Bernard Schmid berichtet aus Frankreich
„Hoffentlich ein islamistisches Attentat, das zahlt sich aus..“
Der Front National und die übrige extreme Rechte zu den Attentaten und ihren innenpolitischen Folgeerscheinungen

08/2016

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Madame machte aus ihrem Herzen keine Mördergruppe, sondern ließ ihren zynischen Hoffnungen freien Lauf. Auf ihrem Twitter-Konto legte „Laure94100“ – die Zahlenkombination entspricht einer Postleitzahl im südlichen Pariser Umland – ihr Kalkül freimütig offen. Die Userin, die laut eigenen Angaben als Krankenschwester arbeitet und sich zu ihrer Mitgliedschaft beim Front National (FN) bekennt, plauderte so mit Blick auf die Schießerei in München vom vorigen Freitag aus: „Ich hoffe, dass die Motivation islamistisch ist. Das zahlt sich in den Wahlurnen aus.“ Dies entfachte eine kleine Diskussion.

So weit zu hoffen, dass überhaupt möglichst viele Attentate oder Amokläufe stattfinden, damit ihre Partei bei Wahlen möglichst noch besser absehnen kann, ging die Frau mittleren Alters denn doch nicht. Jedenfalls nicht nach außen hin, über ihr Innenleben kann nur spekuliert werden. Vor einem guten halben Jahr hatte ihre Parteifreundin Marion Maréchal-Le Pen - Abgeordnete in der Nationalversammlung und damals Spitzenkandidatin bei den Regionalparlamentswahlen in Südostfrankreich - im Fernsehen ebenfalls recht offen frohlockt, die vorausgegangenen Pariser Anschläge hätten ihrer Partei genutzt. Um nach kurzem Nachdenken dann noch den Satz hinterherzuschieben: „Ohne den Zynismus so weit zu treiben, einen Vorteil daraus schöpfen zu wollen. Es ist nur eine Feststellung.“ Man wird doch noch mal sagen dürfen!

Die Wirklichkeit hat „Laure94100“ ja den gewünschten Gefallen nicht erwiesen. Polizeilichen Angaben zufolge war der 18jährige Deutsch-Iraner, der in München neun Menschen und sich selbst tötete, eher von dem norwegischen Neofaschisten Anders Behring Breivik fasziniert, als dass er jihadistisch inspiriert gewesen wäre. Er hatte auch pünktlich am fünften Jahrestag von Breiviks 77fachem Mord in Oslo und auf der Insel Utoya zugeschlagen. Viele rechtsextreme Parteifreunde der Gesundheitsbediensteten wollen es dabei jedoch nicht bewenden lassen.

Auch wenn der FN seit 2011 dem Antisemitismus offiziell abschwört – seine Führung betrachtet, wie der Vivevorsitzende Louis Aliot es formuliert hat, den Vorwurf des Antisemitismus als „letzten Sperrriegel“, der die rechtsextreme Partei von anerkannter Politikfähigkeit und Bündnisoptionen trenne -, zählen verschwörungstheoretische Denkelemente doch zu seinem Kerngeschäft. Sie werden nur anders begründet als bei offenen Antisemiten, und mit dem angeblichen Plan eines beabsichtigten Bevölkerungsaustauschs in Verbindung gebracht. Folgerichtig zeigen sich führende Parteifunktionäre felsenfest davon überzeugt, es gebe ein Komplott der Eliten, um dem Volk die volle Wahrheit über München zu verbergen. Der parteilose, doch auf einer Liste des FN gewählte Bürgermeister von Béziers, Robert Ménard, erklärte dazu etwa: „München: Soll man sich mit der offiziellen Wahrheit begnügen?“ Und der zum FN gehörende Bürgermeister von Hayange in Lothringen, Fabien Engelmann, pflichtete bei Twitter bei: „Wieder ein Depressiver, man warnt uns vor unzulässigen Vermischungen. Wahrhaft ansteckend! Man belügt uns.“

Die Wählerschaft der modernisierten neofaschistischen Partei zeichnet sich unterdessen dadurch aus, dass sie als einzige politische Gruppe in der französischen Parteienlandschaft mehrheitlich daran glauben, „der Staat könnte alle Attentate verhindern“, wenn er denn nur wolle. Was zwei Deutungsmöglichkeiten zulässt, die sich nicht gegenseitig ausschließen: Entweder sind diese Parteisympathisanten vollständig autoritätsgläubig, oder aber sie unterstellen der amtierenden Regierung, sie wolle einfach Anschläge und Amokfahrten nicht verhindern. Beides lässt sich natürlich miteinander kombinieren, - die Synthese wird durch die Vorstellung hergestellt, es müssten doch nur einmal echte Volksvertreter ans Ruder kommen und dem wahren Volkswillen wieder Geltung verschaffen.

