Allgemeine Geschichte des Sozialismus und der sozialen Kämpfe

von
Max Beer
08/05

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Abschnitt V
Die neueste Zeit bis 1920
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II. DEUTSCHE REVOLUTIONÄRE VEREINIGUNGEN IM AUSLAND

1. Bund der Geächteten.

Die nach 1815 einsetzenden Verfolgungen der für Freiheit und Einheit Deutschlands eintretenden Männer sowie die wirtschaftliche Not veranlaßten viele Deutsche, eine Zuflucht im Auslande zu suchen und von dort aus für ihre Sache zu wirken. Nach der Julirevolution (1830), nach dem von 30000 Personen besuchten Hambacher Fest der süddeutschen Demokratie (1832) und nach dem Sturm auf die Frankfurter Wache (1833) wanderten die politisch Verfolgten in zunehmendem Maße nach Paris, wo sie bei den fortgeschrittenen französischen Elementen Unterstützung fanden. Vorerst gründeten sie den „Deutschen Volksverein" ('Assoziation patriotique allemande), der nur politisch freiheitliche und deutsche Einheitsbestrebungen zu fördern sich vornahm. Hieraus entwickelte sich der „Bund der Geächteten" (Anfang 1834), der von Jakob Venedey und Dr. Theodor Schuster geleitet wurde. Venedey (geb. 1805 zu Köln) war Privatdozent in Heidelberg, beteiligte sich am Hambacher Fest, floh nach Frankreich, gab in Paris die jetzt äußerst selten gewordene Zeitschrift „Der Geächtete" heraus, sympathisierte mit den Fourieristen, blieb jedoch deutscher Demokrat; er kehrte 1848 nach Deutschland zurück und wurde zum Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung gewählt. —

Sein Kollege im Bunde der Geächteten war Dr. Theodor Schuster (1), früher Privatdozent der Rechte in Göttingen, wo er zusammen mit Dr. Rauschenplat und Dr. Ahrens unmittelbar nach der Julirevolution (1830) einen Putschversuch machte. Er flüchtete nach Frankreich, schloß sich den geheimen Verbindungen an; im Bunde der Geächteten polemisierte er gegen Venedey und vertrat, von Saint-Simonistischen und Fourieristischen Schriften beeinflußt, den sozialreformerischen Standpunkt. Er sah bereits die Klassenteilung der Gesellschaft in eine Minderheit von Besitzenden und in eine besitzlose Mehrheit. Er folgte Buchez und verlangte Produktivgenossenschaften mit Staatshilfe (2). Schuster ist über Buchez nicht hinausgekommen. Als die proletarisch-revolutionäre Strömung stärker wurde, zog er sich von der Bewegung zurück; er gab auch die Rechtswissenschaft auf, studierte Medizin und ließ sich in Paris als Arzt nieder.

Der Bund der Geächteten stand in Verbindung mit der französischen Vereinigung Droits de l'homme. In den allgemeinen Statuten des Bundes wird als dessen Zweck angegeben: „Befreiung und Wiedergeburt Deutschlands und Verwirklichung der in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte ausgesprochenen Grundsätze." Dieser Zweck wurde den Mitgliedern niederen Grades mitgeteilt. In den Statuten des Berges, d. h. des höheren Grades der Mitglieder, wird als Zweck angegeben: „Befreiung Deutschlands vom Joch schimpflicher Knechtschaft und Begründung eines Zustandes, der, soviel als menschliche Vorraussicht vermag, den Rückfall in Knechtschaft verhindert. Die Erreichung dieses Hauptzweckes ist nur möglich bei Begründung und Erhaltung der sozialen und politischen Gleichheit, Freiheit, Bürgertugend und Volkseinheit, zunächst in den der deutschen Sprache und Sitte angehörenden Landesgebieten, sodann aber auch bei allen übrigen Völkern des Erdbodens"(3).

