Mittelschichten im staatsmonopolistischen Kapitalismus  

von H. Jung, M.Tjaden-Steinhauer, K.H. Tjaden

08-2014

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5.2.0 Theoretische Abgrenzung

Mittelschichten(52) sind vorwiegend werktätige soziale Schichten, deren wesentliche Existenzbasis in verschiedenen Abstufungen die eigene Arbeit st. Aus ihrer Stellung im Gesamtsystem der kapitalistischen Produktions­erhältnisse ergibt sich unter den Bedingungen des SMK keine einheitliche Klassensituation und demzufolge auch kein gemeinsames Klasseninteresse. Ihre einzelnen Gruppen üben im Reproduktionsprozeß unterschiedliche Funktionen aus.

Die Mittelschichten stellen im staatsmonopolistischen Kapitalismus eine Sammlung gegeneinander abgegrenzter und in sich wiederum differenzierter Gruppen dar. Ihrer gesellschaftlichen Lage nach stehen sie zwischen Proletariat und Bourgeoisie. Ihrer historischen Tendenz nach sind sie Zwischenschichten, die unter dem Druck der monopolkapitalistischen und heute der staatsmonopolistischen Akkumulation der sozialen Differenzie-ung und Polarisierung unterworfen sind.
Ihre historischen Ausgangspunkte sind die kleinen Mittelstände und ie Bauernschaft. In den frühen Entwicklungsphasen des Kapitalismus und in Phasen industriell schwacher Entfaltung formieren sie sich als Klasse des Kleinbürgertums, deren Kern die Kleinproduktion und der Kleinbesitz darstellt. Die Kleinbourgeoisie ist in jenen Phasen eine vor­wiegend produzierende und hervorbringende Klasse. Diese Klasse ist eine Nebenklasse der kapitalistischen Gesellschaft, weil sie nicht unmittelbar dem kapitalistischen Produktionsverhältnis entspringt.

Aus dem feudalen Ständesystem hervorgegangen, lebt die Bezeichnung Mittelstände" gerade in Deutschland bis in den staatsmonopolistischen Kapitalismus fort. Jedoch rechtfertigen weder noch vorhandene, am tändesystem orientierte Ideologen, noch aus der Zunftorganisation hervorgegangene Gliederungen und Reglementierungen die Verwendung des Ständebegriffs im wissenschaftlichen Sinne. Der Begriff „Mittelstand" ist deshalb nicht tragbar, weil der Kapitalismus keine Ständegesellschaft ist. darüber hinaus muß in Rechnung gestellt werden, daß die Kleinproduktion nicht einfach ein Relikt der Vergangenheit bleibt, sondern im Gesamt system der kapitalistischen Warenproduktion eine Reproduktionsbasis findet.

Gerade dann, wenn man die Stellung zu den Produktionsmitteln und demzufolge im gesellschaftlichen Reproduktionssystem nicht auf Eigen­tumstitel verkürzt, sondern sie als eine Stellung in einem gesellschaft­lichen Aneignungsprozeß auffaßt, kann bei der Bestimmung der Mittel­schichten nicht mehr nur von Besitz- und Eigentumstiteln ausgegangen werden. Darüber hinaus muß die Stellung in der gesellschaftlichen Organi­sation der Arbeit einbezogen werden.
Für alle Mittelschichten ist ihre objektive Stellung die Grundlage zwie­spältiger Interessen. Der Arbeiterklasse sind sie als werktätige, arbeitende Schichten verbunden; der Bourgeoisie als besitzende, leitende, spezifische Funktionen wahrnehmende Schichten. Stellen die Grundklassen die Pole der Klassenbeziehungen im Kapitalismus dar, so stehen die Mittelschichten im Kraftfeld dieser Pole.

Mit der Entwicklung des Kapitalismus, insbesondere mit dem Übergang zum Imperialismus und der Herausbildung des staatsmonopolistischen Kapitalismus verändert sich das ökonomische Gewicht der Mittelschichten und ihre soziale Zusammensetzung. Das Kleinbürgertum verliert an sozialer Homogenität. Seine Möglichkeiten zur historischen Initiative und als selbständiger sozialer Faktor werden weiter eingeschränkt. Wenn diesen historischen Veränderungen Rechnung getragen werden soll, ist es nicht mehr möglich, vom Kleinbürgertum als Klasse zu sprechen. Die Gruppen des Kleinbürgertums müssen deshalb als soziale Mittelschichten bezeichnet werden.
Entsprechend der Spezifik ihrer Stellung und Funktion im Gesamt­system der Produktionsverhältnisse bzw. im Reproduktionsprozeß und ihren Interessen heben sich folgende Schichten voneinander ab: die Intelli­genz; lohnabhängige Mittelschichten; nichtagrarische selbständige Mittel­schichten; agrarische Mittelschichten (Bauern).

5.2.1 Die Intelligenz als soziale Schicht

Die Entwicklung der Intelligenz (53) ist direkt und indirekt an die Ent­wicklung der modernen Produktivkräfte gebunden. Ihre Gruppen treten schon in früheren Phasen des Kapitalismus auf, als soziale Schicht formiert sie sich mit dem Ubergang zum Imperialismus. Ihr Umfang und ihre Be­deutung wächst insbesondere mit der wissenschaftlich-technischen Revo­lution in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts. Im Verlauf dieser Ent­wicklungen verändert sich der soziale Charakter der Intelligenz.
Bei allen konkret (beruflich und sozial) unterschiedlichen Funktionen der einzelnen Intelligenzgruppen, ergibt sich als gemeinsame Charakte­ristik, daß die Ausübung dieser Funktionen an eine über dem Niveau der Arbeiterklasse liegende Bildung gebunden ist. Dieser Umstand weist darauf hin, daß

1) der methodische Ausgangspunkt der Intelligenzanalyse — wie für andere Klassen und Schichten auch — in der Stellung im System der Produktionsverhältnisse zu suchen ist.
2) ihre konkret-historischen Grenzen durch den Umfang und die Gren­zen der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie bestimmt sind.

Wird diesem Ansatz gefolgt, dann kann Bildung nicht schlechthin als kultursoziologisches Phänomen betrachtet werden, sie ist vielmehr in ihrer ökonomischen Substanz zu analysieren. Höhere Bildung der Arbeitskraft erfordert höhere Reproduktionskosten. Diese sind unter den Bedingungen spezifisch gesellschaftlicher Reproduktionsschranken die materielle Grund­lage eines höheren Preises der Arbeitskraft. Das ist der ökonomische „Kern" der Charakteristik der modernen Intelligenz als sozialer Schicht.

