„Europa“/die EU und die extreme Rechte

von Bernard Schmid

08/2016

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Die aktuellen Veränderungen in Europa bedeuten für die extreme Rechte des Kontinents, dass eine „konkrete Utopie“ sich verwirklicht. Der britische Entscheid für einen EU-Austritt scheint Träume, die Marine Le Pen in Frankreich, Geert Wilders in den Niederlanden oder Heinz-Christian Strache für ihr Land hegen, wahr zu machen. Zugleich aber bedeutet diese neue Lage auch eine Herausforderung für die rechtspopulistischen, rechtsextremen, neofaschistischen... Parteien: Jenseits nationalistischer Ideologie müssen sie sich nun auch mit den realen Auswirkungen einer solchen Maßnahme konfrontieren lassen. Sollte sich die wirtschaftliche Situation auf den britischen Inseln verschlechtern, oder aber sollte das Kapital dort neue antisoziale Einschnitte durchführen – gerechtfertigt damit, dass die Wettbewerbsfähigkeit gewahrt und die Finanzkonzerne nach dem „Brexit“ im Land gehalten werden müssen -, könnte dies negativ auch auf FN, PVV oder FPÖ zurückschlagen.

Nichtsdestotrotz hat die extreme Rechte in Europa derzeit größere Spielräume denn je. Jihadistische Anschläge, deren Urheber ihrerseits den „Kampf der Kulturen“ und den Zusammenstoß der Religion um jeden Preis befördern möchte, die in Teilen der Gesellschaft erfolgreich geschürten Migrations-Ängste: All dies kommt ihrem Diskurs zugute. Die AfD in Deutschland stellte sich in jüngerer Zeit mit ihrer inneren Kontroversen zum Antisemitismus vor allem selbst ein Bein, während de FPÖ in Österreich zum Herbstbeginn 2016 eine Präsidentschaftswahl gewinnen könnte...

Doch wie steht die extreme Rechte zu „Europa“, und präziser: wie verhält sie sich zur Zugehörigkeit ihres jeweiligen Landes zur Europäischen Union?

Auf den ersten Blick fällt die Antwort auf diese Frage scheinbar leicht. Denn rechtsextreme, das heißt jenseits des bürgerlichen, konservativen respektive wirtschaftsliberalen Spektrums stehende Kräfte1 setzten bei Wahlen in den letzten Jahren fast unisono auf eine gewisse Agitation gegen die EU und ihre Institutionen, mitunter auch gegen die Mitgliedschaft ihres Staates bei der Union.

Rückblick auf eine rechte Kampagne zur Europaparlamentswahl

Besonders augenfällig war dies etwa bei der letzten Wahl zum Europäischen Parlament, die im Mai 2014 in den 28 Mitgliedsländern stattfand. So gut wie alle Parteien und „Bewegungen“ aus dem (heterogenen) rechtsextremen Spektrum trugen dabei eine mehr oder minder laute Kritik an der Union vor. Sie kritisierten ihn als supranationalen Zusammenschluss, dem vor allem immer wieder vorgeworfen wurde, dass ihn nicht Blutsbande noch „kulturelle Ideale“, sondern allein der Markt respektive „technokratische Regeln“ zusammenhielten.

Die „Freiheitliche Partei“ Österreichs FPÖ etwa bewarb ihre Liste zur Europaparlamentswahl 2014 mit Parolen wie: „Österreich denkt um: Zu viel EU ist dumm!“ oder „Wir verstehen Eure Wut – Zu viel EU tut niemand gut!“ Hinzu kamen diese beiden Plakatwerbungen: „Zuerst wir und erst dann die EU“ oder, wenig fantasievoll variiert: „Österreich zuerst, dann die EU!“

Eine weniger bekannte, rechtsnationale Partei in Gestalt der ADR („Alternativ-demokratische Reformpartei“) in Luxembourg ihrerseits zog mit der Parole in den Wahlkampf: „Weniger Europa, mehr Luxemburg!“ Und die so genannte „Partei der Freiheit“ (PVV) des Niederländers Geert Wilders warb nicht nur mit einem ähnlichen Wahlkampfslogan – „Minder EU“, also „Weniger Union“ – für sich. Am 06. Februar 2014 hatte die Partei auch eine von ihr bei der britischen Wirtschaftsberateragentur Capital Economics bestellte Studie präsentiert, die – im Vorfeld der EP-Wahl - angeblich belegte, dass die Niederlande sich im Falle eines Austritts aus der Europäischen Union bereichern würden.

