Madame machte aus ihrem Herzen
keine Mördergruppe, sondern ließ
ihren zynischen Hoffnungen freien Lauf. Auf ihrem
Twitter-Konto legte „Laure94100“ – die
Zahlenkombination entspricht einer Postleitzahl im
südlichen Pariser Umland – ihr Kalkül freimütig
offen. Die Userin, die laut eigenen Angaben als
Krankenschwester arbeitet und sich zu ihrer
Mitgliedschaft beim Front National (FN) bekennt,
plauderte so mit Blick auf die Schießerei
in München vom vorigen Freitag aus: „Ich hoffe,
dass die Motivation islamistisch ist. Das zahlt sich
in den Wahlurnen aus.“ Dies entfachte eine
kleine Diskussion.
So weit zu hoffen, dass überhaupt
möglichst viele Attentate oder Amokläufe stattfinden,
damit ihre Partei bei Wahlen möglichst noch besser
absehnen kann, ging die Frau mittleren Alters denn
doch nicht. Jedenfalls nicht nach außen
hin, über ihr Innenleben kann nur spekuliert werden.
Vor einem guten halben Jahr hatte ihre Parteifreundin
Marion Maréchal-Le Pen - Abgeordnete in der
Nationalversammlung und damals Spitzenkandidatin bei
den Regionalparlamentswahlen in Südostfrankreich - im
Fernsehen ebenfalls recht offen frohlockt, die
vorausgegangenen Pariser Anschläge hätten ihrer
Partei genutzt. Um nach kurzem Nachdenken dann noch
den Satz hinterherzuschieben: „Ohne den
Zynismus so weit zu treiben, einen Vorteil daraus
schöpfen zu wollen. Es ist nur eine Feststellung.“
Man wird doch noch mal sagen dürfen!
Die
Wirklichkeit hat „Laure94100“ ja den gewünschten
Gefallen nicht erwiesen. Polizeilichen Angaben
zufolge war der 18jährige Deutsch-Iraner, der in
München neun Menschen und sich selbst tötete, eher
von dem norwegischen Neofaschisten Anders Behring
Breivik fasziniert, als dass er jihadistisch
inspiriert gewesen wäre. Er hatte auch pünktlich am
fünften Jahrestag von Breiviks 77fachem Mord in Oslo
und auf der Insel Utoya zugeschlagen. Viele
rechtsextreme Parteifreunde der
Gesundheitsbediensteten wollen es dabei jedoch nicht
bewenden lassen.
Auch wenn der FN seit 2011 dem
Antisemitismus offiziell abschwört – seine Führung
betrachtet, wie der Vivevorsitzende Louis Aliot es
formuliert hat, den Vorwurf des Antisemitismus als
„letzten Sperrriegel“, der die
rechtsextreme Partei von anerkannter Politikfähigkeit
und Bündnisoptionen trenne -, zählen
verschwörungstheoretische Denkelemente doch zu seinem
Kerngeschäft. Sie werden nur anders begründet als bei
offenen Antisemiten, und mit dem angeblichen Plan
eines beabsichtigten Bevölkerungsaustauschs in
Verbindung gebracht. Folgerichtig zeigen sich
führende Parteifunktionäre felsenfest davon
überzeugt, es gebe ein Komplott der Eliten, um dem
Volk die volle Wahrheit über München zu verbergen.
Der parteilose, doch auf einer Liste des FN gewählte
Bürgermeister von Béziers, Robert Ménard, erklärte
dazu etwa: „München: Soll man sich mit der
offiziellen Wahrheit begnügen?“ Und der zum
FN gehörende Bürgermeister von Hayange in Lothringen,
Fabien Engelmann, pflichtete bei Twitter bei:
„Wieder ein Depressiver, man warnt uns vor
unzulässigen Vermischungen. Wahrhaft ansteckend! Man
belügt uns.“
Die Wählerschaft der
modernisierten neofaschistischen Partei zeichnet sich
unterdessen dadurch aus, dass sie als einzige
politische Gruppe in der französischen
Parteienlandschaft mehrheitlich daran glauben,
„der Staat könnte alle Attentate verhindern“,
wenn er denn nur wolle. Was zwei
Deutungsmöglichkeiten zulässt, die sich nicht
gegenseitig ausschließen:
Entweder sind diese Parteisympathisanten vollständig
autoritätsgläubig, oder aber sie unterstellen der
amtierenden Regierung, sie wolle einfach Anschläge
und Amokfahrten nicht verhindern. Beides lässt sich
natürlich miteinander kombinieren, - die Synthese
wird durch die Vorstellung hergestellt, es müssten
doch nur einmal echte Volksvertreter ans Ruder kommen
und dem wahren Volkswillen wieder Geltung
verschaffen.