Darüber hinaus sind die Funktionen qualifizierter geistiger Arbeit vom Standpunkt ihrer Beziehung zum Gesellschaftssystem und zu den Grund­klassen zu betrachten. Unter den Bedingungen antagonistischer Klassen­gesellschaften werden Funktionen geistiger Arbeit Ausbeutungs- und Herrschaftsmittel der Ausbeuterklassen. Geistige Arbeit und körperliche Arbeit (Funktionen der produzierenden und unterdrückten Klassen) wer­den zum Gegensatz, zu einer Bewegungsform der Klassengegensätze. Unter diesen Bedingungen ist die Entwicklung von Wissenschaft und Bildung die Entwicklung von Mitteln der herrschenden Klassen. Nur in dieser Fessel können sich diese gesellschaftlichen Potenzen entfalten. Hieraus resultiert die, für die einzelnen Gruppen modifizierte, zwiespältige Stel­lung der Intelligenz zur Arbeiterklasse und zur Bourgeoisie.
Ohne eine derartige Bestimmung muß das empirische Kriterium der Hoch- und Fachschulausbildung - für die Verhältnisse des entwickelten Kapitalismus — äußerlich bleiben und letztlich auf eine kultursoziologische Kategorisierung hinauslaufen (Geistesarbeiter; Kulturschöpfer und -Ver­mittler; Gebildete, Akademiker usw.). In der Konsequenz verteilen sich dann die Angehörigen der Intelligenz auf alle Schichten und Klassen der kapitalistischen Gesellschaft; eine sozialökonomische Abgrenzung kann nicht mehr vorgenommen werden und der Begriff der Intelligenz als einer sozialen Schicht muß aufgegeben werden.

Stattdessen ist für die Intelligenz im Kapitalismus ihre objektive Stel­lung als Mittelschicht charakteristisch. Die Veränderung ihres sozialen Charakters zeigt sich in der Zunahme des relativen und absoluten Anteils der Lohnabhängigengruppen. Die Angehörigen der Intelligenz sind be­schäftigt als Angestellte und Beamte des Staates, als Angestellte kapita­listischer Unternehmen und als Selbständige (freie Berufe). Eine — wenn auch erst sehr kleine — Gruppe ist in die materielle Produktion integriert; die überwiegende Mehrheit übt Funktionen im sogenannten Dienst­leistungsbereich, im Ausbildungs-, Verwaltungs-, Wissenschafts-, Sozial­apparat usw. aus. Diese Gesichtspunkte sind für die innere Gliederung der Intelligenz bedeutsam; sie rechtfertigen jedoch nicht die Aufgabe des spezifischen Schichtbegriffs für die Intelligenz.

Gegen eine Aufgabe des einheitlichen Begriffs der Intelligenz als sozialer Schicht zugunsten der Aufgliederung in lohnabhängige und selb­ständige Mittelschichten spricht außerdem das Osmose-Verhältnis zwischen beiden Sektoren, soweit sie noch als relevante Sektoren existieren, z. B. bei Ärzten. Häufig ist der eine Sektor nur ein Durchgangsstadium zum anderen. Für die meisten Berufsgruppen (Lehrer, Naturwissenschaftler usw.) ist der Sektor der freien Berufe unbedeutend. Freie Berufe besitzen nur dort (noch) eine Existenzbasis, wo der Wert der Arbeitsmittel im Ver­hältnis zur Arbeitskraft unbedeutend ist. Mit der Unterwerfung dieser Bereiche unter das Kapital engt sich der Sektor der selbständigen Existenz ein. Darüber hinaus besteht infolge der gemeinsamen Ausbildung — als sozialem Durchgangs- und Selektionsstadium — eine starke soziale Kohärenz beider Sektoren.

Jedoch charakterisieren in vieler Hinsicht die Besonderheiten der selb­ständigen nichtagrarischen Mittelschichten auch die selbständige Intelli­genz. Im Unterschied zu ihnen ist jedoch für die selbständige Intelligenz nicht in erster Linie das Eigentum an Arbeitsmitteln ihre Existenzgrund­lage, sondern die besondere Qualifikationen ihrer Arbeitskraft. Eine Ab­grenzung zu den „reinen" lohnabhängigen Mittelschichten ist deshalb schwieriger, da Leitungsfunktionen und spezifische Funktionen der Systemerhaltung auch von Hoch- und Fachschulabsolventen ausgeübt werden.

Es wurde schon darauf verwiesen, daß der Unterschied der Intelligenz zu anderen Klassen und Schichten nicht schlechthin an die Scheidelinie zwischen manueller und geistiger Arbeit gebunden werden kann. Wenn überhaupt, dann ist diese Unterscheidung bestenfalls in schwach ent­wickelten Ländern( 54) als empirisches Kriterium verwendbar. Nur hier wird z. B. auch die ganze Gruppe der Angestellten — als Lese- und Schreib­kundige und geistige Arbeiter — in die Intelligenz einbezogen.
Mit der Entwicklung der Produktivkräfte, insbesondere der Qualifika­tion der Arbeiterklasse, verschiebt sich die konkrete Grenze nach „oben", d. h. zu geistiger Arbeit höheren Qualifikationstyps, die die Spezialität bestimmter Beschäftigtenkategorien, eben der Intelligenz sind. Einfache geistige Arbeit wird deshalb „proletarisiert", weil sich ihre Reproduktions­basis in die Arbeiterklasse verlagert. Mit der Verwandlung komplizierter geistiger Arbeit in Lohnarbeit werden auch diese Beschäftigtenkategorien den Gesetzen des kapitalistischen Reproduktionsprozesses unterworfen. Das spiegelt sich im Schwanken der Nachfrage nach diesen Arbeitskräften und im Druck auf ihre Löhne wider. Nicht zuletzt ergibt sich hieraus die Ausprägung der Lohnabhängigeninteressen des Hauptteils der Intelligenz und damit eine Annäherung an die Interessen (und gewerkschaftlichen Organisationsformen) der Arbeiterklasse und eine Zuspitzung ihrer Hal­tung gegenüber den Monopolen und ihrem Staat.
Diese Gegensätze verschärfen sich

1) mit dem Anwachsen der Anwendungsbereiche geistiger Arbeit im kapitalistischen Sektor. Ausdehnung und Vergesellschaftung dieser Funk­tionen erhöhen auf der einen Seite die Nachfrage, führen auf der anderen aber zur Entwertung bestimmter Qualifikationen und zur sozialen Diffe­renzierung dieser Bereiche,
2) mit dem Wachsen der Anwendungsbereiche geistiger Arbeit unter staatlicher Regie. Die Existenzbasis dieser Arbeitskräfte wird den Wider­sprüchen der staatsmonopolistischen Regulierung unterworfen.
3) mit der Eingliederung der freien Berufe in das staatsmonopolistische Verwertungssystem. Dieser Prozeß vollzieht sich analog der Eingliederung der selbständigen Mittelschichten.