Allerdings tauchten solche Slogans nicht ausschließlich bei rechtsextremen Parteien, im Sinne von außerhalb des allgemein als „regierungsfähig“ betrachteten bürgerlichen Spektrums stehenden politischen Kräften, auf. Sondern auch manche als bürgerlich zu bezeichnenden, als „staatstragend“ geltende Parteien bemühten Parolen im EU-Wahlkampf, die den vorgenannten ähnelten, und sei es aus rein wahlkampftaktischen Gründen. Die Partei Forza Italia etwa, die politische Hinterlassenschaft Silvio Berlusconis, trat 2014 unter anderem mit dem Slogan an: „Mehr Italien in Europa – weniger Europa in Italien!“ Die 1994 entstandene Berlusconi-Partei ist sicherlich keine faschistische, sondern eine ursprünglich wie ein Privatunternehmen konzipierte bürgerliche Formation. Allerdings hat sie nachweislich auch keine Berührungsängste gegenüber Rechtsextremen, einschließlich Neo- oder Faschisten. Silvio Berlusconi regierte mehrfach zusammen mit Letzteren, aber auch der rassistischen Regionalpartei Lega Nord: von April bis Dezember 1994, von 2001 bis 06 sowie von 2008 bis im Winter 2011/12.

Die extreme Rechte im Europaparlament

Im Europäischen Parlament sind mehrere rechtsextreme Parteien vertreten, die jedoch über unterschiedliche Fraktionen aufgeteilt sind.

Im Juni 2014, im Monat nach den letzten Europaparlamentswahlen, hatte zunächst Nigel Farage von der ursprünglich rechtsbürgerlichen, jedoch sich entlang der Einwanderungsfrage radikalisierenden britischen UKIP das Rennen gemacht. Er konnte dadurch Kräfte wie den französischen FN und die österreichische FPÖ vorläufig ausstechen. Am 19. Juni 2014 hatte er die Bildung einer Fraktion unter dem vordergründig wohltönenden Namen Europe of Freedom and direct Democrazy Group (EFDD) verkündet. Ihr gehörten zunächst 48 Abgeordnete aus insgesamt sieben Mitgliedsländern der Europäischen Union an. Damit lag die Parlamentariergruppe deutlich über der erforderlichen Mindestzahl von 25 Mandatsträgern; aber hart am Limit, was die Anzahl der beteiligten Nationalitäten betrifft. Denn die Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments erfordert, dass mindestens Abgeordnete aus einem Viertel der Mitgliedsstaaten zusammenkommen müssen, um eine Fraktionsbildung zu ermöglichen. Also Parlamentarier aus mindestens sieben von derzeit 28 EU-Ländern.

Farage hatte es geschafft, indem er neben dem unberechenbaren italienischen Politclown Beppe Grillo und seinen Anhängern - Beppe Grillo, der in jüngerer Zeit auch offen gegen Einwanderer hetzt, verhandelte allerdings parallel dazu auch mit den Grünen im Europaparlament - auch Parteien mit in seine Fraktion aufnahm, die zuvor mit Marine Le Pen und dem französischen Front National mehr als nur geliebäugelt hatten. Insbesondere die rechtsextremen „Schwedendemokraten“ (SD). Die Partei von Jimmie Akesson war bei ihrer Gründung im Jahr 1988 eine offene Neonazigruppierung gewesen, hatte sich jedoch in den letzten Jahren als „geläutert“ zu präsentieren versucht. Mit einigem Erfolg, bei den schwedischen Parlamentswahlen vom 14. September 2014 erzielte sie mit knapp 13 Prozent der Stimmen einen historischen Erfolg. Die SD hatten am 15. November 2013 an einem Treffen in Wien teilgenommen, bei dem es darum ging, die Weichen für die Bildung einer rechtsextremen Europaparlamentsfraktion nach den Wahlen von Ende Mai des darauffolgenden Jahres zu stellen. Dort nahmen neben der FPÖ als Gastgeberin unter anderem auch der französische Front National (FN), der belgische Vlaams Belang die italienische Lega Nord teil.

