Messestände des Kapitalismus?
Die reformistische Ausstellung "We-Traders" und das emanzipatorische "Museum des Kapitalismus"
von Matz Schmidt

08-2014

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Zwei Ausstellungen sind zur Zeit in Berlin zu sehen, die, parallel zueinander, aber mit ganz unterschiedlicher Ausrichtung die allgemeine Krisensituation kapitalistischer Produktion, mit den Effekten steigender Reproduktionskosten, repressiven Verwerfungen und einer sich verbreitenden Misere in den Unterklassen und den Mittelschichten, aufgreifen. Der Fokus liegt bei beiden auf dem Europäischen Raum und städtischer Problematik mit gewissen praktischen wie theoretischen Konsequenzen.

Während das Goethe-Institut im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien mit augenscheinlich professionellem Etat und professioneller Kuratorenschaft im ästhetischen Charme sozialpädagogischen DIYs <Do-it-yourself> die reformistische und kleinbürgerliche Lösung milieugestützten A-Kommerzes vorschlägt und von "Zivilgesellschaft" spricht, versucht eine heterogene Gruppe im 'schönen Neukölln' (also noch innerhalb des S-Bahnrings) auf eigene Faust sich und den Besuchern die Mechanismen des Kapitalismus zu verdeutlichen.

Im Bethanien, wo hin und wieder auch angepasst-rebellische Street Art- und Sozial-Bewegungskünste-Schauen zu sehen sind, dem Ort also, wo sich eher akademisch geschultes, links-libertäres Publikum versammelt, werden viele, sehr viele Beispielmaterialien in Stationen von Expertisen, gehalten in fröhlichen Farben des Mitmachens präsentiert. Das label "We-Traders" ist dabei unschwer als »Gutwort« der auffordernden Sorte vergemeinschaftlichender Rede zu erkennen, hinter dem sich alle sammeln sollten. Hier gibt es ein Wir, wir sind bereits für uns da. Werde einer von uns! Hier wird aber vor allem ein geschichtlich unhaltbarer und dazu philosophistischer Tenor angeschlagen. Auf Märke sei nicht zu verzichten, aber, der gute Handel sei gewollt, schlechter Kommerz müsse weg:

"Historisch betrachtet, ist der Markt ein notwendiges Kriterium für jede Stadt. Märkte ermöglichen den Austausch von Waren, Fertigkeiten und Wissen. Auf diese Weise bleibt die Stadt offen für Veränderung und erhält ihre Welthaftigkeit." [1]

Übersetzt in die Systemik der Warenförmigkeiten wird in Eigenintitative, also privat und dabei doch staatlich ausgerichtet -- wo auch immer, in Berlin, Turin oder Madrid -- zunächst moralisch dafür gesorgt, dass der lokale Absatzmarkt, ob für Tanzunterricht, Gemüse oder IT-Produkte nicht zusammenbricht. Angeschlagen wird neben dem dörflich situierten aber sofort der kosmopolitische Faktor des eigenen Standorts. Exakt das Arbeitsfeld des Ausrichters der Schau, des weltweit tätigen _Kultur_instituts, das in Wirklichkeit ein verlängerter _politischer_ Arm deutscher Außenpolitik ist (im Präsidium sitzen grundsätzlich Vertreter des Auswärtigen Amts und des Bundesministeriums der Finanzen).

Die alltäglichen Auswirkungen der Krise, die auf die grundsätzliche Überproduktion zurückgeht -- Kürzungen der Wohlfahrt, strukturelle Lohnsenkungen, Preissteigerungen, illegalisierte Mobilität -- werden im Kleinen an eine Civitas <Staatsbürgerschaft> zurückgespielt, das Politische ist nicht was Gesellschaft als ganze betrifft, sondern erstmal lediglich der Ort an dem man lebt. Zugleich aber wird sind diese Bewegungen in die Programmatik auszuweitender Interessen des staatlich geschützten nationalen Kapitals einzupassen, letztlich aber in die des kontinentalen Staatenbunds unter deutscher Herrschaft.

Die beschworene Kreativität in "deiner Stadt" in "deiner Community" wird angebunden in eine zu erneuernde Fixierung der kapitalistischen Konditionen, die, in Anbetracht drohender Streiks und Widerständen in allen Bereichen, historisch in Gefahr, dringend in den Köpfen und ihrer Zurichtung auf Projekte, abgesichert werden müssen. Und Bürger machen das freiwillig.

