Kommentare zum Zeitgeschehen

Amokläufe, Selbstmordanschlag
Die ArbeiterInnenbewegung schweigt oder stellt sich auf die Seite der inneren Sicherheit
 

von Tobi Hansen 

08/2016

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Seit letzter Woche Montag hat Hysterie und Stimmungsmache Deutschland gepackt, angefangen mit einem Amoklauf in einer Regionalbahn zwischen Würzburg und Ochsenfurt, bei dem der erst 17-jährige Riaz A. mehrere Fahrgäste mit einer Axt angriff und schwer verletzte. Es folgte letzten Freitag der Amoklauf des 18-jährigen David S. in München. Dieser erschoss 8 Menschen aus einem Einkaufszentrum und am Ende sich selbst. Letzten Sonntag dann ein Selbstmordanschlag in Ansbach, bei dem Mohammed D. 15 Menschen verletzte und selber an seinem Sprengsatz starb. Das sind Tage, an denen wir sehen, wohin dieses System Menschen treiben kann, wie verzweifelt gerade jüngere Menschen sein können, denen als „Ausweg“ nur der Selbstmord und das Töten Anderer mehr möglich scheinen.

Wir wollen hier aber nicht diese Taten einander gleichsetzen, wollen nicht das mitmachen, was derzeit von den bürgerlichen Medien und rechten Stimmungsmachern vorgegeben wird. Dieses Vorgehen wäre für alle Teile der ArbeiterInnenbewegung sinnvoll. 

Unser Mitgefühl, unsere Anteilnahme gilt den Angehörigen der Opfer und der Täter. Wir hoffen, dass sie in dieser Zeit wirklichen Beistand erfahren und nicht nur die volle mediale Aufmerksamkeit erdulden müssen. Aber genauso müssen wir erinnern an die Toten im syrischen Bürgerkrieg, die täglich neue „Radikalisierungen“ anfachen und an die Millionen von Toten, die dem „Krieg gegen den Terrorismus“ gerade in der islamischen Welt zum Opfer fielen.

Nicht jeder Amoklauf ist Terror

Beim Attentäter von Ansbach wurden angeblich hetzerische Videos auf seinem Handy festgestellt – sicher bessere Indizien, als beim Amoklauf in Würzburg mit einer selbstgemalten IS-Flagge gefunden wurden. Wie Hohn lesen sich z. B. die Stellungnahmen vom bayerischen Innenminister Herrmann: „Man müsse leider davon ausgehen, dass es sich um einen echten islamistischen Anschlag handele“ (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/anschlag-in-ansbach-attentaeter-wurde-rambo-genannt-a-1104628.html ), wenn man weiß – und das könnte vor allem die „Linke“ in Deutschland wissen–, dass seit Monaten dieser Zusammenhang zwischen Geflüchteten und Terrorismus medial und politisch hergestellt wird.

Und so wird die öffentliche Diskussion bestimmt: über die Verschärfung der inneren Sicherheit, die Aufstockung der Polizeikräfte, den Bundeswehreinsatz im Inneren – und die AfD tut das Ihre, indem sie Massenabschiebungen fordert.

Nicht diskutiert wird, warum ein 18-jähriger in München von Amokläufen fasziniert wird, warum dieser die Tatorte von Winnenden besucht, wo ein 17-jähriger 2009 15 Menschen tötete, oder warum David S. Fan des norwegischen Attentäters Breivik wurde, welcher 77 Menschen, vor allem sozialdemokratische Jugendliche, tötete. Statt die Hintergründe für diese Verzweiflungstaten gesellschaftlich aufzuarbeiten, wird festgestellt, dass dieser auch die sog. „Ego-Shooter“ spielte, womit wieder unterstellt wird, dass ein mögliches Verbot dieser Spiele irgendetwas ändern würde. David S. (Focus nennt ihn nur noch Ali David) hatte eine Schulprüfung in den Sand gesetzt, wurde wohl vor allem von türkischen Mitschülern gemobbt und hatte laut den sog. „Freunden“, die jetzt mit den Medien über ihn reden, radikale nationalistische Ansichten, wie auch als gesichert gilt, dass er sich in psychologischer Behandlung befand. Dies ist dann auch tatsächlich alles, was diese drei „Täter“ der letzten Woche gemeinsam haben: sie waren in psychologischer Behandlung – Mohammed D. hatte zuvor schon zwei Selbstmordversuche hinter sich.

