In
Kurdistan läuft ein internationaler Krieg. Es findet
eine Revolution statt, gleichzeitig wird hier ein
Massaker gegen die kurdische Bevölkerung verübt. Die
Revolution, die hier stattfindet, ist eine Revolution
für Frieden, Gleichheit und direkte, radikale
Demokratie; für demokratischen Konföderalismus, ohne
die Machtlogik eines Nationalstaates. In Rojava hat
die kurdische Bewegung zusammen mit den
demokratischen Kräften der Gesellschaft es geschafft
eine auf Prinzipien der direkten Demokratie
basierende autonome Selbstverwaltung aufzubauen, die
eine Alternative zu Kapitalismus und Staat
darstellen. Die Kurdische Gesellschaft hatte den
Willen entwickelt ihre lang andauernden Probleme von
Assimilation, Unterdrückung und Vernichtung zu lösen
indem sie sich selbst autonom verwaltet – basierend
auf Gleichheit, der Freiheit von Frauen, Ökologie und
direkter Demokratie. Weil die Kurdische Bevölkerung
Kapitalismus und Nationalstaaten ablehnt und den
dritten Weg suchen (direkte, radikale Demokratie und
kooperative Ökonomie), werden sie als Gefahr, als
Terrorist_en dargestellt. In Rojava gab es den Plan,
die Kurdische Revolution mit Unterstützung radikaler
Islamist_en (IS, al-Nusra, Ahrar-al- Sam) zu
zerschlagen, aber aufgrund der heroischen
Selbstverteidigung der kurdischen Bevölkerung ging
dieser Plan nicht auf. Es hat Rojava in einen
kontinuierlichen Zustand von Krieg und der Gefahr von
Selbstmord-Attentaten und Anschlägen gebracht. Viele
Zivilist_innen und Kämpfer_innen sind bei ihrem
Versuch diese Revolution zu verteidigen gefallen. Die
Angriffe des IS und von al-Nusra dauern an, offen
unterstützt von der Türkei und geduldet oder im
Geheimen unterstützt von den hegemonialen Mächten.
Der Krieg in Kurdistan kann als dritter Weltkrieg
wahrgenommen werden: es gibt keine Macht, keinen
Staat, die in diesem Krieg keine Rolle spielen. Der
Mittlere Osten ist so wichtig, dass alle Mächte und
Länder hier Einfluss haben wollen. Alle sind in
irgendeiner Art oder Weise involviert, durch
materielle Unterstützung von Kräften, Waffenhandel,
finanzielle Unterstützung von Staaten, die den IS
unterstützen, oder durch direkte Eingriffe wie
Embargo oder Entvölkerung durch Flüchtlingspolitik.
Um was geht es? Nur um
Wasser und Öl? Öl, Wasser und strategische Interessen
sind natürlich wichtige Faktoren, aber es geht um
mehr. Im Chaos des Mittleren Ostens stehen sich
verschiedene Mächte und Interessen gegenüber, die
ihren Einfluss in der Region sichern wollen. Alle
diese Mächte sind kapitalistische Mächte, die
kapitalistische Interessen vertreten. Auf der anderen
Seite gibt es die demokratischen Kräfte der
Gesellschaften, die kämpfen und eine Alternative
aufbauen, allen voran die kurdische Bewegung. Diese
Alternative kann als eine Alternative zu Kapitalismus
und Nationalstaat gesehen werden. Das Ziel und die
Praxis sind der Aufbau einer radikalen Demokratie und
kooperativen Ökonomie, um so eine Gesellschaft zu
ermöglichen, die auf Freiheit, Demokratie,
Gleichheit, Ökologie und der Freiheit der Frauen
basiert. Es ist eine sozialistische und demokratische
Revolution. Eine Alternative zu tausenden Jahren von
Unterdrückung, Ausbeutung und Kolonialismus.
Natürlich können die
hegemonialen Mächte der internationalen Gemeinschaft
diese Alternative nicht akzeptieren und bekämpfen sie
mit allen Mitteln. Daher ist es klar, dass es zwei
Seiten gibt: auf der einen Seite die kapitalistischen
internationalen Mächte, die diesen Krieg benutzen, um
ihre internen Konflikte zu lösen und Machtinteressen
neu auszuhandeln und ihren Einfluss soweit wie
möglich auszuweiten. Auf der anderen Seite stehen die
kurdische Bewegung und Verbündete Kräfte, die für
Freiheit, Demokratie und Gleichheit kämpfen. Wenn
dieser Krieg ein internationaler Krieg ist und die
internationalen Kräfte so gut miteinander vernetzt
sind, um diese Region nach ihren Interessen neu zu
verteilen – wieso gibt es dann so wenig Interesse,
Aufmerksamkeit und Unterstützung von internationalen
Menschen, Sozialist_innen, Anarchist_innen,
Feminist_innen und Demokrat_innen? Diese Revolution
kann als eine Revolution der Frauen wahrgenommen
werden, die hier kämpfenden Frauen sind kurdische
Frauen, mit arabischen, assyrischen, türkischen und
anderen internationalistischen Frauen an ihrer Seite.