Am 15. Juni 2015 hatte es dann auch die französische Neofaschistin Marine Le Pen geschafft. An jenem Tag kündigte die Chefin des Front National (FN) triumphierend an, nach mehreren vergeblichen Anläufen im Juni und Oktober 2014 habe ihre Partei es nun doch geschafft, eine Fraktion im Europäischen Parlament zu konstituieren. An der Mindestzahl an beteiligten Nationalitäten scheiterte die Fraktionsgründung bis dahin, da der FN nur über vier zuverlässige und hinreichend vorzeigbare Partner verfügte, wie die FPÖ aus Österreich und den Vlaams Belang aus Belgien. Zusammenschlüsse mit der deutschen NPD, Jobbik aus Ungarn oder der griechischen Partei „Goldene Morgenröte“ schloss die französische Partei hingegen aus. Diese drei Parteien umfassen auch gewaltaffine stiefelfaschistische Kräfte und/oder treten offen antisemitisch aus, während der französische FN beide Elemente offiziell ablehnt und zurückweist.

Die im Juni 2015 neu gegründete Fraktion hört auf den Namen „Europa der Nationen und Freiheitsrechte“ (Europe des nations et des libertés). Ermöglicht hatte ihre Gründung das Überlaufen einer bisher der britischen UKIP angehörigen Abgeordnete – Janine Atkinson -; diese war von ihrer vormaligen Partei aus deren Fraktion ausgeschlossen worden, nachdem herauskam, dass ihr Mitarbeiter wohl (Ab)Rechnungen gefälscht hatte. Ferner nahmen an der neuen Fraktion beteiligten Parteien noch zwei Europaparlamentarier der polnischen Rechtspartei KPN – „Kongress der neuen Rechten“ – hinzu: Michal Marusik und Stanislaw Zoltek..

Im Vorjahr 2014 galt diese polnische Partei den Anführern des französischen FN noch als hinreichend vorzeigbar, da ihr damaliger Chef Janusz Korwin-Mikke offen antisemitisch, geschichtsrevisionistisch und ungeschminkt homophob auftrat. Doch er wurde zu Anfang des Jahres 2015 vom Parteivorsitz abgesägt.

Noch eine dritte Fraktion im Europaparlament umfasst rechtsextreme Abgeordnete. Es handelt sich um die „Europäischen Konservativen und Reformer“ (ECR), deren Kernstück die britischen Konservativen – Tories ausmachen. Ihr gehören etwa die „Wahren Finnen“ (PS) an, eine nach rechts radikalisierte und gegen Einwanderung agitierende Partei, die das Land seit 2015 in einer Koalition mitregiert. Bis Anfang März 2016 saßen auch alle sieben Europaparlamentarier und –parlamentarierinnen, die vor zwei Jahren für die AfD gewählt worden waren, mit in dieser Fraktion. Unter ihnen hatten sich zwei Untergruppe gebildet: Fünf zählen zur eher wirtschaftsliberalen, elitär-bürgerlichen Strömung um Bernd Lucke, die sich nach dem Bundesparteitag vom Juli 2015 von der AfD trennte. Die beiden anderen blieben der AfD, die sich (unter Nutzung einer starken Agitation gegen Einwanderung) in eine sich radikalisierende rechte „Massen“partei umzuwandeln versucht, treu. Letztere beide, Beatrix von Storch und Marcus Pretzell, mussten die ECR-Fraktion jedoch im März 2016 aufgrund wachsender inhaltlicher Unvereinbarkeiten verlassen. Nachdem auch spekuliert worden war, ob sie sich nicht mit Marine Le Pen zusammenschließen könnten, wandten sie sich dann jedoch der Fraktion unter Nigel Farage zu.

Über eine Fraktion im Europaparlament, zu verfügen, hat nicht nur einen hohen symbolischen Stellenwert – da es eine gewisse politische Arriviertheit bedeutet -, sondern erlaubt auch den Zugriff auf zwanzig bis dreißig Millionen Euro für Infrastrukturkosten und Sitzungsgelder, sowie Möglichkeiten zur Erstattung von Reisekosten. Hinzu kommen ein erweitertes Rederecht und Sitze in diversen Ausschüssen.