Eingeordnet in die kapitalistische Akkumulation und das staatsmono­polistische Reproduktionssystem ist die Intelligenz als soziale Schicht der sozialen Differenzierung und Polarisierung ebenso unterworfen wie die anderen Mittelschichten. Dieser Prozeß wird jedoch dadurch charakteri­siert, daß die Proletarisierung nicht in erster Linie an die Trennung von den Produktionsmitteln gebunden ist. Die Kernfrage besteht vielmehr in der relativen oder absoluten Entwertung der Intelligenzqualifikationen.
Arbeitslosigkeit und sinkende Lohntendenz sind Ausdrucksformen dieser Prozesse, jedoch keine exakten Gradmesser. Wichtig ist dabei der Umstand, ob sie eine Entwertung der Arbeitsqualifikation ausdrücken oder ob sie durch zeitweilige Faktoren (z. B. Strukturkrisen, Ausgaben­senkungen des Staates) hervorgerufen sind.

Eine relative oder absolute Entwertung der Arbeitskraft findet dann statt,

1) wenn für bestimmte Berufsgruppen der Intelligenz die Nachfrage dauerhaft zurückgeht und eine Beschäftigung im gleichen (oder ähnlichen) Intelligenzberuf nicht mehr möglich ist. Damit ist die Realisierung der Berufsqualifikation blockiert. Dieser Prozeß wird begleitet von einer Ver­schärfung der Angebotskonkurrenz und durch Druck auf die Löhne und führt schließlich zur Deklassierung der „überzähligen" Gruppen. Das ist der Prozeß der Entstehung des „akademischen Proletariats".

2) wenn sich das allgemeine Volksbildungsniveau hebt, die Pflicht­schuljahre steigen und eine Verwohlfeilerung der Bildung eintritt. Damit erweitert sich die soziale Rekrutierungsbasis der Untergruppen der Intelli­genz. Sie verschiebt sich in die Arbeiterklasse. Das ist gegenwärtig für Gruppen der Fall, deren Qualifikationen an Mittelschulbildung und eine entsprechende Anschlußausbildung gebunden war, z. B. Absolventen von Technikerschulen. Historisch trat dies ein bei Intellektuellenberufen, deren Qualifikationen nur an Schreiben und Lesen gebunden waren. Mit der Erhöhung des Niveaus der Arbeiterklasse vollzieht sich eine relative Ent­wertung der Qualifikation der unteren Intelligenzgruppen und damit ihr Übergang in die Arbeiterklasse. Gerade für diese Gruppen ist das „Zurück­bleiben des Bewußtseins" typisch.

3) wenn die kapitalistische Vergesellschaftung der Bereiche geistiger Arbeit — innerhalb und außerhalb der materiellen Produktion — Detail­arbeit und Detailarbeiter produziert, was tendenziell zu verstärkter Aus­tauschbarkeit und Entwertung führt — allerdings auf einer unterschied­lichen Qualifikationsebene. Dies schließt den Verlust der schöpferischen Arbeitselemente, der Initiative in der Arbeit, kurz nicht mehr nur die ökonomische Unterordnung unter das Monopolkapital, sondern auch die Unterordnung im kapitalistisch organisierten Arbeitsprozeß ein.(55) Hinzu kommt die örtliche und räumliche Konzentration (im Konzern, in Schulen, Behörden usw.). Es handelt sich hier um den Prozeß der Entfaltung des Warencharakters der Arbeitskraft der Intelligenz im Zuge der Unter­jochung der geistigen Arbeit unter das Kapital. Diese Prozesse sind eng mit den unter 1. und 2. genannten verbunden.

In diesem Prozeß der Entwertung der Qualifikation vollzieht sich der Übergang der entsprechenden Intelligenzgruppen in die Arbeiterklasse. Diese Prozesse verlaufen gerade unter den Bedingungen der wissenschaft­lich-technischen Revolution besonders stürmisch. Mit der staatsmonopo­listischen Reform des Bildungswesens werden die Reproduktionsbedingun­gen der einzelnen Intelligenzgruppen einschneidend beeinflußt und neue Reproduktionsdaten gesetzt.

Nicht übersehen werden kann vor allem in der BRD — trotz einer insgesamt steigenden Nachfrage — eine zunehmende Tendenz der „Pro­duktion" eines „akademischen Proletariats", vor allem in geisteswissen­schaftlichen Berufsgruppen, womit einzelne Schichten der Deklassierung ausgeliefert werden.

Auf der anderen Seite stellt die Intelligenz ein Rekrutierungsreservoir der Bourgeoisie dar. Der „Aufstieg" in die Bourgeoisie erfolgt

  • mit dem Ubergang in das kapitalistische Management;

  • mit dem Übergang in staatliche Leitungsfunktionen und damit in die Teilhabe am staatsmonopolistischen Aneignungs- und Ausbeutungs­prozeß ;

  • mit dem Übergang in die Spitzenfunktionen der „ideologischen Frak­tion" der Bourgeoisie;

  • mit dem Übergang zu kapitalistischen Unternehmerfunktionen im Zuge der Differenzierung der Bereiche der freien Berufe.

Mit dem Ubergang in die Bourgeoisie fallen diese Gruppen aus der Intelligenz als sozialer Schicht heraus. Das ist selbst dann der Fall, wenn sich ihre Ausbeutungs- und Herrschaftsfunktionen mit Spezialistenfunk­tionen verquicken, so z. B. bei Chefärzten, Staranwälten. Denn ihre wesentliche Tätigkeit wird nun die Organisierung und Sicherung der Kapitalverwertung und Ausbeutung auf der Ebene der Einzelkapitale oder des staatsmonopolistischen Systems (staatsmonopolistische Verbände, Insti­tutionen, Staatsapparat).