Ebenso wie es in der französischen Vereinigung Droits de l'homme einen rechten (rein demokratisch-nationalen) Flügel gab, so auch im Bunde der Geächteten. Der linke Flügel unter Leitung Schusters organisierte sich als Bund der Gerechten (1836), der vorerst kommunistisch-utopisch, dann kommunistischrevolutionär war und sich in den Bund der Kommunisten verwandelte (1847), für den Marx das Kommunistische Manifest schrieb.

2. Der Bund der Gerechten: Weitling.

Von den 500 Mitgliedern des Bundes der Geächteten traten etwa 400 zum Bund der Gerechten über. Büchners obenerwähnter Ausspruch: „Man muß in sozialen Dingen von einem absoluten Rechtsgrundsatz ausgehen" war damals der Ausdruck des allgemeinen Empfindens der sozialpolitisch gesinnten Kreise. Der Bund der Gerechten wollte für soziale Gerechtigkeit kämpfen. Stark beeinflußt war dieser Gedankengang von Lamennais' „Parolesd'uncroyant" (Worte eines Gläubigen), die 1834 erschienen und sofort von Ludwig Borne ins Deutsche übertragen wurden und weiteste Verbreitung unter den deutschen Handwerksburschen fanden. Lamennais (1782 bis 1854) war ein rebellischer Priester, der im biblischen Stile für Demokratie und soziale Gerechtigkeit schrieb. Oder wie Heine sagte, Lamennais habe die Jakobinermütze auf das Kreuz gestülpt. Außer von Borne wurde das obengenannte Buch auch von Rauschenplat und Weitling ins Deutsche übertragen; — so populär war damals diese Schrift! Gegen ihn wenden sich die bereits oben zitierten Worte des kommunistischen Manifests.

Schuster zog sich, wie bereits erwähnt, bald von semer Tätigkeit im Bunde zurück und an seine Stelle trat Wilhelm Weitling, damals Handwerksgeselle und in der kommunistischen Literatur belesen; er wurde zum eigentlichen Leiter des Bundes. Neben ihm wirkte Karl Schapper (1812—1870); er war in Weilburg (Nassau) geboren, studierte Forstwissenschaft in Gießen, war Förster, beteiligte sich am Frankfurter Putsch (1833), floh nach der Schweiz; von dort zog er nach Paris, wo er sich den geheimen „Familles" und dann den „Saisons" anschloß. Er war kein Mann der Wissenschaft, wohl aber der Tat, — ein Konspirateur, ein Geheimbündler, stets bereit, an einem demokratischen Putsch teilzunehmen. Seine weiteren Schicksale sind mit denen des Kommunistenbundes verknüpft. Mit Schapper wirkten: r. der Schuhmacher Heinrich Bauer, ein äußerst energischer Oberfranke, der ebenfalls in Paris in den genannten französischen und deutschen Geheimorganisationen tätig war; 2. der Uhrmacher Josef Moll, geboren 1811 zu Köln, gefallen in der badischen Revolution 1849; 3. Dr. Aug. Hermann Everbeck (Pseudonym: Wendel Hipler) aus Danzig, der lange Jahre in Paris als Schriftsteller lebte, aber doch den Weg vom utopischen zum revolutionären Kommunismus nicht mitmachen konnte; er übersetzte Cabets „Ikarien" ins Deutsche; 4. Dr. German Maurer, ein Berliner Oberlehrer(4), der über den älteren Kommunismus nicht hinausgekommen ist und viel aus Paris an deutsche Zeitungen schrieb; er lebte später in Frankfurt a'. M. Aber der eigentliche Denker des Bundes in den Jahren 1837—1844 war Wilhelm Weitling, ein tüchtiger, konstruktiver Kopf und selbstloser Charakter, — der einzige wirklich große deutsche Kommunist der vor-marxschen Zeit. Er wurde am 5. Oktober 1808 als unehelicher Sohn eines französischen Offiziers und einer deutschen Mutter in Magdeburg geboren. Er erlernte das Schneiderhandwerk, verließ 1828 seine Heimatstadt, arbeitete in Sachsen und in Wien bis 1835, reiste dann nach Paris, wo er sich dem Bunde der Gerechten und höchstwahrscheinlich auch den „Familles" anschloß; auf kurze Zeit kehrte er nach Wien zurück, das er 1836 endgültig verließ, um in Paris seine kommunistischen Propagandajahre zu beginnen. Im Auftrage des Bundes der Gerechten verfaßte er seine erste kommunistische Schrift: „Die Menschheit wie sie ist und wie sie sein soll" (1838).

