Es
ist nicht gerade alltäglich, dass in der
Süddeutschen Zeitung ein Wirtschafts-nobelpreisträger für die »anti-nationale
Revolution« plädiert. Grund genug, sich den Beitrag
von Robert J. Shiller in der Ausgabe vom 27.
September 2016 genauer anzuschauen. Laut dem
Professor für Ökonomie an der Yale-Universität wird
im Verlauf des 21. Jahrhunderts eine »derartige
Revolution« eintreten, die die »wirtschaftliche
Logik des Nationalstaates infrage stellen« wird.
Den Auslöser vermutet Shiller in der
»Ungerechtigkeit«, »die aus der Tatsache herrührt,
dass einige Menschen aus purem Zufall in armen und
andere in reichen Ländern geboren werden.« An
dieser Stelle könnte schon einiges auffallen. Zum
Beispiel, dass die Gerechtigkeit eine Kategorie
ist, bei der danach gefragt wird, was wem zusteht
und was nicht und daran oft anschließend, wem wie
viel Verzicht zuzutrauen ist, statt zu fragen, wer
was braucht und wie man das hergestellt bekommt.
Oder dass es keineswegs ein »Zufall« ist, dass es
mehr arme Länder gibt als reiche – deren Rang in
der Weltordnung ist schließlich ein Ergebnis der
kapitalistischen Konkurrenz zwischen den
Nationalökonomien. Übrigens gibt es in den reichen
Ländern auch jede Menge arme Menschen. Und es ist
auch überhaupt kein Zufall, dass in den armen
Ländern mehr Menschen geboren werden – in
Gesellschaften ohne jegliche staatliche
Sozialversorgung fungiert der Nachwuchs als eigene
Überlebensgarantie im Alter.
Dass
daran mal etwas geändert werden sollte, da hat Herr
Shiller ja recht. Wie kommt es denn nun zu der
versprochenen »Revolution« ? »Da immer mehr
Menschen für multinationale Unternehmen arbeiten
und Menschen aus anderen Ländern kennenlernen, wird
dies unseren Gerechtigkeitssinn treffen.« Allein
die Tatsache, dass Menschen überhaupt im Ausland
arbeiten und dabei »in der Kommunikation« auf
Ungleichheiten stoßen, wird nach Shiller also eine
Veränderung in Gang bringen – ob die Arbeiter_innen
als illegale Erntehelfer_innen dienen oder als
hochbezahlte Spezialist_innen, die bessere Nutzung
von billigen Arbeitskräften organisieren, da macht
der Nobelpreisträger keinen Unterschied. Die
Lohnhierarchie innerhalb eines Landes ist eben
nicht Shillers Problem und so wird diese von seiner
imaginierten Revolution wohl auch unangetastet
bleiben. Dass die Armut der Menschen in vielen
Ländern sie erst für die multinationalen
Unternehmen interessant macht – ebenfalls
geschenkt. Shiller freut sich über alle, die ins
Ausland reisen – bei völligem Absehen von den
Gründen für die internationale Jobsuche.
Shiller spekuliert darüber, dass den Arbeiter_innen
im Ausland allein durch die gegenseitige Begegnung
die »Ungerechtigkeit« von Armut auffiele.
»Letztlich wird das Erkennen, dass etwas falsch
ist, große Veränderungen auslösen.« Bei dem, was so
offensichtlich falsch sei, nämlich Armut,
unterscheidet er allerdings zwischen Armut aus
zufälligen und nichtzufälligen Ursachen. Als
einziger, legitimer Grund für Reichtum und Armut
soll die Eigenleistung gelten. Denn, wenn die
Arbeiter_innen Leistung bringen, sei es schließlich
egal, wo sie geboren wurden. Und wenn nicht, dann
ebenso: Es gibt in seinen Augen also auch jede
Menge legitimer Armut. Aber selbst dort, wo er sie
für abschaffenswert hält, erklärt er, dass »die
nächste Revolution die Folgen des Geburtsortes
nicht beseitigen [wird], aber die Privilegien der
Nationalität werden abnehmen.« Das Argument sollten
sich die Kassierer_innen bei den Discountern mal
auf der Zunge zergehen lassen: Wenn sie sich für
den Mindestlohn abrackern, dann genießen sie ein
Privileg der Nationalität.
