“, woraufhin keine Widerrede von den anwesenden Journalisten kam. Die Polizei patrouillierte mehrere Nächte hindurch mit Sturmgewehren vom deutschen Hersteller Heckler & Koch durch die hauptbetroffenen Stadtteile. Diese Waffen waren seit dem vergangenen Winter an manche Einheiten verteilt worden, weil sie erlaubten, „einen terroristischen Angriff innerhalb von 20 Minuten abzuwehren“, wie Innenminister Bernard Cazeneuve damals erklärte. Der Kontext, in dem sie nun auf die Straßen geholt wurden, hatte jedoch mit Terrorismus nichts zu tun. Am 22. Juli 16 fand ferner ein friedlicher Trauermarsch in Beaumont statt. Zu ihm reisten auch zahlreiche Mitglieder etwa der Pariser Platzbesetzerbewegung aus dem Frühjahr d.J., Nuit debout, in die Vorstadt an.

Am Samstag, den 30. Juli sollte zudem eine Demonstration vom Pariser Nordbahnhof aus zur place de la République führen, an ihr nahmen knapp 1.000 Menschen teil. Sie kamen nicht weit. Nach nur zwanzig Metern wurden die Teilnehmer/innen eingekesselt, einige verharrten daraufhin über fünf Stunden im Kessel. Die Einsatzleitung berief sich darauf, der Protestzug sei nicht angemeldet gewesen. Die Familie Traoré wies gegenüber den Medien eine elektronische Anmeldebestätigung vor, die ihr 36 Stunden vor Beginn der Demonstration zu gegangen wart. Normalerweise genügen 24 Stunden. Die Polizei beruft sich jedoch auf den Ausnahmezustand – dieser erlaube es, die Frist auf 72 Stunden zu verlängern.

Post scriptum: Adame Traoré wurde inzwischen im Herkunftsland seiner Familie, in Mali, beerdigt. (Vgl. http://www.liberation.fr/ ) Die Regierung des westafrikanischen Landes fühlte sich zunächst bemüßigt, öffentlich festzustellen, Adame Traoré habe aber nicht dessen Staatsbürgerschaft besessen (vgl. http://www.francetvinfo.fr/ ). Inzwischen hat Staatspräsident Ibrahim Boubacar Keita alias „IBK“ – den die Familie anfänglich zu einer Stellungnahme aufgefordert hatte – diese Haltung jedoch korrigiert, und die Angehörigen des Getöteten empfangen. (Vgl. http://maliactu.net )

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.