Mehrheitlich zeigen die Französinnen und Franzosen sich in letzten Umfragen skeptisch, was die Wirksamkeit des nunmehr bis Januar 2017 verlängerten – und bis dahin über ein Jahr lang geltenden – Ausnahmezustands zum Schutz vor Attentaten betrifft. Dafür gibt es auch allen Grund: Die Mordfahrt von Nizza am 14. Juli 16 fand nicht nur im Ausnahmezustand statt, sondern auch in der Stadt mit der höchsten Dichte an Überwachungskameras in ganz Frankreich. In einem Teil der Stadt sind so genannte „intelligente Kameras“ in der Lage, Worte auf 200 Meter Entfernung von den Lippen vorbeigehender Menschen abzulesen oder die Straßenbeleuchtung je nach Passantendichte zu regulieren. Doch der Attentäter von Nizza fuhr tagelang unter den Augen der Kameras seine Probefahrten. Aber wenn sogar im nationalsozialistischen Deutschland Attentate auf den „Führer“ durchgeführt werden konnten und Uiguren in China Bomben legen können, darf auch kaum angenommen werden, polizeistaatliche Maßnahmen zeigten Wirkung gegen Anschlagspläne. Die neueste Variante des Ausnahmezustandsgesetzes, die seit dem 26. Juli d.J. gilt, bietet gleichzeitig erstmals eine offene, schwarz auf weiß geschriebene Rechtsgrundlage für Demonstrations- und Kundgebungsverbote, für den Fall, dass „die Polizei sich mit der Gewährungsleistung der Sicherheit von Versammlungen überfordert“ fühlt. Das ist keine Reaktion auf Terrorakte, sondern auf die Demonstrationen im Frühjahr.

Bei einer Umfrage, die am Samstag, den 23. Juli 2016 publiziert wurde, erklärten 54 Prozent der Befragten, der Ausnahmezustand biete keinen Schutz gegen Attentate. 45 Prozent halten ihn dagegen für „nützlich“. Und 78 Prozent sind der Auffassung, auch wenn sie alles in ihrer Macht Stehende tue, könne die Regierung nicht sämtliche Anschlagsplanungen vereiteln. In der Wählerschaft des FN glauben zwar auch nur 34 Prozent heute an die Wirksamkeit des, durch die jetzige Regierung verhängten Ausnahmezustands. Doch 56 Prozent von ihnen glauben an die Möglichkeit, der Staat könnte alle Attentate verhindern, falls er nur wolle. Es handelt sich um die einzige Wählergruppe, die mehrheitlich in diesem Sinne denkt.

Außerhalb des FN

Nicht allein der FN positioniert sich zu den Attentaten. In Nizza greift in Teilen der Bevölkerung eine offen rassistische Stimmung um sich, wie die rechtsextreme Webseite NDF.fr unter dem Titel „Befreiung der Rede gegen Einwanderung und Islamisierung“ triumphierend berichtet. Diese Tatsache nimmt auch vor dem Hintergrund nicht wunder, dass die Stadt ein ausgeprägt rechtes Meinungsklima besitzt – vor allem sich seit 1962 viele Pieds noir, frühere französische Siedler in Algerien, hier niederließen und ein dichtes Vertriebenenmilieu bildeten. Dieses hat die Politik der Stadt lange Zeit dominiert. Von 1995 bis 2008 wurde Nizza von einem Bürgermeister regiert, Jacques Peyrat, der von der Parteigründung 1972 bis 1994, also wenige Monate vor seiner Wahl, selbst dem FN angehörte. Er wechselte dann später zu den Konservativen.