Unterschiedliche soziale Herkunft, soziale Bindung und Perspektive schlagen sich heute im Charakter und in der Bewegung der Studentenschaft als sozialer Gruppe nieder. Nicht zuletzt ist die Veränderung objek­tiver Faktoren die materielle Grundlage einer verschärften Frontstellung gegen das staatsmonopolistische System. Die widersprüchlichen ideolo­gischen und politischen Strömungen in der Studentenschaft sind Ausdruck ihres heterogenen sozialen Charakters. In der Konfrontation ihrer gruppenspezifischen Interessen an der Qualifikation ihrer Arbeitskraft und an deren Realisierung im Interesse des Volkes, mit der Verschlechterung der Studienbedingungen, der materiellen Lebenslage und der Perspektive für breite Studentengruppen offenbart sich der Konflikt mit dem staats­monopolistischen System. Die Konzentration an Massenhochschulen ist eine weitere Grundlage der Formierung der Studentenschaft zu einer der aktivsten antimonopolistischen Kräfte in der BRD. Diese Veränderungen hatten zur Folge, daß das Studium keinen „Urlaub vom Klassenkampf" darstellt, sondern Schulen und Hochschulen selbst wichtige Felder des antimonopolistischen Kampfes wurden.

Die innere Gliederung der Intelligenz ist vielschichtig und kompliziert. Neben berufs- und funktionsspezifischen Gliederungen (pädagogische, medizinische, technische, ökonomische usw. Intelligenz) muß die Bindung an die einzelnen Beschäftigungssektoren in Betracht gezogen werden.
Die innere „vertikale" Gliederung und damit die Markierung der Über­gangs- und Randgruppen ergibt sich jedoch in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Qualifikation der Arbeitskraft. So müssen gegenwärtig Hochschulabsolventen als die Kerngruppen der Intelligenz angesehen werden. Verschiedene Fachschulkategorien befinden sich im Übergangs­prozeß zur Arbeiterklasse.

Von besonderer Bedeutung sind zweifellos auch jene Gruppen, die in der Sphäre der materiellen Produktion mit den Kerngruppen der Arbeiter­klasse, der Industriearbeiterschaft in Beziehung treten, das ingenieur­technische Personal und die wissenschaftlich-technische Intelligenz. Dar­über hinaus ist der Grad der Beschäftigungskonzentration eine objektive Grundlage der Formierung ihrer sozialen Interessen.

5.2.2 Lohnabhängige Mittelschichten

Die Herausbildung und Entwicklung lohnabhängiger Mittelschichten ist mit der Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaftsformation ver­bunden. Es handelt sich um Gruppen, deren Existenzgrundlage die Lohn­arbeit ist, deren Stellung in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit und im Gesamtsystem der Wirtschaft und Gesellschaft ihnen jedoch gegen­über der Arbeiterklasse eine Sonderrolle zuweist. Hieraus resultiert eine dem „alten" Kleinbürgertum vergleichbare objektive Stellung und eine darauf beruhende zwiespältige Interessenlage gegenüber den Grund­klassen.

Ihre historische Rekrutierungsbasis liegt am Ausgangspunkt vor­wiegend in den alten kleinbürgerlichen Schichten. Auf der Ebene der Einzelkapitale sind es Gruppen, die Tätigkeiten ausüben, die aus Funktio­nen der kapitalistischen Unternehmer hervorgehen: Organisierung und Leitung der kapitalistischen Produktions- und Verwertungsprozesse, Be­werkstelligung des Formwandels des Kapitals, der Mehrwertrealisierung. Das sind die Ober- und Unteroffiziere des Kapitals, die Aufsichts- und Leitungsfunktionen ausüben; die kommerziellen Lohnarbeiter, die Einkauf, Absatz, Buchführung usw. durchführen und Gruppen, die Funk­tionen des Staates ausüben.

In vorhergehenden Abschnitten (4.3; 4.4) wurde dargelegt, wie sich die Ausübung dieser Funktionen in der Bewegung des Wertes und Preises ihrer Arbeitskraft niederschlägt. Es muß außerdem darauf aufmerksam gemacht werden, daß die Analyse des unteren Aufsichtspersonals und ver­schiedener Kategorien von Staatsbeschäftigten den spezifischen Charakter ihrer Arbeitsfunktionen vom Standpunkt des Gesamtsystems berücksich­tigen muß und die besonderen Bindungen, die sich daraus für die ent­sprechenden Gruppen ergeben. Das gilt vor allem für Gruppen, die Re­pressionsfunktionen des Staates ausüben (Polizei, Armee, Justiz). Die soziale Differenzierung dieser Bereiche wird unter einer bürokratischen Hierarchie verdeckt, die durch ihre abgestuften und streng reglementierten Ränge quasiständischen Charakter besitzen.

Die Vergesellschaftung der Produktion, die Ausdehnung der nicht-produzierenden Reproduktionsbereiche und die Aufblähung des Staats­apparates führt zu einem schnellen Wachstum dieser Gruppen, das sich mit dem Übergang zum Imperialismus und später mit der Entfaltung des staatsmonopolistischen Kapitalismus noch beschleunigt. An der Oberfläche kommt dies in wachsenden Angestellten- und Beamtenzahlen zum Aus­druck. Mit dieser Entwicklung findet jedoch eine soziale Differenzierung dieser Mittelschicht-Gruppen statt. Sie werden zwar zersetzt, aber auf anderer Ebene neu geschaffen. Auf den unteren Rängen den jeweiligen Sektoren und Gebieten entstehen „Detailarbeiter", deren objektive Stellung und Lage sie zuerst der Arbeiterklasse annähert und im weiteren Verlauf in sie eingliedert. Das ist der Fall bei den unteren Angestellten- und Beamtengruppen — mit den genannten Einschränkungen.

Ihre eigentümliche Lage wird jedoch dadurch bestimmt, daß sich die Ubergänge nach „oben" im Rahmen einer Hierarchie vollziehen. Diese Situation ist sowohl für die proletarisierten Angestellten- und Beamten­gruppen gegenüber den Mittelschichten charakteristisch, wie auch für die Mittelschichten-Angestellten und -Beamten gegenüber den herrschenden bourgeoisen Gruppen der jeweiligen Hierarchien.

Die veränderte Situation der Untergruppen drückt sich in der An­näherung ihrer Arbeitssituation, ihrer Qualifikation, der Angleichung ihrer Einkommen an diejenigen der Arbeiterschaft aus. Ferner verschiebt sich die Rekrutierungsbasis stärker in Arbeiterschichten. Die soziologische Ver­schmelzung wird außerdem im zunehmenden Konnubium zwischen An~ gehörigen von Arbeiter- und Angestelltenfamilien relevant.