Sie ist — nach dem Muster Lamennais' — im biblischen Stil geschrieben und trägt als Motto: „Und als Jesus das Volk sah, jammerte ihn dasselbe, und er sprach zu seinen Jüngern: die Ernte ist groß, aber wenig der Arbeiter..." Die Ernte — sagt Weitling —, das ist die zur irdischen Vollkommenheit reifende Menschheit, und die Gemeinschaft der Güter ist ihre Frucht. Maßgebend für das Zusammenleben der Menschheit sollte sein: Das Gesetz der Natur und die christliche Liebe. Weitling begnügte sich jedoch nicht mit einer kommunistischen Predigt, sondern entwarf die Verfassung für die künftige kommunistische Gesellschaft: die Organisation der Menschheit in Familien, Familienbünde und Kreise zum Zwecke der gemeinsamen Wirtschaft und autonomen Verwaltung: Landwirtschaft und Gewerbe sollten durch gewählte Räte geleitet und das ganze Land durch einen Rat, zusammengesetzt aus den Häuptern der Familienbünde, verwaltet werden. Die in dieser Schrift niedergelegten kritischen und positiven Gedanken bilden den Grundstock der ganzen Weitlingschen Propaganda; seine späteren Schriften: die „Garantien der Harmonie und der Freiheit" (1842) und „Das Evangelium des armen Sünders" (1843) sind nur der Ausbau jener Gedanken. Weitling hat viel von Fourier, Owen und Blanqui gelernt, aber er hat selber viel nachgedacht und originell gewirkt; er gab den deutschen Arbeitern ein deutliches Bild der Zukunft, einen kommunistischen Organisationsplan und lehrte sie die Anwendung einer Taktik der revolutionären Diktatur während der Übergangszeit vom Sondereigentum zum „Gemeintum", wie Weitling sehr richtig das Wort Kommunismus übersetzt. Nur eine große Schwäche verdunkelte zeitweilig seine Leistungen: er war unpolitisch und ebenso wie Saint-Simon und Fourier appellierte er an die Könige und Mächtigen, die Aufgabe der Menschheiterlösung zu übernehmen! (Schlußsätze der „Garantien", ganz nach dem Muster Saint-Simons in den Schlußsätzen des „Neuen Christentums", oder Conside"rants Widmung seiner „Destine'e sociale" an König Ludwig Philipp). Das war 1842. Er wurde später durchaus revolutionär. Er hatte ja doch schon an dem Aufstandsversuch Blanquis und Barbes (12. Mai 1839) gegen die Julimonarchie teilgenommen, aber er war, wie es scheint, straflos davongekommen, ungleich Schapper, Bauer und Moll, die ihre Beteiligung mit einer längeren Untersuchungshaft büßen mußten. Während letztere nach ihrer Freilassung sich nach London begaben und die Zentralbehörde des Bundes bildeten, fuhr Weitling nach der Schweiz, um hier seine Agitation fortzusetzen: in der Monatsschrift: „Hilferuf der deutschen Jugend. Herausgegeben und redigiert von einigen deutschen Arbeitern" (Genf 1841).

