Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Umstrittene „sozialpartnerschaftliche“ Verzichtsabkommen

08-2013

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Halt Dei‘ Gosch, Du schaffschd beim Bosch: Diese bereits alte Devise gilt nicht nur im Schwäbischen. Auch die französischen Filialen des in Stuttgart ansässigen Maschinenbaukonzerns sind seit einigen Jahren führend beim Abbau von Beschäftigtenrechten. Besonders beliebt ist dabei die Methode der Erpressung mit dem Arbeitsplatzargument. Das Hauptproblem ist nur, dass sie inzwischen bei vielen anderen Unternehmen und auch beim Gesetzgeber in Frankreich Schule gemacht hat. In jüngster Zeit beschleunigt sich die Offensive, unter Berufung auf die Krise.

Die Filiale von Bosch in Vénissieux, in der Nähe von Lyon, betätigte sich im Frühjahr 2004 als Pionier. Die damals erprobte Methode war so neu wie illegal: Unter dem Druck, die Arbeitsstellen nicht in die Tschechische Republik abwandern zu sehen, stimmten zwei von den dort ansässigen Gewerkschaften einem Abkommen zu, das die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich über die gesetzlich geltende hinaus erhöhte, also die Überstundenzuschläge abschaffte. Dieses Abkommen war gesetzeswidrig, doch der Konzern behalf sich damit, dass es den Beschäftigten individuelle Änderungsverträge abpresste. 70 Prozent von ihnen akzeptierten damals, individuelle Akzeptanzerklärungen zu unterschreiben, die zwar auch illegal waren, aber eine Opposition ihrerseits unterbanden. Nur zwei Prozent verweigerten explizit ihre Unterschrift, der Rest blieb bei einer passiven Verweigerung.

Heute stehen die Voraussetzungen für ein solches Vorhaben ganz anders. Denn seit dem 14. Juni 2013 erlaubt es das Gesetz „zur Sicherung von Arbeitsplätzen“ (Loi de sécurisation de l’emploi), auf betrieblicher Ebene befristete Vereinbarungen zwischen Unternehmensleitung und Gewerkschaften abzuschließen, die entweder die Löhne unter geltende Flächentarifverträge hinunter absenken oder aber die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich erhöhen. Das Gesetz basiert auf einer höchst umstrittenen Vereinbarung, die auf landesweiter Ebene am 11. Januar 13 von einem größeren Gewerkschaftsbund – der rechtssozialdemokratischen CFDT – und zwei kleineren Verbänden unterzeichnet, aber von anderen Gewerkschaftsverbänden wie der CGT heftig bekämpft wurde.

In der Opposition dagegen; in der Regierung beschlossen

Vor allem zwei gegen Maßnahmen der Rechtsregierung unter Nicolas Sarkozy und François Fillon machte die französische Sozialdemokratie im vergangenen Jahr Wahlkampf. Erstens gegen ihr Vorhaben, die Mehrwertsteuer anzuheben, um dadurch – also über die Besteuerung bei den KonsumentInnen – die Unternehmen steuerlich zu entlasten. Dies wurde als Maßnahme zur „Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit“ der Betriebe dargestellt. Eine der ersten Abstimmungen der neuen sozialdemokratisch-grünen Mehrheit bestand im Juni 2012 darin, diese Mehrwertsteuererhöhung abzuschaffen. Sie wurde als skandalös hingestellt, da die Konsumbesteuerung eine der denkbar ungerechtesten Steuern überhaupt ist: Im Gegensatz zur Einkommensbesteuerung ist sie völlig vom Einkommen unabhängig und wächst nicht proportional zu den Einkünften an. Und da die Sparquote bei den höheren Einkommensgruppen auch höher ausfällt, sind sie anteilsmäßig weniger stark betroffen, da sie keinen geringeren Anteil ihres Einkommens für unmittelbaren Konsum ausgeben.

