Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Corbus Delicti
Le Corbusier und der Faschismus
 

08/2015

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Manche hielten ihn für einen Kommunisten. 1930 wurden seine Bücher im damaligen Deutschen Reich wegen „bolschewistischer“ Tendenzen verboten, manche bezeichneten ihn dort gar als einen „Lenin der Architektur“. Nun bezeichnen Kritiker ihn als einen ausgemachten Faschisten, weisen antisemitische Passagen in seiner Privatkorrespondenz nach und sprechen von einer menschenverachtenden Konzeption. Bei seinem Tod schlug der französische Antifaschist und Minister André Malraux – in jungen Jahren selbst kommunistischer Schriftsteller, später Gaullist – vor, man müsse seinen Sarg mit Wasser aus dem Hinduisten als heilig geltenden Fluss Ganges bespritzen. Dies tat er dann auch. Angeblich, denn wie man später erfuhr, kam es aus dem Wasserhahn in den Toiletten der indischen Botschaft in Paris.

Vor fünfzig Jahren, im August 1965, verstarb der französische Stararchitekt Charles-Edouard Jeanneret, besser bekannt unter seinem Pseudonym: Le Corbusier. Aus diesem Anlass widmete ihm das Centre Pompidou in Paris eine Ausstellung, die am 29. April ihre Tore öffnete und am kommenden Montag, den 3. August zu Ende gehen wird. Doch den Beginn der Ausstellung überschattete eine Flut von Presseartikeln und Gastbeiträgen, die Le Corbusiers politische Vergangenheit und Auffassungen zum Gegenstand hatten. Anlass dazu war das Erscheinen dreier Bücher in diesem Frühjahr, kurz vor Ausstellungsbeginn, die vor allem das Verhältnis des Architekten zum Faschismus zum Gegenstand hatten. Und dies über die bereits früher bekannte Tatsache hinaus, dass er – allerdings weitgehend vergeblich – dem Regime in Vichy im Jahr 1940 seine Dienste anbot und sich damals auch in Vichy niederließ, auch wenn er häufig auf Reisen war und es in der Stadt nicht sonderlich aushielt. Xavier de Jarcy verfasste Le Corbusier, un fascisme français, François Chaslin publizierte Un Corbusier. Und von dem Hochschullehrer für Kunst und ästhetik, Marcel Perelman, erschien Le Corbusier. Une froide vision du monde (Eine kalte Weltsicht). Die dadurch ausgelöste Pressekontroverse, die periodisch alle paar Wochen wieder aufflammte, hielt auch in der zweiten Julihälfte noch an.

Der 1887 im schweizerischen Jura geborene „Corbu“, wie manche ihn auch kurz und knapp nennen, war vor allem durch seine baulichen Utopien bekannt, von denen einige auch umgesetzt wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte Le Corbusier das Stadtzentrum von Paris abreißen und durch modern-quadratisch-praktische Hochhausbauten ersetzen – ein Vorhaben, das im Nachhinein nur von wenigen als gedankliche Meisterleistung betrachtet wird. In Marseille errichtete er von 1947 bis 1952 eine moderne Wohnsiedlung, die schon eher als gelungen betrachtet wird. Auf Pfählen stehende, insgesamt 337 „Wohneinheiten“ in Form eines flachen Betonriegels bilden dort die Cité radieuse (ungefähr: „Ausstrahlendes Gemeinwesen“) – der Name spielt nicht auf einen Atomunfall an -, die zu jener Zeit futuristischen Charakter hatte.

In jener Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg wurden noch wieder andere Wohnsiedlungen nach den Plänen von Le Corbusier errichtet: im westfranzösischen Rezé, in den ostfranzösischen Städten Briey und Firminy sowie ein fünfte, die 1957 im Westend in Berlin-Charlottenburg entstand. In Indien wurde Le Corbusier in den frühen fünfziger Jahren von Präsident Nehru damit beauftragt, eine neue Verwaltungshauptstadt für die Provinz Pundjab, das auf einem Hochplateau zu Füßen des Himalaya errichtete Chandigarh. Daher rührte auch die Idee von André Malraux, der ihn nach dem Krieg trotz bereits damals bekannter Vichy-Kontakte Le Corbusiers zusammen mit anderen vor der Epuration – der französischen Variante der Entnazifierung, die um Einiges konsequenter ausfiel als die westdeutsche – bewahrt hatte.

Le Corbusier hatte aber auch in der Zeit unmittelbar nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 urbanistische Vorschläge unterbreitet, die darauf hinausliefen, Platz sparende und räumlich konzentrierte neue Wohnviertel zu errichten. Unter anderem arbeitete er zu städteplanerischen Konzepten für Rio de Janeiro, Algier – diesen Plan unterbreitete er dem Vichy-Regime, da Algerien damals französisch kolonisiert war, erhielt jedoch keinen Auftrag – und Barcelona. Er hielt sich jedoch auch 1930 in Moskau auf. Schon früher hatte Le Corbusier zeitweilig auch Lenin seine Dienste als Architekt angeboten, was noch keinen zwingenden Hinweis auf eine progressive Weltanschauung enthielt – der französische Polit-Mystiker Georges Sorel bezog sich am Ende seines Lebens positiv zuerst auf Lenin, später auf Benito Mussolini -, ihm allerdings einen Ruf als Kommunist eintrug.