Nicht nur im Krieg, auch im gesellschaftlichen
Aufbauprozess und im Kampf für die Veränderung der
Mentalitäten spielen Frauen eine sehr wichtige Rolle,
vor allem bei der Veränderung der
patriarchal-kapitalistischen Mentalität in ein
demokratisches, freiheitliches Bewusstsein.
Wenn dieser Krieg
ein Krieg für die Menschheit und menschliche Werte
ist, wieso gibt es dann so viel Gleichgültigkeit auch
von Menschen, die selbst auf der Suche nach einer
Alternative zu Kapitalismus und Nationalstaat sind?
Wieso wird dieser Krieg von Menschen in Europa als
unabhängig von ihrer eigenen Situation wahrgenommen,
wo es doch um so viel geht?
Diesen Krieg als
unabhängig von der eigenen Situation wahrzunehmen
bedeutet ihn denen zu überlassen, die bereits in
Machtpositionen sind, den Cliquen um Erdogan, Merkel
und anderen. Aber diese Themen sind zu wichtig, um
die Augen zu schließen. Die Entscheidung wiederholt
sich: Schritt für Schritt zur Freiheit für alle oder
einen weiteren Genozid. Diese Revolution ist eine
Revolution der Bevölkerung. Es sind die Bevölkerungen
in Rojava und Bakur, die kämpfen. Die Frauen und die
Jugend nehmen führende Rollen ein. Diese Revolution
ist nicht nur für die Kurd_innen; sie kann Freiheit
und Demokratie für alle bedeuten. Rojava, mit allen
Schwierigkeiten und Fehlern, die es gibt, zeigt, dass
eine sozialistische, demokratische Alternative
möglich ist, obwohl Rojava von Feinden umgeben und
mit einem Embargo belegt ist. Die Menschen in Rojava,
die lange in Unterdrückung gelebt haben, zuletzt
durch das Baath- Regime, erschaffen diese
Alternative. Revolutionen können sich wie ein Virus
verbreiten, alle, die in Unterdrückung leben, können
durch diese Energie angesteckt werden. Das ist, was
passiert, wenn Unruhen oder Aufstände stattfinden.
Eine lange Zeit wollte der Kapitalismus uns glauben
machen, dass es keine Alternative gibt, außer
vielleicht durch ein System, das noch schlimmer ist
als der Kapitalismus. Aber das Beispiel Rojava zeigt,
dass Demokratie, Vielfalt und der Kampf für die
Freiheit der Frauen miteinander verbunden sind und in
der Praxis eine Einheit bilden können. Für die
kapitalistischen Hegemonialmächte ist der Mittlere
Osten essentiell; selbt eine kleine Region, die nicht
nach ihren Interessen agiert, kann für sie zu einer
Gefahr werden.
Viele Menschen in
Europa sind mit dem System, in dem sie leben
unzufrieden. Vielleicht suchen sie nach einer
Alternative, vielleicht träumen sie davon. Es gibt in
Europa eine lange Geschichte des Widerstands. Auf der
anderen Seite hat der neoliberale Kapitalismus und
die Zunahme von rechten Ideologien und Aktivitäten
dafür gesorgt, dass Menschen weniger für
revolutionäre Ideen kämpfen, sondern stattdessen vor
allem Abwehrkämpfe führen, damit es zumindest nicht
noch schlimmer wird. Vielleicht sind viele Kämpfe,
die gerade in Europa geführt werden, gespalten und
uneinheitlich und deshalb nicht so effektiv, wie sie
sein müssten und es auch sein könnten. Dennoch kann
nicht abgestritten werden, dass zur Zeit auch dort
wichtige Kämpfe ausgetragen werden. Die Kämpfe in
Europa haben große Wichtigkeit, doch es gibt eine
Stagnation und alte Ideen werden lediglich
wiederholt. Es ist möglich diese mit der Energie und
Inspiration, die die Revolution in Kurdistan bringen
kann, zu überwinden. Heute kann von der Revolution in
Kurdistan, ihren Zielen, ihrer Organisierung und
Errungenschaften gelernt werden.
Die Revolution in
Kurdistan ist nicht nur wichtig für Kurdistan und den
Mittleren Osten, sondern für die ganze Welt, weil in
ihr die Chance auf eine Alternative zum Kapitalismus
enthalten ist. Das heißt auch, dass es ein harter
Schlag für die gesamte Menschheit sein wird, sollte
diese Revolution nicht siegen. Wir werden wieder
einen Genozid zugelassen haben, gleichzeitig wird es
eine Stärkung der globalen Herrschaft bedeuten. Diese
Revolution findet momentan vor allem in Kurdistan
statt, ihre Bedeutung jedoch ist universell und
entscheidend für die ganze Menschheit. Wenn wir in
einer Welt leben wollen, die in Frieden mit der Natur
besteht, eine neue Balance zwischen den Geschlechtern
findet, in Vielfalt und ohne Unterdrückung und
Ausbeutung – dann haben wir keine andere Wahl als
diese Revolution ernst zu nehmen. Das bedeutet zuerst
einmal anzuerkennen, dass diese Revolution
stattfindet, es beinhaltet den Versuch zu verstehen,
worum es dabei geht. Auf diese Art und Weise ist es
für die Menschen in Europa möglich einen Weg zu
finden sich zu dieser Revolution zu verhalten. Wie
kann diese Chance für Europa bewertet werden? Wie
kann sie auf viele Arten und Weisen unterstützt und
verstärkt werden?