Eine solche Steuerpolitik ist und bleibt also skandalös. Nur, ihre Abschaffung – das war gestern. Heute hat nämlich bereitet sich Frankreich auch unter der sozialdemokratisch-grünen Regierung auf eine Mehrwertsteuererhöhung vor, beschlossen im letzten Winter. In Kraft treten soll sie zum 1. Januar kommenden Jahres. Der Unterschied zur alten Rechtsregierung besteht lediglich darin, dass die Erhöhung anders auf die Mehrwertsteuersätze verteilt wird. Die verschiedenen Konsumgüter sind auf drei verschiedene Mehrwertsteuersätze verteilt: Der oberste sollte unter der Rechtsregierung von 19,6 auf 21,2 Prozent angehoben werden, der mittlere dagegen bei 7 Prozent bleiben. Nunmehr wird der oberste nur auf 20 Prozent steigen, dagegen der mittlere von zuvor sieben auf zehn Prozent klettern. Die grundsätzlichen Bedenken bleiben in beiden Fällen dieselben.

Ein anderes, besonders heftig umstrittenes Vorhaben der alten Rechtsregierung bestand darin, in Unternehmen so genannte „Kollektivverträge zur Wettbewerbsfähigkeit“ (accords de compétitivité) abschließen zu können. Diese sollten es erlauben, in Krisenzeiten auf betrieblicher Ebene befristete Verträge zwischen Unternehmensleitung und Gewerkschaften abzuschließen, die entweder die Löhne unter geltendes (kollektivvertragliches) Recht absenken oder aber die Arbeitszeit erhöhen – unter Umständen ohne Lohnausgleich. Auch dagegen machte die damalige Opposition erbitterten Wahlkampf. Und auch diese Maßnahme wird kommen. Das oben bereits erwähnte Gesetz „zur Sicherung von Arbeitsplätzen“, das im Mai dieses Jahres verabschiedet und am 14. Juni im Amtsblatt veröffentlicht wurde, geht ganz in diese Richtung. Es erlaubt etwa, für eine Dauer von bis zu zwei Jahren – und ohne dass eine Verlängerung durch ein neues Abkommen ausgeschlossen wäre – betriebliche Vereinbarungen zu treffen, die auf den genannten Gebieten ungünstiger für die Beschäftigten ausfallen als sonst geltendes Recht.

Umstrittene Verzichtsvereinbarungen

Erstmals wird ein solches Verzichtsabkommen seitens der Beschäftigten nun die Gerichte beschäftigen. Am 5. Juli 13 reichte die CGT in Nanterre eine arbeitsgerichtliche Klage gegen eine solche Vereinbarung beim Automobilbauer Renault ein, die von dem Gewerkschaftsverband als illegal betrachtet wird. Das Abkommen war am 13. März, noch vor Inkrafttreten des neuen Gesetzestextes, geschlossen worden und könnte deswegen ungesetzlich sein.

Neben Renault hat sich in der Zwischenzeit erneut Bosch als Vorreiter bei der Verschlechterung der Bedingungen für die Lohnabhängigen hervorgetan. An seinem Standort im südfranzösischen Rodez wurde im Mai, kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes, ebenfalls eine Vereinbarung für Arbeitszeiterhöhung ohne Lohnausgleich abgeschlossen. Am 29. Mai 13 besuchte Staatspräsident François Hollande genau diesen Standort, während die konservative Tageszeitung Le Figaro just am selben Tag in einem Artikel „Bosch, das Symbol der Flexibilität in Frankreich“ – so lautete die Überschrift – abfeierte. In Rodez gab es wenig Widerstände gegen die Vereinbarung, die unter anderem auch von den linken Gewerkschaften SUD und CGT unterzeichnet wurde, „um Arbeitsplätze zu retten“. Dennoch war Hollande misstrauisch – am 03. März 13 war er bei einem Auftritt in Dijon mit massiven Unmutsbekundungen konfrontiert worden - und ließ sich im Hubschrauber direkt auf dem Werksgelände absetzen, um eine eventuelle Begegnung mit Protestierenden zu vermeiden. Eine wesentlich stärkere Opposition gibt es dagegen auf den Schiffswerften in Saint-Nazaire. Dort streikten am 01. Juli 13 Beschäftigte, aufgerufen von den Gewerkschaften CGT und FO, gegen Pläne für ein ähnliches Verzichtsabkommen.
 

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text vom Autor für diese Ausgabe.