Es sind die Bedingungen des kapitalistischen Systems, welche Menschen in die Flucht treiben, ihnen traumatische Erlebnisse auf den Weg geben und/oder sie Diskriminierung, Mobbing und Druck erfahren lassen: Nur, wie damit umzugehen ist, dass kann dieses System eben nicht gewährleisten, geschweige denn etwas daran ändern. 

Und so wurden die Verzweiflungstaten der letzten Woche ein gefundenes Fressen für die Rechtspopulisten aller Couleur. Die „Sicherheitspolitiker“ versuchten sich zu profilieren, da galt schon der Polizeichef von München als „Stimme der Vernunft“, nur weil dieser zumindest keine Spekulationen beförderte. Nicht erwähnt wurden in der letzten Woche „natürlich“ die Opfer im syrischen Bürgerkrieg, auch nicht diejenigen, die den Bomben der imperialistischen Akteure zum Opfer fielen, oder der Anschlag von Kabul mit fast 100 Toten – diese Seite des Kriegs gegen den Terrorismus, welcher ab 2001 speziell die islamischen Staaten trifft, wird weiterhin konsequent ausgeblendet. 

Was macht die „Linke“?

Es wäre dann eigentlich die Aufgabe der aufgeklärten, progressiven, ja vielleicht sogar klassenbewussten Akteure, dieser Stimmungsmache etwas entgegenzusetzen, die realen Hintergründe dieser Taten zu benennen und die drängenden Fragen zu beantworten. Dabei hilft eben keine Aufstockung der Sicherheitskräfte. Auch keine sonst wo eingesetzte Bundeswehr hätte an diesen Taten etwas ändern, aber mehr Jugendarbeit, mehr Sozialarbeit mehr sozialmedizinische Betreuung hätten einen dieser „Täter“ möglicherweise abholen können und verhindert, dass Menschen verletzt und getötet werden. Besonders der Fall von Mohammed D. zeigt dies auf. Dieser sollte nach Bulgarien abgeschoben werden, dort wurde er als Kriegsflüchtling anerkannt. Deswegen wurde sein Asylantrag hier abgelehnt und er befindet sich seit einem Jahr in der Duldung, einer persönlichen Ausnahmesituation. Dies trifft auch zu für einen Amoklauf in Japan, wo ein ehemaliger Pfleger 19 behinderte Menschen tötete. Dieser befand sich Anfang des Jahres knapp 10 Tage in psychiatrischer Behandlung, eben weil dieser von Mordphantasien gegenüber behinderten Menschen geplagt wurde – ob die 10 Tage gereicht haben, diese Frage erübrigt sich jetzt! 

Aber wir reden nicht darüber, wie Menschen in dieser Verfassung geholfen werden könnte, sondern über Abschreckung, Bestrafung und die Verknüpfung von Flucht und Terrorismus. Das Beschämende daran ist zu allem Überfluss, dass dabei die Linkspartei auch munter mitmischt. 

Es oblag der Fraktionsvorsitzenden Wagenknecht als erste, sich in den Chor der staatstragenden AkteurInnen einzureihen, was aufgrund ihrer vorherigen Äußerungen zum Thema (Wer sein „Gastrecht“ verwirkt, muss abgeschoben werden!) auch nicht wirklich überraschen konnte. Die Deutlichkeit, mit der Wagenknecht aber diesmal die rassistischen Ressentiments befeuerte, sucht schon „ihresgleichen“. Hier mal zwei Auszüge aus ihrer Pressemitteilung vom 25.7. – hier hätten sowohl CSUlerInnen als auch alle AfDlerInnen bedenkenlos unterschreiben können:

„Die Ereignisse der letzten Tage zeigen, dass die Aufnahme und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern mit erheblichen Problemen verbunden und schwieriger ist, als Merkels leichtfertiges ‚Wir schaffen das‘ uns im letzten Herbst einreden wollte.“

„Der Staat muss jetzt alles dafür tun, dass sich die Menschen in unserem Land wieder sicher fühlen können. Das setzt voraus, dass wir wissen, wer sich im Land befindet und nach Möglichkeit auch, wo es Gefahrenpotentiale gibt. Ich denke, Frau Merkel und die Bundesregierung sind jetzt in besonderer Weise in der Verantwortung, das Vertrauen der Menschen in die Handlungsfähigkeit des Staates und seiner Sicherheitsbehörden zu erhalten.“ (http://www.linksfraktion.de/pressemitteilungen/menschen-muessen-sich-wieder-sicher-fuehlen-koennen)