Das Gebot der Stunde sei Bürger-Engagement und gemeinwesenorientiertes Tun. Vormals sozialstaatlich gebundene Funktionismen sollen von Akteuren in Angriff genommen werden -- ein Ausgleich von gutem Geld und offenstehenden Basis-Bedürfnissen, angesichts anstehender Verschärfungen der Lebensbedingungen, soll herbeigeführt werden. Der soziologisch-funktionalistische Begriff "Akteur" (vgl. Ferdinand Tönnies) zielt dabei aufs individuelle aber gemeinschaftlich ausgerichtete Handeln in netzwerkartigen Zusammenhängen. Damit sind zunächst jegliche möglichen Subjektkonstellationen gemein, die sich in Wollensstrukturen wiederfinden. Gesellschaft, mit ihren Bedingungen, und Subjekt(e) sind hier voneinander getrennt und nur über rationale Zweckmäßigkeit so vermittelt, dass letztere den politischen Spielraum an den interagierenden Subjekten selbst festmacht. Politik ist was man besser macht.

Bei näherer Betrachtung erscheint dieser pluralistische Ansatz aber als nivellierender, der zwar rhetorisch alle Subjekte meint, aber letztlich nur Handlungsfähige und unter bestimmten Voraussetzungen Handlungswillige umfasst und soziale Klassen und ihre Konflikte einebnet in aktuelle nachbarschaftliche Möglichkeitshorizonte, die dennoch nachhaltig wirksam die Warenform nicht antasten sollen.

In der staatstragenden Politikwissenschaft ist das in den 1970ern, z.B. von Iring Fetscher (SPD und damals Mitglied der " Kommission zur Erforschung der geistigen Ursachen des Terrorismus") lange 'vorgedacht' -- auch er forderte die Teilhabe des Bürgers an der Gestaltung des Gemeinwesens, vor 40 Jahren schon hieß das "mehr Demokratie wagen".[2]

Es werden demnach Lobbys und Lobbybildungen angesprochen und mit dem Anspruch auf Lösung singulärer Probleme in ihrer abgrenzbaren Teil-Gesamtheit verbunden. Solche Probleme sind dann Wohnen, öffentlicher Raum, Sinnlichkeit, Vorsorge und biographistische Lebensplanung, ökologische Ernährung, aber auch aufblitzend: unentfremdetes Arbeiten.

Gegen gesamtgesellschaftliche Änderung grenzt sich diese praktische Lobby-Theorie aber nicht ab, sie versteht diese jedoch nicht im Sinn von Umwälzung und Aufhebung geltender Verhältnisse, sondern diese korrigierend und missionarisch als Reform. Die sozial Handelnden sind dann im Zweifelsfall alle, die sich der Reform anschließen und Ausbeutung und Regime als herrschende Verhältnisse nicht konfrontativ beenden wollen, sondern diese (ohne sie als solche zu benennen) in gerechte überführen wollen.

Verteilung ist darum auch die Kernfrage derjenigen, die sich hier und andere als jene Akteure ansprechen. Und diese Kernfrage wird kommunal umgelegt in die Fragen, wie mittelständisches Einkommen und Status zu sichern sind. Von Fabriken und Werkbänken und internationaler Konkurrenz der Kapitale keine Rede, das ist immer das entfernte "Großkapital". Damit ist die Nähe zum regressiven Boden-und-Kiez-Spießer hergestellt.

Die Ausstellung der "Händler des Austauschs" ideeller und materieller Güter in eigener Sache, geht davon aus, dass "Stadt" nicht mehr allein den Ort bedeute, an dem Produktion und Verwaltung konzentriert sind, sondern Stadt selbst das Konglomerat der Produktion sei. Produktion, das liest man so etwa auch bei David Harvey (_Rebellische Städte_)[3] und Henri Lefebvre (_Die Revolution der Städte_), ist die der Güter, aber im Kern die des Sozialen schlechthin. Diese Stadt neuen Typs und als universelle Stadt, als Welt -- und das macht als Ausgangsthese auch die Schwäche des "Museum des Kapitalismus" etwa in seiner Darstellung vom Immobilienkapital aus -- sei quasi synonym mit Kapitalismus selbst zu verstehen.

An dieser Stelle kommt eine eigentümlich gemischte Vorstellung und zum Vorschein, in der "das Urbane" einerseits zur allein gültigen Form kapitalistischer Produktionsweise erklärt wird, und nicht als geschichtliches Resultat, sondern als ihr entwickelter Ausgangspunkt.

