Der Hamburger G20-Gipfel und die Riots

PRESSESCHAU

7/2017

trend
onlinezeitung

Was nach Hamburg nicht untergehen darf
ein Kommentar von Max van Beveren (Rotes Nachrichtenportal)

13.7.2017
 

Kaum zogen vermummte Gruppen durch Hamburgs Straßen, um Barrikaden zu bauen, Autos anzuzünden und einen Supermarkt zu plündern, war der Aufschrei in den Medien, in der Politik und in den Sozialen Netzwerken riesengroß und ist es nach wie vor. Die inhaltliche Kritik am G20-Gipfel, der weltweite Terror durch Kriegseinsätze, die Ursachen für Flucht und die brennenden Geflüchtetenunterkünften hierzulande verschwinden völlig hinter der Debatte um die gewaltsamen Auseinandersetzungen. Für die Regierenden sind die Gewalttätigkeiten ein willkommener Anlass, um weitere Grundrechtseinschränkungen und undemokratische Gesetze durchzusetzen, die nicht nur die gesamte Linke, sondern auch die restliche Bevölkerung treffen werden.

Aus den Augen, aus dem Sinn

Diese Zustände, die in Hamburg geherrscht haben und die Taten, die begangen wurden, finden tagtäglich statt – allerdings in anderen Ländern der Welt, aber oft mit Unterstützung von Mitgliedsstaaten der G20. Doch das ist für viele zu weit weg. Darüber müssen sie nicht nachdenken, da es nicht "vor der eigenen Haustür" stattfindet. Dabei herrschen diese Zustände nicht nur für ein Wochenende, nein. Zum Teil schon seit Jahren. Schon seit Jahren führt auch Deutschland weltweit Kriege und schon seit Jahren verkauft Deutschland Waffen und Munition an Länder wie Saudi Arabien, die auch zu den G20 gehören und Waffen wunderbar gebrauchen und einsetzen können, gegen LGBTI*, vermeintlich politische Feinde und Anhänger*innen anderer Religionen.

Schon seit Jahren brennen deshalb Straßen und Autos. Schon seit Jahren müssen Menschen in Supermärkten stehlen gehen, weil sie kein Geld haben, um Essen zu kaufen. Schon seit Jahren sind Menschen mitunter aufgrund dieser Zustände auf der Flucht. Schon seit Jahren sterben Menschen beim Versuch dieser Flucht und schon seit wenigen Jahren gibt es einen Deal zwischen den EU-Staaten und der Türkei, welcher Erdogan dazu bemächtigt, Geflüchtete davon abzuhalten, nach Europa zu kommen und hier friedlich leben zu können. Doch hier werden sie Opfer rassistischer Hetze und Anschläge. Es stellt sich heraus, dass der deutsche Staat und sein Verfassungsschutz schon seit Jahren mit neonazistischen Strukturen verwoben sind, die, wie der NSU, jahrelang bombend und mordend durch ganz Deutschland ziehen. Zudem, um bei der Brisanz in Deutschland zu bleiben, wurden nach BKA-Angaben (https://www.tagesschau.de) im Jahre 2016 921 Geflüchtetenunterkünfte in Brand gesetzt, bei mehr als 850 Fällen vermutet man einen rechtsextremen Hintergrund. Zwar ist die Zahl in den ersten drei Monaten des Jahres 2017 zurückgegangen, doch es belief sich immer noch auf beinahe 100 Anschläge. (http://www.spiegel.de). Das wiederum würde bedeuten, dass diese Ereignisse doch plötzlich "vor der eigenen Haustür" stattfinden!

Hier sollte konsequent vorgegangen werden, es sind dies nämlich diese Taten die seit Jahren und Jahrzehnten verharmlost werden, mit Formulierungen wie "Einzeltäter*in",  "Kollateralschaden", "Krieg gegen den Terror", "Hartz4" und "Freihandelsabkommen".

"Den Sumpf trockenlegen" (Innenstaatssekretär Günter Krings, CDU)

Medien und Politik aber wussten diese Situation, wie so oft, für sich zu nutzen. Denn es ist keine Neuigkeit, dass sich Menschen in Situationen, die sie selbst nicht mehr in der Hand zu haben glauben, an etwas wenden, das ihnen wieder Sicherheit garantiert. Wie nach den zahlreichen islamistischen Terroranschlägen, soll dieses »etwas« auch nach Hamburg einmal mehr »der Staat« sein. Und der lässt mit seinen Forderungen nicht lange auf sich warten.

Innenstaatssekretär Günter Krings (CDU) forderte bereits am Montag nach dem G20-Gipfel den Hamburger Senat auf einen Plan vorzulegen, der den "rechtsfreien und staatsverachtenden Sumpf in Teilen seiner Stadt austrockenen soll". Sein Parteikollege Ansgar Heveling stützt diese Meinung und verlangt zudem ein Vorgehen gegen linke Zentren, wie die "Rote Flora" und die "Rigaer Straße" in Berlin. Dass man es aber nicht nur auf einzelne Stadtteile und kleine Kreise von Linksautonomen abgesehen hat, wird jedoch schnell klar. Aufgrund dessen, dass man die linken Täter*innen aus ganz Europa vermutet, sollen nicht nur die Grenzen wieder stärker kontrolliert werden. Abgeordnete von CSU und SPD sind zudem der Meinung, dass eine Einführung einer "europäischen Extremistendatei für Linksradikale" notwendig sei. Wie diese "Extremistendatei" tatsächlich aussehen soll, darüber kann nur mit Gruseln spekuliert werden. Dass sie bei einer möglichen Einführung aber die gesamte Linke treffen wird, steht außer Frage. Dafür haben Poliker*innen und vor allem die Medien der Bevölkerung eine Steilvorlage gegeben, die die Vergleiche von den »Linksradikalen« mit dem IS oder dem Faschismus händereibend aufnehmen und ein oben beschriebenes Vorgehen seitens des Staates herbeisehnen werden (http://www.berliner-zeitung.de)

Diese Aktionen sind, wie Tom Strohschneider in Neues Deutschland schreibt, "Mist und machen es schwer, jenen progressiven Ungehorsam zu verteidigen, auf den es die Polizeiführung eigentlich abgesehen hat: gut gelaunte Demos und Sitzblockaden im Sperrgebiet".

Diese alles kurz und klein schlagenden und randalierenden Gruppen haben mit der Linken nichts gemein.

Was bei dieser ganzen Aufregung völlig unterzugehen scheint ist erstens ein politischer Weitblick für den Rest der Welt und zweitens die Inkaufnahme von weiteren Einschränkungen von Grundrechten. Gerichtlich genehmigte Camps wurden geräumt, friedliche Demonstrationen wurden angegriffen. Anwält*innen wurden gewaltsam der Gefangenensammelstelle (GESA) verwiesen, als sie zu ihren Mandant*innen wollten (http://www.mopo.de) und 32 Journalist*innen wurde die Akkreditierung entzogen. Die Polizei hat dabei mit schwarzen Listen gearbeitet, die wahrscheinlich zum Teil vom türkischen Geheimdienst erstellt wurden. (https://www.tagesschau.de).

Es sind dies die Taten, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Denn sie bedrohen die Demokratie und betreffen uns alle.

Quelle: http://www.kommunisten.de/index.php?option=com_content&view=article&id=6901:was-nach-hamburg-nicht-untergehen-darf&catid=37:kommentare&Itemid=69