Die Fortsetzung dieser Zeitschrift erschien unter dem Titel: „Die junge Generation", die Weitling leitete. Im Programmartikel des „Hilferufs" wird gesagt: „Auch wir deutschen Arbeiter wollen eine Stimme erheben für unser und der Menschheit Wohl, damit man sich überzeuge, daß wir recht gute Kenntnis von unseren Interessen haben und, ohne von lateinischen, griechischen und kunstgemäßen Ausdrücken angeschwollen zu sein, recht gut und zwar auf gut deutsch zu sagen wissen, wo uns der Schuh drückt und wo Bartel den Most holt." Gutzkow, der diesen Auszug in seinen Pariser Briefen bringt (5), fand in einem der Hefte der genannten Zeitschrift einen Aufsatz über „Paris im Jahre 2000", der ihn besonders interessierte und von dem er in seinen kommentierenden Bemerkungen sagt: „Paris und die Welt in einigen Jahrhunderten so umwälzen zu wollen, daß man nicht mehr weiß, was Geld, was Soldaten, was Nationen sind, sowie die ... blendenden Gaukelbilder einer radikalen Umwälzung der Lage des Arbeiterstandes und einer methodisch durchgeführten Gütergemeinschaft sind so vermessen, daß man diese unter den in Paris und der Schweiz arbeitenden deutschen Handwerkern um sich greifenden Ideen nicht verbieten, sondern ernstlich widerlegen sollte"(6).

Mit Weitling wirkten in der Schweiz für den Kommunismus: August Becker und Sebastian Seiler. Becker hatte in Gießen studiert und war dort ein intimer Freund Georg Büchners (1833—1%34)> fl°h nach der Schweiz; 1842 schrieb er von dort für die Kölner „Rheinische Zeitung". Seiler stammte aus Schlesien, war Aktuar in Liegnitz, diente bei der Artillerie, brachte es zum Bombardier, reiste dann nach Paris, beteiligte sich an den „Saisons", wurde ausgewiesen, ging nach der Schweiz, dann nach Brüssel und Paris, wo er Augenzeuge der Februarrevolution war; er wirkte auch in London (1850) zusammen mit Marx, Engels, Willich usw., — er war also Mitglied des Kommunistenbundes.

Das Wachsen der kommunistischen Agitation in der Schweiz beunruhigte die konservativen Kreise, die die Behörden zu gewaltsamem Eingreifen veran-• laßten. Im Juni 1843 wurde Weitling in Zürich ver-[ haftet, seine Manuskripte, Briefe usw. wurden beschlagnahmt und der Regierung ausgehändigt, die sie durch eine Kommission, an deren Spitze der bekannte Staatsrechtslehrer Bluntschli stand, prüfen ließ. Der 1843 veröffentlichte Bericht: der sogenannte Bluntschli-Bericht — so feindlich auch die Beweggründe waren, die die Feder des Berichterstatters führten — wurde bald zum besten Agitationsmittel der Kommunisten, die auf Regierungskosten eine Sammlung von Materialien erhielten, die sonst nur wenigen zugänglich gewesen wären. Auf Grund des Berichts wurde Weitling jedoch wegen Gotteslästerung und Angriffen auf das Eigentum unter Anklage gestellt und zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Eine Berufung an das Obergericht brachte eine Erhöhung der Gefängnisstrafe auf sechs Monate und nachfolgende Ausweisung aus der Schweiz. Nach Verbüßung der Strafe wurde er nach Magdeburg abgeschoben; von da begab er sich jedoch über Hamburg nach London, dann nach Brüssel und Neuyork, wo ein Zweigverein des Bundes existierte und von Weitling zum Kern eines Befreiungsbundes gemacht werden sollte. (Vgl. Internationale XIV. Jhg., H. 1—3.)

