Kampf gegen Rassismus
Welche Taktik brauchen wir?

von
Martin Suchanek

08/2016

trend
onlinezeitung

“Aufstehen gegen den Rassismus“, „Welcome2stay“, „Nationalismus ist keine Alternative“: Es mangelt nicht an bundesweiten Vernetzungsversuchen gegen rechte Schläger, die erstarkende AfD und auch gegen den staatlichen Rassismus (wenngleich das Letztere bei „Aufstehen gegen den Rassismus“ wenig ausgeprägt ist.

Viele Konferenzen, wenig Aktion

In den letzten Monaten fanden mehrere öffentliche „Aktionskonferenzen“ statt. Aufstehen gegen Rassismus und Welcome2stay zogen wie schon frühere ähnliche Konferenzen hunderte TeilnehmerInnen an. Viele artikulierten dabei ein Bedürfnis nach gemeinsamer Aktion und verbindlicher Absprache. Auch Verbindung des Kampfes gegen den Rassismus mit der „sozialen Frage“,die Bildung eines schlagkräftigen bundesweiten Bündnisses und internationale Koordinierung wurden immer wieder eingefordert.

Gleichzeitig zeichneten sich alle Treffen dadurch aus, dass wenig bis gar keine verbindlichen Absprachen getroffen wurden: „Aktionskonferenzen“mit reichlich wenig Aktion! Es ist in dieser Hinsicht bemerkenswert, dass das Bündnis „Jugend gegen Rassismus“ mit dem Schulstreik am 29. April sich deutlich davon unterscheidet, obwohl es nur über geringe Kräfte und finanzielle Mittel verfügt.
„Aufstehen gegen Rassismus“ legt den Schwerpunkt auf die Ausbildung von „StammtischkämpferInnen“, kombiniert mit einer mehr oder weniger diplomatischen Absprache zu einer bundesweiten (Groß-)Demo am 3. September in Berlin. Forderungen, die sich gegen die Politik der Bundesregierung, also auch der SPD, richten, gegen den Sozialchauvinismus der Gewerkschaftsführungen wie auch der Spitze der Linkspartei, blieben außen vor. Betrieben wird das Bündnis von einer Allianz aus Teilen der Gewerkschaftsbürokratie (darunter auch SPDlerInnen), der Linkspartei, attac und „Interventionistischen Linken“. Seine Ausrichtung ist letztlich das Ergebnis diplomatischer Absprachen hinter verschlossenen Türen.

„Welcome2stay“ präsentiert einen anderen „Lösungsansatz“. Statt eine inhaltsleere Abschlussresolution zu präsentieren, gibt es gar keine Bündnisabsprachen. So besteht Mauschelei nicht in Formelkompromissen, sondern im Konsens, dass nichts zu beschließen ist außer einem „Folgetreffen“. Fragt sich nur, wie lange die AktivistInnen sich solcherart von einer Konferenz auf die nächste vertrösten lassen.

Das anti-national bis anti-deutsch geprägte „Nationalismus ist keine Alternative“ plagt sich angesichts dieses Zustandes mit der Frage rum, ob es sich an den „Großaktionen“ anderer Bündnisse, insbesondere der bundesweiten Demo am 3. September, überhaupt beteiligen soll. Besonders „Radikale“ glauben anscheinend, die ReformistInnen durch das Fernbleiben von größeren Aktionen und den Verzicht auf Bündnispolitik „abzustrafen“.

Welches Bündnis?

Angesichts solcher StrategInnen erscheinen in Deutschland oft die opportunistischen Kräfte der „radikalen Linken“ als die klügeren. Immerhin haben sie die für sich genommen recht banale Erkenntnis voraus, dass die rassistische Gefahr, die vom staatlichen Rassismus über die AfD bis hin zu offenen Nazi-Gruppierungen reicht, nur durch eine Massenkraft gestoppt werden kann.

Wenn es eine Massenbewegung gegen den Rassismus geben soll, braucht es aber auch einen ernsthaften Versuch, eine solche aufzubauen. Das heißt erstens, dass große Konferenzen zu verbindlichen Aktionsbeschlüssen führen und gemeinsame Forderungen festlegen müssen. Unserer Meinung nach sollte sich das auf folgende Punkte konzentrieren:

a) Offene Grenzen für alle! Nein zur Festung Europa und allen Abschiebungen! Gleiche Rechte für alle, die hier leben! Nein zu den staatlichen Zwangsmaßnahmen gegen MigrantInnen und Flüchtlinge, nein zu geplanten sog. „Integrationsgesetzen“!
b) Gemeinsamer Kampf für Arbeit und Wohnraum für alle! Mindestlohn von 12,- Euro/Stunde für alle, entschädigungslose Enteignung leerstehenden Wohnraums und ein öffentliches Wohnungsbauprogramm unter Kontrolle der MieterInnen und Gewerkschaften!
c) Aufbau eines bundesweiten und internationalen anti-rassistischen Aktionsbündnisses! Aktionskomitees in Betrieben, an Schulen, Unis, in den Stadtteilen und Kommunen! Organisierte Selbstverteidigung gegen rassistische und faschistische Angriffe!

