5.2.0 Theoretische Abgrenzung
Mittelschichten(52) sind
vorwiegend werktätige soziale Schichten, deren wesentliche
Existenzbasis in verschiedenen Abstufungen die eigene Arbeit
st. Aus ihrer Stellung im Gesamtsystem der kapitalistischen
Produktionserhältnisse ergibt sich unter den Bedingungen des
SMK keine einheitliche Klassensituation
und demzufolge auch kein gemeinsames Klasseninteresse.
Ihre einzelnen Gruppen üben im Reproduktionsprozeß unterschiedliche
Funktionen aus.
Die Mittelschichten stellen im
staatsmonopolistischen Kapitalismus eine Sammlung gegeneinander
abgegrenzter und in sich wiederum differenzierter Gruppen dar.
Ihrer gesellschaftlichen Lage nach stehen sie zwischen
Proletariat und Bourgeoisie. Ihrer historischen Tendenz nach
sind sie Zwischenschichten, die unter dem Druck der
monopolkapitalistischen und heute der staatsmonopolistischen
Akkumulation der sozialen Differenzie-ung und Polarisierung
unterworfen sind.
Ihre historischen Ausgangspunkte sind die kleinen Mittelstände
und ie Bauernschaft. In den frühen Entwicklungsphasen des
Kapitalismus und in Phasen industriell schwacher Entfaltung
formieren sie sich als Klasse des Kleinbürgertums, deren Kern
die Kleinproduktion und der Kleinbesitz darstellt. Die
Kleinbourgeoisie ist in jenen Phasen eine vorwiegend
produzierende und hervorbringende Klasse. Diese Klasse ist
eine Nebenklasse der kapitalistischen Gesellschaft, weil sie
nicht unmittelbar dem kapitalistischen Produktionsverhältnis
entspringt.
Aus dem feudalen Ständesystem
hervorgegangen, lebt die Bezeichnung Mittelstände" gerade in
Deutschland bis in den staatsmonopolistischen Kapitalismus
fort. Jedoch rechtfertigen weder noch vorhandene, am
tändesystem orientierte Ideologen, noch aus der
Zunftorganisation hervorgegangene Gliederungen und
Reglementierungen die Verwendung des Ständebegriffs im
wissenschaftlichen Sinne. Der Begriff „Mittelstand" ist
deshalb nicht tragbar, weil der Kapitalismus keine
Ständegesellschaft ist. darüber hinaus muß in Rechnung
gestellt werden, daß die Kleinproduktion nicht einfach ein
Relikt der Vergangenheit bleibt, sondern im Gesamt system der
kapitalistischen Warenproduktion eine Reproduktionsbasis
findet.
Gerade dann, wenn man die
Stellung zu den Produktionsmitteln und demzufolge im
gesellschaftlichen Reproduktionssystem nicht auf
Eigentumstitel verkürzt, sondern sie als eine Stellung in
einem gesellschaftlichen Aneignungsprozeß auffaßt, kann bei
der Bestimmung der Mittelschichten nicht mehr nur von Besitz-
und Eigentumstiteln ausgegangen werden. Darüber hinaus muß die
Stellung in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit
einbezogen werden.
Für alle Mittelschichten ist ihre objektive Stellung die
Grundlage zwiespältiger Interessen. Der Arbeiterklasse sind
sie als werktätige, arbeitende Schichten verbunden; der
Bourgeoisie als besitzende, leitende, spezifische Funktionen
wahrnehmende Schichten. Stellen die Grundklassen die Pole der
Klassenbeziehungen im Kapitalismus dar, so stehen die
Mittelschichten im Kraftfeld dieser Pole.
Mit der Entwicklung des
Kapitalismus, insbesondere mit dem Übergang zum Imperialismus
und der Herausbildung des staatsmonopolistischen Kapitalismus
verändert sich das ökonomische Gewicht der Mittelschichten und
ihre soziale Zusammensetzung. Das Kleinbürgertum verliert an
sozialer Homogenität. Seine Möglichkeiten zur historischen
Initiative und als selbständiger sozialer Faktor werden weiter
eingeschränkt. Wenn diesen historischen Veränderungen Rechnung
getragen werden soll, ist es nicht mehr möglich, vom
Kleinbürgertum als Klasse zu sprechen. Die Gruppen des
Kleinbürgertums müssen deshalb als soziale Mittelschichten
bezeichnet werden.
Entsprechend der Spezifik ihrer Stellung und Funktion im
Gesamtsystem der Produktionsverhältnisse bzw. im
Reproduktionsprozeß und ihren Interessen heben sich folgende
Schichten voneinander ab: die Intelligenz; lohnabhängige
Mittelschichten; nichtagrarische selbständige
Mittelschichten; agrarische Mittelschichten (Bauern).
5.2.1 Die Intelligenz als
soziale Schicht
Die Entwicklung der Intelligenz
(53) ist direkt und indirekt an die Entwicklung der modernen
Produktivkräfte gebunden. Ihre Gruppen treten schon in
früheren Phasen des Kapitalismus auf, als soziale Schicht
formiert sie sich mit dem Ubergang zum Imperialismus. Ihr
Umfang und ihre Bedeutung wächst insbesondere mit der
wissenschaftlich-technischen Revolution in der zweiten Hälfte
unseres Jahrhunderts. Im Verlauf dieser Entwicklungen
verändert sich der soziale Charakter der Intelligenz.
Bei allen konkret (beruflich und sozial) unterschiedlichen
Funktionen der einzelnen Intelligenzgruppen, ergibt sich als
gemeinsame Charakteristik, daß die Ausübung dieser Funktionen
an eine über dem Niveau der Arbeiterklasse liegende Bildung
gebunden ist. Dieser Umstand weist darauf hin, daß
1) der methodische Ausgangspunkt
der Intelligenzanalyse — wie für andere Klassen und Schichten
auch — in der Stellung im System der Produktionsverhältnisse
zu suchen ist.
2) ihre konkret-historischen Grenzen
durch den Umfang und die Grenzen der Arbeiterklasse und der
Bourgeoisie bestimmt sind.
Wird diesem Ansatz gefolgt, dann
kann Bildung nicht schlechthin als kultursoziologisches
Phänomen betrachtet werden, sie ist vielmehr in ihrer
ökonomischen Substanz zu analysieren. Höhere Bildung der
Arbeitskraft erfordert höhere Reproduktionskosten. Diese sind
unter den Bedingungen spezifisch gesellschaftlicher
Reproduktionsschranken die materielle Grundlage eines höheren
Preises der Arbeitskraft. Das ist der ökonomische „Kern" der
Charakteristik der modernen Intelligenz als sozialer Schicht.
