Stadtumbau & Stadtteilkämpfe

Eine Mitteilung aus Berlin
Die Baugruppen-Plage


von " Gemeinschaftsgarten Prachttomate"

07/2020

trend
onlinezeitung

Juni 2020

In der PRACHTTOMATE wird seit 2011 gemeinschaftlich gegärtnert. Wir verstehen uns als einen Lern- & Veranstaltungsort sowie sozialen Treffpunkt im Kiez. Als selbstorganisierter und nicht-kommerzieller Freiraum befinden wir uns im Kampf für eine Stadt von Unten im renditeträchtigen Nordneukölln.

Im November 2017 mussten wir die Hälfte unseres Gartens räumen. Auf der seitdem nur selten genutzten Brache der Bornsdorfer Str. 11 wird nun ein Fünfgeschosser hingeschissen, mit exklusiven Eigentumswohnungen für Leute, die sich das leisten können. Für Leute wie die Baugruppe Bo11. Urbansky-Architekten, die das Baugruppenprojekt im „atemberaubenden Szene-Kiez“ zentral entwickeln, steuern und verantworten, feuern mit diesem betongoldenen Eigenheimbau die Dynamik der Entwicklung von Grundstücks- und Mietpreisen in unserem Kiez und Bezirk weiter an. Dabei sind wir hier schon genug bedient: Unsere miesbezahlten und befristeten Jobs oder mageren Hartz-4-Zuwendungen und Renten reichen nicht, um die völlig überteuerten Mieten stemmen zu können. Zwangsumzüge, Räumungen und Verdrängung sind die Folgen, hervorgerufen durch die Verwertung von Boden und Immobilien. Schließlich geht’s den beiden Urbansky-Chefs, Marcus Schröger und Malte Schröder, genau darum:
Um den Profit, der alle Mittel heiligt.
Ein Blick auf die Website [1] der Schnösel offenbart weitere tolle Projekte: Penthouses auf der Sonnenallee, Projekte im „neuen Szenekiez Wedding“. So werden gewachsene Kiezstrukturen zerstört. Es sind auch diese vermeintlich kleinen Akteur*innen, die ihren Beitrag zur Stadt der Reichen liefern und den Ausverkauf vorantreiben.

Damit sind sie hier im Kiez nicht die Einzigen [2]. Ende 2019 wurde mit dem Bau von Eigentumswohnungen auf der Kienitzer Straße 3 begonnen. Ein handtuchgroßes Grundstück für eine knappe Million €, Eigentumswohnungen für 2.850.000 €. Auch hier eine Baugruppe.
Am Mittelweg 8: 586 m2 Grundstück für 2.350.000 €, ein Haus mit 10 Wohnungen ist geplant, nochmal 4.585.000 €. Wer sich das leisten kann? Eine Baugruppe. Beide haben dabei auch einen integrierten Gemeinschaftsgarten im Sinn. Gemeinschaft für den Kiez oder für die betuchten Bewohner*innen? Eine weitere baut an der Donaustraße 2. Schon längst bezogen ist die Richardstraße 23 sowie die Braunschweigerstraße 41 – weiteres Eigentum von Baugruppen und ihren Mitgliedern. Weiteres Öl ins Feuer des profitgetriebenen Aufwertungsstrudels.

Baugruppen – Flucht ins Eigentum

Baugruppen fantasieren sich gerne als Wohltäter*innen für den Kiez, da sie keine „bösen“ Investor*innen zum Zuge kommen lassen würden. Astreines Marketingsprech. In vielen Fällen sind das auch keine selbstorganisierten, langjährigen Freundeskreise, sondern von Architekturbüros wie den Urbanskys zusammengewürfelte Gutbetuchte. Doch ob anonyme Gruppe, Freundeskreis, oder Großinvestor*innenprojekt – für uns, die wir aus den Nachbarschaften rausgedrängt werden, macht das keinen Unterschied. Der Effekt ist derselbe. Einkommen und Vermögen bestimmen, wer wo wohnen darf. Baugruppen bestimmen, wer wo wohnen darf. Und die Politik hantiert weiterhin mit Programmen, die als Stadtentwicklungsziel die Erhaltung der Struktur der Bewohnerschaft vor sich hertragen.