Taktik gegenüber dem Reformismus

Zweitens reicht es nicht aus, die Forderung nach einem Aktionsbündnis nur an jene Kräfte zu stellen, die schon mehr oder weniger konsequent „anti-rassistisch“ sind. Sie muss auch gegenüber den Massenorganisationen formuliert werden, die die ArbeiterInnenklasse politisch prägen und sich auf sie stützen. Diese Kräfte sind heute nun mal die DGB-Gewerkschaften, die SPD und die Linkspartei.
Unter vielen wird die Frage diskutiert, ob heute noch ein „Bündnis“ mit der SPD oder die Anwendung der Einheitsfronttaktik zulässig sei. Die kommunistische ArbeiterInnenbewegung hat vor ihrer späteren Degeneration in den 20er Jahren diese Frage eindeutig bejaht. Sie hat dabei jedoch anders als viele der heutigen BefürworterInnen solcher Bündnisse immer darauf bestanden, dass die Einheitsfront auf die gemeinsame Aktion beschränkt sein müsse und die KommunistInnen nicht auf die Kritik an den „PartnerInnen“ verzichten dürfen.

Genau diesen Verzicht üben aber viele Kräfte der radikalen oder zentristischen Linken, z. B. die IL und marx21 in „Aufstehen gegen Rassismus“. Es scheint ihnen , dass es ein Bündnis nur geben könne, wenn sie sich politisch den Apparaten von Linkspartei, Gewerkschaften und attac unterordnen.
Andere Linke wiederum sehen das als „Beleg“ dafür, dass eine „Einheitsfrontpolitik“ gegenüber reformistischen Massenorganisationen zwar „allgemein“ richtig, in der konkreten Situation aber gar nicht möglich sei, weil es keine kommunistische Partei gebe wie in den 20er Jahren.

Hier wird das Problem auf den Kopf gestellt. Die falsche ultralinke KPD-Politik in den 20er und frühen 30er Jahren erschien ihren AnhängerInnen noch überzeugend wegen der Verbrechen der SPD, aber auch wegen der politischen Schwerkraft der KPD als Massenpartei. Doch selbst unter diesen Bedingungen erwies sich der Verzicht auf die Einheitsfronttaktik gegenüber der Sozialdemokratie als fataler politischer Fehler, der zu einer historischen Katastrophe geführt hat.

Umso fragwürdiger ist die Vorstellung, dass angesichts der Schwäche, Zersplitterung und politischen Konfusion der „radikalen Linken“ die Frage nicht aktuell wäre, wie die ArbeiterInnenklasse in ihrem realen und nicht bloß gewünschten politischen Zustand mobilisiert werden kann. Unbestritten ist die SPD heute eine andere Partei als in den 20er Jahren, bürgerlich und sozialchauvinistisch bis auf die Knochen war sie aber auch damals. Die für die kommunistische Taktik entscheidende Frage ist aber: Übt sie heute noch immer einen wichtigen, ja dominierenden Einfluss auf die organisierte ArbeiterInnenbewegung aus? Die Frage zu stellen, heißt sie zu beantworten. Und wer es nicht glaubt, untersuche nur das Verhältnis zwischen SPD und Gewerkschaften!

Massenkraft nötig

Um die rassistische Welle im Land zu brechen, braucht es eine Politik, die ArbeiterInnenklasse zu mobilisieren, für den Kampf zu gewinnen. Das wird ohne klare Forderungen, ohne bewussten Kampf gegen Rassismus und Sozialchauvinismus in den eigenen Reihen, aber auch ohne Forderungen an ihre Organisationen nicht möglich sein. Natürlich kann eine kleine linke Gruppierung den dazu nötigen Druck nicht alleine entfalten. Es ist aber die Mindestanforderung an revolutionäre Politik, das offen auszusprechen, was heute notwendig ist, um den Rechtsruck zu stoppen. Darüber hinaus ist es sehr wohl möglich, auch größere Organisationen durch Absprachen zwischen kleineren Gruppen auf bestimmte Aktionen zu verpflichten oder diese wenigstens so unter Druck zu setzen, dass sich Teile anschließen.

Die Ablehnung einer systematischen Politik gegenüber diesen Massenorganisationen sabotiert letztlich die für den Sieg über die Rechten notwendigen Taktiken und politischen Schritte. Ein solches Herangehen bleibt bestenfalls abstrakt.

Es wird auch nicht durch die Fehler anderer „Linker“ besser. Die radikale Linke schwankt beständig zwischen Sektierertum und Opportunismus, ob z. B. Bündnisse mit „Bürgerlichen“ zulässig sind oder nicht. Schon hinter der Formulierung steckt oft genug Verwirrung. Welche Kräfte, Parteien sind eigentlich bürgerlich? Für MarxistInnen sind das alle, die in letzter Instanz das kapitalistische Privateigentum und die bürgerliche Ordnung verteidigen. In diesem grundlegenden Sinn sind Linkspartei, Grüne, SPD, CDU/CSU und die AfD bürgerliche Parteien.