Darüber hinaus sind die
Funktionen qualifizierter geistiger Arbeit vom Standpunkt
ihrer Beziehung zum Gesellschaftssystem und zu den
Grundklassen zu betrachten. Unter den Bedingungen
antagonistischer Klassengesellschaften werden Funktionen
geistiger Arbeit Ausbeutungs- und Herrschaftsmittel der
Ausbeuterklassen. Geistige Arbeit und körperliche Arbeit
(Funktionen der produzierenden und unterdrückten Klassen)
werden zum Gegensatz, zu einer Bewegungsform der
Klassengegensätze. Unter diesen Bedingungen ist die
Entwicklung von Wissenschaft und Bildung die Entwicklung von
Mitteln der herrschenden Klassen. Nur in dieser Fessel können
sich diese gesellschaftlichen Potenzen entfalten. Hieraus
resultiert die, für die einzelnen Gruppen modifizierte,
zwiespältige Stellung der Intelligenz zur Arbeiterklasse und
zur Bourgeoisie.
Ohne eine derartige Bestimmung muß das empirische Kriterium
der Hoch- und Fachschulausbildung - für die Verhältnisse des
entwickelten Kapitalismus — äußerlich bleiben und letztlich
auf eine kultursoziologische Kategorisierung hinauslaufen
(Geistesarbeiter; Kulturschöpfer und -Vermittler; Gebildete,
Akademiker usw.). In der Konsequenz verteilen sich dann die
Angehörigen der Intelligenz auf alle Schichten und Klassen der
kapitalistischen Gesellschaft; eine sozialökonomische
Abgrenzung kann nicht mehr vorgenommen werden und der Begriff
der Intelligenz als einer sozialen Schicht muß aufgegeben
werden.
Stattdessen ist für die
Intelligenz im Kapitalismus ihre objektive Stellung als
Mittelschicht charakteristisch. Die Veränderung ihres sozialen
Charakters zeigt sich in der Zunahme des relativen und
absoluten Anteils der Lohnabhängigengruppen. Die Angehörigen
der Intelligenz sind beschäftigt als Angestellte und Beamte
des Staates, als Angestellte kapitalistischer Unternehmen und
als Selbständige (freie Berufe). Eine — wenn auch erst sehr
kleine — Gruppe ist in die materielle Produktion integriert;
die überwiegende Mehrheit übt Funktionen im sogenannten
Dienstleistungsbereich, im Ausbildungs-, Verwaltungs-,
Wissenschafts-, Sozialapparat usw. aus. Diese Gesichtspunkte
sind für die innere Gliederung der Intelligenz bedeutsam; sie
rechtfertigen jedoch nicht die Aufgabe des spezifischen
Schichtbegriffs für die Intelligenz.
Gegen eine Aufgabe des
einheitlichen Begriffs der Intelligenz als sozialer Schicht
zugunsten der Aufgliederung in lohnabhängige und selbständige
Mittelschichten spricht außerdem das Osmose-Verhältnis
zwischen beiden Sektoren, soweit sie noch als relevante
Sektoren existieren, z. B. bei Ärzten. Häufig ist der eine
Sektor nur ein Durchgangsstadium zum anderen. Für die meisten
Berufsgruppen (Lehrer, Naturwissenschaftler usw.) ist der
Sektor der freien Berufe unbedeutend. Freie Berufe besitzen
nur dort (noch) eine Existenzbasis, wo der Wert der
Arbeitsmittel im Verhältnis zur Arbeitskraft unbedeutend ist.
Mit der Unterwerfung dieser Bereiche unter das Kapital engt
sich der Sektor der selbständigen Existenz ein. Darüber hinaus
besteht infolge der gemeinsamen Ausbildung — als sozialem
Durchgangs- und Selektionsstadium — eine starke soziale
Kohärenz beider Sektoren.
Jedoch charakterisieren in
vieler Hinsicht die Besonderheiten der selbständigen
nichtagrarischen Mittelschichten auch die selbständige
Intelligenz. Im Unterschied zu ihnen ist jedoch für die
selbständige Intelligenz nicht in erster Linie das Eigentum an
Arbeitsmitteln ihre Existenzgrundlage, sondern die besondere
Qualifikationen ihrer Arbeitskraft. Eine Abgrenzung zu den
„reinen" lohnabhängigen Mittelschichten ist deshalb
schwieriger, da Leitungsfunktionen und spezifische Funktionen
der Systemerhaltung auch von Hoch- und Fachschulabsolventen
ausgeübt werden.
Es wurde schon darauf verwiesen,
daß der Unterschied der Intelligenz zu anderen Klassen und
Schichten nicht schlechthin an die Scheidelinie zwischen
manueller und geistiger Arbeit gebunden werden kann. Wenn
überhaupt, dann ist diese Unterscheidung bestenfalls in
schwach entwickelten Ländern( 54) als empirisches Kriterium
verwendbar. Nur hier wird z. B. auch die ganze Gruppe der
Angestellten — als Lese- und Schreibkundige und geistige
Arbeiter — in die Intelligenz einbezogen.
Mit der Entwicklung der Produktivkräfte, insbesondere der
Qualifikation der Arbeiterklasse, verschiebt sich die
konkrete Grenze nach „oben", d. h. zu geistiger Arbeit höheren
Qualifikationstyps, die die Spezialität bestimmter
Beschäftigtenkategorien, eben der Intelligenz sind. Einfache
geistige Arbeit wird deshalb „proletarisiert", weil sich ihre
Reproduktionsbasis in die Arbeiterklasse verlagert. Mit der
Verwandlung komplizierter geistiger Arbeit in Lohnarbeit
werden auch diese Beschäftigtenkategorien den Gesetzen des
kapitalistischen Reproduktionsprozesses unterworfen. Das
spiegelt sich im Schwanken der Nachfrage nach diesen
Arbeitskräften und im Druck auf ihre Löhne wider. Nicht
zuletzt ergibt sich hieraus die Ausprägung der
Lohnabhängigeninteressen des Hauptteils der Intelligenz und
damit eine Annäherung an die Interessen (und
gewerkschaftlichen Organisationsformen) der Arbeiterklasse und
eine Zuspitzung ihrer Haltung gegenüber den Monopolen und
ihrem Staat.
Diese Gegensätze verschärfen sich
1) mit dem Anwachsen der
Anwendungsbereiche geistiger Arbeit im kapitalistischen Sektor.