Obwohl die Differenzierungsprozesse schon zu Beginn des Imperialis­mus verstärkt einsetzen, kann noch in den ersten Jahrzehnten des Jahr­hunderts von den Angestellten und Beamten ,en bloc' als kleinbürgerlichen Schichten — mit bürgerlichen Obergruppen — gesprochen werden. Mit der weiteren Entwicklung wird die Berücksichtigung der Differenzierung un­abdingbar. Bei den Untergruppen setzt sich gegenüber der Zwiespältigkeit ihrer Funktionen und Bindungen an das System der voll entfaltete Waren­charakter ihrer Arbeitskraft durch. Diese Zwiespältigkeit ist jedoch nach wie vor für die lohnabhängigen Mittelschichten charakteristisch.

Die analytische Abgrenzung dieser Gruppen gegenüber den Lohn-abhängigengruppen der Intelligenz — als einer Schicht, die sich auf der Basis des entwickelten Kapitalismus formiert und deren Angehörige eben­falls als Angestellte und Beamte beschäftigt sind —, ist deshalb schwierig, weil von vornherein Überlagerungen und Verflechtungen auftreten. Intelligenzfunktionen sind empirisch nicht in allen Bereichen von Auf-sichts- und Leitungsfunktionen bzw. Repressionsfunktionen des Staates zu trennen. Dennoch muß die Abgrenzung aufrecht erhalten werden.

Die Funktion dieser Gruppen ist weniger als bei der Intelligenz an durch fachlich-theoretische Ausbildung zu erwerbende Qualifikation ge­bunden als an „Loyalität" gegenüber der „Firma" bzw. dem Staat, also die von Kapital und Staat geforderten „Führungsqualitäten". Diese „Quali­fikation" ist charakteristisch für das „middle management" der Konzerne, für Polizisten, Detektive, Berufssoldaten, Beschäftigte in Unternehmer­organisationen usw. Die Rekrutierungsbasis dieser Gruppen liegt stärker in der Arbeiterklasse, als das bei der Intelligenz der Fall ist.

Das Anwachsen dieser Gruppen sowohl auf der Ebene der Einzel­kapitale wie des Staates ist in erster Linie Ausdruck (und Eingeständnis) der sich verschärfenden inneren und äußeren Existenzbedingungen des Systems und Reaktion auf die sozialen Gegensätze.

Das staatsmonopolistische System ist bemüht, den Sonderstatus dieser Gruppen juristisch zu zementieren, andererseits jedoch infolge ihres Massencharakters gezwungen, ihre materiellen Privilegien nicht nur in Grenzen zu halten, sondern sogar abzubauen. So sind diese Gruppen zum einen unverzichtbare soziale Stützen des SMK, unterliegen jedoch zum anderen dem verschärften Ausbeutungsdruck von Monopolen und staats­monopolistischem System. Die Widersprüche der staatsmonopolistischen Regulierung schlagen sich insbesondere in ihrer zunehmenden Existenz­unsicherheit nieder. Das führt bei beträchtlichen Gruppen zu einer, wenn auch widersprüchlichen und schwankenden Annäherung ihrer Interessen an die der Arbeiterklasse. Ihre gewerkschaftliche Organisierung erlangt zunehmende Bedeutung. Gleichzeitig kann jedoch nicht übersehen werden, daß sie Träger der bürgerlichen Ideologie sind, was besondere Bedeutung dann erlangt, wenn sie Einfluß in Organisationen der Arbeiterklasse erlangen. Zweifellos sind sie sowohl in den Gewerkschaften wie in der Sozialdemokratie eine soziale Plattform kleinbürgerlicher und bürgerlicher Einflüsse und haben in gewisser Hinsicht Funktionen der alten Arbeiter­aristokratie übernommen.

Es ergibt sich folgende Gliederung der lohnabhängigen Mittelschichten, der in der sozialstatistischen Analyse Rechnung zu tragen ist:

  • Leitungs- und Aufsichtspersonal auf der Ebene der Einzelkapitale;

  • Leitungs- und Aufsichtspersonal im Staatsapparat, in staatlichen und privaten Institutionen und Organisationen, in staatsmonopolistischen Gremiei\ auf nationaler und internationaler Ebene;

  • Beschäftigte im staatlichen Repressionsapparat (Militär-Berufssoldaten, Polizei, Justiz usw.) und ähnlichen Organisationen und Organen (Spitzelorganisationen, Unternehmerverbände usw.).(56)

Es zeigt sich vor allem an der letzten Gruppe, daß nicht allein von der Stellung im Arbeitsprozeß ausgegangen werden kann, daß vielmehr der spezifischen Funktion im Rahmen des Gesamtsystems auf der jeweils konkret-historischen Stufe der Klassenbeziehungen und des Klassen­kampfes Rechnung zu tragen ist.

5.2.3 Nichtagrarische selbständige Mittelschichten

Neben der eigenen Arbeit ist die Existenzgrundlage der selbständigen Mittelschichten der Besitz eigener Arbeitsmittel oder allgemein der Klein­besitz.(57)Diese Schichten sind an Kleinproduktion und Wirtschaftstätigkeit auf kleiner Stufenleiter gebunden.(58) Der Fortschritt der Produktivkräfte führt zur tendenziellen Einschränkung ihrer Existenzmöglichkeiten. Das trifft auch auf die bäuerliche Agrarproduktion zu. Die ökonomische Be­sonderheit der bäuerlichen Gruppen besteht jedoch darin, daß Grund und Boden wesentliche Produktionsmittel darstellen. Das bäuerliche Grund­eigentum setzt dem Eindringen des Kapitals in die Agrarproduktion histo­rische Schranken und bedingt spezifische Formen der Einbeziehung der bäuerlichen Produzenten in das kapitalistische Reproduktionssystem. Es muß allerdings schon hier angemerkt werden, daß mit fortschreitender Mechanisierung der Landwirtschaft der wertmäßige Anteil des Produk­tionsmittels Grund und Boden — trotz steigender Bodenpreise — an den bäuerlichen Gesamtproduktionsmitteln zurückgeht. Das stellt eine mate­rielle Grundlage der stärkeren Einbeziehung der bäuerlichen Produzenten in den kapitalistischen Reproduktionsprozeß und der Zunahme ihrer Ab­hängigkeit vom Industrie-, Bank- und Handelskapital dar.