Vor diesem Hintergrund ist verständlich, warum Parteien, die wahlweise für eine EU mit weitaus geringerer Integrationstiefe oder auch für einen Austritt ihres Landes aus der Union eintreten, dennoch diese im Europaparlament vorhandenen Möglichkeiten ausschöpfen. Zum Teil handelt es sich dabei um reine „Abzocke“. Das Anti-Korruptions-Amt der Europäischen Union (OLAF) und mittlerweile auch die französische Justiz ermitteln seit März 2015 gegen über zwanzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des französischen FN im Europaparlament. Ihnen wird vorgeworfen, aus Mitteln des EU-Parlaments für eine behauptete Vollzeit-Tätigkeit dort bezahlt worden zu sein, während sie in Wirklichkeit überwiegend oder vollständig mit nationalen Parteiaufgaben in ihrem Land befasst gewesen seien. Im Februar 2016 gelang es den französischen Justizbehörden, am Parteisitz des FN in Nanterre bei Paris einschlägige Beweise zu sammeln. Da die dort beschäftigten Mitarbeiter durch eine Art elektronische Stechuhr ihre An- und Abwesenheit anmelden müssen, gelang es der Polizei praktischerweise, einschlägige Unterlagen zu beschlagnahmen. Ein dickes Ende kommt diesbezüglich eventuell noch auf die rechtsextreme Partei zu.

Nichtsdestotrotz lässt sich das Verhältnis rechtsextreme Parteien auf nationaler Ebene nicht ausschließlich auf ein solches taktisch-materielles Herangehen – also in diesem Falle Abzocke – reduzieren.

Strategisches Herumeiern zur Frage der EU-Zugehörigkeit

Zum Einen trifft es nicht zu, dass rechtsextreme Parteien stets und zu allen Zeitpunkten für „weniger Europa“ durch einen Austritt aus der EU einträten oder eingetreten wären. Ihre Haltung zu dieser Frage ist vielmehr periodischen Wandlungen unterworfen.

Zu Zeiten, in denen er seine ersten Abgeordneten im Europaparlament aufwies, dort jedoch noch fraktionslos war – in den Jahren von 1984 bis 1989 -, plädierte der französische Front National (FN) etwa noch für einen Ausbau der europäischen Integration. Damals handelte es sich noch um den Vorläufer der EU, die aus der 1957 gegründeten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hervorgegangene Europäische Gemeinschaft (EG). In jenen Zeiten war das Weltbild der Mehrheitsfraktion beim Front National noch vom Kalten Krieg und der Existenz eines sowjetischen, in seinen Worten „kommunistischen“ Blocks geprägt. Vor diesem Hintergrund plädierte die Parteiführung des FN damals für einen Ausbau der Westintegration, von dem sie sich ferner einen stärkeren „freien Wettbewerb“ – bis 1989 war der FN noch strikt wirtschaftsliberal ausgerichtet, bevor er sich auf einen „national-sozialen“ Kurs umorientierte – versprach.

Doch mit dem Ende des Kalten Krieges, und der bisherigen Blockordnung, um 1989 entfernte sich die Parteiführung des französischen FN sowohl von ihrer bisherigen Pro-USA-Orientierung in der Außenpolitik als auch von ihrer Befürworterposition zur EG, wie auch vom Wirtschaftsliberalismus. Zu den Ursachen dafür zählte, dass relevante Teile der Parteiführung glaubten, nunmehr nach dem „Tod des Marxismus“ – den sie mit dem Untergang des UdSSR zu beobachten glaubte – bestehe keinerlei linke Alternative zur bestehenden Ordnung mehr. Deswegen könne die extreme Rechten den frei gewordenen Platz der „Fundamentalopposition“ übernehmen. Anlässlich der französischen Abstimmung über die Ratifizierung des Maastricht-Vertrags am 20. September 1992 versuchte der FN, sich als entschlossenste Oppositionskraft zu dem Vertragswerk darzustellen. (Das aus anderen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen auch von anderen Kräften abgelehnt wurde: Rechtsbürgerlichen, einer Minderheit bei der Sozialdemokratie, sowie der französischen KP).

Ähnlich, wenn auch aus zum Teil anderen Beweggründen, vollzog auch die österreichische FPÖ im Laufe der Jahre einen Wandel ihrer Positionen zur EG/EU. In den 1980er Jahren, als die Alpenrepublik dem europäischen Staatenbund noch nicht angehörte, plädierte die FPÖ als Oppositionspartei noch für eine Annäherung an den europäischen Zusammenschluss. Davon versprach sie sich unter anderem ebenfalls eine „Liberalisierung“ der österreichischen Wirtschaft, die damals noch durch einen hohen Staatsanteil und starke institutionelle Stellungen einer verstaatlichen und domestizierten Arbeiterbewegung – Gewerkschaften, „Arbeiterkammern“ – gekennzeichnet war. Als die Regierungsparteien jedoch in den frühen neunziger Jahren selbst sowohl den Angriff auf die bisherigen Hochburgen der verstaatlichen Arbeiterbewegung und den neoliberalen Wandel vollzogen, als auch die Annäherung an die EG/EU betrieben, wechselte die FPÖ ihrerseits auf einen Oppositionskurs. Während sie nunmehr eine starke Dosis sozialer Demagogie in ihren Diskurs aufnahm, trommelte sie bei der Volksabstimmung von 1994 über den EU-Beitritt von 1994 für das „Nein“.