Ausdehnung und Vergesellschaftung dieser Funktionen erhöhen
auf der einen Seite die Nachfrage, führen auf der anderen aber
zur Entwertung bestimmter Qualifikationen und zur sozialen
Differenzierung dieser Bereiche,
2) mit dem Wachsen der Anwendungsbereiche geistiger Arbeit
unter staatlicher Regie. Die Existenzbasis dieser
Arbeitskräfte wird den Widersprüchen der
staatsmonopolistischen Regulierung unterworfen.
3) mit der Eingliederung der freien Berufe in das
staatsmonopolistische Verwertungssystem. Dieser Prozeß
vollzieht sich analog der Eingliederung der selbständigen
Mittelschichten.
Eingeordnet in die
kapitalistische Akkumulation und das staatsmonopolistische
Reproduktionssystem ist die Intelligenz als soziale Schicht
der sozialen Differenzierung und Polarisierung ebenso
unterworfen wie die anderen Mittelschichten. Dieser Prozeß
wird jedoch dadurch charakterisiert, daß die Proletarisierung
nicht in erster Linie an die Trennung von den
Produktionsmitteln gebunden ist. Die Kernfrage besteht
vielmehr in der relativen oder absoluten Entwertung der
Intelligenzqualifikationen.
Arbeitslosigkeit und sinkende Lohntendenz sind Ausdrucksformen
dieser Prozesse, jedoch keine exakten Gradmesser. Wichtig ist
dabei der Umstand, ob sie eine Entwertung der
Arbeitsqualifikation ausdrücken oder ob sie durch zeitweilige
Faktoren (z. B. Strukturkrisen, Ausgabensenkungen des
Staates) hervorgerufen sind.
Eine relative oder absolute
Entwertung der Arbeitskraft findet dann statt,
1) wenn für bestimmte
Berufsgruppen der Intelligenz die Nachfrage dauerhaft
zurückgeht und eine Beschäftigung im gleichen (oder ähnlichen)
Intelligenzberuf nicht mehr möglich ist. Damit ist die
Realisierung der Berufsqualifikation blockiert. Dieser Prozeß
wird begleitet von einer Verschärfung der Angebotskonkurrenz
und durch Druck auf die Löhne und führt schließlich zur
Deklassierung der „überzähligen" Gruppen. Das ist der Prozeß
der Entstehung des „akademischen Proletariats".
2) wenn sich das allgemeine
Volksbildungsniveau hebt, die Pflichtschuljahre steigen und
eine Verwohlfeilerung der Bildung eintritt. Damit erweitert
sich die soziale Rekrutierungsbasis der Untergruppen der
Intelligenz. Sie verschiebt sich in die Arbeiterklasse. Das
ist gegenwärtig für Gruppen der Fall, deren Qualifikationen an
Mittelschulbildung und eine entsprechende Anschlußausbildung
gebunden war, z. B. Absolventen von Technikerschulen.
Historisch trat dies ein bei Intellektuellenberufen, deren
Qualifikationen nur an Schreiben und Lesen gebunden waren. Mit
der Erhöhung des Niveaus der Arbeiterklasse vollzieht sich
eine relative Entwertung der Qualifikation der unteren
Intelligenzgruppen und damit ihr Übergang in die
Arbeiterklasse. Gerade für diese Gruppen ist das
„Zurückbleiben des Bewußtseins" typisch.
3)
wenn die kapitalistische Vergesellschaftung der Bereiche
geistiger Arbeit — innerhalb und außerhalb der materiellen
Produktion — Detailarbeit und Detailarbeiter produziert, was
tendenziell zu verstärkter Austauschbarkeit und Entwertung
führt — allerdings auf einer unterschiedlichen
Qualifikationsebene. Dies schließt den Verlust der
schöpferischen Arbeitselemente, der
Initiative in der Arbeit, kurz nicht mehr nur die ökonomische
Unterordnung unter das Monopolkapital, sondern auch die
Unterordnung im kapitalistisch organisierten Arbeitsprozeß
ein.(55) Hinzu kommt die örtliche und räumliche Konzentration
(im Konzern, in Schulen, Behörden usw.). Es handelt sich hier
um den Prozeß der Entfaltung des Warencharakters der
Arbeitskraft der Intelligenz im Zuge der Unterjochung der
geistigen Arbeit unter das Kapital. Diese Prozesse sind eng
mit den unter 1. und 2. genannten verbunden.
In diesem Prozeß der Entwertung
der Qualifikation vollzieht sich der Übergang der
entsprechenden Intelligenzgruppen in die Arbeiterklasse. Diese
Prozesse verlaufen gerade unter den Bedingungen der
wissenschaftlich-technischen Revolution besonders stürmisch.
Mit der staatsmonopolistischen Reform des Bildungswesens
werden die Reproduktionsbedingungen der einzelnen
Intelligenzgruppen einschneidend beeinflußt und neue
Reproduktionsdaten gesetzt.
Nicht übersehen werden kann vor
allem in der BRD — trotz einer insgesamt steigenden Nachfrage
— eine zunehmende Tendenz der „Produktion" eines
„akademischen Proletariats", vor allem in
geisteswissenschaftlichen Berufsgruppen, womit einzelne
Schichten der Deklassierung ausgeliefert werden.
Auf der anderen Seite stellt die
Intelligenz ein Rekrutierungsreservoir der Bourgeoisie
dar. Der „Aufstieg" in die Bourgeoisie erfolgt
-
mit dem Ubergang in das
kapitalistische Management;
-
mit dem Übergang in staatliche
Leitungsfunktionen und damit in die Teilhabe am
staatsmonopolistischen Aneignungs- und Ausbeutungsprozeß ;
-
mit dem Übergang in die
Spitzenfunktionen der „ideologischen Fraktion" der
Bourgeoisie;
-
mit dem Übergang zu
kapitalistischen Unternehmerfunktionen im Zuge der
Differenzierung der Bereiche der freien Berufe.
Mit dem Ubergang in die
Bourgeoisie fallen diese Gruppen aus der Intelligenz als
sozialer Schicht heraus. Das ist selbst dann der Fall, wenn
sich ihre Ausbeutungs- und Herrschaftsfunktionen mit
Spezialistenfunktionen verquicken, so z. B. bei Chefärzten,
Staranwälten. Denn ihre wesentliche Tätigkeit wird nun die
Organisierung und Sicherung der Kapitalverwertung und
Ausbeutung auf der Ebene der Einzelkapitale oder des
staatsmonopolistischen Systems (staatsmonopolistische
Verbände, Institutionen, Staatsapparat).
