Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Marine versus Madonna
Antifa im Zeichen der Madonna (Nein, nicht der Muttergottes). Oder. Wenn ein Weltstar sich mit dem Front National anlegen möchte...

08-2012

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Marine versus Madonna: Dieser Streit, der demnächst in Frankreich auch vor den Gerichten ausgetragen werden dürfte, ist kein Rosenkrieg. Auch handelt es sich nicht um die neueste Episode von Sex in the city oder den Desperate Houswifes. Es handelt sich um einen politisch-ideologischen Streit mit zeitgeschichtlichen Implikationen, dessen letzte Kapitel noch nicht geschrieben sind.

Dessen erster Ausgangspunkt war ein Konzert, das die Pop-Diva am 31. Mai dieses Jahres – Frankreich bereitete sich gerade auf die Parlamentswahlen vor - in Tel Aviv gab. Um ihren Song Nobody knows me zu illustrieren, ließ Madonna auf einem Großbildschirm eine Serie von Gesichtern in schneller Reihenfolge hintereinander ablaufen. Dabei folgte die französische rechtsextreme Politikerin Marine Le Pen auf den Papst, den chinesischen Präsidenten Hu Jin-tao, Hosni Mubarak und Sarah Palin. Das Konterfei der damals 43-, inzwischen 44jährigen Politikerin tauchte in kurzen Abständen zwei oder drei mal hintereinander auf, doch dazwischen wurde sekundelang ein Hakenkreuz eingeblendet – so dass beim schnellen Hinsehen eine optische Täuschung entstehen konnte, die das Nazi-Azeichen auf der Stirn der Chefin des Front National (FN) platzierte.

Historische Kontinuitätslinien?

Nun könnte man darüber diskutieren, ob dies den Kurs der rechtsextremen Politikerin richtig charakterisiert. Einerseits ist sie, anders als ihr Vater und Vorgänger Jean-Marie Le Pen, um deutliche verbale Distanz zum Nationalsozialismus und historischen Faschismus bemüht. Auf der anderen Seite war sie etwa am 27. Januar 12 – zusammen mit dem Chef der FPÖ, Heinz-Christian Strache – in Wien beim von österreichischen Burschenschaften ausgerichteten WKR-Ball zu Gast, wo es von alten sowie neuen Nazis nur so kreucht & fleucht und von Pangermanisten wimmelt. Eine Satiresendung des französischen Fernsehens zeigte Marine Le Pen damals als Aschenputtel: Ihre Puppe tanzt mit einem Prinzen – einer arischen Hackfresse – und verliert dabei einen Schuh, in Gestalt eines Springerstiefels. Aber dann schlägt es Mitternacht. Und die Tänzerin entschwindet, da sie nach Hause zurückkehren muss, wie Aschenputtel im Märchen. Im Off hört man dazu eine Stimme: „Wenn es Mitternacht schlägt, verwandelt sie sich in eine Demokratin zurück.“

Anlass für Gedanken über eventuelle historische Kontinuitäten könnte im Übrigen auch das Parteisymbol des Front National geben. Es besteht aus einer Flamme in den Nationalfarben blau-weiß-rot, und wurde bei der Parteigründung 1972 vom italienischen MSI übernommen. Bei der italienischen neofaschistischen Partei wiederum stand die Flamme, dort in grün-weiß-roter Ausführung, seit ihrer Gründung 1947 für die Seele Benito Mussolinis, die aus seinem Sarg gen Himmel auffährt. Auf der italienischen Rechten wird die fiamma heute nur noch von Splitterparteien benutzt. Der französische Front National dagegen benutzt seine flamme bis heute ungebrochen weiter, auch wenn die historische Erklärung in der Regel nicht dazu geliefert wird. So viel zum Thema antifaschistischer Gesinnungswandel.