Und nun sorgen die jüngsten Publikationen dafür, dass noch eine andere Facette zum Vorschein kommt. Jene eines Mannes, der schon ab 1926 im Umfeld der Gruppe Le Faisceau (Das Bündel) von Georges Valois mitwirkte, deren Namen nicht zufällig jenem lateinischen Rutenbündel nachgebildet war, das als Namensgeber für den italienischen Faschismus diente. Die 1925 gegründete Gruppierung des Ex-Gewerkschafters Valois war die erste authentisch faschistische Bewegung auf französischem Boden, die sich an Mussolinis Italien orientierte, jedoch in den Jahren ihrer Existenz nur mäßigen Erfolg hatte. Sie kam wahrscheinlich historisch zu früh, und Valois war eine komplexe Persönlichkeit, die schließlich in der französischen Résistance endete, zu einer Zeit, als manche vormaligen Linken ihrerseits zu Kollaborateuren geworden waren.

Im jahr 1929 gründete der Architekt zusammen mit dem Doktor Pierre Winter, dem Vorsitzender einer – ihrerseits bedeutungslosen – Splitterpartei unter dem bezeichnenden Namen Parti fasciste révolutionnaire, eine Zeitschrift unter dem Namen Plans. Er zeichnete die ganzen dreißiger Jahre über Artikel in rechtsextremen und antidemokratischen Zeitschriften, wenngleich seine eigenen Themen eher ästhetischen oder städtebaulichen Fragen gewidmet waren. So gründete er 1933 zusammen mit dem Ingenieur François de Pierrefeu die Zeitschrift Prélude, die das nationalsozialistische Regime in Deutschland in Schutz nahm.

1940 bot er den Machthabern in Vichy seine Dienste an, auch wenn er keine nennenswerten Aufträge erhielt. In jener Zeit äußerte er sich in Privatkorrespondenzen, besonders mit seiner Mutter, auch zu politisch-ideologischen Fragen. An einer Stelle schrieb er: „Die Geldsäcke, die Juden – die zum Teil schuldig sind -, die Freimaurerei, Alles wird das gerechte Gesetz erleiden.“ An anderer Stelle äußerte in einer solchen Familienkorrespendenz auch, die Behandlung der Juden komme ihm hart vor, aber sie seien „zum Teil mitschuldig, weil sie durch das Geld das Land korrumpiert hatten“. In einer Passage verkündet er: „Adolf Hitler kann nun sein Lebenswerk mit einem grandiosen Werk krönen: der Raumordnung Europas.“ Andernorts erklärte er jedoch, er sei dem regierenden Marschall Philippe Pétain zu-, Adolf Hitler gegenüber jedoch abgeneigt. Tatsächlich durchziehen einige Fluktuationen, zumindest an Einzelpunkten, die nunmehr in den drei Büchern öffentlich zugänglich gemachten Dokumente.

Der französische Architekt Paul Chemetov, der als Kommunist oder ihrem Gedankengut nahe stehend gilt und den Bau des französischen Wirtschafts- und Finanzministeriums entwarf, nimmt Le Corbusier tendenziell in Schutz. In Le Monde erklärte er, dieser sei in Vichy gewesen, aber „die Mehrzahl der französischen Architekten waren damals pro-Vichy“. Ferner könne man ihm nicht vorwerfen, unter Vichy gearbeitet zu haben, „während auch Jean-Paul Sartre und Albert Camus in der Vichy-Zeit schrieben“. Worauf Marc Perelman in derselben Zeitung antwortet, die beiden Schriftsteller hätten sich aber zu keinem Zeitpunkt zugunsten des Regimes geäußert. Er hätte auch erwähnen können, dass Camus zur selben Zeit für die im Untergrund erscheinende Widerstandszeitung Combat tätig war.

Perelman sieht bei Le Corbusier aber das Grundübel in einer von ihm als faschistisch bezeichneten ästhetik angelegt. Le Corbusier haben menschliche Körper normen und in der Masse – sei es in riesigen, geometrisch geformten Wohnblöcken oder in ebenso gigantischen Sportveranstaltungen zu ihre Füßen – aufgehen lassen wollen. Er sei vom Vitalismus, der sich in ständig in Bewegung befindlichen oder Masse bildenden Körpern symbolisiere, fasziniert gewesen. Und zum Maßstab der Dinge habe er mit dem Modulator einen standardisierten und genormten Körper genommen. Dieser Messeinheit nahm ein angeblich durchschnittlicher Menschenleib mit willkürlich gewählten 1,83 Meter Körpergröße zugrunde. Le Corbusier goss dieses Konzept in die Gesamttheorie, ebenso wie Bienen in Waben wohnten, wollten auch Menschen sich geometrisch gleiche Grundeinheiten schaffen und diese zu Großsiedlungen zusammenschließen.

Nicholas Fox Weber, der selbst 2009 ein Buch über Le Corbusier verfasste und sich in der vorletzten Juliwoche als einer der letzten Debattenteilnehmer in der französischen Presse zu Wort meldete, sieht dagegen in dem Architekten eine Persönlichkeit „mit mehreren Facetten“. Viele Vorwürfe seien inhaltlich richtig, zugleich verhielten die Dinge sich jedoch komplexer. So habe Le Corbusier von massiven Großsiedlungen geträumt, aber vor allem deswegen, weil er durch das Bauen in die Höhe „so viel Menschen wie möglich Zugang zum Licht und zur möglichst weiten Aussicht verschaffen“ habe wollen. Die Vorwürfe des Antisemitismus seien zum Teil willkürlich gewählt, da die Zitate widersprüchlicher seien. Perelman seinerseits würde darin vielleicht ein Zeugnis jener „Entschuldigungskultur“ sehen, die er mehrere Wochen zuvor am Beispiel von Chemetov moniert hatte.

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.

Ursprünglich verfasst für die Berliner Wochenzeitung ,Jungle World’. Dort erschien der Artikel in leicht gekürzter Fassung am 30. Juli 15