Unterschiedliche soziale
Herkunft, soziale Bindung und Perspektive schlagen sich heute
im Charakter und in der Bewegung der Studentenschaft
als sozialer Gruppe nieder. Nicht zuletzt ist die Veränderung
objektiver Faktoren die materielle Grundlage einer
verschärften Frontstellung gegen das staatsmonopolistische
System. Die widersprüchlichen ideologischen und politischen
Strömungen in der Studentenschaft sind Ausdruck ihres
heterogenen sozialen Charakters. In der Konfrontation ihrer
gruppenspezifischen Interessen an der Qualifikation ihrer
Arbeitskraft und an deren Realisierung im Interesse des
Volkes, mit der Verschlechterung der Studienbedingungen, der
materiellen Lebenslage und der Perspektive für breite
Studentengruppen offenbart sich der Konflikt mit dem
staatsmonopolistischen System. Die Konzentration an
Massenhochschulen ist eine weitere Grundlage der Formierung
der Studentenschaft zu einer der aktivsten
antimonopolistischen Kräfte in der BRD. Diese Veränderungen
hatten zur Folge, daß das Studium keinen „Urlaub vom
Klassenkampf" darstellt, sondern Schulen und Hochschulen
selbst wichtige Felder des antimonopolistischen Kampfes
wurden.
Die innere Gliederung der
Intelligenz ist vielschichtig und kompliziert. Neben
berufs- und funktionsspezifischen Gliederungen (pädagogische,
medizinische, technische, ökonomische usw. Intelligenz) muß
die Bindung an die einzelnen Beschäftigungssektoren in
Betracht gezogen werden.
Die innere „vertikale" Gliederung und damit die Markierung der
Übergangs- und Randgruppen ergibt sich jedoch in erster Linie
unter dem Gesichtspunkt der Qualifikation der Arbeitskraft. So
müssen gegenwärtig Hochschulabsolventen als die Kerngruppen
der Intelligenz angesehen werden. Verschiedene
Fachschulkategorien befinden sich im Übergangsprozeß zur
Arbeiterklasse.
Von besonderer Bedeutung sind
zweifellos auch jene Gruppen, die in der Sphäre der
materiellen Produktion mit den Kerngruppen der
Arbeiterklasse, der Industriearbeiterschaft in Beziehung
treten, das ingenieurtechnische Personal und die
wissenschaftlich-technische Intelligenz. Darüber hinaus ist
der Grad der Beschäftigungskonzentration eine objektive
Grundlage der Formierung ihrer sozialen Interessen.
5.2.2 Lohnabhängige
Mittelschichten
Die Herausbildung und
Entwicklung lohnabhängiger Mittelschichten ist mit der
Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaftsformation
verbunden. Es handelt sich um Gruppen, deren
Existenzgrundlage die Lohnarbeit ist, deren Stellung in der
gesellschaftlichen Organisation der Arbeit und im Gesamtsystem
der Wirtschaft und Gesellschaft ihnen jedoch gegenüber der
Arbeiterklasse eine Sonderrolle zuweist. Hieraus resultiert
eine dem „alten" Kleinbürgertum vergleichbare objektive
Stellung und eine darauf beruhende zwiespältige Interessenlage
gegenüber den Grundklassen.
Ihre historische
Rekrutierungsbasis liegt am Ausgangspunkt vorwiegend in den
alten kleinbürgerlichen Schichten. Auf der Ebene der
Einzelkapitale sind es Gruppen, die Tätigkeiten ausüben, die
aus Funktionen der kapitalistischen Unternehmer hervorgehen:
Organisierung und Leitung der kapitalistischen Produktions-
und Verwertungsprozesse, Bewerkstelligung des Formwandels des
Kapitals, der Mehrwertrealisierung. Das sind die Ober- und
Unteroffiziere des Kapitals, die Aufsichts- und
Leitungsfunktionen ausüben; die kommerziellen Lohnarbeiter,
die Einkauf, Absatz, Buchführung usw. durchführen und Gruppen,
die Funktionen des Staates ausüben.
In vorhergehenden Abschnitten
(4.3; 4.4) wurde dargelegt, wie sich die Ausübung dieser
Funktionen in der Bewegung des Wertes und Preises ihrer
Arbeitskraft niederschlägt. Es muß außerdem darauf aufmerksam
gemacht werden, daß die Analyse des unteren Aufsichtspersonals
und verschiedener Kategorien von Staatsbeschäftigten den
spezifischen Charakter ihrer Arbeitsfunktionen vom Standpunkt
des Gesamtsystems berücksichtigen muß und die besonderen
Bindungen, die sich daraus für die entsprechenden Gruppen
ergeben. Das gilt vor allem für Gruppen, die
Repressionsfunktionen des Staates ausüben (Polizei, Armee,
Justiz). Die soziale Differenzierung dieser Bereiche wird
unter einer bürokratischen Hierarchie verdeckt, die durch ihre
abgestuften und streng reglementierten Ränge quasiständischen
Charakter besitzen.
Die Vergesellschaftung der
Produktion, die Ausdehnung der nicht-produzierenden
Reproduktionsbereiche und die Aufblähung des Staatsapparates
führt zu einem schnellen Wachstum dieser Gruppen, das sich mit
dem Übergang zum Imperialismus und später mit der Entfaltung
des staatsmonopolistischen Kapitalismus noch beschleunigt. An
der Oberfläche kommt dies in wachsenden Angestellten- und
Beamtenzahlen zum Ausdruck. Mit dieser Entwicklung findet
jedoch eine soziale Differenzierung dieser
Mittelschicht-Gruppen statt. Sie werden zwar zersetzt, aber
auf anderer Ebene neu geschaffen. Auf den unteren Rängen den
jeweiligen Sektoren und Gebieten entstehen „Detailarbeiter",
deren objektive Stellung und Lage sie zuerst der
Arbeiterklasse annähert und im weiteren Verlauf in sie
eingliedert. Das ist der Fall bei den unteren Angestellten-
und Beamtengruppen — mit den genannten Einschränkungen.
Ihre eigentümliche Lage wird
jedoch dadurch bestimmt, daß sich die Ubergänge nach „oben" im
Rahmen einer Hierarchie vollziehen. Diese Situation ist sowohl
für die proletarisierten Angestellten- und Beamtengruppen
gegenüber den Mittelschichten charakteristisch, wie auch für
die Mittelschichten-Angestellten und -Beamten gegenüber den
herrschenden bourgeoisen Gruppen der jeweiligen Hierarchien.
Die veränderte Situation der
Untergruppen drückt sich in der Annäherung ihrer
Arbeitssituation, ihrer Qualifikation, der Angleichung ihrer
Einkommen an diejenigen der Arbeiterschaft aus. Ferner
verschiebt sich die Rekrutierungsbasis stärker in
Arbeiterschichten. Die soziologische Verschmelzung wird
außerdem im zunehmenden Konnubium zwischen An~ gehörigen von
Arbeiter- und Angestelltenfamilien relevant.