3. Weitling und die revolutionäre Diktatur.

Der Zweck des Befreiungsbundes sollte sein: „die Verwirklichung des demokratisch-kommunistischen Familienbundes." Er ist demokratisch, weil die Grundlage der wahren Demokratie nicht im allgemeinen Abstimmen und politisch-parlamentarischen Manipulationen besteht, sondern in der Organisation der Arbeiten und Genüsse, der Rechte und Pflichten nach Maßgabe des kommunistischen Endzwecks. Da diese Grundlage erst durch die Revolution geschaffen werden kann, „so erobern zuerst diejenigen Kämpfer, die die Revolution machen, das provisorische revolutionäre Wahlrecht und wählen in bewaffneten Versammlungen eine provisorische revolutionäre Regierung und revolutionäre Schiedsrichter zur Begründung der neuen Ordnung. Das Wahlrecht hat dann nur derjenige, der in einer sozial-nützlichen Beschäftigung tätig ist und Fleiß, Fähigkeit, Ordnungsliebe zeigt. Ausgeschlossen vom Wahlrecht sind: Kapitalisten, Kaufleute, Geistliche, Advokaten, Lakaien u. dgl. parasitische Gestalten".

Der Familienbund ist keine Regierung, kein Staat, sondern eine Zentralverwaltung, die den Austausch der erzeugten Güter leitet; die einzelnen Wirtschaftszweige werden durch die von den Produzenten gewählten Räte und Meisterkollegien verwaltet, Löhne bestimmt, Arbeitszeit festgesetzt usw.

Nach dem Siege der sozialen Revolution verkündet die revolutionäre Armee, daß hinfort die Grundsätze des Befreiungsbundes für die Verwaltung des Landes maßgebend sind. Das Proletariat wird bewaffnet, die böswilligen Reichen und die Antirevolutionäre werden entwaffnet; Gerichte und Polizei werden abgeschafft; das wahlberechtigte Volk bestimmt seine Vertrauensleute für die vakant gewordenen Stellen. Allgemeine Arbeitspflicht wird zum Gesetz erhoben; Verschwendung und Müßiggang als Verbrechen bestraft. Als Geld dienen nur Arbeitsscheine: Ausweise über geleistete Arbeitszeit und Arbeitsqualität, gegen welche gleichwertige Güter aus den öffentlichen Warenlagern erhalten werden können. Die gutwilligen Reichen, die sich der Revolution in Wort und Tat anschließen, erhalten eine ihren Gewohnheiten entsprechende Pension. Durch Einführung von Arbeitsscheinen als Geld werden die antirevolutionären Reichen, bald gezwungen sein, ihr Vermögen dem Gemeinwesen zur Verfügung zu stellen, denn für ihr Gold und Silber könnten sie sich keine Nahrungs- und Genußmittel verschaffen. Die ganze arbeitsfähige Bevölkerung gruppiert sich in Gewerbeorganisationen und wählt aus ihrer Mitte zur Vertretung ihrer Interessen: Gewerbeausschüsse, Gewerbekammern und ein Sozialparlament des demokratisch-kommunistischen Familienbundes. Diese Ausschüsse bestimmen in allen Ortschaften den Arbeitswert der verschiedenen Produkte nach der Beschaffenheit und Menge derselben. „Die Provisorische Regierung bleibt so lange im Amte, als der soziale Krieg dauert und verstärkt sich r während dieser Zeit durch Ergänzungswählen. Der r soziale Krieg dauert aber so lange, als noch in irgendeinem Winkel der Erde die Kronen und Geldsäcke regieren und mit ihren Helfershelfern das Volk verdummen, um es desto sicherer ausbeuten zu können (7)."

