Hat sie, oder hat sie nicht? Am
vergangenen Freitag, den 27. 07. 12 und am
Wochenende hielt die Polemik um angebliche
Äußerungen der früheren sozialdemokratischen
Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal an. Die
Auslassungen sorgten kurzzeitig für ein angespanntes
Verhältnis zwischen Teilen des sozialdemokratischen
Regierungslagers und Vertretern der
Einwanderungsbevölkerung. Doch Royal dementierte,
den umstrittenen Ausspruch getätigt zu haben, in dem
sie sich „nicht wiedererkenne“.
Die Regionalpräsidentin im
westfranzösischen Poitiers war am vorigen Donnerstag
(26. Juli) durch das konservativ-liberale
Wochenmagazin Le Point mit der Aussage
zitiert worden, ihre Parteikollegin Najat
Vallaud-Belkacem verdanke ihre Ämter –
Regierungssprecherin und Ministerin für Frauenrechte –
allein ihrer Herkunft. Die junge Politikerin ist 1977
in Marokko geboren worden. Ségolène Royal soll die
Worte hinzugefügt haben: „Sie wäre vielleicht nicht
dort, wenn sie Claudine Dupont heißen würde.“
Zu ihrer
Verteidigung erklärte Royal am Freitag Abend, sie habe
nie irgendwelche diskriminierenden Absichten gehegt.
Gleichzeitig erklärte Royal, die in Jahren 2006/07 den
Wahlkampf ihrer Partei führte, sie selbst habe
Vallaud-Belkacem damals „wegen ihrer Geschichte“ –
sprich, ihrer Abstammung - politisch gefördert. Denn
sie habe sich immer mit Leuten unterschiedlicher
Herkunft umgeben wollen. Royal fügte hinzu: „Sie muss
akzeptieren, deswegen da zu sein.“ Und: „Sie muss zu
ihrer Identität stehen und stolz darauf sein.“
In Wirklichkeit ist plausibel, dass
Vallaud-Belkacem eher wegen ihrer Positionen, ihres
Engagements und ihres Werdegangs als Person denn
aufgrund ihrer Abstammung erfolgreich sein möchte.
Zwar ist der genaue Wortlaut der Äußerungen Ségolène
Royals gegenüber Le Point
unklar, nachdem sie deren exakte Wiedergabe
abgestritten hat. Allerdings deutet das Dementi an,
dass sie so falsch nicht zitiert worden sein dürfte.
Die
abgehalfterte Politikerin Royal dürfte derzeit schwer
über ihre eigene Partei frustriert sein: Bei der
Parlamentswahl im Juni 12 verlor sie im Wahlkreis La
Rochelle, weil ein Gegenkandidat aus den eigenen
Reihen – Olivier Falorni, der nicht durch die
Parteiführung aufgestellt worden war, aber sich
eigenmächtig um einen Parlamentssitz bewarb – sie aus
dem Rennen schlug. Und für Ende August hat Royal
bereits angekündigt, die alljährlich um diese Zeit in
La Rochelle stattfindende „Sommeruniversität“ der
Sozialistischen Partei zu schwänzen. Nachdem Royal
sich persönlich verletzt fühlt, dürfte sie für ihre
eigene Partei noch unberechenbarer geworden sein, als
dies ohnehin zuvor schon der Fall war. Insofern liegt
auch auf der Hand, dass sie mitunter darauf losredet,
ohne den daraus entstehenden politischen Schaden
abzuschätzen.
Jenseits der persönlichen Dimension
stellt sich die Frage, welche Rückschlüsse diese
Auslassungen auf Positionen der Partei zulassen. Dass
Royals Äußerungen für diese symptomatisch seien,
behauptet jedenfalls der Front National. Die
rechtsextreme Partei reagierte als erster
innenpolitischer Akteur überhaupt auf die Affäre. In
ihrem Namen erklärte das neue Vorstandsmitglied
Florian Philippot, Royals Haltung zeigte, „dass die
Linke die Immigration liebt, aber die Assimilation
hasst“. Sie wolle lieber massenweise unassimilierte
Einwanderer, als einzelnen „gut assimilierten“
Individuen eine Chance zum Aufstieg zu geben.
