Grund zum Feiern
Festrede 10 Jahre PatVerfü

von René Talbot

07/2018

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Vor 10 Jahren war zweierlei klar geworden:

Einerseits hatte das Kammergericht Berlin entschieden, dass nach dessen absurder Rechtsauffassung eine Vorsorgevollmacht nur dann wirksam sei, wenn sie nicht den Willen des Vollmachtgebers erfüllt, sondern zu dessen vorgeblichen Wohle bricht, wenn es um eine Zwangspsychiatrisierung geht. Am 10. Januar 2008 hatte sich Helena Zentner das Leben genommen, weil die Berliner Gerichte beschlossen hatten, dass dann sogar eine Betreuung auf Vorrat aufgezwungen werden könne. Das Bundesverfassungsgericht hatte sich jahrelang Zeit gelassen, das Berliner Unrechtsregime zu beenden und eine Entscheidung zu Gunsten von Helenas Vorsorgevollmacht zu fällen. Sie war verzweifelt, Ihre Geduld war zu Ende gegangen.

Uwe hatte die Initiative Selbstbestimmung aufgeben müssen, da er sein Versprechen auf ein zwangspsychiatriefreies Leben seiner Kunden nicht mehr halten konnte, wenn grundlegendes Recht so grob ins Gegenteil verdreht wird, dass eine Vollmacht statt zum Vollzugs des Willen zu dessen Missachtung dienlich sein solle. Die Richter hatten deutlich gemacht, dass sie eine Bevollmächtigung so lange nicht akzeptieren würden, wie der Gesetzgeber zwar die Vorsorgebevollmächtigung gesetzlich vorrangig zu einer gerichtlich aufgezwungenen Betreuung gemacht hatte, aber sozusagen "arglos" offen gelassen hatte, was mit einer Vorsorgevollmacht alles inhaltlich bestimmt werden kann. Die Richter wähnten sich im Recht, psychiatrischer Gewalt den Weg zu ebnen, wenn der Bevollmächtigte genau diese untersagte. Immer begründet mit dem vermeintlichen Wohl der Betroffenen - Helena drohte wieder eine Psychiatrisierung durch den aufgezwungenen Betreuer und sie beendete verzweifelt ihr Leben mit einem Sprung in den Tod. In einer Traueranzeige haben wir die Verantwortlichen namentlich benannt. Einige hier Anwesende haben sie mit unterzeichnet.

Andererseits war vor 10 Jahren auch schon klar, dass genau diese offene Flanke der Vorsorgevollmacht noch in der laufenden Legislatur mit einem sog. Patientenverfügungsgesetz geschlossen werden würde, so dass eben ohne Reichweitenbegrenzung, also in allen Phasen aller Krankheiten, jegliche Diagnose wie Behandlung vorweg untersagt werden kann. Die Patientenverfügung sollte allerdings vorab schriftlich gemacht worden sein, damit durch die Dokumentation der Beweis auf den Hand liegt.

So musste Uwe zwar allen seinen Kunden kündigen, er konnte aber bei der Kündigung schon in Aussicht stellen, dass es bald ein Gesetz geben wird, mit der dann noch einfacher und rechtssicher Zwangspsychiatrisierung wirksam untersagt werden kann. Dazu hatte ich Anfang Juli 2008 eine Patientenverfügung mit darin eingebauter Vorsorgevollmacht zur Untersagung jeglicher zwangspsychiatrischen Maßnahmen entworfen und damit das bisherige System einer in eine Vorsorgevollmacht eingebauten internen Abmachung zwischen Bevollmächtigenden und Bevollmächtigten umgedreht. Denn am 6. März 2008 hatte der SPD Abgeordnete Stünker seinen Entwurf als überparteiischen Gruppenentwurf gegen den hinhaltenden Widerstand des Fraktionsvorsitzenden der CDU, Kauder - dageben hatten wir am 13.2.2008 vor der CDU Zentrale demonstriert - endlich ins Parlament eingebracht. Am 26. Juni 2008 war der sog. Stünker-Entwurf in erster Lesung im Bundestag behandelt worden. Weil er von mindestens 2/3 der SPD, der FDP und einen Großteil der Linken und der Grünen unterstützt wurde, hatte dieser Gesetzentwurf für eine Patientenverfügung die besten Chancen, Gesetz zu werden. Nur die Krankheit und deren genauere Umstände sollten schriftlich möglichst genau spezifiziert werden.

