trend spezial: Berichte aus Kosova redigiert von Max Brym
Fortschritt oder Reaktion- Wie geht es weiter in Kosova

von Max Brym

08-2014

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Die Regierungspartei PDK bot der „Bewegung für Selbstbestimmung“ ( VV) eine gemeinsame Regierungsbildung in Kosova an. Die Partei von Hashim Thaci, scheint im Panik zu verfallen. Das Angebot an die „Bewegung für Selbstbestimmung“ ist ein Ausdruck von Angst und Verzweiflung. Die VV gilt bis dato als Hauptkritiker der Regierung Thaci. Jetzt wurde VV das Angebot unterbreitet, den Ministerpräsidenten und sechs Minister zu stellen. Umgehend wies der Sekretär von VV, Dardan Molliqaj, das provokative Angebot zurück. In der Antwort von VV, wird die PDK, zum Hauptverantwortlichen für die soziale Lage in Kosova erklärt. Eine gemeinsame Regierung zwischen PDK und VV steht nicht zur Debatte. Gegenwärtig versucht die PDK , Abgeordnete von der LDK, der AAK , sowie von Nisma insgeheim zu kaufen oder abzuwerben. Die PDK stellt nur noch 37 Abgeordnete im Parlament. Sie benötigt allerdings um eine neue Regierung zu bilden 61 Stimmen. Um dieses Ziel zu erreichen scheint fast jedes Mittel recht zu sein. Dennoch gibt es eine Debatte von Freunden und Sympathisanten bei VV, bezüglich der Teilnahme oder Unterstützung einer Regierung, bestehend aus dem Oppositionsblock. Die VV hat insgesamt neun Punkte für die Unterstützung einer Koalitionsregierung aufgestellt. Darunter befinden sich so wichtige Punkte , wie der Verzicht auf dem Verkauf der „Post und Telekommunikation“ ( PTK) dem Verkauf des Energiegiganten KEK und der Erhalt des Rohstoffgiganten Trepca, in gesellschaftlicher Hand. Allerdings gibt es eine Debatte, ob sich VV an einer Regierung direkt beteiligen soll. Dazu will ich meine persönliche Meinung kurz darstellen.

Reaktion oder Fortschritt ?

Die Parteien LDK, AAK und Nisma stellen vom Prinzip her keine gesellschaftliche Alternative zur gegebenen Gesellschaftsordnung dar. Auch in ihren Reihen herrscht Korruption und Unterwürfigkeit gegenüber internationalen Mächten vor. Es ist in der Tat extrem wichtig den kolonialen Status von Kosova aufzuheben. Vor einigen Jahren forderte der IWF, die Privatisierung der Post und Telekommunikation ( PTK), um die neue Autobahn nach Mazedonien finanzieren zu können. Erst unter dem Druck der Arbeiter und dem Druck der“ Bewegung für Selbstbestimmung“ konnte diese Privatisierung nicht durchgeführt werden. Die oben genannten Parteien stimmten erst gegen die Privatisierung, nachdem sich außerparlamentarischer Widerstand formierte. Letzteres ist im Kosova extrem wichtig. Ohne die Entwicklung von Massenaktivität, Arbeiterstreiks und Studentenprotesten, kann es keinerlei gesellschaftlichen Fortschritt geben. Eine Regierung bestehend aus dem bisherigen Oppositionsparteien wird unter dem Druck der imperialen EU, die Verhandlungen mit Serbien weiter führen . Es sei denn das Volk und die Massen entwickeln Eigenaktivität und stellen die berühmte „Stabilität“ in Kosova infrage. Eine Regierungsbeteiligung vor VV kann und wird die Aktivitäten außerhalb des Parlaments nicht befruchten sondern eher unterminieren. Bis dato gilt in weiten Teilen der kosovarischen Gesellschaft , die „Bewegung für Selbstbestimmung“ als Alternative zur gegebenen Situation, bestehend aus Armut, Not und Unterdrückung. Eine Regierungsbeteiligung wird VV wird die selbsttätige Massenaktionen in Kosova nicht stärken sondern schwächen. Es gilt an der Aufgabe festzuhalten: Das gesamte System in Kosova und auf dem Balkan elementar infrage zu stellen. Eine Regierungsbeteiligung liquidiert diese Haltung. Die Eigendefinition von VV als „sozialdemokratische Kraft“ ist bereits eine Hinwendung zu den gegebenen Strukturen. Was Kosova wirklich benötigt ist eine links radikale Alternative zum gegebenen Leben. Diese Alternative darf nicht verwechselt werden mit dem Stalinismus. Es gilt die Begriffe Demokratie und Sozialismus, in einer dialektischen Einheit zu verbinden. Jede Bezugnahme auf einen irgendwie geartetes skandinavisches Modell als Perspektive für Kosova, ist absurd und irreal. In den skandinavischen Ländern hat auch der Neoliberalismus Einzug gehalten. Es gibt in Schweden nicht mehr die Pflicht, Vollbeschäftigung zu garantieren, wie es bis 1993 für die Nationalbank galt. Auch in den skandinavischen Ländern werden soziale und demokratische Rechte im Rahmen der allgemeinen Krise des Kapitalismus abgebaut. Diese Bemerkungen sind nötig, da es tatsächlich innerhalb von VV eine Strömung gibt, die ein „skandinavisch sozialdemokratisches Modell“ anstrebt. Kosova ist das ärmste Land in Europa mit einem Lebensstandard, der sich mit vielen Gebieten in Afrika vergleichen lässt. Innerhalb der kapitalistischen Weltordnung ist Kosovas Status der einer Rohstoffkolonie für die imperialistischen Hauptländer. Es wird in Kosova keinerlei breite Investitionen im Bereich einer verarbeitenden Industrie geben. Kapitalistische Konzerne haben das Interesse Rohstoffe wie Zink, Nickel, Kupfer, Chrom und Blei aus Kosova mit einigen wenigen billigen Arbeitskräften abzubauen und abzutransportieren. Eine nachholende Entwicklung zu einem modernen bürgerlichen Staat ist für die zurückgebliebenen Gebiete wie Kosova ,im Rahmen der gegebenen Weltordnung ausgeschlossen. Deshalb ist jede ernst zu nehmende Opposition dazu verpflichtet ein antikapitalistisches und antiimperialistisches Programm zu vertreten. Auch das Recht Kosovas sich mit Albanien zu vereinigen muss gegen den Imperialismus erkämpft werden. Dabei ist es wichtig soziale und patriotische Forderungen miteinander zu kombinieren. Es werden nicht viele Menschen bereit sein für die Vereinigung mit Albanien zu kämpfen wenn nicht gleichzeitig, die Herstellung von sozialer Gerechtigkeit und sozialer Gleichheit damit verbunden sind. Irgendwelche Spielchen mit dem Imperialismus und den Kolonialherren können dabei nur in die Irre führen.