Die
Erkenntnis, dass Leistungsfähigkeit wichtiger sei
als Nationalität, würde sich laut Shiller aller
fremdenfeindlichen Stimmung zum Trotz durchsetzen.
Was für Aussichten, dass die nationalistische
Sortierung zurückbleiben könnte hinter der
Orientierung am alltäglichen Leistungsvergleich vor
dem Kapital – sollte es so eintreten, dann wird
diese Entwicklung dem Kapital zugute kommen, aber
sicher nicht jenen, die sich bei ihrer Lohnarbeit
krumm machen müssen.
»Letztlich wird die
nächste Revolution vermutlich aus den täglichen
Interaktionen mit Ausländern auf
Computerbildschirmen herrühren, die wir als
intelligente, anständige Leute wahrnehmen –
Menschen, die ohne eigenes Verschulden in Armut
leben.« Konkret bedeutet das: Beim Skypen mit
Plantagenarbeiter_innen stellen ihre
Arbeitgeber_innen fest, dass die Leistung der
Arbeiter_innen mit mehr Lohn honoriert gehöre? Das
war vor Skype nicht so und das wird auch jetzt
nicht der Fall sein. Und wenn sich die Leute an den
Computerbildschirmen dann gegenseitig zu
»unintelligent« und »unanständig« finden – was
immer das jeweils sein mag – bleibt die Revolution
dann aus? Mal ganz abgesehen von denen, die aus
„eigenem Verschulden“ – was immer das ist – arm
sind. Denen ist so oder so nicht mehr zu helfen.
Nun
könnten kritische Geister fragen, weswegen denn die
die »Interaktion« zwischen Arbeitgeber_innen aus
den Industrieländern und ihren tüchtigen
Mitarbeiter_innen anderswo überhaupt zustande
kommt. Der Umstand, dass die Chefs in der »1. Welt«
die niedrigen Lebenshaltungskosten, nicht
vorhandene Arbeitsschutzmaßnahmen und die effektive
Unterdrückung jeder Unmutsäußerung durch die
Staatsapparate in den »zufällig« armen Ländern als
sehr förderlich für die Vermehrung ihres privaten
Reichtums ansehen – das trübt den Optimismus
Shillers keineswegs. Nur in einem Punkt hat Shiller
recht: Die Arbeitgeber_innen erkennen die Leistung
der Arbeitnehmer_innen insofern an, als dass sie
sich diese zunutze machen.
Nachdem die Revolution stattgefunden hätte,
bräuchte es nach Shiller nicht mehr viel, um auch
in Niedriglohnländern mehr Lohn zu bekommen: »In
einer idealen Welt müssen die Menschen nicht in ein
anderes Land ziehen, um einen höheren Lohn zu
erhalten. Letztlich müssen sie nur an der
Produktion von Waren partizipieren, die
international verkauft werden.« Dass diese Waren in
einem Niedriglohnland hergestellt werden, gerade
weil dort billiger zu produzieren ist, lässt
Shiller außen vor. Die Produktivkraft ist niedrig,
solange Arbeitskraft billiger ist als Maschinen.
Auf entsprechend niedrigem Niveau sind dann
Lebenshaltung und Lebenshaltungskosten – alles eine
Form der systematischen Armutsproduktion einer
kapitalistischen Weltordnung. Kurz gesagt: Es ist
das kapitalistische Wirtschaften, das sowohl Armut
im Land wie überhaupt arme Länder schafft – das
durch Freihandel weiter zu fördern, schafft keinen
Deut Armut ab.
Shiller ruft dazu auf, »sich auf die Forderung der
wirtschaftlichen Freiheit [zu] konzentrieren« und
lobt mit Berufung auf Paul A. Samuelson die
»Bedingungen unbeschränkten Freihandels«. Er
verspricht sich davon eine Angleichung der Löhne
(nach oben), ruft aber zugleich dazu auf, die
»Verlierer des Außenhandels in den bestehenden
Nationalstaaten [zu] schützen«. Eine Wirtschaft
ohne Verlierer liegt offenbar außerhalb dessen, was
für Shiller vorstellbar ist. Genau genommen sind
Shillers Vorschläge weder antinational noch
revolutionär, sondern bleiben in der Vorstellung
verhaftet, materielle Versorgung von Menschen an
deren Arbeitstauglichkeit und Leistungsfähigkeit zu
koppeln.
Quelle: Zusendung durch die Autor*innen
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