Stadt wird aber zugleich als vormals und ursprünglich gesellschaftlich-allmendeartig und im Späteren feudal beherrschte Entität <einheitliche Gestalt> gesehen, welche im Lauf von Industrialisierung und Kapitalisierung privatisiert worden sei -- hat also eine Entwicklung. Die Stadt und das Urbane <das zur Stadt Gehörende> seien also 'eigentlich' und ursprünglich frei, aber im geschichtlichen Prozess überformt worden -- es sei etwas falsch gelaufen.

Im Nachvollzug dieser Denke kann so nur erklärt werden, dass eine Art ursprüngliche Akkumulation, die von Marx (in _Das Kapital_) als "sogenannte" kritisiert wurde, zur eigentlichen wird. Expropriation sei der eigentliche Zweck des Kapitals. Für andere Verhältnisse wäre Welt = Stadt dann lediglich von Diebstahl und Enteignung zu befreien. Geschichtlicher Prozess wird auf diese Weise seines Zusammenhangs von Vorgängen und Triebkräften entledigt und auf _ein_ angeblich ursächliches Moment des Fehlgeleiteten reduziert. Die Dialektik von mörderischer Proletarisierung der Bevölkerung, als notwendige Voraussetzung industrieller Kapitalverwertung, wird zum Raub(tier)kapitalismus umgedeutet und nicht der Kapital-Komplex als Verhältnis angegriffen. Die Entwicklung von der einfachen Warenproduktion zur kapitalistischen Produktion von Waren wird verkannt. Der 'offene Hintergedanke' aber ist, dass man als "Trader" an diese Verhältnisse der einfachen, ehrlichen, den Preis werten Warenproduktion anschließen sollen möchte. Das "möchte" und wollen kommt dabei von den sich selbst darstellenden Weltstädtern, das "sollen" vom Kulturinstitut und dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Hier liegt das ideologische Hauptmoment der Veranstaltung, Bürgerwille und staatliche Roadmap werden miteinander verbunden. Krise wird dem gemäß gedeutet wie ein irreversibler naturgängiger Einbruch im Kapitalismus, der als solcher nicht überschritten werden kann. Marco Revelli (Politikwissenschaftler in Turin) sagt im Video auch ganz offen, dass für die Überwindung der Krise eine Abwendung vom Kapitalismus und eine Revolution nicht nötig seien. Der Krise stellen sich im Entwurf neue, anders, verantwortlichere Handelnde gegenüber. Was jede Firma längst in der Agenda und ihrer Unternehmens"philosophie" an sozialer Verantwortung stehen hat, daran glaubt der Beteiligte.

Was nicht verstanden ist und aber sofort geändert wird, scheidet sich im Museum des Kapitalismus sinngemäß voneinander.

Die Vermittlung prototypischer Aktivitäten der "We-Traders", zu lesen als Leuchtturm-Beispiele demokratischer Mitbestimmung und anti-kommerzieller (nicht antikapitalistischer!) Potentiale der Produktivkräfte, können unter den Vorzeichen des guten Kleinkapitals dann auch als Selbstorganisation progressiver Kräfte gezeigt werden und didaktisch zum "Markt der Möglichkeiten" für neue Standards aufgebaut werden, die sich aber nur biotopisch außerhalb der Profitlogik stellen können. Der Diesel für den Traktor des Bauern regionaler Versorgung in der Nähe von Toulouse kommt von Außen, wobei die Erträge gesteigert und verbessert wurden und der Absatz mit lokalen, genossenschaftlichen Abnehmern stieg. Die Projektierung des örtlichen Markts ermöglicht nun Warenpreise zwischen Biomarkt und Discounter. Und es bleiben Preise, derjenigen banalen Form des Tauschwerts der Arbeit, zu zahlen in Geld. Auch bei der Berliner LPG BioMarkt-Kette wächst der Regenbogen vom grünen Baum in die graue Großstadt. Bessere Produkte, bessere Menschen. Die Qualität der Produktion ist lokal kontrolliert, Herstellung und Bedürfnisse scheinen auch quantitativ direkt verknüpft. Allesamt erste Kriterien für eine sozialistische Wirtschaft.

Im Kapitalismus-Museum nun wären hinter den Phänomenen der "privatisierten Stadt" stehende Gesetzmäßigkeiten kritisch abzugleichen. Anhand von Schautafeln zum Wert der Ware und der Ware Arbeit, zum Marktmechanismus. Wo die Kuratorinnen des Goethe-Instituts nett-freundliches, halb-refelektiertes Machen veranschaulichen und Besucher-Pseudo-Polls <Umfragen ohne statistischen Wert> für das Mitmachgefühl hinstellen, stellten die Leute vom MdK ("Museum des Kapitalismus") sich Fragen und versuchen Antworten zum Warentausch, zur Entwicklung des Kapitalismus, zum Mehrwert, zum Kapitalbegriff.