4. Weitlings Lebensabend.

Nach Ausbruch der Märzrevolution (1848) kam Weitling nach Deutschland, versuchte in Berlin zu wirken, ohne sich jedoch hier durchsetzen zu können. Er reiste dann von Berlin nach Hamburg, wo er viele Anhänger hatte, wurde aber ausgewiesen, worauf er nach Neuyork zurückkehrte. Hier wirkte er für seine Ideen, seine Existenz und die seiner Familie. In Kampf, Not und Sorge, mit allerhand Erfindungen, Entdeckungen und Plänen beschäftigt, lebte er noch an die zwei Jahrzehnte und starb am 25. Januar 1871. Marx, der an vielen Punkten des Weitlingschen Programms Kritik zu üben hatte (auch Engels sprach ironisch vom primitiven „Löffelkommunismus" der deutschen Handwerksgesellen), hat dennoch der Bedeutung des Mannes („den ungeheuren Kinderschuhen des Proletariats") seine Anerkennung nicht versagt. (Vgl. Marx-Engels, Über hist. Mat. I, 41.) Weitlings Leistungen wurden nur verdunkelt durch ein allzu starkes Selbstbewußtsein, das er mit Saint-Simon, Fourier und Proudhon gemein hatte. Dafür hatte er aber auch die Vorzüge der Utopisten: konstruktive Begabung und einen selbstlosen, aufopfernden Charakter. Es spricht schon viel für die Größe Weitlings, daß man noch heute seine Schriften mit Nutzen lesen kann/8) .

5. Entwicklung der „Gerechten" zum Kommunistenbund

Die infolge ihrer Beteiligung am Pariser Aufstand der „Saisons" verhafteten Schapper, Bauer und Genossen wurden gegen Ende 1839 aus der Untersuchungshaft entlassen. Sie begaben sich nach London und gründeten am 7. Februar 1840 den deutschen Arbeiterbildungsverein — nachher bekannt als Kommunistischer Arbeiterbildungsverein —, der zum Mittelpunkt der kommunistischen Agitation unter den eingewanderten deutschen Arbeitern wurde. Es bildeten sich in London mehrere Gemeinden des Bundes, die auch mit der chartistischen Bewegung in Verbindung traten und nach und nach mit der demokratisch-sozialpolitischen Gedankenwelt bekannt wurden, wie sie im Verlaufe der Wirtschaftsrevolution und im Gang der modernen englischen Geschichte sich entwickelte. Hier kamen die Bundesmitglieder zum ersten Male in Berührung mit einer öffentlich geleiteten sozialdemokratischen Arbeiterbewegung, die 1845 auch zur Gründung einer internationalen Vereinigung der sozialistisch-demokratischen Elemente, die in London Zuflucht fanden, führte. Das
waren die „Brüderlichen Demokraten" (vgl. S. 471), die aus Engländern, Franzosen, Deutschen, Italienern, Polen usw. bestanden und die Sozialrevolutionären Ideen in Wort und Schrift verbreiteten. Der deutsche Arbeiterbildungsverein wurde ebenfalls zur zweiten Heimat aller nichtdeutschen sozialistischen Handwerksgesellen und Arbeiter, die in London sich zeitweilig aufhielten. Von hier aus unterhielt die Zentralbehörde der „Gerechten" den schriftlichen Verkehr mit den Genossen in Paris, Brüssel, der Schweiz und Deutschland, und sie verfolgte die Fortschritte der kommunistischen Lehren, wie sie aus dem Pariser „Vorwärts", dem Elberfelder „Gesellschaftsspiegel" und ähnlichen Publikationen hervorgingen und sie wurden nach und nach auf die von Marx und Engels verbreiteten neuen Anschauungen aufmerksam. Zudem stand Friedrich Engels, der Ende 1842 in England angekommen war, mit der Zentralbehörde in Verbindung, ebenso mit den Pariser Bundesgemeinden, wo die Ideen Cabets, Proudhons und Weitlings die Oberhand hatten und neue Anschauungen nicht zuließen. Neben Everbeck wirkten in Paris Dr. Karl Grün und Moses Heß, welch letzterer als das eigentliche Bindeglied, die geistige Brücke zwischen dem kritisch-utopischen und dem marxistischen Kommunismus zu betrachten ist. Er verdient deshalb eingehendere Behandlung, die ihm weiter unten zuteil wird.
In der Schweiz stand es 1845—'846 mit dem Bunde der Gerechten nicht besser. Seine Mitglieder verfielen sozial-religiösen Schwärmereien oder der Plänemacherei.