Geld durch Prozess verdienen“

Beim Front National sah man die Nachricht vom Auftritt Madonnas in Tel Aviv allerdings weder als Anlass für Überlegungen zur Frage historischer Kontinuitäten, noch nahm man es mit Humor. Vielmehr kündigte die Partei umgehend eine Klage vor französischen Gerichten an. Anfang Juni zitierte die französische Gratistageszeitung 20 minutes einen ungenannten Sprecher in der Parteizentrale mit den Worten: „Wir werden Geld durch den Prozess verdienen.“

Kurz darauf, am 03. Juni 12, äußerte sich erstmals auch Marine Le Pen persönlich dazu. Am Rande eines Wahlkampfauftritts erklärte sie gegenüber Journalisten: „Wenn Madonna das in Frankreich macht, dann warten wir schon auf sie!“ Damals waren ein Konzert der Pop-Diva am 14. Juli d.J. im großen Fußballstadion Grand Stade in der Nähe von Paris, und am 21. August 12 – also dem Dienstag dieser Woche - in Nizza geplant. Le Pen fügte hinzu: „Die alternden Sängerinnen, die von sich reden machen müssen, kommen verständlicherweise auf solche Extremideen.“ In Wirklichkeit trennen nur zehn Jahre Altersunterschied den weltweiten Popstar und die französische Politikerin: Madonna wurde am vergangenen Donnerstag (den 16. August d.J.) 54, und Marine Le Pen ist seit dem diesjährigen 05. August nun 44 Jahre alt.

Vier Tage später mischte sich auch der tatsächlich betagte Jean-Marie Le Pen, er ist inzwischen 84, in die Sache ein. Bei einer Pressekonferenz in Lyon erklärte er, seine Tochter dazu anregen zu wollen, „mehrere Millionen Dollar von Madonna zu fordern oder jedenfalls von denen, die ihre Konzerte organisieren.“ Gerade er würde sich allerdings wohl besser zurückhalten, wenn es darum geht, über eventuelle Nazi-Affinitäten beim FN zu diskutieren.

Danach hörte man eine Zeitlang nichts von der Angelegenheit, bis zum 14. Juli 2012. Am französischen Nationalfeiertag hatte Madonna dann tatsächlich ihren geplanten Auftritt im Grand Stade bei Paris vor 70.000 Personen, und zeigte dort erneut den Videoclip. Dieses Mal reagierte die Partei prompt. Auf argumentativ nicht dumme Weise erklärte Florian Philippot – der 30jährige Technokrat leitete in den letzten zwölf Monaten den Präsidentschaftswahlkampf Marine Le Pens, und wurde vor kurzem mit einem Posten im Parteivorstand bedacht -, das Video sei nicht nur eine Attacke gegen „den FN und unsere Wähler“. Sondern es „relativiere“ auch „gravierende Dinge“. Eine Argumentation, die es ihm erlaubt, nicht öffentlich als Nazi-Verharmloser dazustehen.

Philippot kündigte für die darauffolgende Woche die Erstattung einer Strafanzeige wegen übler Nachrede im Namen der Partei an. Diese wurde tatsächlich am 19. Juli 12 eingereicht. In der Strafanzeige steht zu lesen: „Die Antragstellerin wurde beleidigt. In Wirklichkeit lautet die Aussage, sie sei Nazi. Im Übrigen kann eine Beleidigung, rechtlich betrachtet, durch ein Bild oder eine Zeichnung erfolgen.“

Madonna selbst wiederum erklärte ihre Absichten kurz darauf, anlässlich eines Auftritts in Brasilien, in einem Interview mit dem dortigen Fernsehsender Globo: „Dieses Video spricht von der Intoleranz einiger Menschen gegenüber anderen. (...) Die Musik betrifft auch Ideen. Ideen inspirieren die Musik, nicht wahr? Bei einem Konzert möchte ich immer auch eine Geschichte erzählen.“