Ein weiterer Wechsel vollzog sich dergestalt, dass die damalige Parteiführung der FPÖ (unter Jörg Haider) vormals von einer Art großdeutschen Blockbildung mit der wiedervereinigten Bundesrepublik Deutschland untr dem Dach der EG/EU geträumt hatte – nun aber 1995 offiziell mit dem großdeutschen Ideal brach. Nunmehr propagierte sie den „Österreichpatriotismus“ im Rahmen eines selbständig bleibenden Staates, aber auch ein „Europa der Regionen“, wie Jörg Haider es in einem 1994 gemeinsam mit Umberto Bossi von der italienischen Lega Nord publizierten Buch ausmalte.

Auch bei anderen Parteien vollzogen sich Richtungswechsel und Kursschwenks im Hinblick auf die EU, bisweilen auch in der anderen Richtung, also zugunsten einer (neuen oder stärkeren) Akzeptanz des europäischen Zusammenschluss.

Die ungarische rechtsextreme Bewegungspartei Jobbik etwa agitierte lange Zeit in virulenter Form gegen die EU-Mitgliedschaft ihres Landes. Am 13. Februar 2014 zum Beispiel hängten zwei rechtsextreme Abgeordnete im ungarischen Parlament, Tamás Gaudi-Nagy von der Partei Jobbik und Balázs Lenhardt – parteilos und ehemaliges Jobbik-Mitglied – gemeinsam die beiden dort befindlichen EU-Fahnen ab und warfen sie zum Fenster hinaus. Gaudy-Nagy erklärte dazu, die Sternenflagge sei ein Symbol der „Kolonisierung Ungarns“. Am selben Tag wurden weitere EU-Fahnen von ihnen „im Parlamentsklo entsorgt“, wie die deutsche Tageszeitung Die Welt daraufhin pikiert formulierte. Doch in 2014 und 2015 erklärte ihr Parteivorsitzender Gabor Vona in mehreren Interviews, er strebe nicht länger einen Austritt Ungarns aus der EU an. In einem Gespräch mit ihm, das wiederum Die Welt am 08.05.2015 (leicht gekürzt) publizierte, erklärte er dazu etwa: „Wir sind heute so auf die EU angewiesen, dass es wohl gar nicht geht, sonst wäre das Land bankrott. Wir fordern aber eine Änderung des Beitrittsvertrags.“

Aus taktischen Gründen ist in jüngerer Zeit auch beim französischen Front National (FN) zu beobachten, dass die Position zur EU und auch zum Austritt aus der Gemeinschaftswährung Euro zum Teil ins Rutschen geraten ist. Der doppelte Hintergrund besteht hier einerseits darin, dass Wählergruppen, um die Konservative und FN sich streiten – besonders Rentnerinnen und Rentner sowie „Mittelständler“ und Kleinunternehmer – mehrheitlich deutlich gegen einen Euro-Austritt eintreten, und diese Forderung aus ihrer Sicht sogar „angstbesetzt“ ist. Hauptsächliches Motiv dafür ist die Furcht vor einer Entwertung von Sparguthaben im Falle eines neuerlichen Währungswechsels. Hinzu kommt andererseits, dass der FN bei mehreren Wahlen trotz hoher Stimmergebnisse keine Erfolge davon tragen konnte, wie zuletzt bei den französischen Regionalparlamentswahlen im Dezember 2015, weil er über nahezu keinerlei Bündnispartner besonders im konservativen Lager verfügt. Daraufhin wurde seit dem Jahreswechsel 2015/16 die innerparteiliche Forderung lauter, auf bürgerliche und konservative Kräfte zuzugehen und auf von Wirtschaftskreisen als „unverantwortlich“ betrachtete Positionen (wie insbesondere den Austritt aus dem Euro) zu verzichten.