Wäre damit die Frage politischer Taktik erschöpft, müsste jedes Bündnis mit nicht-revolutionären Kräften abgelehnt werden. „Revolutionäre“ Politik würde sich in Proklamation, Aufklärung und Propaganda der Tat erschöpfen. Für KommunistInnen ist das vollkommen unzureichend. Es ist vielmehr nötig, unter den bürgerlichen Parteien hinsichtlich ihres Verhältnisses zur ArbeiterInnenklasse zu unterscheiden. Sind sie Teil einer historisch gewachsenen, über Organisationen, soziale Bindungen, Traditionen, Ideologien vermittelten ArbeiterInnenbewegung oder nicht? Stützen sie sich sozial und organisch auf die ArbeiterInnenklasse? Auf SPD und Linkspartei trifft das zu, daher charakterisieren wir sie als bürgerliche ArbeiterInnenparteien.

Klassenkampf oder „Bündnis der Demokraten“

Die Notwendigkeit der Einheitsfronttaktik ergibt sich aber auch daraus, dass der Kampf gegen den Rassismus ein integraler Bestandteil des Klassenkampfes selbst ist.

Es geht nicht darum, irgendein „breites Bündnis“, sondern eine ArbeiterInneneinheitsfront gegen Rassismus aufzubauen. Wir lehnen die Forderung nach einem Bündnis der „Demokraten“, der „Anständigen“ usw. ab, weil ihm zugrunde liegt, dass der Kampf gegen Rassismus außerhalb der Sphäre des Klassenkampfes stattfindet.

Nicht „die DemokratInnen“, sondern die multiethnische ArbeiterInnenklasse ist das potenzielle Subjekt dieses Kampfes. Die Ziehung von Grenzen, nationale wie rassistische Unterdrückung dienen - trotz der damit einhergehenden Privilegien für Teile der Klasse, die in Ländern wie Deutschland mit einer großen ArbeiterInnenaristokratie sehr groß sein können - letztlich nur der herrschenden Klasse und der Aufrechterhaltung ihrer imperialistischen Ordnung.

Zweifellos können die chauvinistischen Teile der Klasse von dieser Politik weg nicht durch bloße Überzeugungsarbeit gewonnen werden. Es bedarf auch eines Organisierens der rassistisch unterdrückten ArbeiterInnen und eines entschiedenen Auftretens der unterdrückten und bewussteren Teile der Klasse gegen jeden Chauvinismus nicht nur von „Funktionären“, sondern auch an der „Basis“.
Aber die notwendige Einheit im Kampf kann durch ein Bündnis mit offen bürgerlichen Parteien nicht hergestellt werden, wird vielmehr dadurch konterkariert, weil es so erscheint, als ginge es beim Kampf gegen den Rassismus um einen Kampf der „Anständigen“ gegen die „Unanständigen“ aller Klassen. Die Reformisten wollen im Grunde nur das. Um aber ihren Einfluss in der Klasse zu brechen, reicht es nicht aus, sie für ihre Unterordnung unter bürgerliche Kräfte und ihre bürgerliche Politik zu kritisieren. Sie müssen vielmehr zu einem Bruch damit aufgefordert werden, um so auch den Gegensatz zwischen den Interessen ihrer lohnabhängigen AnhängerInnen und Mitglieder und den BürokratInnen zuzuspitzen.
Beim Kampf um die ArbeiterInneneinheitsfront geht es daher darum, aktiv an alle Organisationen der ArbeiterInnenklasse heranzutreten. Gelingt es, die Gewerkschaften oder reformistischen Parteien dafür zu gewinnen, so muss von ihnen v. a. eine konsequente Mobilisierung sowie eine Umsetzung der Verabredungen auf allen Ebenen (Betriebe, Gewerkschaften, Selbstverteidigung, Abstimmungen in Parlamenten) eingefordert werden. Setzen sie diese Absprachen inkonsequent oder gar nicht um, so müssen sie öffentlich dafür kritisiert werden. Sollten sie sich überhaupt weigern, gemeinsam zu mobilisieren, so liegt die politische Verantwortung dafür bei ihren Führungen. Das eröffnet zugleich die Möglichkeit, die unzufriedenen AnhängerInnen dieser Kräfte davon zu überzeugen, dass die ReformistInnen auch den gemeinsamen Kampf für demokratische und soziale Rechte nicht wirklich aufnehmen wollen und können. Geheimabsprachen und politische Stillhalteabkommen mit den BürokratInnen sind daher fehl am Platz. Sie binden nur die Linken an die ReformistInnen und suggerieren der Masse ein falsches und trügerisches Gefühl der politischen Einheit. Einheitsfrontpolitik muss daher mit offenem Visier geführt werden.

  • PM per email   von ARBEITER/INNEN/MACHT-INFOMAIL
    Nummer 897 13. August 2016