Wie kann die Energie
und Inspiration genutzt werden, um die eigenen Kämpfe
zu stärken? Wie lassen sie sich miteinander
verknüpfen? Es gibt viele Wege, viele Methoden.
Allerdings leben wir in einer bedeutenden
historischen Zeit, das müssen wir klar erkennen. Das
kapitalistische System kann sehr gut Spaltungen und
Trennungen erschaffen. Unsere Kämpfe jedoch sind
miteinander verbunden. Das Wichtigste ist für uns
jetzt, unsere Wahrnehmung wieder auf diese
Verbundenheit zu richten. Der Kapitalismus wollte uns
glauben lassen, dass es keine Alternative gibt oder
dass diese System so stark ist, dass jeder Kampf
zwecklos ist. Aber beides ist unwahr. Weder ist der
Kapitalismus ein Schicksal, noch ist er so stark,
dass der Kampf aussichtslos wäre. Das einzige, was
wir brauchen sind Vorstellungen, starke Überzeugung,
Hoffnung, um unsere Energie zu sammeln, um wieder zu
träumen und für etwas zu kämpfen, statt nur dagegen.
Die Revolution in
Kurdistan kann uns vieles lehren. Hier organisieren
sich die Menschen selbst, kämpfen gegen eine
NATO-Armee, gleichzeitig bauen sie eine Alternative
in Form des demokratischen Konföderalismus auf, trotz
Krieg, trotz Embargo und vielfältigsten Angriffen.
Die kurdische Gesellschaft hat eine lange Geschichte
von Assimilation und Massakern. ln diesem Krieg geht
es um ihre Existenz, um die Möglichkeit die eigene
Identität, Kultur und Vorstellungen zu leben. Es ist
ein politischer und ideologischer Kampf. Der
militärische Kampf kann in diesem Sinne als
Selbstverteidigung verstanden werden. Weil dieser
Kampf nicht isoliert ist von der Situation in Europa
und die Lage Europas verbunden ist mit der Situation
des Mittleren Ostens, ist es möglich die Wahrnehmung
auf diese Verbundenheit zu richten. Es ist möglich
und sinnvoll die Revolution in Kurdistan zu
unterstützen; genauso ist es möglich und sinnvoll die
Kämpfe in Europa für einen demokratischen Sozialismus
zu stärken. Wir müssen kämpfen, weil der Kapitalismus
keine Lösung ist. Die kapitalistische Herrschaft ist
die Quelle von Kriegen, Masssakern und Genoziden.
Die Bevölkerung in
Kurdistan hat anerkannt, dass es keinen anderen Weg
als den Kampf gibt, auch wenn diese Entscheidung Tod
und die Zerstörung ihrer Dörfer und Städte beinhalten
kann. Letzendlich, nach vielen Erhebungen und
Erfahrungen eigener Kämpfe, ist klar, dass es nicht
möglich ist irgend etwas von einem Staat zu erwarten,
sondern dass es vielmehr nötig ist aus eigener Kraft
ein eigenes autonomes System aufzubauen. Der
Nationalstaat ist Teil des Problems und kann nie Teil
einer Lösung sein. Ohne diesen Kampf gibt es kein
Leben. Gleiches gilt für die Menschen in Europa. Das
Leben unter der Herrschaft des kapitalistischen
Systems kann nicht als Leben definiert werden. Was
dort Freiheit genannt wird, hat mit Freiheit nichts
zu tun. Wenn wir als Menschen und nicht als Roboter
leben wollen, ist dieses Leben nur als Kollektiv und
Gesellschaft möglich. Die Teilnahme am revolutionären
Kampf ist kein Luxus für Studierende in einer
bestimmten Lebensphase, sondern Notwendigkeit für
alle, die in einer Welt leben wollen, die auf
Demokratie, Sozialismus, Frieden,
Geschlechterbefreiung beruht und in Einklang und
Harmonie mit der Natur organisiert ist. Es braucht
den Mut als Revolutionär_in zu leben und diese
Revolution auf die eine oder andere Weise zu
unterstützen und mit dem eigenen Kampf zu verbinden.
In diesem Sinne:
Es
lebe die Revolution in Kurdistan!
Es
lebe der Kampf für Freiheit und demokratischen
Sozialismus!
Es
lebe das Gedenken an die Freund_innen HV. Dilsoz und
HV. Avasin, die in Verteidigung der Menschheit im
internationalistischen Befreiungskampf ihr Leben
gaben.
Lêgerín
Internationalistisches Komitee
Rojava-Nordsyrien,
Freie Gebiete Mesopotamiens, Juli 2016
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