Ein „Strategieseminar“, an dem die Führungsebene der Partei vom 05. bis 07. Februar 2016 teilnahm, konnte diesbezüglich keine Klärung bringen, es blieb zunächst bei Formelkompromissen. Als Vorbild wurde unterdessen in Parteikreisen des Öfteren der britische Premierminister David Cameron angeführt. Dieser drohte verbal bis vor zuvor mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs, nicht – wie bislang vom FN für Frankreich angestrebt - aus dem Euro (dem es nie angehörte), aber aus der Europäischen Union. Er tat dies letztendlich jedoch vor allem, um größere Spielräume für sein Land innerhalb der EU herauszuholen. Seit einer vorläufigen Einigung am 19. Februar 2016 in Brüssel ruft Cameron nun inzwischen seinerseits zum Verbleib in der EU auf; und am 23. Juni des Jahres wird dazu in Großbritannien eine Volksabstimmung stattfinden. Wie am 20. April 2016 verlautbarte, wird Marine Le Pen während des Abstimmungskampfes auch auf die britischen Inseln reisen, um dort die Pro-Austritts-Position zu unterstützen. Das britische Modell wird jedoch zugleich von Teilen des FN herausgestrichen, um auch zu konservativen Kräften eine Brücke zu bauen. Hinter der Vorstellung, man müsse das französische Volk darüber abstimmen lassen, packen Teile der Partei dann ihren Wunsch danach, sich für einen Austritt aus dem Euro und/oder der EU stark zu machen – andere Teile hingegen eher die Vorstellung, man müsse Verhandlungen über eine „andere Ausgestaltung Europas“ eröffnen, ähnlich wie dies Cameron gelungen war.

Ideologische Herangehensweisen

Jenseits der Fragen nach einer taktischen oder strategischer Positionierung rechtsextremer Wahlparteien (wie des FN in Frankreich oder der FPÖ in Österreich) verbinden manche Unterströmungen innerhalb der extremen Rechten auch fundamentale „Herzensanliegen“ mit ihrer Stellung zur EU oder, allgemeiner, zu „Europa“. Mehrere ideologisch gefestigte „harte Kerne“, die bestimmte ideologische Denktraditionen fortsetzen – etwa jene der katholischen oder protestantischen christlichen Fundamentalistinnen und Fundamentalisten, oder umgekehrt jene des rechten „Neuheidentums“, oder die nationalrevolutionäre Strömung, welcher wiederum die monarchistisch-konterrevolutionäre Tradition entgegen steht – finden sich zum Teil innerhalb der rechtsextremen Großparteien wieder. Zum Teil verfügen sie aber auch über eigenständige organisatorische Strukturen.

Die Mehrzahl der Unterströmungen innerhalb der extremen Rechten bleibt dem Nationalstaat als politisch-historischem Bezugsrahmen verhaftet. Grenzübergreifende historische Kooperationen bleiben dabei möglich, werden jedoch den eigenen „nationalen“ Anliegen hintangestellt. Wiederholt scheiterten daran in der Vergangenheit auch Kooperationsansätze zwischen rechtsextremen Parteien unterschiedlicher europäischer Länder. Erinnert sei etwa an die jeweils relativ kurze Geschichte mehrerer Ansätze der extremen Rechten zur Fraktionsbildung im Europaparlament in der Vergangenheit (vor der jetzigen seit 2014/15). Nach den Europaparlamentswahlen vom Juni 1989 etwa gehörten dem Parlament der damaligen EG mehrere rechtsextreme Parteien an, die erstmals gemeinsame eine Fraktion gründen konnten: Das waren damals der französische FN, die (west)deutschen „Republikaner“ sowie die italienische neofaschistische Partei MSI. Die beiden letztgenannten Parteien zerstritten sich jedoch nach nur wenigen Monaten heillos bezüglich jeweiliger Ansprüche auf „Südtirol“ respektive die italienische Region Alto-Adige. Die Fraktion zerfiel. Nach mehrjähriger Pause entstand im Februar 2007 erneut eine rechtsextreme Fraktion im Europäischen Parlament, die durch den Einzug einer rumänischen und einer bulgarischen Parlamentariergruppe der extremen Rechten – infolge des EU-Beitritts beider Länder zum 1. Januar 2007 – ermöglicht worden war. Doch im November 2007 fiel die Fraktion infolge eines heftigen Streits auseinander. Anlässlich von gegen Roma gerichteten pogromähnlichen Ausschreitungen in Italien hatte die neofaschistische italienische Europaparlamentarierin Alessandra Mussolini sich in Rage geredet. Unter anderem gegen Rumäninnen und Rumänen, dergestalt, dass sie sogar den Hinauswurf der rumänischen Botschafters aus Italien forderte. Dies wiederum konnte die „Großrumänienpartei“ (PRM), ohne die es damals rechnerisch keine gemeinsame Fraktion geben konnte, nicht tolerieren. Es kam zur Explosion.