Taktische Unklugheit, zur Verärgerung des Publikums

Dies versuchte Madonna auch bei einem weiteren Konzert in Frankreich, das außerplanmäßig am Abend des 26. Juli d.J. im Pariser Konzertsaal L’Olympia gegeben wurde. Sie unterbrach ihren musikalischen Auftritt für sieben Minuten, während derer sie über das Mikrophon sprach, um „das tolerante Frankreich“ zu loben, im Gegensatz zu dem anderen Frankreich, das Marine Le Pen verkörpere. Sie führte aus: „Vor der Bürgerrechtsbewegung konnten afro-amerikanische Künstler keine Großauftritte in den USA haben, aber Frankreich öffnete ihnen die Arme.“ Sie nannte dazu Josephine Baker und Charlie Parker. Damals hätten „die Farbigen, die Minderheiten sich in Frankreich wohl gefühlt“. Aber heute, fuhr sie fort, „tritt die Welt in eine Periode ein, die Angst macht. Wirtschaften brechen zusammen, die Leute in Griechenland haben nichts zu Essen, überall leiden Leute und haben Angst. Und was passiert, wenn die Leute Angst haben? Sie werden intolerant.“

In den großen Medien sorgte dieses Konzert allerdings aus anderen Gründen für Aufmerksamkeit. Aus nicht genau bekannten Gründen brach Madonna ihren Auftritt an dem Abend, für den die 2.700 eingefleischten Fans zwischen 85 und 250 Euro hingeblättert hatten – manche hatten vor dem Schalter übernachtet, um sicher zu sein, Einlass zu bekommen – nach nur fünfzig Minuten einschließlich der Redeeinlage ab. Die Fans trauten ihren Augen nicht, und Sprechchöre ertönten, die Rufe von „Schlampe!“ bis „Geld zurück!“ skandierten. Auf einer seiner Webseiten berichtete der FN hämisch darüber, und ordnete den Text dazu in die Artikelrubrik „Menschliche Dummheit“ ein.

(Letzte Meldung dazu: Inzwischen wurde diesbezüglich auch bekannt, dass es für die von jenem Auftritt enttäuschten Fans keinen Schadensersatz also auch keine teilweise Rückerstattung von Eintrittsgeld o.Ä. - geben soll; vgl. http://next.liberation.fr/musique/)

Das Ende vom Lied (bzw. vom Videoclip zu demselben)

Auf den Fortgang der Dinge durfte man gespannt sein, da Madonna nunmehr am Dienstag dieser Woche (den 21. August) im südfranzösischen Nizza erneut auftreten sollte. Schon im Vorfeld hatten, am Abend des vergangenen Donnerstag – 16. August -, örtliche Mitglieder des Front National Plakate für das Madonna-Konzert überklebt und mit dem Konterfei von Marine Le Pen überdeckt. Dazu kommunizierte die rechtsextreme Partei, die laut eigenen Angaben rund 30 Konzertplakate auf diese Weise unkenntlich machte, dann auch gegenüber den Medien offensiv; vgl. http://www.lefigaro.fr/ Bereits zuvor hatte Marine Le Pen öffentlich angekündigt, dass der FN die Sängerinin Nizza erwartet“.

Das Nizzaer Konzert vom gestrigen Dienstag wurde folglich von vielerlei Seite her mit großer Spannung erwartet. Doch zum Showdown in irgendeiner Form kam es dann nicht. Madonna zog es stattdessen vor, den Ball lieber flach zu halten. Zwar ließ sie den Videoclip zu ihrem Lied Nobody knows me auch dieses Mal auf der Bühne ausstrahlen, einschließlich des darin auftauchenden Gesichts von Marine Le Pen. An der fraglichen Stelle wird allerdings kein Hakenkreuz mehr eingeblendet, stattdessen wurde dieses vielmehr durch ein Fragezeichen ersetzt.

Der örtliche FN triumphierte oder gab sich jedenfalls den Anschein. „Meines Wissens hatte Madonna noch nie einen Clip abgeändert. Dies ist der Beweis dafür, dass unsere Argumente tragfähig waren“ erklärte dazu Gaël Nofri, der örtliche Anführer des Rassemblement Bleu Marine („Marineblaue Sammlung“); so heißt der Listennamen, unter dem FN – im Wahlbündnis mit ziemlich schwachen rechtskonservativ-nationalen Kräften – zu den Parlamentswahlen im Juni dieses Jahres antrat. Hoffentlich freut er sich da zu früh...

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.