Es fehlt an günstigen und sicheren Wohnungen, sagen auch manche Baugruppen. Die neoliberal gestimmte Flucht ins eigene Betongoldglück und die private Wertanlage erscheint den Mitgliedern als alternativlos und rational, bleibt aber ein individueller, ans Einkommen geknüpfter Lösungsansatz. Damit wenden sie sich aber auch gegen Perspektiven, die für soziale und potentiell transformative Formen des Wohnens eintreten. Baugruppenmitglieder können ihre Interessen adäquat und zielführend artikulieren, beispielsweise gegenüber Vertreter*innen der Bezirksverwaltung. In unserem Fall sollte das in einem pseudopartizipativen Deal gipfeln:
Im Austausch für eine Art Gartennutzungsrecht im Baugruppenhinterhof wollte Baustadtrat Biedermann (Die Grünen) den Bau eines weiteren Baugruppenhauses im hinteren Teil des Grundstücks einfädeln. Wir sollten also gefühlt den Privatgarten gießen, damit die Baugruppe mehr Eigentumswohnungen hochziehen kann. Nicht mit uns! Wir lehnten ab. Nichtsdestotrotz wirbt Urbansky-Architekten online unverfroren weiter mit einer angeblich bestehenden „Integration eines lokalen Gartenprojekts“ und der Vorfreude „auf die neuen Nachbarn“ [3].

Mit solchen Versuchen der Vereinnahmung haben wir es nicht zum ersten Mal zu tun. In die gefräßige Verwertungsmaschine wird alles eingespeist, was profitabel erscheint. Auch nichtkommerzielle Orte wie Gemeinschaftsgärten sind vor den Vermarktungskonzepten der Immobilienbranche alles andere als sicher. Wir wissen um unsere im Aufwertungsgeschehen systembedingt ambivalente Rolle. Uns ist es wichtig, diesen Angriffen auf unsere Räume entgegenzutreten, Protest zu artikulieren und Widerstand aufzubauen.

Als Gemeinschaftsgarten im Schatten der Stadtpolitik

Der geplante 5-Geschosser an unserer Südseite bedeutet für uns eine massive Verschattung. Was soll da noch wachsen, außer Wut? Die Halbierung der Fläche schränkt unsere Aktivitäten schon stark ein, Flohmärkte, Kinoabende, Feste können nur noch begrenzt stattfinden, Zucchini und Blumen ringen untereinander um Raum. Auf der Bornsdorfer Straße 9 haben wir einen Zwischennutzungsvertrag, der sich automatisch um ein Jahr verlängert. Kündigungsfrist: 4 Wochen. Städteplanerisch sind hier immer noch Wohnungen geplant, der Garten ist als „Brache“ geführt. Wertschätzung für unsere Arbeit, für einen Bildungsstandort, für einen wichtigen Naherholungsort, für einen Raum der Biodiversität und einen kleinen Gegenpol zum Klimawandel? Sieht anders aus.
Trotz Senatsbeschlüsse wie Urban Gardening in der Stadt verwurzeln rufen Politiker*innen höchstens zum Gießen der Stadtbäume auf.

Und was machten der Bezirk Neukölln und der Berliner Senat?

Sie stellten sich Anfang 2018 gegen das im Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße mögliche und von uns geforderte Ausüben des Vorkaufsrechts, um im gesamten Block dauerhaft sozialen Wohnungsbau, Kita und einen langfristig gesicherten Gemeinschaftsgarten zu verwirklichen. Mit der Begründung: Kein Geld, rechtlich zu kompliziert. Lachhaft.
Die Bornsdorfer 9 sowie der angrenzende Hort der Regenbogenschule auf der 15 sind in einem kommunalen Eigentumsverhältnis, durch die Baugruppe ist hier eine zusammenhängende, an den Bedürfnissen der Anwohnenden und Nutzenden orientierte Flächenplanung nicht mehr möglich. So bleibt die Stadtplanung ein investor*innenfreundliches Stückwerk.