Die Unterscheidung von agrarischen und nichtagrarischen Schichten ist nicht identisch mit der Unterscheidung von städtischen und ländlich-dörflichen Mittelschichten. Als ländliche Mittelschichten sind nicht nur die Agrarproduzenten anzusehen, sondern ebenso die auf der Basis der Agrar­produktion entstandenen, aus ihr ausgeschiedenen Gruppen des produ­zierenden und reparierenden Handwerks, ländliche Haus- und Klein­industrie, Gruppen des Handels und der Dienstleistungen, die im Dorf ihre Existenzbasis haben (freie Berufe wie Ärzte, Apotheker, Tierärzte, Gastwirte, Hotel- und Pensionsbesitzer u. ä.). Diese Gruppen entwickeln gegenüber den städtischen Mittelschichten infolge der engeren Bindung an Grund und Boden und an die Agrarproduzenten spezifische Interessen­lagen, auch wenn sie sich von der Agrarproduktion gelöst haben.
Es muß betont werden, daß unter den Bedingungen des staatsmono­polistischen Kapitalismus mit der Ausdehnung des sogenannten Dienst­leistungssektors gerade diese Gruppen eine Tendenz zum zahlenmäßigen Wachstum aufweisen, daß sie freigesetzte Agrarproduzenten absorbieren oder unmittelbar aus dieser Schicht hervorwachsen, z. B. im Zusammen­hang mit dem Massentourismus. Deshalb ist der starke Rückgang der bäuerlichen Agrarproduzenten nicht identisch mit dem Rückgang länd­licher Mittelschichten schlechthin.

Neben dem Anwachsen der Lohnarbeit auf dem Lande drückt sich auch in diesen Prozessen des Wachsens nichtagrarischer ländlicher Mittel­schichten die Tendenz der Abschwächung der Unterschiede zwischen Stadt und Land in entwickelten kapitalistischen Ländern aus.

Wir betrachten diese Gruppen gemeinsam mit den städtischen selb­ständigen Mittelschichten.

Ihre wesentliche historische Ausgangsbasis sind die Kleinbürger der Städte, die kleinen Mittelstände. Bis heute existieren die Reste ständischer Organisationsformen, weshalb sich in Deutschland nach wie vor der Begriff „Mittelstände" gehalten hat. Es muß nochmals darauf verwiesen werden, daß die kleinen Mittelstände breiter sind als die kleine gewerb­liche Warenproduktion und der Kleinhandel. Sie umfassen von vornherein aus ihrer sozialen Basis hervorgewachsene Gruppen, deren Existenzbasis besondere Dienstverhältnisse bzw. Funktionen geistiger Arbeit sind — die Vorläufer der modernen Intelligenz und der lohnabhängigen Mittelschich­ten, ökonomisch als Schichten der kleinen Warenproduktion und der mit ihnen verflochtenen, verbundenen und ihnen aggregierten Schichten des Kleinbesitzes charakterisiert, stellen sie in ihrer historischen Entwicklung eine Nebenklasse der kapitalistischen Gesellschaft dar. In den Perioden noch schwacher Entwicklung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse machen sie die Mehrheit der städtischen Bevölkerung aus und schaffen einen Großteil der gewerblichen Produktion und der Dienstleistungen.

Es wäre jedoch unzutreffend, die Produktionsverhältnisse der kleinen Warenproduktion im Rahmen des Kapitalismus als autonome Verhältnisse anzusehen. Vielmehr werden sie zunehmend in das Reproduktionssystem des Kapitals eingegliedert und mit dem Fortschritt der Akkumulation der sozialen Differenzierung und Polarisierung unterworfen. Mit dem Übergang zum Imperialismus wird dieses Netz dichter. Diese Prozesse sind jedoch nicht mit einer linearen Dezimierung dieser Schichten verbunden. Charakteristisch ist vielmehr die faktische Eingliederung in den ökono­mischen Herrschaftsbereich des Großkapitals, der stufenweise Verlust ihrer Selbständigkeit, der Rückgang ihres ökonomischen Gewichts ins­gesamt und die Umgruppierung ihrer einzelnen Schichten.

Auf einige im staatsmonopolistischen Kapitalismus wichtige Umgrup­pierungsprozesse sei verwiesen:

  • Eingliederung der kleinbürgerlichen Betriebe des produzierenden, reparierenden und dienstleistenden Handwerks, des Handels, der Klein­industrie, der Dienstleistungen usw. über Zulieferer-, Einkaufs-, Absatz-, „Kooperations"-verhältnisse und -vertrage in den kapita­listischen und monopolistischen Einflußbereich.

  • Umsetzung in den Dienstleistungssektor; Neuentstehen kleinbürger­licher Existenzen in neuen Wirtschaftsbereichen mit niedrigem Kapital­minimum.

  • Umsetzung in lohnabhängige Mittelschichten (Filialleiter usw.).

Eingegliedert in den kapitalistischen Reproduktionsprozeß ist die Ver­wertung des kleinbürgerlichen Eigentums in die Kapitalbewegung ein­geschlossen. Kleinbürgerliche Produktionsmittel und kleinbürgerliche Ver­mögen nehmen Kapitalform an. Diese Einbeziehung in das System der Kapitalverwertung erfolgt mit dem staatsmonopolistischen Kapitalismus nicht länger nur einfach über den Preis-Markt-Mechanismus, sondern über die staatsmonopolistische Regulierung. Weil in diesem System die Aus­beutung auf eine gesamtgesellschaftliche Ebene gehoben wird, ist das Ausmaß der Beteiligung am gesellschaftlichen Mehrprodukt bzw. am Gesamtprodukt nicht mehr nur durch die Größe des Besitzes oder die Anzahl der ausgebeuteten Lohnarbeiter, d. h. den Umfang der unmittelbar abgepreßten Mehrarbeit, bestimmt, sondern durch die spezifische Funk­tion, die die jeweiligen Gruppen für die Akkumulation des Monopolkapi­tals und für das staatsmonopolistische System ausüben.

Geht man vom klassischen Typ des kleinen Warenproduzenten aus, so ist der Produzent Eigentümer seiner Produktionsmittel, bestimmt und kommandiert seinen Arbeitsprozeß und verfügt über seine Arbeitsergeb­nisse. Er stellt seine Produkte als Waren her, zunächst für einen lokalen, festen Markt, später für einen „freien Markt"(59). Schon damit wird seine Selbständigkeit häufig eingeschränkt und er gerät in den Einflußbereich des Handelskapitals.