Mehrheitlich zeigen die
Französinnen und Franzosen sich in letzten Umfragen
skeptisch, was die Wirksamkeit des nunmehr bis Januar
2017 verlängerten – und bis dahin über ein Jahr lang
geltenden – Ausnahmezustands zum Schutz vor
Attentaten betrifft. Dafür gibt es auch allen Grund:
Die Mordfahrt von Nizza am 14. Juli 16 fand nicht nur
im Ausnahmezustand statt, sondern auch in der Stadt
mit der höchsten Dichte an Überwachungskameras in
ganz Frankreich. In einem Teil der Stadt sind so
genannte „intelligente Kameras“ in der Lage, Worte
auf 200 Meter Entfernung von den Lippen
vorbeigehender Menschen abzulesen oder die Straßenbeleuchtung
je nach Passantendichte zu regulieren. Doch der
Attentäter von Nizza fuhr tagelang unter den Augen
der Kameras seine Probefahrten. Aber wenn sogar im
nationalsozialistischen Deutschland Attentate auf den
„Führer“ durchgeführt werden konnten und Uiguren in
China Bomben legen können, darf auch kaum angenommen
werden, polizeistaatliche Maßnahmen
zeigten Wirkung gegen Anschlagspläne. Die neueste
Variante des Ausnahmezustandsgesetzes, die seit dem
26. Juli d.J. gilt, bietet gleichzeitig erstmals eine
offene, schwarz auf weiß
geschriebene Rechtsgrundlage für Demonstrations- und
Kundgebungsverbote, für den Fall, dass „die
Polizei sich mit der Gewährungsleistung der
Sicherheit von Versammlungen überfordert“
fühlt. Das ist keine Reaktion auf Terrorakte, sondern
auf die Demonstrationen im Frühjahr.
Bei einer
Umfrage, die am Samstag, den 23. Juli 2016 publiziert
wurde, erklärten 54 Prozent der Befragten, der
Ausnahmezustand biete keinen Schutz gegen Attentate.
45 Prozent halten ihn dagegen für „nützlich“. Und 78
Prozent sind der Auffassung, auch wenn sie alles in
ihrer Macht Stehende tue, könne die Regierung nicht
sämtliche Anschlagsplanungen vereiteln. In der
Wählerschaft des FN glauben zwar auch nur 34 Prozent
heute an die Wirksamkeit des, durch die jetzige
Regierung verhängten Ausnahmezustands. Doch 56
Prozent von ihnen glauben an die Möglichkeit, der
Staat könnte alle Attentate verhindern, falls er nur
wolle. Es handelt sich um die einzige Wählergruppe,
die mehrheitlich in diesem Sinne denkt.
Außerhalb des FN
Nicht allein der FN positioniert
sich zu den Attentaten. In Nizza greift in Teilen der
Bevölkerung eine offen rassistische Stimmung um sich,
wie die rechtsextreme Webseite NDF.fr unter dem
Titel „Befreiung der Rede gegen Einwanderung und
Islamisierung“ triumphierend berichtet. Diese
Tatsache nimmt auch vor dem Hintergrund nicht wunder,
dass die Stadt ein ausgeprägt rechtes Meinungsklima
besitzt – vor allem sich seit 1962 viele Pieds
noir, frühere französische Siedler in
Algerien, hier niederließen
und ein dichtes Vertriebenenmilieu bildeten. Dieses
hat die Politik der Stadt lange Zeit dominiert. Von
1995 bis 2008 wurde Nizza von einem Bürgermeister
regiert, Jacques Peyrat, der von der Parteigründung
1972 bis 1994, also wenige Monate vor seiner Wahl,
selbst dem FN angehörte. Er wechselte dann später zu
den Konservativen.