Wie weiter mit der Prachttomate? Oder sagen wir gleich Schachttomate?
Langfristig wollen und werden wir diesen entstandenen Freiraum als Gemeingut erhalten! Dabei können wir uns nicht auf den Senat, Bezirk Neukölln und den „grünen“ Baustadtrat Biedermann verlassen. Die Räumung des entstandenen Kieztreffpunkts und Gartens DaWoMaEdekaWa im Sommer 2019, der ins Lächerliche geführte Beteiligungsprozess rund um die Zukunft des Himmelbeets im Wedding sowie die aktuelle Schikane des neu entstehenden Gartens des Prinzessinnengärtenkollektivs an der Hermannstraße durch den Umweltstadtrat Eberenz zeigen, wie ernsthaft Bezirke und Senat an einer fortschrittlichen, umwelt- und klimafreundlichen Stadt arbeiten. Gemeinschaftsgärten werden für Imagekampagnen genutzt, doch konkrete Unterstützung gibt es nicht [4].

Gotham City in Nordneuköllln?

Verwaltung und Politik setzen auf Wachstum, Glasbeton und die Ansiedlung von profitgeilen Unternehmen. Eine Infrastruktur für ein neues, konsumfreudiges und gehobeneres Klientel an der aufgehübschten Karl-Marx-Straße entsteht. Vor allem die beiden Großprojekte in der Alten Post und dem ehemaligen Kaufhaus am Alfred-Scholz-Platz mit ihren Angeboten an Gastronomie, Fitness, Einzelhandel, hunderten Büroarbeitsplätzen und teuren Mietwohnungen werden unseren Kiez weiter aufwerten. Diese zerstörerische Aufwertungspolitik verfolgt auch der nach wie vor drohende Mega-Umbau des Karstadtgebäudes am Hermannplatz. Kleinere inhaber*innengeführte Läden sind in ihrer Existenz dadurch noch stärker bedroht als sie es eh bereits sind. Dazu kommt noch einiges an neu eingerichteten Co-Working-Spaces für kommerzielle Startups und Großunternehmen der TechSzene in den Nachbarschaften der Karl-Marx-Straße. Und Eigentumswohnungen lassen sich hier nach wie vor gut erwerben. Jede kleinste Ecke wird profitgenerierend zugebaut.
Dabei ist nachhaltig das neue sexy. Am Herrfurthplatz fanden dazu Tage in Zusammenarbeit mit dem Immobilienhai Vonovia statt, während eine Ecke weiter die Kiezkneipe Syndikat vom Immobilienhai Pears Global nachhaltig verdrängt werden soll. Und auch der Irgendwie-Alternativ-Standort Rollberg feiert mit lokalstaatlichen Akteur*innen Nachhaltigkeitsfeste. Marketingkampagnen wie schön wie wir rennen besenkehrend durch die Straßen und versprechen dabei noch etwas Bildung. Die Menschen und Orte, die nicht ins Stadtbild passen, werden einfach weggefegt. Da darf sich die Baugruppe Bo11 doch in bester Gesellschaft fühlen.

Welcome to SmartCity, DigitalTown, Marke Neukölln!

Jede Eigentumswohnung hat ihren Preis.

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[1] www.urbansky-architekten.de
[2] www.cohousing-berlin.de
[3] www.facebook.com/pg/URBANSKY-ARCHITEKTEN/posts/  [19.01.2018],Stand: 07.06.2020
[4] Stellungnahme des Netzwerks Urbane Gärten Berlin zur Charta für das Berliner
Stadtgrün www.netzwerkurbanegaertenberlin.org

Gemeinschaftsgarten Prachttomate
Dienstag & Freitag ab 16 Uhr
Bornsdorfer Strasse 9 [-11]
12053 Berlin – Neukölln
www.prachttomate.de
prachttomate@posteo.de

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