Doch wo basale Fragen nicht weiter helfen dürfen, muss Initiative "Demut" erfordern (Zitat Rolf Novy-Huy, Banker und Geschäftsführer der Trias-Stiftung im "We-Traders"-Video). Das alternative Eigenwirtschaften, Marktwirtschaft ohne Kapitalismus à la Gesell, findet sich ähnlich bei jenen Baugruppen, die laut eigner Aussage den Wohnungsnotstand bekämpfen, deren Kapitalgeber zum Beispiel die "Gemeinnützige Stiftung für Boden, Ökologie und Wohnen", "Trias" ist. Wo aber beim Aufkauf von Boden (Grundstücken) und verzinster Kreditvergabe für den Hausbau ganzer Viertel bei hoher Eigenkapitaleinlage der zukünftigen (solventen) Mieter vom Ersparten und unter Ausblendung der 'Situation' der Lohnabhängigen und des Kapitalrückflusses an die so genannten Förderer, die Alternative zu erkennen sein soll, wird anders klar als vielleicht gedacht. Nur bestimmte distinkte Gruppen der Mittelschicht mit Vermögen werden hier zur treibenden Zielgruppe.

Allein der Name der Stiftung verweist auf die soziale Dreigliederung nach Rudolf Steiner, der Gesellschaft in autonome Bereiche von Geistesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben trennt. Mit geistiger Freiheit und wirtschaftlicher Brüderlichkeit unter Beibehaltung des angeblich gegebenen demokratischen Staates -- wobei das Geistige der alles entscheidende Bereich ist. Anderer Geist, anderes Wollen (Denken) bedingt hier die materiellen Verhältnisse, nicht umgekehrt.

Und Stadt muss neu gedacht werden, darin sind sich die Diplompädagogin und Rektorin der Kunsthochschule Berlin-Weißensee Leonie Baumann und Florian Schmidt von der "Initiative Stadt Neudenken" (man bemerke die Wortbildung aus Neu und Denken) mit Steiner und Novy-Huy und den anderen in Videos auftretenden Philosophen, Geografen und Managern unausgesprochen einig. Von Baumann werden allerdings auch klare Absichten in einer simplen Verwertungslogik der Subalternen formuliert, die bei "Haben und Brauchen" (habenundbrauchen.de) aber längst in einem bereits weitaus radikaleren Opportunismus steht. Wenn "die" kulturelle und politische Hauptstadt von den künstlerischen Aufwertern im Sektor Tourismus profitiert, soll gefälligst etwas vom Geldfluss auch bei ihnen ankommen. Man fragt bezüglich der eigene Profession also nicht nach der Legitimität ästhetischer Produktion im sozialen Kontext, sondern, abgetrennt und sich als schein-autonome erkennend, wird gefragt was ihre unnachgefragte Kunst benötigt, um schließlich im Breitesten den Status des Stadt-Image weiter aufrecht erhalten zu können.

Die Klientel, das heißt die Klienten, die sich hier als Schützlinge der offiziellen Kulturpolitik geben, welche das Patronat unter dem sie stehen unterstützen, welche in ihren Profiteuren (Leiter, Direktorinnen, Consulter) ihre Wortführer finden, schließen sich auf diese Weise zusammen und sichern sich so, diplomiert, jene Plattformen, auf denen sie, an ihrer eigenen Person unerkannt, dann solche Exhibition <Ausstellung und Schau> zu leisten haben, die wiederum die Marktgängigkeit reproduziert. Das ist deshalb reformistisch, weil partikulare Interessen sozial und ökonomisch auf privater Basis aber staatlich verwaltet umgesetzt werden sollen. Hier zeigt sich wieder die fantasierte Identität von Stadt, Staat, Einwohner und Administration.

Wieder-gestaltet (re-formiert) wird, was im Argen liegt, sprich: wo kein Lohn, bitte Umverteilung per Gehalt auf Verhandlungsbasis, garantiert vom Kulturamt. Das will man über eine City Tax und irgendwie über den Einfluss au f Liegenschaften also Eigentum an Grundstücken erreichen. Was eher wie eine Projektion großer Politik aussieht, findet ihr tatsächliches Vorbild in der gemeinnützigen GmbH "ExRotaprint" (www.exrotaprint.de), welche die "Spekulationsspirale des Immobilienmarktes" unterbreche und sich "mittels Erbbaurecht" aber zur "Besitzerin" von Gebäuden macht.

