Polizei und Rassismus in den USA
Warum US-Polizisten schwarze Bürger töten

von Arian Schiffer-Nasserie

07/2016

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onlinezeitung

Seit einiger Zeit häufen sich Berichte über rassistische Polizeiübergriffe in den USA. Zeitungsleserinnen und Fernsehzuschauer in Deutschland erfahren, dass US-Polizisten beinahe wöchentlich meist junge, unbewaffnete, männliche Afroamerikaner erschießen (z.B. Michael Brown, 18 in Ferguson; Tamir Rice, 12 in Cleveland; Walter Scott, 50 in North Charleston usw.), erwürgen (z.B. Eric Garner, 43 in New York) oder ihnen in Polizeigewahrsam das Genick brechen (z.B. Freddie Gray 27 in Baltimore ###jw berichtete##). Jährlich tötet die Polizei nach Angaben von jw (29.4.2015) auf diese Weise über 300 schwarze US-BürgerInnen. Tödliche Polizeiübergriffe gegen Schwarze gehören also zum Alltag der US-Gesellschaft.

Deutsche Medien berichten davon meist nur, wenn es, wie zuletzt Ende April, zu Demonstrationen und „Unruhen“ in großen US-Städten kommt. Die Sorge – gemischt mit Häme – gilt dann weniger den schwarzen Opfern der Polizeigewalt als viel mehr der inneren Ordnung des NATO-Bündnispartners mit Weltmachtstatus: „Randale und Chaos in Baltimore – Die zunächst friedlichen Proteste wegen des Todes eines jungen Schwarzen in Polizeigewahrsam sind in der US-Metropole Baltimore in offene Gewalt (!) umgeschlagen.“ (FAZ 28.04.2015)

Was in anderen Staaten als Beleg für die Unterdrückung ethnischer Minderheiten und als Missachtung der Demonstrationsfreiheit gilt, ist aus Sicht der deutschen Qualitätspresse zur Herstellung der öffentlichen Ordnung im Land der Freiheit dringend geboten: „Die Ausgangsperre solle ab Dienstag für eine Woche von 22.00 Uhr abends bis 05.00 Uhr morgens gelten, erklärte Bürgermeisterin Stephanie Rawlings-Blake. Um die Gewalt (!) in den Griff zu bekommen, rief Gouverneur Larry Hogan am Montagabend (Ortszeit) auch den Notstand aus. Bis zu 5000 (!) Nationalgardisten sollten möglichst rasch einschreiten.“ (ebenda)  

Die Frage, warum US-Polizisten regelmäßig afroamerikanische Bürger töten, spielt für die staatstragenden Medien folglich kaum eine Rolle. Doch auch Linke und kritische Stimmen begnügen sich meist mit der Anklage, dass der Weltpolizist und globale Richter im eigenen Land „immer noch“ gegen jene menschenrechtlichen Prinzipien verstößt, in deren Namen er seine Interessen weltweit so brutal durchsetzt. Die Frage nach dem „Warum?“ erscheint dagegen nebensächlich und wird – wenn überhaupt – meist mit „postkolonialen Diskursen“ und „rassistischen Zuschreibungen“ beantwortet, die aus den Zeiten der Sklaverei und Rassentrennung überdauert haben sollen. Einen Zusammenhang zwischen den geachteten Grundrechten der Weltmacht und dem geächteten Vorgehen der Polizei gegen Schwarze können auch die meisten KritikerInnen nicht erkennen. Der folgende Beitrag will den Zusammenhang von Polizei und Rassismus in den USA weniger voreingenommen untersuchen. Das vielleicht irritierende Ergebnis sei vorangestellt: Es sind die allseits geachteten und menschenrechtlich legitimierten Prinzipien von Freiheit, Gleichheit und Eigentum selbst, die den modernen US-Rassismus im Allgemeinen und das polizeiliche Handeln im Besonderen begründen.

