Wolfgang Gehrcke
„Rufmord – Die Antisemitismus-Kampagne gegen links“


Rezension
von Anton Holberg

08/2015

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Wolfgang Gehrcke, MdB „Die Linke“, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Mitglied des Vorstands der PDL, hat ein hervorragendes Buch geschrieben, und dennoch ist es eine Qual, es zu lesen. Der Grund ist einfach: bei der erwähnten flächendeckenden Kampagne handelt es sich auf den ersten Blick erkennbar um ein unappetitliches Gebräu, in dem sich seitens der Giftmischer in individuell unterschiedlichem Maße Unwissenheit und/oder schiere intellektuelle Minderbemitteltheit mit dem Willen zur Volksverhetzung paart. Damit könnte man relativ problemlos leben, wenn dieses Gemisch nicht umso gefährlicher wäre als es auf in der Bevölkerung zwar gegenwärtig kaum mehrheitlich aber doch relativ weit verbreitete stereotype Vorstellungen über „die“ Juden trifft. Diese Vorstellungen können umso unkontrollierter wuchern und bei Bedarf aktualisiert und instrumentalisiert werden als sie von der genannten philosemitischen Kampagne in den Untergrund gedrängt und so jeder rationalen Diskussion entzogen werden sollen. Das gilt insbesondere, wenn der notwendige Kampf gegen den Antisemitismus instrumentalisiert wird, um den in Gestalt Israels real existierenden Zionismus jeder systematischen und damit ernsthaften Kritik zu entziehen, obwohl die mit der Schaffung dieses Staates notwendigerweise von Anfang an verbundenen Menschenrechtsverletzungen immer unübersehbarer werden. Dass die offizielle Linie der PDL hier auch defizitär ist, sei am Rande angemerkt.

Gehrke widmet sich ausführlich allen relevanten Aspekten des Problems und zitiert eine Vielzahl von Dokumenten wie etwa den „Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus. Antisemitismus in Deutschland – Erscheinungsformen, Bedingungen, Präventionsansätze. Deutscher Bundestag, Drucksache 17/7700, 10.11.2011“, dessen Autoren ungeachtet der auch durch im Bundestag vertretenen Kräfte vergifteten Atmosphäre nicht umhin konnten festzustellen, dass links orientierte Bürger vergleichsweise am wenigsten zum Antisemitismus neigen.

In diesem Zusammenhang sei allerdings darauf hingewiesen, dass Wolfgang Gehrke sich glücklicherweise auch der Tatsache widmet, dass durchaus auch ansonsten Linke antisemitische – oder korrekter anti-jüdische Vorurteile haben können. Das ist kaum anders zu erwarten, denn auch Linke leben in einer Klassengesellscaft und sind in dieser sozialisiert. Klassengesellschaft heißt eine Gesellschaft, in der die Schwachen von den Starken unterdrückt und ausgebeutet werden. Rassismus und jede Art von Feindseligkeit gegenüber ebenfalls unterdrückten sozialen Gruppen ist eine übliche Reaktion der Unterdrückten, soweit sie kein politisches Klassenbewusstsein entwickelt haben, und wird von den Herrschenden nicht unbedingt geteilt, aber doch im Interesse der Wahrung ihrer Herrschaft instrumentalisiert. Ein „linkes“ und zumal marxistisches Bewusstsein ist aber das beste Instrumentarium, um sich gegen das Abrutschen in – eben tendenziell auch immer rassistische – widersprüchlich zusammengesetztes Alltagsbewußtsein zu wappnen.

 

Wolfgang Gehrcke
Rufmord
Die Antisemitismus-Kampagne gegen links

PapyRossaVerlag
Neue Kleine Bibliothek 214, 177 Seiten

ISBN 978-3-89438-586-6

12,90 €



Editorische Hinweise 
Wir erhielten die Rezension vom Autor für diese Ausgabe.