Die inner- und außeruniversitäre Lobby von nicht mehrwertgenerierenden Kreativen will so ausdrücklich ohne Mehrwertrealisierung sich langfristig am Ort halten und, privat, Einnahmen zum Selbsterhalt nutzen -- tatsächlich auf dem Rücken der Lohnfonds der Arbeiter, die beim Gebäudebau und Sanierung und Erschließung den Mehrwert aber erst schaffen in dessen Objekten die Bilder die Performances, die Pläne fürs "Für Alle!" ("Pour Tous !") dann erstellt werden. Denn Freundschaft ist ein nicht besteuerbarer Mehrwert ("L'amitié est une plus-value non taxable !")[4]. Das Geld der Touristen aber schon. Geld (Wirtschaft) und Geist (Denken) sind auf diese Weise schön getrennt und das hoheitsgläubige Denken halluziniert sich eine Macht über die Wirtschaft per Steuer, dem gestellten Geld.

Geist als Kunst, die mit dem Kapitalismus aus den kirchlichen und feudalen Rahmen freigesetzt[5] und ins bürgerliche Mäzenatentum gesetzt wurde, in welcher Form von Kunstverein und Sammlertum auch immer, geriert sich aber dann nur bedingt anders als jede artistische Prostitution, die auf Umsatz angewiesen, im großen Stil sogar Kapital erzeugt. Denn sie fordert, wenn Liegenschaften der Stadt (Grundstücke und Gebäude) gehalten werden sollen für Kunsträume, die 'politisch-republikanische' Finanzierung einerseits, über Staatskredite für soziale Bauten, und im als "Gemeinwohlorientierung" bezeichneten steuerbefreiten Status andererseits die Steuerbefeuerung und Kreditwürdigkeit übers 'soziale' Privateigentum ... zum Beispiel über die Bank für Sozialwirtschaft oder die Kreditanstalt für Wiederaufbau?

Gestalterinnen dressieren sich in diesen Zirkeln selbst zu offenen oder verdeckten Vermittlern von kleinbürgerlichem Kapital und Arbeit (im Bereich der digitalen Medien ist sind hier so genannte "Venture Kapitalisten" unterwegs), suchen sich aber seit einigen Jahren in gestiegenen Auflagen aufklärerischer und vorgeblich parteiischer Sozialkunst ein Betätigungsfeld, das ihnen einen Impetus geringerer Abhängigkeit inhaltlicher Vorgaben bietet und eine sogar kritische Haltung ermöglicht, weil sie dort als Handlungsfähige oder zu Handlungen Befähigende auftreten können. [6] Aber parteiisch und kritisch inwiefern? "God save the Queen / 'Cause tourists are money."

Auch im "Museum des Kapitalismus" wird informativ aufbereitend gearbeitet. Wo beide Ausstellungen, im Bethanien und in der Böhmischen Strasse 11, dem Paradigma der aktivierenden Museumspädagogik unterliegen, gelingt es im MdK im Gegensatz zum etablierten Haus jedoch, die Kategorienlosigkeit in Bezug auf die Ursachen der Krise ein Stück weit hinter sich zu lassen und Kapitalismus in seinen Funktionsweisen und seiner Struktur und nicht sofort seine scheinbare Verbesserung oder die scheinbare Überwindung zum Topic zu erklären. Wobei aber gleich eine gewisse ekklektizistische <abgesondert ausgewählt> Herangehensweise auszumachen ist, wenn es denn laut Selbstaussage im Nebenbei auch ein anderes Thema hätte sein können. Was teilweise gravierende Fehler, die in der Diskussion und Vorbereitung aufgetreten sein müssen und die sich dann in den Inhalten zeigen, erklären würde. Um das, was "We-Traders" verdeckt, kommt das MdK aber nicht herum.

Formuliert man phrasierend, dass Ästhetik -- als Wissenschaft und Praxis -- auch Mittel zum Erkennen von Klassenlage sein kann[7], wo wäre dieser Anspruch sichtbar?

Ausstellungen sind ein Fixat, das auch nicht mit Meinungsäußerungstafeln zu beleben ist. Kritik am Inhalt und der Form und der Grammatiken müsste stetig in die Ausstellung eingehen, was von der ausstellenden Gruppe in Neukölln wohl zunächst auch so intendiert war. Ausstellungen müssten ihren abgeschlossenen, rein aus-stellenden Charakter dann auflösen und permanente Plattformen der Debatte liefern. Das gerade stellt "We-Traders" zu Schau und beutet den Bedarf an Auseinandersetzung ins Mitmachen umkanalisierend aus, indem die Bedingungen und Motive gänzlich ademokratisch, leitgedanklich fertig aufgetischt werden. Im "Museum des Kapitalismus" ist das nicht anders angelegt, aber der Apparat ist 'dünner', graduell zugänglicher, offener.