Einige rechtsextreme Strömungen jedoch definieren die „Identität“, deren Verteidigung sie anstreben, nicht entlang von nationalstaatliche Grenzen, sondern entweder auf der Grundlage teilweise grenzüberschreitender „Region“ oder aber auf europäischer Ebene. Vor diesem Hintergrund plädieren sie auch nicht für einen Austritt aus der EU, sondern eher für ihre Umwandlung, weg von rein wirtschaftspolitisch definierten oder „technokratischen“ Zwecken.

Zu diesen Richtungen zählen u.a. einige Unterströmungen der Nationalrevolutionäre, die sich entweder als „europäische Revolutionäre“ oder als Eurasien-Anhänger und –Anhängerinnen definieren würden. Aber auch die seit einigen Jahren aufstrebende „identitäre“ Strömung, die in ihrer jetzigen Form 2002/03 in Frankreich entstand und in den letzten Jahren auszustrahlen begann – in Österreich verfügt sie über einen aktiven Ableger, der 2015/16 mit Agitprop-Agitationen zur „Flüchtlingskrise“ Aufmerksamkeit hervorrief, und in Italien zählt der Lega Nord-Europaparlamentarer Mario Borghezio zu ihren engsten Weggefährten – grenzt sich von der „europafeindlichen“ Tradition in der extremen Rechten deutlich ab.

Tatsächlich setzt der Bloc identitaire, also die französische Stammorganisation dieser „identitären Bewegung“, auf eine Art Dreiklang der zu verteidigenden „Identitäten“ – regionale, nationale und europäische -, die wie eine Art russischer Puppen ineinander greifen sollen. Dies ist aus seiner Sicht erforderlich, weil nur so eine „eingewurzelte echte Identität“ definiert werden könne; denn ein Einwanderer könne nur durch Einbürgerung Franzose werden, aber eben unmöglich als „Baske, Bretone oder Elsässer“ betrachtet werden. ERr kritisiert auch den Front National dafür, dass für diesen allein die Nation im Mittelpunkt stehe und noch dazu in der „jakobinischen“ (also in einer bürgerlich-revolutionären) Tradition über einen starken, republikanisch verfassten Zentralstaat definiert werde; ein absolutes Unding aus Sicht der „Identitären“. Anlässlich eines „Konvents“ dieser Bewegung im November 2012 im südfranzösischen Orange fiel etwa der deutschen Rechtspublikation Die blaue Narzisse auf, es sei „keine einzige Trikolorefahne“ im Saal aufgehängt gewesen. Dafür aber unter anderem regionale Symbole.

Ein Angebot des Bloc identitaire zur formalen Kooperation mit ihrer Partei schlug Marine Le Pen deswegen im November 2012 aus. Sie griff die kleine Organisation dabei als „Europäisten und Regionalisten“ ideologisch scharf an. Nichtsdestotrotz bestehen Kooperationen zwischen ihrer Partei und den „Identitären“, aus ihren Reihen kandidierte etwa Philippe Vardon aus Nizza für den FN zu Wahlen auf lokaler Ebene.

Anmerkungen

1 Wir verzichten an dieser Stelle vorläufig darauf, dieses Spektrum definitorisch einzuengen. Einige dieser Kräfte hängen von ihrer Entstehungsgeschichte her mit dem historischen Faschismus zusammen und können insofern als neofaschistisch – im Sinne eines modernisierten und an die Verhältnisse im frühen 21. Jahrhundert angepassten Faschismus – bezeichnet werden.