Obwohl die
Differenzierungsprozesse schon zu Beginn des Imperialismus
verstärkt einsetzen, kann noch in den ersten Jahrzehnten des
Jahrhunderts von den Angestellten und Beamten ,en bloc' als
kleinbürgerlichen Schichten — mit bürgerlichen Obergruppen —
gesprochen werden. Mit der weiteren Entwicklung wird die
Berücksichtigung der Differenzierung unabdingbar. Bei den
Untergruppen setzt sich gegenüber der Zwiespältigkeit ihrer
Funktionen und Bindungen an das System der voll entfaltete
Warencharakter ihrer Arbeitskraft durch. Diese
Zwiespältigkeit ist jedoch nach wie vor für die lohnabhängigen
Mittelschichten charakteristisch.
Die analytische Abgrenzung
dieser Gruppen gegenüber den Lohn-abhängigengruppen der
Intelligenz — als einer Schicht, die sich auf der Basis des
entwickelten Kapitalismus formiert und deren Angehörige
ebenfalls als Angestellte und Beamte beschäftigt sind —, ist
deshalb schwierig, weil von vornherein Überlagerungen und
Verflechtungen auftreten. Intelligenzfunktionen sind empirisch
nicht in allen Bereichen von Auf-sichts- und
Leitungsfunktionen bzw. Repressionsfunktionen des Staates zu
trennen. Dennoch muß die Abgrenzung aufrecht erhalten werden.
Die Funktion dieser Gruppen ist
weniger als bei der Intelligenz an durch fachlich-theoretische
Ausbildung zu erwerbende Qualifikation gebunden als an
„Loyalität" gegenüber der „Firma" bzw. dem Staat, also die von
Kapital und Staat geforderten „Führungsqualitäten". Diese
„Qualifikation" ist charakteristisch für das „middle
management" der Konzerne, für Polizisten, Detektive,
Berufssoldaten, Beschäftigte in Unternehmerorganisationen
usw. Die Rekrutierungsbasis dieser Gruppen liegt stärker in
der Arbeiterklasse, als das bei der Intelligenz der Fall ist.
Das Anwachsen dieser Gruppen
sowohl auf der Ebene der Einzelkapitale wie des Staates ist
in erster Linie Ausdruck (und Eingeständnis) der sich
verschärfenden inneren und äußeren Existenzbedingungen des
Systems und Reaktion auf die sozialen Gegensätze.
Das staatsmonopolistische System
ist bemüht, den Sonderstatus dieser Gruppen juristisch zu
zementieren, andererseits jedoch infolge ihres
Massencharakters gezwungen, ihre materiellen Privilegien nicht
nur in Grenzen zu halten, sondern sogar abzubauen. So sind
diese Gruppen zum einen unverzichtbare soziale Stützen des
SMK, unterliegen jedoch zum anderen dem verschärften
Ausbeutungsdruck von Monopolen und staatsmonopolistischem
System. Die Widersprüche der staatsmonopolistischen
Regulierung schlagen sich insbesondere in ihrer zunehmenden
Existenzunsicherheit nieder. Das führt bei beträchtlichen
Gruppen zu einer, wenn auch widersprüchlichen und schwankenden
Annäherung ihrer Interessen an die der Arbeiterklasse. Ihre
gewerkschaftliche Organisierung erlangt zunehmende Bedeutung.
Gleichzeitig kann jedoch nicht übersehen werden, daß sie
Träger der bürgerlichen Ideologie sind, was besondere
Bedeutung dann erlangt, wenn sie Einfluß in Organisationen der
Arbeiterklasse erlangen. Zweifellos sind sie sowohl in den
Gewerkschaften wie in der Sozialdemokratie eine soziale
Plattform kleinbürgerlicher und bürgerlicher Einflüsse und
haben in gewisser Hinsicht Funktionen der alten
Arbeiteraristokratie übernommen.
Es ergibt sich folgende
Gliederung der lohnabhängigen Mittelschichten, der in der
sozialstatistischen Analyse Rechnung zu tragen ist:
-
Leitungs- und Aufsichtspersonal
auf der Ebene der Einzelkapitale;
-
Leitungs- und Aufsichtspersonal
im Staatsapparat, in staatlichen und privaten Institutionen
und Organisationen, in staatsmonopolistischen Gremiei\ auf
nationaler und internationaler Ebene;
-
Beschäftigte im staatlichen
Repressionsapparat (Militär-Berufssoldaten, Polizei, Justiz
usw.) und ähnlichen Organisationen und Organen
(Spitzelorganisationen, Unternehmerverbände usw.).(56)
Es zeigt sich vor allem an der
letzten Gruppe, daß nicht allein von der Stellung im
Arbeitsprozeß ausgegangen werden kann, daß vielmehr der
spezifischen Funktion im Rahmen des Gesamtsystems auf der
jeweils konkret-historischen Stufe der Klassenbeziehungen und
des Klassenkampfes Rechnung zu tragen ist.
5.2.3 Nichtagrarische
selbständige Mittelschichten
Neben der eigenen Arbeit ist die
Existenzgrundlage der selbständigen Mittelschichten der Besitz
eigener Arbeitsmittel oder allgemein der
Kleinbesitz.(57)Diese Schichten sind an Kleinproduktion und
Wirtschaftstätigkeit auf kleiner Stufenleiter gebunden.(58)
Der Fortschritt der Produktivkräfte führt zur tendenziellen
Einschränkung ihrer Existenzmöglichkeiten. Das trifft auch auf
die bäuerliche Agrarproduktion zu. Die ökonomische
Besonderheit der bäuerlichen Gruppen besteht jedoch darin,
daß Grund und Boden wesentliche Produktionsmittel darstellen.
Das bäuerliche Grundeigentum setzt dem Eindringen des
Kapitals in die Agrarproduktion historische Schranken und
bedingt spezifische Formen der Einbeziehung der bäuerlichen
Produzenten in das kapitalistische Reproduktionssystem. Es muß
allerdings schon hier angemerkt werden, daß mit
fortschreitender Mechanisierung der Landwirtschaft der
wertmäßige Anteil des Produktionsmittels Grund und Boden —
trotz steigender Bodenpreise — an den bäuerlichen
Gesamtproduktionsmitteln zurückgeht. Das stellt eine
materielle Grundlage der stärkeren Einbeziehung der
bäuerlichen Produzenten in den kapitalistischen
Reproduktionsprozeß und der Zunahme ihrer Abhängigkeit vom
Industrie-, Bank- und Handelskapital dar.