Das Palimpsest <Wiederbeschreibbares> und fertige Aussagen könnten sich ergänzen.

Die ersten Tafeln im MdK stehen somit ungefragt und teilen, nach der Markierung des Kapitalismus als Gesellschaftsordnung mit, dass kapitalistische Wirtschaft ein Machtverhältnis der Eigentümer der Produktionsmittel über die Arbeitenden enthalte, und sich auf das Privatleben auswirke. Eine Ordnung der Gesellschaft wird somit heraus-'analysiert' aus dem, was das gesellschaftliche Verhältnis insgesamt wäre, nämlich kein Verhältnis von Macht als Herrschaft von Menschen über andere Menschen allein, und auch nicht als Effekt auf das Leben des Einzelnen in seiner Gesellschaftszelle. Das private Leben ist gerade das Ergebnis kapitalistischer Produktionsweise entfremdeter Produzenten und produziert somit Gesellschaftsverhältnisse erst. Indem die Schau vom Wert der Ware bis zur Genese des Kapitalismus alles aufzuwerfen versucht, also sich komplettierend gibt, vergibt sie dennoch was man als Frage nach der "Totalität" mit den post-marxistischen und nach-modernen Verkündungen ab- und wegdiskutiert hatte. Der Schluss von der Produktionsweise zur Unterdrückung ist richtig, aber kurz, denn die Mehrwertproduktion selbst ist bereits die Unterdrückung der Produktivkräfte und des gesellschaftlichen Verkehrs aller Figurationen. Ausbeutung und Unfreiheit werden nicht zusammen begriffen, Repression wird eher als schlechte Ausformung der Verhältnisse verstanden statt als ihr Prinzip und Kapitalismus wird als bestehende Gesellschaftsordnung gesehen, die -- so der tendenzielle drive -- man abschaffen könne.

Wo das Goethe-Institut die Krise ethisch sieht, in (sinngemäßes Zitat:) mangelndem Bürgersinn, Konsumismus und fehlenden Strukturen realer Teilhabe aller an der Nutzung gemeinsamer Ressourcen und das "We" sich zusammensetzt aus Architekten, Soziologen, Sozialarbeitern, Stadtentwicklern, Aktivisten und Kreativen, die den Trade besseren Unternehmertums machen, findet man im "Museum des Kapitalismus" zunächst kein Utopie-Angebot, stattdessen an Marx geschulte strukturelle Analyse, populärwissenschaftlich aufbereitet. Der "Sci-Fi"-Standpunkt eines Kommunismus wird vermieden, aber eine "andere mögliche Welt" ins rein Imaginäre verschoben, denn das Imaginäre wird nicht bespielt, lediglich als Statement an der Klebezettelwand abgefragt. Zwar wäre zu entdecken, "was um uns ist" und "was es sein könnte"[8], doch man wacht nicht einfach auf, und "capitalism is over"[9]

Das Imaginäre und das Erkennen sollen hier den fruchtbar zu machenden Einstieg bieten, gesellschaftliche Bedingungen zu verstehen. Dieser noch naive Blick manifestiert bereits einen Lernprozess erster Güte. Schwierig wird es dort, wo Kategorien verwässert werden.

Wenn man Wert schon nicht mit der Stoppuhr messen könne, wie behauptet, dann wie sonst, wenn nicht an einem computergesteuerten Tisch der Waren und ihres Wertevergleichs Geldform? Der Tauschwert wird im Display gelungen gezeigt, aber wie er zustandekommt, bleibt unvermittelt. Arbeit als Ware bleibt unsichtbar. Die Materielle Grundlage geht an diesem Punkt genauso verloren, wie die Produktion von Mehrwert, die an einer Handpumpe im Wasserbassin das Kapital sieht und im Loch in der Wasserleitung nur den dünnen Lohnabfluss. Dass der Ersatz des Äquivalents des vorgeschossenen Kapitals und dann der Überschuss an Wert genau hier im Pumpen an der Pumpe in der arbeitszeitlichen Mehrarbeit über das Äquivalent in Form von Lohn entsteht, ist nicht zu sehen. Lohn wird hier nur zum ungerechten Rinnsal, Kapitalismus ist Betrug.