Geht man von diesen Kriterien aus — Eigentum der Produktionsmittel, Selbständigkeit, Verfügung über die Arbeitsergebnisse —, so treffen sie heute nur noch eingeschränkt für die einzelnen Gruppen der Selbstän­digen zu. Wenn auch vielfach jegliche Voraussetzungen und Attribute ökonomischer Selbständigkeit verschwinden, wie z. B. bei Vertragswerk­stätten, so bleibt jedoch in den allgemeinen Rahmenbedingungen die „Freiheit" im Arbeitsprozeß, also weder der Stechuhr noch einem Aufseher unterworfen zu sein.

Die Existenz der heutigen Hauptgruppen der selbständigen Mittel­schichten beruht nicht nur auf eigener Arbeit, sondern auch auf der Aus­beutung von Lohnarbeit. Hierin besteht die wichtigste Gemeinsamkeit mit der Bourgeoisie, mit den eigentlichen Kapitalisten. Die innere „verti­kale" Schichtung erschließt sich jedoch nicht ausschließlich von dem Aus­maß der unmittelbar ausgebeuteten Lohnarbeit. Die Ausübung spezifischer Tätigkeiten macht unterschiedliche „Kapital"größen erforderlich. Darüber hinaus ist die gerade für diese Schichten charakteristische Beschäftigung von Familienangehörigen, die Ausbeutung von Lehrlingen u. a. zu berück­sichtigen. Gruppen wie vermietende Hausbesitzer, Rentiers mit kleinen Vermögen usw. beziehen arbeitslose Einkommen; sie sind über die Ver­wertung ihrer Vermögen bzw. kleinen Kapitale an der Ausbeutung betei­ligt. Infolge des kleinbürgerlichen Umfangs ihrer Einkommen sind auch sie als kleinbürgerliche Schichten anzusehen.

Die allgemeine Charakterisierung der selbständigen Mittelschichten besteht aber darin, daß ihre Teilnahme am Arbeitsprozeß zur Reproduk­tion ihrer Existenz bei mehr oder weniger großer Beteiligung am Mehr­wert bzw. Gesamtprofit erforderlich ist.

Eine Proletarisierung findet statt, wenn die einfache Reproduktion nicht mehr möglich ist. In Perioden wirtschaftlicher Expansion vollzieht sich der Übergang in die Arbeiterklasse oder in lohnabhängige Zwischen­gruppen relativ reibungslos, da ihre Einkommen über denen der absteigen­den Zwischengruppen liegen. Gerade deshalb ist der Umfang dieser Schichten in entwickelten kapitalistischen Ländern nicht sehr groß. Anders in Ländern mit schwacher Expansion und wenig ausgeprägten Kapitalver­hältnissen, wie in der Mehrzahl der Entwicklungsländer. Hier machen diese Zwischengruppen einen beträchtlichen Teil der städtischen Bevölke­rung aus.(60) Diese Schichten sind unter derartigen Umständen zählebig, da sie ihren Existenzkampf mit der extensiven Anwendung ihrer Arbeitskraft und derjenigen ihrer Familienangehörigen führen.

Andererseits sind diese Wege keine Einbahnstraßen. Die Mittelschich­ten sind historisch nicht nur eine Rekrutierungsbasis der modernen indu­striellen Arbeiterklasse. In bestimmten Situationen vollzieht sich auch ein Übergang von kleineren Gruppen der Arbeiterschaft in die Kleinbour­geoisie. So ist für die Nachkriegsperiode in Italien die Entwicklung pro­duktiver Mittelschichten (Kleinindustrie) aus Facharbeitergruppen charak­teristisch.(61) In der BRD liefen derartige Bewegungen in der Bauwirtschaft, im Transportwesen und anderswo ab. Aus der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung ist das Entstehen einer Gruppe von Gastwirten (Partei-buddiker) bekannt.
Es kann nochmals unterstrichen werden, daß es zwischen der Arbeiter­klasse und diesen Schichten des Kleinbürgertums, den rechten Nachbarn der Arbeiterklasse, keine starren Grenzen gibt, wie auch keine Mauern zwischen Kleinbürgertum und Bourgeoisie existieren. Übergänge von „unten" finden bei zunehmender Nachfrage nach den Produkten und Diensten der entsprechenden Bereiche dann und dort statt, wann und wo Kapitalausstattung und organische Zusammensetzung niedrig sind. Sie schwinden als reale Möglichkeiten, wo diese Bereiche unmittelbares Exploitationsfeld des Kapitals werden.

Nach wie vor bleibt — wie die Warenproduktion das Milieu des Kapi­tals — das Kleinbürgertum oder exakter die Mittelschichten das Rekrutie­rungsfeld der Bourgeoisie. Der Übergang vollzieht sich dann, wenn die Ausbeutung direkt oder indirekt die ausschließliche Quelle der Ein­kommen wird. Das zeigt sich daran, daß eine Teilnahme am Arbeitsprozeß, an der Produktion nicht mehr erforderlich und — von der Repräsentanz des Kapitals her — nicht mehr möglich ist. Die kapitalistischen Kapital­verwertungsfunktionen werden zur ausschließlichen Tätigkeit des Klein­unternehmers. Das schließt natürlich in konkreten Fällen nicht aus, daß der Unternehmer noch mitarbeitet. Gegebenenfalls überträgt er die Lei­tungs- und Verwertungsfunktionen anderen Personen. Doch wird damit eine sozialökonomische Scheidelinie sichtbar. Der realisierte Profit wird zur Quelle der Akkumulation und der Revenue. Mit diesem Ubergang wird der für die Mittelschichten charakteristische Zwiespalt — Eigentümer auf der einen, Arbeiter auf der anderen Seite — aufgehoben, und zwar nach der entgegengesetzten Seite als beim Ubergang in die Arbeiterklasse. Diese, wenn auch unterschiedlich gewichtete, Mobilität nach „oben" und „unten", die auf der sozialen Polarisierung der kleinen Warenproduktion beruht, ist eine der Warenproduktion in der kapitalistischen Gesellschaft eigentümliche Tendenz, deren Umfang und Intensität allerdings von öko­nomischen und historischen Faktoren bestimmt wird.

