Halt Dei‘ Gosch, Du
schaffschd beim Bosch: Diese bereits alte Devise gilt
nicht nur im Schwäbischen. Auch die französischen
Filialen des in Stuttgart ansässigen
Maschinenbaukonzerns sind seit einigen Jahren führend
beim Abbau von Beschäftigtenrechten. Besonders beliebt
ist dabei die Methode der Erpressung mit dem
Arbeitsplatzargument. Das Hauptproblem ist nur, dass
sie inzwischen bei vielen anderen Unternehmen und auch
beim Gesetzgeber in Frankreich Schule gemacht hat. In
jüngster Zeit beschleunigt sich die Offensive, unter
Berufung auf die Krise.
Die Filiale von Bosch in
Vénissieux, in der Nähe von Lyon, betätigte sich im
Frühjahr 2004 als Pionier. Die damals erprobte Methode
war so neu wie illegal: Unter dem Druck, die
Arbeitsstellen nicht in die Tschechische Republik
abwandern zu sehen, stimmten zwei von den dort
ansässigen Gewerkschaften einem Abkommen zu, das die
Arbeitszeit ohne Lohnausgleich über die gesetzlich
geltende hinaus erhöhte, also die Überstundenzuschläge
abschaffte. Dieses Abkommen war gesetzeswidrig, doch
der Konzern behalf sich damit, dass es den
Beschäftigten individuelle Änderungsverträge
abpresste. 70 Prozent von ihnen akzeptierten damals,
individuelle Akzeptanzerklärungen zu unterschreiben,
die zwar auch illegal waren, aber eine Opposition
ihrerseits unterbanden. Nur zwei Prozent verweigerten
explizit ihre Unterschrift, der Rest blieb bei einer
passiven Verweigerung.
Heute stehen die Voraussetzungen für ein solches
Vorhaben ganz anders. Denn seit dem 14. Juni 2013
erlaubt es das Gesetz „zur Sicherung von
Arbeitsplätzen“ (Loi de sécurisation de l’emploi), auf
betrieblicher Ebene befristete Vereinbarungen zwischen
Unternehmensleitung und Gewerkschaften abzuschließen,
die entweder die Löhne unter geltende
Flächentarifverträge hinunter absenken oder aber die
Arbeitszeit ohne Lohnausgleich erhöhen. Das Gesetz
basiert auf einer höchst umstrittenen Vereinbarung,
die auf landesweiter Ebene am 11. Januar 13 von einem
größeren Gewerkschaftsbund – der
rechtssozialdemokratischen CFDT – und zwei kleineren
Verbänden unterzeichnet, aber von anderen
Gewerkschaftsverbänden wie der CGT heftig bekämpft
wurde.
In der Opposition dagegen; in der Regierung
beschlossen
Vor allem zwei gegen Maßnahmen der Rechtsregierung
unter Nicolas Sarkozy und François Fillon machte die
französische Sozialdemokratie im vergangenen Jahr
Wahlkampf. Erstens gegen ihr Vorhaben, die
Mehrwertsteuer anzuheben, um dadurch – also über die
Besteuerung bei den KonsumentInnen – die Unternehmen
steuerlich zu entlasten. Dies wurde als Maßnahme zur
„Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit“ der Betriebe
dargestellt. Eine der ersten Abstimmungen der neuen
sozialdemokratisch-grünen Mehrheit bestand im Juni
2012 darin, diese Mehrwertsteuererhöhung abzuschaffen.
Sie wurde als skandalös hingestellt, da die
Konsumbesteuerung eine der denkbar ungerechtesten
Steuern überhaupt ist: Im Gegensatz zur
Einkommensbesteuerung ist sie völlig vom Einkommen
unabhängig und wächst nicht proportional zu den
Einkünften an. Und da die Sparquote bei den höheren
Einkommensgruppen auch höher ausfällt, sind sie
anteilsmäßig weniger stark betroffen, da sie keinen
geringeren Anteil ihres Einkommens für unmittelbaren
Konsum ausgeben.
Eine solche Steuerpolitik ist und bleibt also
skandalös. Nur, ihre Abschaffung – das war gestern.