Die Unterscheidung von
agrarischen und nichtagrarischen Schichten ist nicht identisch
mit der Unterscheidung von städtischen und ländlich-dörflichen
Mittelschichten. Als ländliche Mittelschichten sind nicht nur
die Agrarproduzenten anzusehen, sondern ebenso die auf der
Basis der Agrarproduktion entstandenen, aus ihr
ausgeschiedenen Gruppen des produzierenden und reparierenden
Handwerks, ländliche Haus- und Kleinindustrie, Gruppen des
Handels und der Dienstleistungen, die im Dorf ihre
Existenzbasis haben (freie Berufe wie Ärzte, Apotheker,
Tierärzte, Gastwirte, Hotel- und Pensionsbesitzer u. ä.).
Diese Gruppen entwickeln gegenüber den städtischen
Mittelschichten infolge der engeren Bindung an Grund und Boden
und an die Agrarproduzenten spezifische Interessenlagen, auch
wenn sie sich von der Agrarproduktion gelöst haben.
Es muß betont werden, daß unter den Bedingungen des
staatsmonopolistischen Kapitalismus mit der Ausdehnung des
sogenannten Dienstleistungssektors gerade diese Gruppen eine
Tendenz zum zahlenmäßigen Wachstum aufweisen, daß sie
freigesetzte Agrarproduzenten absorbieren oder unmittelbar aus
dieser Schicht hervorwachsen, z. B. im Zusammenhang mit dem
Massentourismus. Deshalb ist der starke Rückgang der
bäuerlichen Agrarproduzenten nicht identisch mit dem Rückgang
ländlicher Mittelschichten schlechthin.
Neben dem Anwachsen der
Lohnarbeit auf dem Lande drückt sich auch in diesen Prozessen
des Wachsens nichtagrarischer ländlicher Mittelschichten die
Tendenz der Abschwächung der Unterschiede zwischen Stadt und
Land in entwickelten kapitalistischen Ländern aus.
Wir betrachten diese Gruppen
gemeinsam mit den städtischen selbständigen Mittelschichten.
Ihre wesentliche historische
Ausgangsbasis sind die Kleinbürger der Städte, die kleinen
Mittelstände. Bis heute existieren die Reste ständischer
Organisationsformen, weshalb sich in Deutschland nach wie vor
der Begriff „Mittelstände" gehalten hat. Es muß nochmals
darauf verwiesen werden, daß die kleinen Mittelstände breiter
sind als die kleine gewerbliche Warenproduktion und der
Kleinhandel. Sie umfassen von vornherein aus ihrer sozialen
Basis hervorgewachsene Gruppen, deren Existenzbasis besondere
Dienstverhältnisse bzw. Funktionen geistiger Arbeit sind — die
Vorläufer der modernen Intelligenz und der lohnabhängigen
Mittelschichten, ökonomisch als Schichten der kleinen
Warenproduktion und der mit ihnen verflochtenen, verbundenen
und ihnen aggregierten Schichten des Kleinbesitzes
charakterisiert, stellen sie in ihrer historischen Entwicklung
eine Nebenklasse der kapitalistischen Gesellschaft dar. In den
Perioden noch schwacher Entwicklung der kapitalistischen
Produktionsverhältnisse machen sie die Mehrheit der
städtischen Bevölkerung aus und schaffen einen Großteil der
gewerblichen Produktion und der Dienstleistungen.
Es wäre jedoch unzutreffend, die
Produktionsverhältnisse der kleinen Warenproduktion im Rahmen
des Kapitalismus als autonome Verhältnisse anzusehen. Vielmehr
werden sie zunehmend in das Reproduktionssystem des Kapitals
eingegliedert und mit dem Fortschritt der Akkumulation der
sozialen Differenzierung und Polarisierung unterworfen. Mit
dem Übergang zum Imperialismus wird dieses Netz dichter. Diese
Prozesse sind jedoch nicht mit einer linearen Dezimierung
dieser Schichten verbunden. Charakteristisch ist vielmehr die
faktische Eingliederung in den ökonomischen
Herrschaftsbereich des Großkapitals, der stufenweise Verlust
ihrer Selbständigkeit, der Rückgang ihres ökonomischen
Gewichts insgesamt und die Umgruppierung ihrer einzelnen
Schichten.
Auf einige im
staatsmonopolistischen Kapitalismus wichtige
Umgruppierungsprozesse sei verwiesen:
-
Eingliederung der
kleinbürgerlichen Betriebe des produzierenden, reparierenden
und dienstleistenden Handwerks, des Handels, der
Kleinindustrie, der Dienstleistungen usw. über Zulieferer-,
Einkaufs-, Absatz-, „Kooperations"-verhältnisse und -vertrage
in den kapitalistischen und monopolistischen Einflußbereich.
-
Umsetzung in den
Dienstleistungssektor; Neuentstehen kleinbürgerlicher
Existenzen in neuen Wirtschaftsbereichen mit niedrigem
Kapitalminimum.
-
Umsetzung in lohnabhängige
Mittelschichten (Filialleiter usw.).
Eingegliedert in den
kapitalistischen Reproduktionsprozeß ist die Verwertung des
kleinbürgerlichen Eigentums in die Kapitalbewegung
eingeschlossen. Kleinbürgerliche Produktionsmittel und
kleinbürgerliche Vermögen nehmen Kapitalform an. Diese
Einbeziehung in das System der Kapitalverwertung erfolgt mit
dem staatsmonopolistischen Kapitalismus nicht länger nur
einfach über den Preis-Markt-Mechanismus, sondern über die
staatsmonopolistische Regulierung. Weil in diesem System die
Ausbeutung auf eine gesamtgesellschaftliche Ebene gehoben
wird, ist das Ausmaß der Beteiligung am gesellschaftlichen
Mehrprodukt bzw. am Gesamtprodukt nicht mehr nur durch die
Größe des Besitzes oder die Anzahl der ausgebeuteten
Lohnarbeiter, d. h. den Umfang der unmittelbar abgepreßten
Mehrarbeit, bestimmt, sondern durch die spezifische Funktion,
die die jeweiligen Gruppen für die Akkumulation des
Monopolkapitals und für das staatsmonopolistische System
ausüben.
Geht man vom klassischen Typ des
kleinen Warenproduzenten aus, so ist der Produzent Eigentümer
seiner Produktionsmittel, bestimmt und kommandiert seinen
Arbeitsprozeß und verfügt über seine Arbeitsergebnisse. Er
stellt seine Produkte als Waren her, zunächst für einen
lokalen, festen Markt, später für einen „freien Markt"(59).