Für den staatsmonopolistischen Kapitalismus ist nicht nur diese Polarl-sierung wirksam, sondern ebenso der Übergang in lohnabhängige Mittel­schichten. Für die einzelnen Personen ist das unter wesentlichen sozialen Gesichtspunkten (Einkommen, Leitungsbefugnisse) nur ein horizontaler sozialer Wechsel. Nicht zuletzt sind auch diese Prozesse ein Indiz für die Einbeziehung der Mittelschichten in das System der staatsmonopolistischen Ausbeutung.

Die innere Gliederung der selbständigen nichtagrarischen Mittelschich­ten ergibt sich

1) aus den spezifischen Funktionen ihrer Gruppen im gesamtgesell­schaftlichen Reproduktionsprozeß;
2) aus der Stellung der einzelnen Schichten zu den Grundklassen der kapitalistischen Gesellschaft, was sich an Quelle und Höhe der Einkommen anzeigt.

Unter dem ersten Gesichtspunkt sind für die westdeutsche Gesellschaft folgende wesentliche Gruppen bedeutsam:

  • Gruppen der materiellen Produktion (produzierendes Handwerk, Bau­wesen, Kleinindustrie, Teile des Transportwesens, z. T. reparierendes Handwerk);

  • Gruppen im Handel, Geld- und Versicherungswesen;

  • kleine Dienstleistungsbetriebe (einschließlich Hotels, Gaststätten, Ver­mietung) ;

  • freie Berufe ohne Intelligenzqualifikation;

  • Rentierschichten.

Unter dem zweiten Gesichtspunkt sind empirische Kriterien zu berück­sichtigen wie: Ausmaß der Mitarbeit; Anzahl der Beschäftigten; Ein­kommenshöhe; Wertumfang der Produktionsmittel bzw. Vermögen. Um die Kerngruppen der selbständigen Mittelschichten lagern sich plebejische Randgruppen (in der Regel Ein-Mann-Betriebe mit geringer Vermögens­ausstattung), Übergangsgruppen in die Arbeiterklasse; Ubergangsgruppen in lohnabhängige Mittelschichten; Übergangsgruppen in die Bourgeoisie.

Anmerkungen

52) Erinnert sei hier — was den Begriff „Mittelschichten" unter dem Aspekt der Klassenstruktur und der Klassenkämpfe betrifft — an folgende Bemerkung W. I. Lenins auf dem 1. Kominternkongreß 1919: „. . . es ist absolut unmöglich, daß es in der kapitalistischen Gesellschaft, wo Proletariat und Bourgeoisie feindliche Lager darstellen, keine Mittelschichten geben sollte." (Werke, Bd. 28, S. 486.)
53) Vergleiche den Beitrag von C. Kievenheim in diesem Band.
54) „Der Begriff ,Intelligenz' ist in den ökonomisch rückständigen Ländern traditio­nell umfangreicher als in den hochentwickelten. Er umfaßt nicht nur die Personen, die geistig arbeiten, die Vertreter der freien Berufe und Künstler, sondern auch Menschen, die überhaupt über Bildung verfügen, darunter die Angestellten." In Lateinamerika fallen darunter bis zu 20 Prozent der Lohnempfänger. (Klassen und Klassenkampf in den Entwicklungsländern, a. a. O, S. 229, S. 240.)
55) Vgl. z. B.: Serge Monegar: Bemerkungen zur gesellschaftlichen und technischen Rolle der Ingenieure, in: Marxismus-Digest, Frankfurt a. M., Nr. 1/1971 (Wissen­schaftlich-technische Intelligenz und Angestellte im Spätkapitalismus), S. 47 ff. Im gleichen Heft auch die Beiträge von: A. Melnikow, A. Casanova, P. Joye, P. Goodwin, M. Gronau u. a.
56) Vom gleichen Prinzip ausgehend, können auch — in umgekehrter Anwendung — Beschäftigte — mit formalem Mittelschichtenstatus — in kulturellen, gewerk­schaftlichen und politischen Organisationen der Arbeiterklasse zur Arbeiterklasse gerechnet werden. Dieser Zusammenhang muß jedoch unbedingt eng gehalten werden und setzt die Analyse der tatsächlichen Funktion dieser Organisationen im Klassenkampf voraus. Dieser Ansatz kann auch keinesfalls in der Richtung erweitert werden, als bestimme die entsprechende politische und ideologische Ein­stellung entsprechender Personen ihre Klassen- oder Schichtzugehörigkeit. Son­dern ausschlaggebend ist die Funktion, in deren Ausübung der Lebensunterhalt erworben wird.
57) „Eigentlich beginnt die kapitalistische Produktion in dem Augenblick, in dem der Lohnarbeitgeber aus dem unmittelbaren Produktionsprozeß herausgelöst wird und eine organisierende und beaufsichtigende Funktion erfüllt." Das ist in Ent­wicklungsländern bei etwa 20 Beschäftigten der Fall. (Klassen und Klassenkampf in den . . ., a. a. O., S. 168.)
58) Zu einer realen Beurteilung des Umfanges des Besitzes, Vermögens kann nicht schlechthin der Verkehrs- oder Marktwert aufgeführt werden. Er müßte zu den jährlichen Aufwendungen für den Lebensunterhalt - auf gleichem Niveau - ins Verhältnis gesetzt werden. Ein derartiger Index könnte ausdrücken, wieviel „Arbeitsjahre" ein derartiger Besitz repräsentiert.
59) „Die Klassenlage des Handwerkers oder Kleinhändlers definiert sich damit, daß er auf dem Markt nicht als Verkäufer seiner Arbeitskraft auftritt, sondern als Verkäufer der Waren und Dienstleistungen seines Betriebes." (Politische Ökono­mie des modernen Monopolkapitalismus, a. a. O., S. 215.)
60) Im Durchschnitt der Entwicklungsländer machten die städtischen Mittelschichten einschließlich der halbproletarischen Übergangsgruppen der eigentlichen Stadt­armut 65 Prozent der städtischen Bevölkerung aus. (Vgl. Klassen und Klassen­kampf in . . ., a. a. O., S. 215.)
61) Vgl. G. Amendola, La classe operaia Italiama, Roma 1968, S. 40.

Editorische Hinweise

H. Jung, M.Tjaden-Steinhauer, K.H. Tjaden: Klassenstruktur und Klassentheorie, Theoretische Grundlagen und Diskussion (Teil 1), hrg. von ISMF, Beiträge zur Klassen- und Sozialstruktur der BRD 1950-1970, Ffm 1973, S. 153-166

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