Entsprechend legte ich den Schwerpunkt des Entwurf sowohl auf die Krankheitsdiagnose, die von vornherein untersagt wird, als auch auf die vollständige und genaue Listung aller psychischen Krankheiten, wie sie im International Code of Diseases, dem sog. ICD 10, gelistet sind. So würden keinerlei Einwände oder Zweifel vorschoben werden können, dass jedem Psychiater jede Untersuchung und Diagnose einer angeblichen oder tatsächlichen "psychischen Krankheit" untersagt ist, sobald er diese Patientenverfügung zur Kenntnis bekommt, ja er sich sogar der Körperverletzung schuldig macht, wenn er sie missachten sollte. Der oder die Vorsorgebevollmächtigten würden dann kaum mehr bemüht werden müssen, da per Gesetz die Verfügung auch schon als wirksam und zu beachten verstanden wird, wenn sie nur vorgelegt wird. Vorsorgebevollmächtigte sind dann nur noch zur Abschreckung benannt, damit keine Ärztin oder Richterin auf die Idee kommt, mit einer Zwangsbetreuung könnte doch noch alles umgangen werden. Das war sozusagen die Geburtsstunde der PatVerfü, die damals aber diesen Namen noch nicht hatte.

Diesen Entwurf legte ich Thomas Saschenbrecker und unseren anderen Vertrauensanwälten zur Prüfung vor, die nichts bemängelten. Danach brachte ich den Entwurf zum Sommerfest des Haus der Demokratie und Menschenrechte mit, so dass er intern bei uns diskutiert werden konnte.
Der Text ist bis heute praktisch unverändert geblieben.

Dann mussten wir uns noch ein Jahr in Geduld üben, bis der Gesetzentwurf von Joachim Stünker, Michael Kauch, Dr. Lukrezia Jochimsen und weiteren Abgeordneten am 18. Juni 2009 mit der zweiten und dritten Lesung im Bundestag die entscheidende parlamentarische Hürde genommen hatte. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den § 1901a BGB war: Abgegebene Stimmen 566.
Mit Ja haben 320 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 241, und es gab 5 Enthaltungen, also eine hochpolitische Entscheidung mit einer sehr eindeutigen Mehrheit für diesen Entwurf.

Die Debatte und Abstimmung im Bundestag wurde im Fernsehen übertragen und als dieses Abstimmungsergebnis verkündet wurde, brach augenblicklich Jubel bei uns aus. Wir feierten das Ereignis mit Sekt; endlich hatte der Gesetzgeber mit einem Gesetz die Möglichkeit geschaffen, dass der richterlichen Willkür-Rechtsprechung zur Absicherung psychiatrischer Gewaltmaßnahmen ein Riegel vorgeschoben werden konnte. Gleichzeitig wurde unsere vorbereitete Internet-Website für die PatVerfü freigeschaltet und sie in einem Rundbrief öffentlich gemacht. Roman hatte für unsere Patientenverfügung diesen Namen PatVerfü vorgeschlagen, mit dem wir sie als spezielle Patientenverfügung gegen ärztliche Gewaltmaßnahmen bekannt machen und bewerben konnten. Dazu wurde der Wort PatVerfü markenrechtlich geschützt, so dass niemand diesen Begriff irreführend verwenden kann und wo PatVerfü draufsteht auch immer unsere spezielle PatVerfü drin ist.