Schon damit wird seine Selbständigkeit häufig eingeschränkt
und er gerät in den Einflußbereich des Handelskapitals.
Geht man von diesen Kriterien
aus — Eigentum der Produktionsmittel, Selbständigkeit,
Verfügung über die Arbeitsergebnisse —, so treffen sie heute
nur noch eingeschränkt für die einzelnen Gruppen der
Selbständigen zu. Wenn auch vielfach jegliche Voraussetzungen
und Attribute ökonomischer Selbständigkeit verschwinden, wie
z. B. bei Vertragswerkstätten, so bleibt jedoch in den
allgemeinen Rahmenbedingungen die „Freiheit" im Arbeitsprozeß,
also weder der Stechuhr noch einem Aufseher unterworfen zu
sein.
Die Existenz der heutigen
Hauptgruppen der selbständigen Mittelschichten beruht nicht
nur auf eigener Arbeit, sondern auch auf der Ausbeutung von
Lohnarbeit. Hierin besteht die wichtigste Gemeinsamkeit mit
der Bourgeoisie, mit den eigentlichen Kapitalisten. Die innere
„vertikale" Schichtung erschließt sich jedoch nicht
ausschließlich von dem Ausmaß der unmittelbar ausgebeuteten
Lohnarbeit. Die Ausübung spezifischer Tätigkeiten macht
unterschiedliche „Kapital"größen erforderlich. Darüber hinaus
ist die gerade für diese Schichten charakteristische
Beschäftigung von Familienangehörigen, die Ausbeutung von
Lehrlingen u. a. zu berücksichtigen. Gruppen wie vermietende
Hausbesitzer, Rentiers mit kleinen Vermögen usw. beziehen
arbeitslose Einkommen; sie sind über die Verwertung ihrer
Vermögen bzw. kleinen Kapitale an der Ausbeutung beteiligt.
Infolge des kleinbürgerlichen Umfangs ihrer Einkommen sind
auch sie als kleinbürgerliche Schichten anzusehen.
Die allgemeine Charakterisierung
der selbständigen Mittelschichten besteht aber darin, daß ihre
Teilnahme am Arbeitsprozeß zur Reproduktion ihrer Existenz
bei mehr oder weniger großer Beteiligung am Mehrwert bzw.
Gesamtprofit erforderlich ist.
Eine Proletarisierung findet
statt, wenn die einfache Reproduktion nicht mehr möglich ist.
In Perioden wirtschaftlicher Expansion vollzieht sich der
Übergang in die Arbeiterklasse oder in lohnabhängige
Zwischengruppen relativ reibungslos, da ihre Einkommen über
denen der absteigenden Zwischengruppen liegen. Gerade deshalb
ist der Umfang dieser Schichten in entwickelten
kapitalistischen Ländern nicht sehr groß. Anders in Ländern
mit schwacher Expansion und wenig ausgeprägten
Kapitalverhältnissen, wie in der Mehrzahl der
Entwicklungsländer. Hier machen diese Zwischengruppen einen
beträchtlichen Teil der städtischen Bevölkerung aus.(60)
Diese Schichten sind unter derartigen Umständen zählebig, da
sie ihren Existenzkampf mit der extensiven Anwendung ihrer
Arbeitskraft und derjenigen ihrer Familienangehörigen führen.
Andererseits sind diese Wege
keine Einbahnstraßen. Die Mittelschichten sind historisch
nicht nur eine Rekrutierungsbasis der modernen industriellen
Arbeiterklasse. In bestimmten Situationen vollzieht sich auch
ein Übergang von kleineren Gruppen der Arbeiterschaft in die
Kleinbourgeoisie. So ist für die Nachkriegsperiode in Italien
die Entwicklung produktiver Mittelschichten (Kleinindustrie)
aus Facharbeitergruppen charakteristisch.(61) In der BRD
liefen derartige Bewegungen in der Bauwirtschaft, im
Transportwesen und anderswo ab. Aus der Geschichte der
deutschen Arbeiterbewegung ist das Entstehen einer Gruppe von
Gastwirten (Partei-buddiker) bekannt.
Es kann nochmals unterstrichen werden, daß es zwischen der
Arbeiterklasse und diesen Schichten des Kleinbürgertums, den
rechten Nachbarn der Arbeiterklasse, keine starren Grenzen
gibt, wie auch keine Mauern zwischen Kleinbürgertum und
Bourgeoisie existieren. Übergänge von „unten" finden bei
zunehmender Nachfrage nach den Produkten und Diensten der
entsprechenden Bereiche dann und dort statt, wann und wo
Kapitalausstattung und organische Zusammensetzung niedrig
sind. Sie schwinden als reale Möglichkeiten, wo diese Bereiche
unmittelbares Exploitationsfeld des Kapitals werden.
Nach wie vor bleibt — wie die
Warenproduktion das Milieu des Kapitals — das Kleinbürgertum
oder exakter die Mittelschichten das Rekrutierungsfeld der
Bourgeoisie. Der Übergang vollzieht sich dann, wenn die
Ausbeutung direkt oder indirekt die ausschließliche Quelle der
Einkommen wird. Das zeigt sich daran, daß eine Teilnahme am
Arbeitsprozeß, an der Produktion nicht mehr erforderlich und —
von der Repräsentanz des Kapitals her — nicht mehr möglich
ist. Die kapitalistischen Kapitalverwertungsfunktionen werden
zur ausschließlichen Tätigkeit des Kleinunternehmers. Das
schließt natürlich in konkreten Fällen nicht aus, daß
der Unternehmer noch mitarbeitet. Gegebenenfalls
überträgt er die Leitungs- und Verwertungsfunktionen anderen
Personen. Doch wird damit eine sozialökonomische Scheidelinie
sichtbar. Der realisierte Profit wird zur Quelle der
Akkumulation und der Revenue. Mit diesem Ubergang wird der für
die Mittelschichten charakteristische Zwiespalt — Eigentümer
auf der einen, Arbeiter auf der anderen Seite — aufgehoben,
und zwar nach der entgegengesetzten Seite als beim Ubergang in
die Arbeiterklasse. Diese, wenn auch unterschiedlich
gewichtete, Mobilität nach „oben" und „unten", die auf der
sozialen Polarisierung der kleinen Warenproduktion beruht, ist
eine der Warenproduktion in der kapitalistischen Gesellschaft
eigentümliche Tendenz, deren Umfang und Intensität allerdings
von ökonomischen und historischen Faktoren bestimmt wird.
Für den staatsmonopolistischen
Kapitalismus ist nicht nur diese Polarl-sierung wirksam,
sondern ebenso der Übergang in lohnabhängige Mittelschichten.