Frei nach „Joliet“ Jake Blues, aus dem Film Blues Brothers, gilt die geflügelte Formulierung: „Du hast eine Art und Weise drauf, dass man laufend kotzen könnte“. Dies hilft uns zwar politisch nicht weiter, der Autor wollte dies aber zumindest mal erwähnt haben. Fraktionsvorsitzende Wagenknecht scheint mit ihrer sozial-chauvinistischen Argumentationen endlich ihren Zugang zur regierungstauglichen Politik gefunden zu haben – Hauptsache gegen Geflüchtete hetzen! Es ist eine „bemerkenswerte“ Entwicklung, wie aus der Sprecherin der „Kommunistischen Plattform“ und Luxemburg-Verschnitt der 90iger Jahre eine Rechtsaußen der Linkspartei geworden ist, die ungefragt die Taten mit den Geflüchteten, mit Terrorismus verbindet und den Staat auffordert, doch endlich die „Gefahrenpotentiale“ noch mehr zu bekämpfen. ;

Für SozialistInnen gehörte es eigentlich zum beruflichen Einmaleins des Sozialismus, nicht auf den bürgerlichen Staat zu setzen, wenn es um die „Sicherheit“ der ArbeiterInnenklasse geht bzw. zumindest andere Zusammenhänge auch zu erkennen und vor allem zu erklären. Dieser Staat, das organisierte Gewaltmonopol, sorgt nämlich allein für die Aufrechterhaltung des kapitalistischen „Normalzustandes“, soll heißen: Dieser Staat organisiert Ausbeutung, Unterdrückung, Diskriminierung und Gewalt wie auch die Spaltung der ausgebeuteten und unterdrückten Klasse nach Herkunft, Geschlecht und Religion. Er organisiert ganz konkret die barbarischen Zustände, die Millionen Menschen zu Verzweiflung, Perspektivlosigkeit und damit auch einzelne zur gegen sich und andere gerichteten mörderischen Gewalt treiben. Der Weg zur mörderischen Selbstzerstörung – ob nun als „reiner“ Amokläufer, als reaktionärer individueller Terrorist oder „nur“ als Selbstmörder – ist unter den aktuellen Verhältnissen geradezu vorgezeichnet.

Die Wurzel für die verschiedenen Anschläge liegt letztlich in der gesellschaftlich erzeugten Verzweiflung, die sich gerade bei Jugendlichen – und hier vor allem bei migrantischen, rassistisch unterdrückten – ansammelt. Sie selbst ist ein Resultat nicht nur der Abwälzung der Krisenkosten auf die Unterdrückten und der immer tieferen rassistischen Spaltung der Klasse, sondern auch des Fehlens einer politischen Bewegung der Klasse und der Unterdrückten, die Hoffnung und Perspektive in einer hoffnungslosen Welt vermitteln könnten. 

Für SozialistInnen ist dies ein unverzichtbarer Ausgangspunkt. Daher müsste auch die Frage des Kampfes um gleiche Rechte, gegen das barbarische Lager- und Abschiebsystem, für menschwürdiges Wohnen, die soziale Integration der Geflüchteten, also der Kampf um tariflich bezahlte Arbeit, ein Schwerpunkt einer solidarischen und internationalistischen Linken sein. Dann könnte zumindest gegen eine Politik der politischen und sozialen Spaltung Front gemacht werden, welche verschiedene Teile der Klasse nach rechts oder zur Hoffnungslosigkeit radikalisiert und zu Gewalttaten treibt. Dazu würde dann auch die Frage des Mindestlohns für Geflüchtete zählen wie auch eine nötige Skandalisierung der eingeführten 80-Cent-Jobs der Arbeitsagenturen, die hier am untersten Ende der Klasse die Spaltungslinie einziehen.

Doch davon hören wir wenig von der Linkspartei und erst recht von ihrer Fraktionsvorsitzenden. Eine vorhandene antirassistische und antikapitalistische Linke in dieser Partei ist jetzt (auch zuvor schon) aufgefordert, einen politischen Kampf gegen diese sozial-chauvinistische und rassistische Argumentation zu führen, nicht allein gegen die Person Wagenknecht, sondern vor allem in der Partei selbst, wo dieses Statement sich in den „sozialen“ Medien großer Beliebtheit erfreut. Dass es auch immensen Widerspruch gibt, kann ein Ausgangspunkt des Kampfes für eine antirassistische und internationalistische Orientierung der Linkspartei werden, doch dürfen diese Linken in der Partei diesen nicht den „Schokotortenwerfern“ der antideutschen Couleur überlassen.  

  • Den Kommentar erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe über ARBEITER/INNEN/MACHT-INFOMAIL Nummer 895, 26. Juli 2016

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