Auch die eher außerparlamentarisch aktive „identitäre Bewegung“ hat in Nizza eine Hochburg, hier traten ihre Vertreter auf kommunalen Wahllisten des FN mit an. Ihre Hauptorganisation, der frühere Bloc identitaire, hat sich soeben in Les Identitaires im Plural umbenannt. In einer Presseerklärung fordern „die Identitären“ nun Altbekanntes, dessen Richtigkeit angeblich durch das Nizzaer Attentat unter Beweis gestellt worden sei: Abschiebung straffälliger Ausländer; Verbote muslimischer Vereinigungen bis hin zur konservativ-reaktionären, doch bestimmt nicht jihadistischen UOIF; Stärkung von Polizei und Armee sowie den Abbruch bestehender Beziehungen zu den Golfländern.

Die rechtskatholisch-fundamentalische Vereinigung Civitas, die soeben den Parteienstatus erworben hat, sieht die Ursachen unterdessen eher darin, dass das offizielle Frankreich gegen Syriens legitimen Präsidenten Baschar Al-Assad – der ja auch die orientalischen Christen schütze – Position beziehe. Dadurch habe es die Jihadisten erst ermutigt. Dafür greift Civitas Präsident François Hollande, Außenminister Laurent Fabius und den Schriftsteller sowie Interventionsbefürworter Bernard-Henri Lévy scharf an.

Wohl am „durchgeknalltesten“ von allen rechtsextremen Strömungen und Publikationen wirken jedoch die Internetzeitung Riposte Laïque (ungefähr: „Gegenschlag der Säkularisten“) und ihr Umfeld. Bei ihnen handelt es sich um hauptberufliche Moslemhasser, die bei Wahlen den Front National und Marine Le Pen unterstützen, jedoch auf keinerlei taktische Erfordernisse in Ausdruck & Auftreten Rücksicht nehmen, wie eine Wahlpartei dies tun muss. (Und sogar Teilen des FN sollen diese wahnwitzigen Hassprediger mittlerweile nur noch auf die Nerven gehen.) Riposte Laïque versuchte, Anti-Antifademonstrationen mit zu initiieren, nachdem im Juni 2013 der 18jährige Antifaschist Clément Méric getötet worden war und es zu linksradikal geprägten Protesten kam. Die Publikation verfügt über einen gewissen Einfluss im Lehrinnen- und Lehrer, aber auch im Polizistenmilieu, jeweils an deren extremen Rändern, doch diese beginnen ja auszufransen.

Im Zusammenhang mit den jüngsten Ereignissen versteigt sich Riposte Laïque wiederholt zu schreiend radikalen Titeln und Phrasen. Ihre Ausgabe vom 19. Juli 16 ist beispielsweise überschrieben mit: „Um den Völkermord an den Franzosen zu vermeiden, ist es nötig, die Moslems abzuschieben.“ Am 20. Juli macht die Publikation mit dem Titel auf (welcher auf eine herbeihalluzinierte angebliche Zahl von Moslems in Frankreich Bezug nimmt, während das liberale Wochenmagazin L’Express deren Anzahl auf 3,5 Millionen schätzt): „Zehn Millionen angeblich gemäßigte Moslems können uns jederzeit töten.“

30 von 84 Toten sind muslimischer Konfession

Nizza und sein, wesentlich preisgünstigeres, Hinterland sind beliebte inländische und internationale Urlaubsziele. Die Todesfahrt von Mohamed Bouhlel traf deswegen beileibe nicht nur französische Staatsbürger oder christliche Abendländer. Dreißig der Todesopfer sind selbst muslimischer Konfession, oder Abkömmlinge muslimischer Familien, die vielleicht der Religion auch indifferent gegenüber standen. Und 34 der insgesamt 84 der Ermordeten waren ausländische Staatsangehörige, unter anderem aus Kasachstan, Tunesien, Algerien und Marokko – zwischen beiden Gruppen gibt es eine Schnittmenge, aber sie sind nicht identisch. Als erstes seiner Opfer überfuhr Bouhlel eine marokkanische Rentnerin, die ein Kopftuch trug. Auf Glaubenszugehörigkeit nahm der Täter also keinerlei Rücksicht. Aber es versteht sich von selbst, dass aus Sicht der extremen Rechten unterschiedlicher Couleur mehr denn je „die Muslime“ im Krieg mit dem europäischen Kulturerbe oder dem Abendland stehen.

Editorischer Hinweis

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.