Das Manko 'interaktiver' Ausstellungstücke im musealen Modus wird hier deutlich. Die Diagrammatik <Zeigen ungegenständlich/unanschaulicher Komplexe> der Schaubilder und Gegenstände wird über-haptisch. Man will sich in nicht durchdachter Absetzung zum Museum veranschaulichen und fühlbar machen, was Prozesse und Bewegungen sind und erreicht nicht den nötigen Abstraktionsgrad bis hin zum konkreten Begriff. Aber, Begreifen und Begriff sind nicht das selbe. Da Museen seit geraumer Zeit, sogar seit ihrer ersten Einrichtung im aufgeklärten Absolutismus, immer als 'bildende', wissensproduktive Häuser konzipiert waren, die sich sämtlichen Gestaltungstechniken, bis hin zur Herstellung neuartiger Artefakte sowie "Workshops" und öffentlicher Labors bedienten, ist das Programm "Museum" auch eine Ansage an diese vor-bürgerliche und bürgerliche Machart. Die Gruppe, die sich im Rahmen des Kulturfestivals "48 Stunden Neukölln" von diesem institutionskritisch abzugrenzen versucht, dient sie sich zugleich mit dieser Projektierung des politisierten Musischen nicht den Formaten der kleinen Biennalisierung an? Oder übernimmt man die äußere Form der Institution per "Swapping", per Umlagerung der Schwerpunkte innerhalb der Hierarchien?

Würde das skulpturale Bild des Kapitalkreislaufs als Pumpe (s.o.) ein präziseres werden, wenn auf dem Arm des Pumpenden "Kapital" tätowiert stünde? Würde man anhand eines Videos, das dokumentarisch, etwa den Bau eines Hauses, mit einer Kommentierung zu den dabei ablaufenden polit-ökonomischen Vorgängen zeigt, das Zustandekommen von Miete aus der Arbeitswertkategorie besser erklären können? Warum erkennt das MdK auf "Schenken von Produkten", wenn der Warentausch wegfalle? Worin unterschiede sich diese Ökonomie-Vorstellung vom Ausverkauf-Diskurs der Weltkleinbürger, die sich ins idyllisch Lokale retten?

In der Abteilung zur Vertreibung und Mietensteigerung des "Museum" wird das Einzelschicksal betont und Stadt als fehlgeleitete Entwicklung gesehen, die zu korrigieren ist. Worin unterscheidet sich der imaginative Ansatz für ein unbestimmtes Nach-dem-Kapitalismus, wenn die kapitalistische Krise und die Frage ihrer Überwindung ähnlich den "We-Traders" als losgelöste Phase verstanden wird und auf Lebensraumgestaltung eingeschränkt wird? Wenn die Pumpe ohne Profit pumpen soll, wird Wert aus dem Verwertungsprozess des Kapitals herausgenommen, wie das Privateigentum an Produktionsmitteln auch und der kapitalfreie und darum Lohnabhängige. Die Traders-Lösung lautet: Wenn ohne, dann schaffe dir Kapital. Wo ist der Surplus-Wert geblieben, wenn Miete nur aus "Kosten" ohne erklärliche Herkunft besteht? Diese Kategorien werden im Kapitalismus-Museum alle aufgezählt, aber nicht einzelne Verkürzungen sind das Problem, es ist die Unverbundenheit ihrer Zusammenschau. Der billige kostenlose Verkauf von Ideen, wie der 'Tausch' einer Industriebrache gegen ein Gemüesebeet ermöglicht bloß Systemkritik. Was ermöglicht die Einsicht, dass Kapitalismus komplex aber verstehbar ist?

Da in Ausstellungen immer auch Aspekte zur Ansicht kommen, die nicht gerichtet sind, kann ausgemacht werden, dass die Unterscheidung in Unternehmer und Unternehmerinnen auf der Ausstellungstafel des MdK keine nur gender-sprachliche Finesse darstellt. Die sprechraumlogische Korrektheit, also, wie sagt man nicht-diskriminierend den geschlechtlichen Unterschied der Eigner des Kapitals?, bedingt eine Versubjektivierung des Unpersönlichen in den gesetzten Sprechraum des Transgeschlechtlichen von Personen hinein. Mit anderen Worten: Auch Kapitalisten haben ein Geschlecht, das zu beachten ist, sie sind damit geschlechtliche Menschen wie alle auch, und können diesen Umstand trans-zendieren. Diese verallgemeinernde, genderspezifische Unterscheidung von Geschlecht im Kapital muss in ihrer Betonung kritisch gestört werden, weil sie von dem ablenkt, was an non-gender Unterschied, so patriarschisch auch geformt, im Ökonomischen liegt, nämlich ein klassenspezifischer. Man kann dabei soweit gehen, dass Kapital eben kein menschliches Geschlecht zukommt, weil es als subjektloses Subjekt herrschaftet, nur personifiziert auftritt und automatisch wirkt.