Dass die französische
Sozialdemokratie generell die Einwanderung liebe oder
die Grenzen am liebsten öffne, wie Konservative und
Rechtsextreme es in den Wahlkämpfen dieses Frühjahrs
unisono behaupteten, um apokalyptische Szenarien vom
Untergang der Nation an die Wand zu malen, lässt sich
sicherlich nicht behaupten. Da die Partei damit
rechnete, dass die Gesellschaft in der ökonomischen
Krise eher zu mehr Ab- und Ausgrenzung neige,
versuchte sie jeden Eindruck von „übertriebenem“
Humanismus oder Großzügigkeit gar nicht erst aufkommen
zu lassen. Gleichzeitig versuchte sie, Fragen der
Einwanderungspolitik möglichst wenig zum Thema werden
zu lassen, da sie befürchtete, in einem Wettlauf der
Sprüche und des Schürens von Emotionen durch die
verschiedenen Rechtskräfte schnell abgehängt zu
werden.
Anlässlich der großen
Fernsehdebatte zwischen den beiden
Präsidentschaftskandidaten in der Stichwahl, Nicolas
Sarkozy und François Hollande, am 02. Mai 12
versuchten Fernsehjournalisten, Hollande zu einer
Position bei der Frage „Gibt es zu viele Ausländer in
Frankreich?“ festzunageln. François Hollande zog sich
aus der Affäre, indem er antwortete: „Es gibt zu viele
illegale Ausländer in Frankreich“, aber auch die
Unterscheidung zwischen „legalen“ und „illegalen“
Einwanderern betonte. Gegen die erstgenannte Gruppe
mochte er sich nicht aussprechen, während Sarkozy
darauf insistierte, dass sie heute zu zahlreich sei.
Hollands frisch ernannter Premierminister Jean-Marc
Ayrault wandte sich am 13. Juni 12 in Paris, bei einer
Abschlussveranstaltung im Wahlkampf zu den
Parlamentswahlen, ausdrücklich an die Wähler der
extremen Rechten. Ihnen werde gesagt, die
Sozialdemokratie – deren Wahlsieg sich abzeichnete –
wolle „massenhaft Sans papiers legalisieren“, also
illegalisierten Einwanderern künftig Aufenthaltstitel
verschaffen. Doch dies zähle zu den „Lügen“, die
Ayrault zu dementieren versuchte.
Hollandes und
Ayraults Personalentscheidung für die Besetzung des
Innenministeriums sollte einen Kurs der weitgehenden
Kontinuität zu den Vorgängerregierungen widerspiegeln.
Manuel Valls, der zum Innenminister ernannt wurde, ein
früherer Fan des New Labour-Kurses von Tony Blair,
stand im innerparteilichen Gefüge der französischen
Sozialdemokratie stets weit rechts. Eine weitere
wichtige Entscheidung war, das Ressort Einwanderung im
Innenministerium zu belassen. Vor 2007 war es auf
unterschiedliche Ministerien – Soziales, Auswärtige
Angelegenheiten und Inneres – aufgeteilt gewesen.
Präsident Sarkozy hatte es erstmals in einem einzigen
Ministerium konzentriert, „für Einwanderung und
nationale Identität“, dieses aber 2011 als
Staatssekretariat dem Innenministerium eingegliedert.
Ein Ausdruck der Tatsache, dass er Einwanderung vor
allem als polizeiliche und ordnungspolitische
Problematik betrachtete. Die grundlegende Struktur hat
die regierende Sozialdemokratie nun beibehalten.