Übergangsprogramm für Kosovo

Jede Opposition in Kosova muss grundsätzlich radikal sein . Wenn 18 % der Menschen unter Kalorienmangel leiden und 36 % der Bevölkerung als arm gelten, besteht das Bedürfnis noch schnellen und radikalen Lösungen. Wenn diese Lösungen nicht angeboten werden, wird die Jugend weiterhin versuchen in bestimmter Staaten der EU zu emigrieren. Ein anderer Teil wird in Depression und Verzweiflung versinken. Letzteres machte sich bei den Wahlen am 8. Juni bemerkbar. Nur 42 % der Bevölkerung nahmen an den Wahlen teil. Für die Masse ist die Politik, die Debatte in der politischen Szene Kosovas uninteressant. Nur ein radikales sozialistisches Programm kann die Massen mobilisieren. Mit Koalitionen mit wem auch immer haben die Armen und die Verzweifelten nichts am Hut. Es ist daher nötig, die elementaren Nöte der Bevölkerung aufzugreifen und grundlegende Lösungen anzubieten . Welches sind die Elemente einer solchen Programmatik. Es gilt sämtliche Privatisierungen rückgängig zu machen . Die Arbeitslosigkeit muss sofort bekämpft werden. Ein Mittel dazu ist die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, solange bis alle Arbeit haben. Es würde bei der KEK bedeuten: Gegenwärtig arbeiten knapp 6000 Arbeiter und Arbeiterinnen im Schnitt wesentlich mehr als 40 Stunden pro Woche. Eine Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden ohne dass sie Arbeitsintensität zunimmt würde schnell 6000 Arbeitsplätze zusätzlich bei der KEK bringen. Die Rücknahme sämtlicher Privatisierungen muss verbunden werden mit der Forderung, sämtliche Entlassungen, die dieser Prozess mit sich brachte, zurückzunehmen. Es würde bedeuten: 76.000 Arbeitsplätze zusätzlich. Die Beschlagnahmung des Vermögens der Reichen in Kosova, würde die Mittel bereitstellen, um eine Krankenversicherung, sowie generell kostenlose medizinische Versorgung zu garantieren. Auch ein kostenloses Bildungssystem wäre damit locker finanzierbar. Den Privatbanken müssen ihre Kreditforderungen, speziell an die Bauern sofort gestrichen werden . Die Privatbanken wie die österreichische Raiffeisenbank oder die deutsche Pro Credit Bank haben, die Bauern zum Teil mit einer Zinslast von 19 % faktisch in den Ruin getrieben. Die Schulden der Bauern müssen sofort und ersatzlos gestrichen werden . Anstelle der Privatbanken müssen öffentliche Banken im Interesse speziell der Landwirtschaft installiert werden. Es gilt die Produktion von landwirtschaftlichen Saatgut sofort aufzunehmen. Die stillgelegten Produktionsanlagen dafür, müssen sofort wieder in Betrieb genommen werden. Es gilt in jedem Betrieb in jeder Genossenschaft, die Kontrolle der Produzenten über die Produktion herzustellen. Jegliches Management hat sich der Kontrolle und der Wählbarkeit durch die Beschäftigten zu unterwerfen. Kosova benötigt sofort Geld für die Armen Behinderten und Rentner. Das Geld liegt auf den Konten der Reichen und Spekulanten in Kosova herum. Es gilt das Prinzip zu verwirklichen: Die Reichen sollen zahlen.

Opposition und Macht

Klar ist, dass ein radikal sozialistisches Programm mit keiner traditionellen Partei in Kosova verwirklicht werden kann . Die „Bewegung für Selbstbestimmung“ hat sich zu entscheiden zwischen einem sozialdemokratischen Irrweg und einer realistischen Machtoption. Diese realistische Machtoption kann nur eine linke und radikale Option sein. Alles andere akzeptiert gegebenen Zustände und führt damit zur weiteren Zunahme von Verzweiflung und Depression in der Gesellschaft. Es ist wichtig, diese Debatte in VV zu führen. In allen anderen Parteien ist jegliche politisch programmatische Debatte absolut sinnlos. Denn PDK,LDK,AAK und Nisma aber in Wirklichkeit keinerlei eigenständige Programmatik. Im Gegenteil die Programmatik in diesen Organisationen ist austauschbar. Es geht den genannten Kräften nur um egomanische Claninteressen. Das einzige reale politische Subjekt in Kosova ist die „Bewegung für Selbstbestimmung“ nur dort kann Aktivität und Debatte stattfinden.