Sich von der herrschenden Gewalt loszusagen beinhaltete dann auch, klassenlose, stereotype emanzipative Strukturen zu befragen, sowie die Skyline, die Zahnräder und die Warendinge um ein Bild lebendiger Arbeit, die abstrakt von Nicht-Arbeitenden gehandelt wird, zu ergänzen.

Dass wir alle kollektiv betroffen seien, wie die "hart (unproduktiv) arbeitende", Mehrwert abschöpfende petit bourgeois in der City glaubt[10], entbehrt nicht jeder Grundlage, ist aber eine Frage der Scheidung und Abgrenzung.[11] Am nächsten Morgen steht vielleicht plötzlich eine Holzbank an der Straßenecke, aber wie kommen Holz, Lack, Nägel in dieser Gestalt dorthin?

Dass es einmal ein Museum des Kapitalismus geben könnte, welches diesen als ganzen und in der Vergangenheitsform behandelt, ließe zukunftgerichtete Jetztheit, die im akuten Problemlösen verharrt, relativ werden. Geldstücke wanderten in archäologische Depots, Porträts von Bürgern hingen als vorgeschichtliche an den Wänden, Netzwerktheorien würden wie Vorformen assoziierender Kommunikation gelesen, Gentrification würde als Verbesserung der Gebrauchswerte des Wohnens aufgehoben, Wohnungsbau wäre per se sozial, weil privater beendet. Kunst würde sich nicht kritisch "herrschenden Repräsentationsverhältnissen"[12] im Raum widmen, sondern den Produktions- und Reproduktionsverhältnissen, die eine "Kunst im Kontext" als Ideologiekritik überschreitende Praxis jetzt schon mutmaßt.

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[1] "We-Traders" Webseite, http://www.goethe.de/ins/be/prj/wet/kri/deindex.htm .

[2] Mit den Stichworten "iring fetscher demokratie als gesellschaftliche mitbestimmung" findet man hier Fragementarisches in Bezug zu Fetscher und zur "Partizipation" und zum "Recht auf Teilhabe", aus einem Buch von Anke Kohl über Integration und Stadtgesellschaft: http://books.google.de/

[3] Siehe das Konspekt des Buches auf Trend Online: http://www.trend.infopartisan.net/trd1013/t431013.html .

[4] Designte Demonstrations-Slogans: http://www.domusweb.it/

[5] Siehe _Autonomie der Kunst: Zur Genese und Kritik einer bürgerlichen Kategorie_. Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1972.

[6] Vgl. etwa "Wochenklausur" mit Vorschlägen zu dynamischerer Sozialarbeit und 'demokratisierenden Problemlösestrategien', sowie "Bankleer" mit Installationen zu einer zur Finanzökonomie verkürzten Ökonomiekritik.

[7] Klaus Herding und Hans-Ernst Mittig. _Ästhetik im Spätkapitalismus_. Sonderdruck aus: Kritische Berichte. Jahrgang 1, Heft 3, 1973. S. 53. auch hier: http://journals.ub.uni-heidelberg.de

[8] http://38.media.tumblr.com/

[9] http://38.media.tumblr.com/

[10] "Wir sind alle kollektiv betroffen", Veronique Houillé in _Der Gott des Gemetzels_.

[11] Siehe Daniel Dockerill in einer u.a. Diskussion der "Kommunalisierung": http://www.proletarische-plattform.org/2012/11/03/zur-diskussion-des-bochumer-programms/

[12] Kunsthalle Wien. _Wem gehört die Stadt_. Nürnberg: Verlag für Moderne Kunst, 2009. 

"We-Traders. Tausche Krise gegen Stadt"
Ausstellung Berlin im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien
Mariannenplatz 2, 10997 Berlin
04.07.2014 - 17.08.2014
täglich: 12 - 19 Uhr
http://www.goethe.de/ins/be/prj/wet/deindex.htm?wt_sc=wetraders

"Museum des Kapitalismus"
ursprünglich 27. Juni - 15. Juli 2014, verlängert bis bis 10. August 2014
Fr., Sa., So. 15 - 21 Uhr
Böhmische Str. 11, 12055 Berlin
kontakt(at)museumdeskapitalismus.de
http://www.museumdeskapitalismus.de

Editorische Hinweise
Den Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.