Heute hat nämlich bereitet sich Frankreich auch unter
der sozialdemokratisch-grünen Regierung auf eine
Mehrwertsteuererhöhung vor, beschlossen im letzten
Winter. In Kraft treten soll sie zum 1. Januar
kommenden Jahres. Der Unterschied zur alten
Rechtsregierung besteht lediglich darin, dass die
Erhöhung anders auf die Mehrwertsteuersätze verteilt
wird. Die verschiedenen Konsumgüter sind auf drei
verschiedene Mehrwertsteuersätze verteilt: Der oberste
sollte unter der Rechtsregierung von 19,6 auf 21,2
Prozent angehoben werden, der mittlere dagegen bei 7
Prozent bleiben. Nunmehr wird der oberste nur auf 20
Prozent steigen, dagegen der mittlere von zuvor sieben
auf zehn Prozent klettern. Die grundsätzlichen
Bedenken bleiben in beiden Fällen dieselben.
Ein anderes, besonders heftig umstrittenes Vorhaben
der alten Rechtsregierung bestand darin, in
Unternehmen so genannte „Kollektivverträge zur
Wettbewerbsfähigkeit“ (accords de compétitivité)
abschließen zu können. Diese sollten es erlauben, in
Krisenzeiten auf betrieblicher Ebene befristete
Verträge zwischen Unternehmensleitung und
Gewerkschaften abzuschließen, die entweder die Löhne
unter geltendes (kollektivvertragliches) Recht
absenken oder aber die Arbeitszeit erhöhen – unter
Umständen ohne Lohnausgleich. Auch dagegen machte die
damalige Opposition erbitterten Wahlkampf. Und auch
diese Maßnahme wird kommen. Das oben bereits erwähnte
Gesetz „zur Sicherung von Arbeitsplätzen“, das im Mai
dieses Jahres verabschiedet und am 14. Juni im
Amtsblatt veröffentlicht wurde, geht ganz in diese
Richtung. Es erlaubt etwa, für eine Dauer von bis zu
zwei Jahren – und ohne dass eine Verlängerung durch
ein neues Abkommen ausgeschlossen wäre – betriebliche
Vereinbarungen zu treffen, die auf den genannten
Gebieten ungünstiger für die Beschäftigten ausfallen
als sonst geltendes Recht.
Umstrittene Verzichtsvereinbarungen
Erstmals wird ein solches Verzichtsabkommen seitens
der Beschäftigten nun die Gerichte beschäftigen. Am 5.
Juli 13 reichte die CGT in Nanterre eine
arbeitsgerichtliche Klage gegen eine solche
Vereinbarung beim Automobilbauer Renault ein, die von
dem Gewerkschaftsverband als illegal betrachtet wird.
Das Abkommen war am 13. März, noch vor Inkrafttreten
des neuen Gesetzestextes, geschlossen worden und
könnte deswegen ungesetzlich sein.
Neben Renault hat sich in der Zwischenzeit erneut
Bosch als Vorreiter bei der Verschlechterung der
Bedingungen für die Lohnabhängigen hervorgetan. An
seinem Standort im südfranzösischen Rodez wurde im
Mai, kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes, ebenfalls
eine Vereinbarung für Arbeitszeiterhöhung ohne
Lohnausgleich abgeschlossen. Am 29. Mai 13 besuchte
Staatspräsident François Hollande genau diesen
Standort, während die konservative Tageszeitung Le
Figaro just am selben Tag in einem Artikel „Bosch, das
Symbol der Flexibilität in Frankreich“ – so lautete
die Überschrift – abfeierte. In Rodez gab es wenig
Widerstände gegen die Vereinbarung, die unter anderem
auch von den linken Gewerkschaften SUD und CGT
unterzeichnet wurde, „um Arbeitsplätze zu retten“.
Dennoch war Hollande misstrauisch – am 03. März 13 war
er bei einem Auftritt in Dijon mit massiven
Unmutsbekundungen konfrontiert worden - und ließ sich
im Hubschrauber direkt auf dem Werksgelände absetzen,
um eine eventuelle Begegnung mit Protestierenden zu
vermeiden. Eine wesentlich stärkere Opposition gibt es
dagegen auf den Schiffswerften in Saint-Nazaire. Dort
streikten am 01. Juli 13 Beschäftigte, aufgerufen von
den Gewerkschaften CGT und FO, gegen Pläne für ein
ähnliches Verzichtsabkommen.
Editorische Hinweise
Wir erhielten den Text
vom Autor für diese Ausgabe.
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