Wir sammelten ein breites Bündnis von Mitherausgebern. Inzwischen sind es 15 Organisationen, darunter auch der BPE, die Arbeitsgemeinschaft Patientenverfügung der Rechtsanwälte und das Weglaufhaus. Zum 1.9.2009 trat das neue Gesetz in Kraft und die-BPE konnte einen Internet-basierten PatVerfü-Club anbieten, in dem für 10.- € Verwaltungsgebühr Fragen gestellt und beantwortet werden und Formulierungsvorschläge diskutiert werden können.

2010 hat ein neuer Vorstand des Werner-Fuß-Zentrum die Initiative für die Herausgabe eines Handbuchs zur PatVerfü ergriffen, das Alice dann zusammen- und fertiggestellt hat. Dafür ein Extra Dank. Und der neue Vorstand hat die Mittel für einen PatVerfü-Sozial-Spot für Kinos und das Internet eingeworben und die Filmemacher von AS Film für das Projekt gewonnen. Die ausgezeichnete Verwirklichung des Vorhabens gelang und sogar Nina Hagen machte als international bekannte Schirmfrau für die PatVerfü bei dieses Werbefilmchen mit. Vicky sei Dank für diesen Vorschlag und ihre Initiative, einfach mal bei Nina anzurufen.

Die größte Ironie war dann 2012, nachdem die Kampagne in den Kinos angelaufen war, dass sich die Dons der Psychiatrie darüber bei der Aktion Mensch so beschwerten, dass die Aktion Mensch uns zusätzlich zu der Finanzierung des Filmchens noch einen 5 stelligen Betrag anbot, nur damit im Abspann nicht mehr erwähnt wurde, dass sie uns gesponsert hatte. Kann man noch besser beweisen, dass wir mit der PatVerfü und deren Bekanntmachung bei der Zwangspsychiatrie voll ins Schwarze getroffen hatten? Alice, Roman und Uwe, herzlichen Dank dafür.

Die PatVerfü wird bei richtigem Gebrauch inzwischen überall geachtet, mitunter auch gefürchtet, weil sie den Machtanspruch der Psychiatrie zersetzt. Seit Anfang 2017 gibt es außerdem die Zusage von 44 Notaren, sie zu beurkunden. Ein weiterer Baustein, zur Absicherung und Verbreitung der PatVerfü. Aber auch ihre Grenzen haben sich inzwischen gezeigt: es sind die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland. Klaus hatte sich zu sehr auf die PatVerfü verlassen, als er nach Thailand reiste, dort allerdings zwangsweise psychiatrisiert und zurücktransportiert wurde, genauso, wie es ihm in Dubai ergangen war. Nur hier in der BRD gibt es bis jetzt so eine gesetzlich geschützte Option vor psychiatrischem Zwang und Gewalt.

Ganz aktuell sind die guten Nachrichten, dass wir seit 10. April einen Solidaritätsfonds mit über 11.000 € haben, der bei notariell beurkundeten PatVerfüen die Angst nehmen sollte, auf Anwalts- oder Gerichtskosten sitzen zu bleiben.

Und wir konnten sehr wahrscheinlich den Angriff der Berufsbetreuer abwehren; die Justizminister der Länder haben gegen deren Drängen klipp und klar festgehalten, dass Vorsorgevollmacht wie Betreuung kein Spezialwissen erfordern, also staatlicherseits keine Ausbildungsvorschriften für Berufsbetreuer kommen werden. Damit wird es auch kein Kriterium geben, dass Richtern die Möglichkeit geben könnte, diese Ausbildung von Berufsbetreuern zum Vorwand zu nehmen, um die in die PatVerfü eingebaute Vorsorgevollmacht für ungültig zu erklären, um, wie bei Helena Zentner, angeblich nur "zum Wohl" einen Berufsbetreuer aufzuzwingen.

10 Jahre PatVerfü - ein guter Grund eine Erfolgsgeschichte zu feiern.
Bildergalerie der Feier 10 Jahre PatVerfü

Quelle:
Zusendung per Email durch das
Werner-Fuß-Zentrum
im Haus der Demokratie und Menschenrechte
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
http://www.psychiatrie-erfahrene.de