Neuregelung zu ausländischen Studierenden
Eine der
ersten Weichenstellungen des neuen Innenministers
bestand darin, den Umgang mit ausländischen
Studierenden zu regeln. Diesen hatte Nicolas Sarkozy
in seiner eigenen Amtszeit als Innenminister 2006
relativ weitgehend den Arbeitsmarkt geöffnet, davon
ausgehend, dass es sich um hochqualifiziertes
Humankapital handele, von dem die französische
Wirtschaft profitieren solle. Damals ging es darum,
die so genannte „ausgewählte Einwanderung“ – jene
einer Elite - zu fördern und gegen die „erlittene
Einwanderung“, etwa durch Familiennachzug,
abzugrenzen. Aber 2011, als der Wahlkampf herannahte,
schlug die damalige Rechtsregierung eine andere
Richtung ein: Der Arbeitsmarkt wurde ab Mai
vergangenen Jahres für ausländische
Studienabgängerinnen weitestgehend verriegelt, da
diese einheimischen Arbeitskräften die Jobs
wegzunehmen drohten. Dagegen gab es breitgefächerten
Protest, von Studierendenverbänden und
antirassistischen Solidaritätsvereinigungen einerseits
bis zu Hochschulpräsidenten und Arbeitgeberverbänden,
welch letzteren es eher ums Humankapital ging,
andererseits.
Anfang Juni 12 wurde nun bekannt,
dass die neue Regierung den Arbeitsmarkt für
ausländische Absolventen von französischen
Universitäten durch eine ministerielle Verordnung vom
31.05. d.J. wieder teilweise öffnet. Allerdings wird
dabei unterschieden zwischen einer „ersten
Berufserfahrung“ von ein- oder zweijähriger Dauer und
„dauerhafter Ansiedlung“: Erstere soll ermöglicht, die
Zweitgenannte verhindert werden. Ausnahmen sind
hingegen ebenfalls vorgesehen. Etwa, wenn die
ausländische Absolventin für eine französische Firma
arbeitet, die auf den Märkten des entsprechenden
Herkunftslands expandiert und dabei Landes- und
Sprachkenntnisse benötigt. Die neue, selektive
Großzügigkeit wird also stark in den Dienst
wirtschaftlicher Interessen gestellt.
Vorläufiges Fazit
Alles in allem
sind zwar einige humanitäre Erleichterungen bei der
Einwanderungspolitik zu verzeichnen. Alles in allem
dominiert jedoch die Kontinuität zu den Vorgängern.
Auch hat
Manuel Valls angekündigt, die Kriterien beim Erwerb
der französischen Staatsbürgerschaft durch
Einbürgerung wieder etwas zu lockeren; die Zahl der
Einbürgerungen war im letzten Jahr der Rechtsregierung
um ein glattes Drittel auf einmal gesunken. Die neuen
Kriterien sind allerdings noch nicht genau bekannt.
Die Roma
betreffend, hat Valls zwei mal (am 25. Juli in der
Gesetzeskommission der französischen
Nationalversammlung, und am 31. Juli) angekündigt, es
würden auch weiterhin Räumungen von „illegalen“
Roma-Siedlungen, falls es Gerichtsentscheide dazu
gebe, und Abschiebungen stattfinden. Allerdings wird
er nicht den Staatsapparat im Sinne einer
„zentralisierten Politik“ (so ein Berater, zitiert in
,Le Monde’ vom 02. August) gegen die Roma mobilisieren
– wie Nicolas Sarkozy es im Juli/August 2010, während
der breitgefächerten rassistischen Sommerkampagne
2010, tat. Vielmehr wird er punktuell vorgehen, und
nur nach bei Vorliegenden von Justizentscheidungen.
Nun wird allerdings in anderthalb Jahren, am 31.
Dezember 2013, die Sonderregelung für Bürger/innen
Rumäniens und Bulgariens (als Neumitglieder der EU
seit 2007) mit ihren erheblichen Zugangsbeschränkungen
zum Arbeitsmarkt fallen. Ab dann werden die
rumänischen und bulgarischen Migranten, unter ihnen
die Roma, wie andere EU-Bürger/innen auch Zugang zum
so genannten Arbeitsmarkt haben. Dies könnte
perspektivisch einige Änderungen bewirken.
Editorische Hinweise
Wir
erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.
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