Dies trifft bspw. auf den französischen Front National (FN) zu, der zwar erst deutlich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs - im Oktober 1972 - gegründet zurde; doch unter maßgeblicher Hilfe der 1946 entstandenen italienischen neofaschistischen Partei MSI (welch Letztere seit 1995 mehrere Umwandlungen und Spaltunge erfahren hat). Seit seiner Gründung benutzt der französische FN das vom damaligen italienischen MSI übernommene Parteisymbol der Flamme in den drei Nationalfarben – respektive grün-weiß-rot oder blau-weiß-rot -, das im italienischen Neofaschismus der Nachkriegszeit den Aufstieg der Seele Benito Mussolinis aus seinem Sarg in den Himmel verkörperte. Auch die österreichische FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) entstand zwar erst einige Jahre nach dem Kriegsende, 1956, doch mit einer deutlichen Verbindung zur Erbmasse des Nationalsozialismus. Die Partei entstand aus dem selbst 1948 gegründeten „Verband der Unabhängigen“ (VdU), welcher zunächst noch keine Partei sein wollte oder durfte, da die spätere Republik Österreich bis 1955 einem alliierten Besatzungsstatut unterlag und damals noch darauf geachtet wurde, dass keine Versuche zur direkten oder indirekten Wiedergründung der Nazipartei unternommen wurden. Nicht zufällig wandelte sich der VdU dann 1956, im Jahr nach dem „Staatsvertrag“ und dem Ende dieses Besatzungsstatuts, in eine politische Partei um. Dennoch besteht die FPÖ nicht allein aus postnazistischen Kräften, da in Österreich eine spezifische politische Tradition des „Dritten Lagers“ – neben Sozialdemokratie und Christlich-Konservativen – besteht, in dem schon früh sowohl Bürgerlich-Liberale als auch großdeutsche Nationalisten und Vorläufer der Nazibewegung anzutreffen waren. Dies hing historisch auch damit zusammen, dass das konservative Lager in der multinationalen „K & K“-Donaumonarchie klerikal und monarchisch, aber nicht im engeren (jedenfalls nicht im pangermanischen) Sinne national orientiert war. Lange Zeit ko-existierten deswegen in der FPÖ ein tatsächlich bürgerlich-liberaler Flügel, etwa mit Norbert Steger und später mit der aus der Partei gedrängten Heide Schmidt, und rechtsextreme, z.T. offen postnazistische Strömungen.

Nicht unmittelbar mit dem historischen Faschismus verbunden sind dagegen andere Kräfte auf der extremen Rechten in Europa, die ihrerseits mit FN und FPÖ verbündet sind. Die 2006 gegründete „Partei für die Freiheit“ (PVV) des Niederländers Geert Wilders – selbst bis 2004 Abgeordneter der rechten Wirtschaftsliberalen – radikalisierte sich zwar im Laufe der Jahre entlang der Einwanderungsfrage nach rechts, ihre Geschichte ist jedoch nicht aus einem Zusammenhang mit dem historischen Faschismus heraus zu erklären. Die PVV ist jedoch Teil einer europaweiten Allianz u.a. mit dem französischen FN und der österreichischen FPÖ. Insofern bietet der Begriff „neofaschistisch“, unter Bezugnahme auf einem im historischen Faschismus wurzelnde Entstehungsgeschichte, keine hinreichende Trennschärfe zur Abgrenzung des betreffenden Parteienspektrums.

Umgekehrt bietet der in bürgerlichen Medien verbreitete, inhaltlich flache Begriff des „(Rechts)populismus“ aus Sicht des Verf. dieser Zeilen keinerlei brauchbare analytische Handhabe; vgl. dazu auch: http://www.trend.infopartisan.net/trd0104/t140104.html . Angebracht wäre es viel mehr, im rechtsextremen Spektrum zwischen eher neofaschistischen Kräften – die aus dem historischen Faschismus kommen und/oder einen gewissen Bewegungscharakter, eine politisch Dynamik auch außerhalb des bürgerlichen Staates anstreben – einerseits, und radikalisierten bürgerlichen Kräften (die sich überwiegend über Wahlen und Parlamente betätigen und weniger auf reaktionäre „Massenmobilisierung“ abzielen) andererseits zu unterscheiden. Der „Populismus“begriff ist dabei wenig hilfreich. Eine scharfe Trennlinie zwischen „modernisierten faschistischen“ Kräften einerseits und „nach rechts radikalisierten bürgerlichen Kräften“ andererseits zu ziehen, ist jedoch in der Praxis mitunter schwierig. Denn in einer ideologisch heterogen zusammengesetzten Partei wie etwa dem französischen FN, deren Mitglieder unterschiedlicher politischer Herkunft sein mögen, können sich durchaus Vertreter beider „Typen“ auffinden lassen.

Editorischer Hinweis

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.