Auch die eher außerparlamentarisch
aktive „identitäre Bewegung“ hat in Nizza eine
Hochburg, hier traten ihre Vertreter auf kommunalen
Wahllisten des FN mit an. Ihre Hauptorganisation, der
frühere Bloc identitaire, hat sich soeben in
Les Identitaires im Plural umbenannt. In
einer Presseerklärung fordern „die Identitären“ nun
Altbekanntes, dessen Richtigkeit angeblich durch das
Nizzaer Attentat unter Beweis gestellt worden sei:
Abschiebung straffälliger Ausländer; Verbote
muslimischer Vereinigungen bis hin zur
konservativ-reaktionären, doch bestimmt nicht
jihadistischen UOIF; Stärkung von Polizei und Armee
sowie den Abbruch bestehender Beziehungen zu den
Golfländern.
Die
rechtskatholisch-fundamentalische Vereinigung
Civitas, die soeben den Parteienstatus erworben hat,
sieht die Ursachen unterdessen eher darin, dass das
offizielle Frankreich gegen Syriens legitimen
Präsidenten Baschar Al-Assad – der ja auch die
orientalischen Christen schütze – Position beziehe.
Dadurch habe es die Jihadisten erst ermutigt. Dafür
greift Civitas Präsident François Hollande, Außenminister
Laurent Fabius und den Schriftsteller sowie
Interventionsbefürworter Bernard-Henri Lévy scharf
an.
Wohl am „durchgeknalltesten“ von
allen rechtsextremen Strömungen und Publikationen
wirken jedoch die Internetzeitung Riposte
Laïque (ungefähr: „Gegenschlag der
Säkularisten“) und ihr Umfeld. Bei ihnen handelt es
sich um hauptberufliche Moslemhasser, die bei Wahlen
den Front National und Marine Le Pen unterstützen,
jedoch auf keinerlei taktische Erfordernisse in
Ausdruck & Auftreten Rücksicht nehmen, wie eine
Wahlpartei dies tun muss. (Und sogar Teilen des FN
sollen diese wahnwitzigen Hassprediger mittlerweile
nur noch auf die Nerven gehen.) Riposte Laïque
versuchte, Anti-Antifademonstrationen mit zu
initiieren, nachdem im Juni 2013 der 18jährige
Antifaschist Clément Méric getötet worden war und es
zu linksradikal geprägten Protesten kam. Die
Publikation verfügt über einen gewissen Einfluss im
Lehrinnen- und Lehrer, aber auch im Polizistenmilieu,
jeweils an deren extremen Rändern, doch diese
beginnen ja auszufransen.
Im Zusammenhang mit den jüngsten
Ereignissen versteigt sich Riposte Laïque
wiederholt zu schreiend radikalen Titeln und Phrasen.
Ihre Ausgabe vom 19. Juli 16 ist beispielsweise
überschrieben mit: „Um den Völkermord an den
Franzosen zu vermeiden, ist es nötig, die Moslems
abzuschieben.“ Am 20. Juli macht die
Publikation mit dem Titel auf (welcher auf eine
herbeihalluzinierte angebliche Zahl von Moslems in
Frankreich Bezug nimmt, während das liberale
Wochenmagazin L’Express deren Anzahl
auf 3,5 Millionen schätzt): „Zehn Millionen
angeblich gemäßigte Moslems können uns jederzeit
töten.“
30 von
84 Toten sind muslimischer Konfession
Nizza und sein, wesentlich
preisgünstigeres, Hinterland sind beliebte
inländische und internationale Urlaubsziele. Die
Todesfahrt von Mohamed Bouhlel traf deswegen beileibe
nicht nur französische Staatsbürger oder christliche
Abendländer. Dreißig
der Todesopfer sind selbst muslimischer Konfession,
oder Abkömmlinge muslimischer Familien, die
vielleicht der Religion auch indifferent gegenüber
standen. Und 34 der insgesamt 84 der Ermordeten waren
ausländische Staatsangehörige, unter anderem aus
Kasachstan, Tunesien, Algerien und Marokko – zwischen
beiden Gruppen gibt es eine Schnittmenge, aber sie
sind nicht identisch. Als erstes seiner Opfer
überfuhr Bouhlel eine marokkanische Rentnerin, die
ein Kopftuch trug. Auf Glaubenszugehörigkeit nahm der
Täter also keinerlei Rücksicht. Aber es versteht sich
von selbst, dass aus Sicht der extremen Rechten
unterschiedlicher Couleur mehr denn je „die Muslime“
im Krieg mit dem europäischen Kulturerbe oder dem
Abendland stehen.
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