Für die einzelnen Personen ist das unter wesentlichen sozialen
Gesichtspunkten (Einkommen, Leitungsbefugnisse) nur ein
horizontaler sozialer Wechsel. Nicht zuletzt sind auch diese
Prozesse ein Indiz für die Einbeziehung der Mittelschichten in
das System der staatsmonopolistischen Ausbeutung.
Die innere Gliederung der
selbständigen nichtagrarischen Mittelschichten ergibt sich
1) aus den spezifischen
Funktionen ihrer Gruppen im gesamtgesellschaftlichen
Reproduktionsprozeß;
2) aus der Stellung der einzelnen Schichten zu den
Grundklassen der kapitalistischen Gesellschaft, was sich an
Quelle und Höhe der Einkommen anzeigt.
Unter dem ersten Gesichtspunkt
sind für die westdeutsche Gesellschaft folgende wesentliche
Gruppen bedeutsam:
-
Gruppen der materiellen
Produktion (produzierendes Handwerk, Bauwesen,
Kleinindustrie, Teile des Transportwesens, z. T. reparierendes
Handwerk);
-
Gruppen im Handel, Geld- und
Versicherungswesen;
-
kleine Dienstleistungsbetriebe
(einschließlich Hotels, Gaststätten, Vermietung) ;
-
freie Berufe ohne
Intelligenzqualifikation;
-
Rentierschichten.
Unter dem zweiten Gesichtspunkt
sind empirische Kriterien zu berücksichtigen wie: Ausmaß der
Mitarbeit; Anzahl der Beschäftigten; Einkommenshöhe;
Wertumfang der Produktionsmittel bzw. Vermögen. Um die
Kerngruppen der selbständigen Mittelschichten lagern sich
plebejische Randgruppen (in der Regel Ein-Mann-Betriebe mit
geringer Vermögensausstattung), Übergangsgruppen in die
Arbeiterklasse; Ubergangsgruppen in lohnabhängige
Mittelschichten; Übergangsgruppen in die Bourgeoisie.
Anmerkungen
52) Erinnert sei
hier — was den Begriff „Mittelschichten" unter dem Aspekt der
Klassenstruktur und der Klassenkämpfe betrifft — an folgende
Bemerkung W. I. Lenins auf dem 1. Kominternkongreß 1919: „. .
. es ist absolut unmöglich, daß es in der kapitalistischen
Gesellschaft, wo Proletariat und Bourgeoisie feindliche Lager
darstellen, keine Mittelschichten geben sollte." (Werke, Bd.
28, S. 486.)
53) Vergleiche den Beitrag von C. Kievenheim in diesem Band.
54) „Der Begriff ,Intelligenz' ist in den ökonomisch
rückständigen Ländern traditionell umfangreicher als in den
hochentwickelten. Er umfaßt nicht nur die Personen, die
geistig arbeiten, die Vertreter der freien Berufe und
Künstler, sondern auch Menschen, die überhaupt über Bildung
verfügen, darunter die Angestellten." In Lateinamerika fallen
darunter bis zu 20 Prozent der Lohnempfänger. (Klassen und
Klassenkampf in den Entwicklungsländern, a. a. O, S. 229, S.
240.)
55) Vgl. z. B.: Serge Monegar: Bemerkungen zur
gesellschaftlichen und technischen Rolle der Ingenieure, in:
Marxismus-Digest, Frankfurt a. M., Nr. 1/1971
(Wissenschaftlich-technische Intelligenz und Angestellte im
Spätkapitalismus), S. 47 ff. Im gleichen Heft auch die
Beiträge von: A. Melnikow, A. Casanova, P. Joye, P. Goodwin,
M. Gronau u. a.
56) Vom gleichen Prinzip ausgehend, können auch — in
umgekehrter Anwendung — Beschäftigte — mit formalem
Mittelschichtenstatus — in kulturellen, gewerkschaftlichen
und politischen Organisationen der Arbeiterklasse zur
Arbeiterklasse gerechnet werden. Dieser Zusammenhang muß
jedoch unbedingt eng gehalten werden und setzt die Analyse der
tatsächlichen Funktion dieser Organisationen im Klassenkampf
voraus. Dieser Ansatz kann auch keinesfalls in der Richtung
erweitert werden, als bestimme die entsprechende politische
und ideologische Einstellung entsprechender Personen ihre
Klassen- oder Schichtzugehörigkeit. Sondern ausschlaggebend
ist die Funktion, in deren Ausübung der Lebensunterhalt
erworben wird.
57) „Eigentlich beginnt die kapitalistische Produktion in dem
Augenblick, in dem der Lohnarbeitgeber aus dem unmittelbaren
Produktionsprozeß herausgelöst wird und eine organisierende
und beaufsichtigende Funktion erfüllt." Das ist in
Entwicklungsländern bei etwa 20 Beschäftigten der Fall.
(Klassen und Klassenkampf in den . . ., a. a. O., S. 168.)
58) Zu einer realen Beurteilung des Umfanges des Besitzes,
Vermögens kann nicht schlechthin der Verkehrs- oder Marktwert
aufgeführt werden. Er müßte zu den jährlichen Aufwendungen für
den Lebensunterhalt - auf gleichem Niveau - ins Verhältnis
gesetzt werden. Ein derartiger Index könnte ausdrücken,
wieviel „Arbeitsjahre" ein derartiger Besitz repräsentiert.
59) „Die Klassenlage des Handwerkers oder Kleinhändlers
definiert sich damit, daß er auf dem Markt nicht als Verkäufer
seiner Arbeitskraft auftritt, sondern als Verkäufer der Waren
und Dienstleistungen seines Betriebes." (Politische Ökonomie
des modernen Monopolkapitalismus, a. a. O., S. 215.)
60) Im Durchschnitt der Entwicklungsländer machten die
städtischen Mittelschichten einschließlich der
halbproletarischen Übergangsgruppen der eigentlichen
Stadtarmut 65 Prozent der städtischen Bevölkerung aus. (Vgl.
Klassen und Klassenkampf in . . ., a. a. O., S. 215.)
61) Vgl. G. Amendola, La classe operaia Italiama, Roma 1968,
S. 40.
Editorische
Hinweise
H. Jung,
M.Tjaden-Steinhauer, K.H. Tjaden: Klassenstruktur und
Klassentheorie, Theoretische Grundlagen und Diskussion (Teil
1), hrg. von ISMF, Beiträge zur Klassen- und Sozialstruktur
der BRD 1950-1970, Ffm 1973, S. 153-166
OCR-scan red.
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