Der geistige Schwerpunkt des Bundes befand sich also in London, wo rege geforscht und nachgedacht wurde über Wesen und Ziel des Kommunismus. Die teils gedruckten und teils lithographierten Korrespondenzen, die Marx aus Brüssel an die Bundesmitglieder versandte, halfen den Londonern in ihrer neuenOrientierung. So kam es, daß die Zentralbehörde (Schapper, Bauer, Moll) im November 1846 ein Rundschreiben an die Mitglieder versandte, in dem schon die proletarisch-kommunistischen Fragen über Ziel und Taktik klargestellt und in einem Rundschreiben vom Februar 1847 erweitert wurden (9). Inzwischen (Januar 1847) hatten die Londoner ihren Vertrauensmann Josef Moll nach Brüssel zu Marx und Engels gesandt, um sie zum Zusammenwirken mit ihnen zu veranlassen.

Wir stehen hier am Vorabend der Abfassung des kommunistischen Manifestes und des Ausbruchs der Märzrevolution (1848) und müssen deshalb unsern Blick auf die Vorgänge in den deutschen Staaten (1840—1847) richten.


Anmerkungen

1) Bei Wermut und Stieber (Kommunistenverschwörungen im 19. Jahrhundert, Berlin 1853, Teil II) heißt er Karl Wilhelm.
2) Theodor Schuster, Gedanken eines Republikaners, Paria 1835, zitiert von Heinrich Schmidt (in „Neue Zeit", Bd. XVI, i), der Schusters Bedeutung stark überschätzt. (Der erste Teil der „Gedanken" erschien auch im „Geächteten" 1835.)
3)
Wermut und Stieber, Kommunisten Verschwörungen im 19. Jahrhundert. Berlin 1853. Band I, S. 177, 181- St. ist der durch seine Spitzeltätigkeit gegen die Arbeiterbewegung und durch seine Tätigkeit während der Kaiserwahl in Versailles (1871) berüchtigte Agent der preußischen Regierung.
4) Gutzkows Gesammelte Werke (Costenoble, Jena), Bd. VII (Paris und Frankreich 1834—1874) S. 276.
5) Gutzkow (a. a. O.) S. 260 ff., und Georg Adler (a. a. O.) S.30.
6) Gutzkow (a. a. O.) S. 262.
7) Wermut und Stieber, Teil I, S. 193—200.
8) Vergleiche Mehrings Ausgabe von Weitlings „Garantien der Harmonie" (Sozialistische Neudrucke), Vorwärts-Verlag, Berlin 1008.
9) Die beiden, für die Vorgeschichte der Entstehung des „Kommunistischen Manifests" sehr wichtigen Dokumente sind im Demokratischen Taschenbuch, Leipzig 1849, abgedruckt und in der Neuen Zeit (1918—1919, Band II, S. 133 ff.) durch Drahn wieder veröffentlicht. Vgl. Professor Dr. Carl Grünberg, Die Londoner Kommunistische Zeitschrift, Verlag Hirschfeld, Leipzig 1921.
 

Editorische Anmerkungen

Max Beer, Allgemeine Geschichte des Sozialismus und der sozialen Kämpfe, mit Ergänzungen von Dr. Hermann Duncker, S. 504-515

Der Text ist ein OCR-Scan by red. trend vom Erlanger REPRINT (1971) des 1931 erschienenen Buches in der UNIVERSUM-BÜCHEREI FÜR ALLE, Berlin.

Von Hermann Duncker gibt es eine Rezension dieses Buches im Internet bei:
http://www.marxistische-bibliothek.de/duncker43.html