Die schwarze Seite der Freiheit

Die rechtliche Gleichstellung der afroamerikanischen Bevölkerung ist im Land der Freiheit alles andere als eine historische Selbstverständlichkeit. Die Grund- und Freiheitsrechte, welche die Vereinigten Staaten von Amerika in ihrer Unabhängigkeitserklärung von 1776 als erster Staat zum gottgegebenen und zugleich menschengemäßen Menschenrecht (v)erklärten, bezog sich auf das nach ökonomischer und politischer Emanzipation von der britischen Krone strebende weiße Bürgertum:

We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.“ (Präambel)

(„Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, daß alle Menschen gleich erschaffen worden, daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freyheit und das Bestreben nach Glückseligkeit.“)

Weder afrikanische Arbeitssklaven noch die indigene Bevölkerung (deren Vertreibung und Vernichtung ja überhaupt erst den kontinentalen Raum zur Gründung einer staatlich abgesicherten Eigentümergesellschaft ermöglichte) konnten sich auf die Verfassung der weißen Siedler berufen. Auch nach dem Verbot der Sklaverei in der US-Verfassung von 1865 brauchte es noch hundert Jahre, bis den Schwarzen in einer Mischung aus Anerkennung für ihre überdurchschnittlich hohen Opfer im Zweiten Weltkrieg einerseits und Befriedung einer blutig unterdrückten Bürgerrechtsbewegung andererseits in den 1960er Jahren die vollen Bürgerrechte zugesprochen wurden.

Seit einem halben Jahrhundert dürfen auch die ehemaligen Sklaven als formal gleichwertige Rechtssubjekte in den USA ihr „pursuit of Happiness“ verfolgen, also an der bürgerlichen Konkurrenz um eine Lebensgrundlage, d.h. Geld, Lohnarbeit, Wohnraum etc. teilnehmen. Der ‚Haken’ ihrer mühsam errungen bürgerlichen Grundrechte zeigte sich schnell: Zwar sind sie vor dem Gesetz gleichgestellt und explizit dazu berechtigt, ihre Freiheit im Sinne ihrer eigenen Interessen zu nutzen – allein von den materiellen Mitteln der eigenen Interessensverwirklichung bleiben sie Dank des Grundrechts auf Eigentum weitgehend ausgeschlossen. Denn im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist die Verwirklichung des privaten Glücks zwar erlaubt und sogar geboten. Auch stehen die Mittel zur individuellen Bedürfnisbefriedigung in Form gigantischer Warenberge prinzipiell allen zur Verfügung. Jedoch – nur gegen Geld. Und das will „am Markt“ erst einmal verdient sein. Dabei entpuppt sich ihre Freiheit mit Marx als doppelte:

Frei in dem Doppelsinn, daß er (der Arbeiter A.S.-N.) als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Ware verfügt, daß er andrerseits andre Waren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Verwirklichung seiner Arbeitskraft nötigen Sachen. (K. Marx, MEW Bd. 23 S.183)

In Ermangelung von Grund und Boden, natürlichen Ressourcen, Produktionsmitteln etc., mit denen sie auf Immobilien-, Rohstoff-, oder Warenmärkten Geld verdienen könnten, bleibt den Afroamerikanern als Chance auf ein Erwerbseinkommen – wie den meisten Weißen auch – nur der Verkauf ihrer Arbeitskraft an ein Unternehmen. Als freie Personen auf der Suche nach Arbeit dürfen die ehemaligen Sklaven also von nun an wollen, was sie früher mussten, nämlich durch ihre Arbeit fremden Reichtum mehren. Allein, der Willen zur Lohnarbeit reicht nicht aus, da er immerhin noch einen Käufer braucht, der ihn anwendet. Und das ist gar nicht selbstverständlich.

Im Wettbewerb um einen Arbeitsplatz müssen die Aroamerikaner mit bereits etablierten Arbeitskräften, mit neuen Auswanderern aus dem zerstörten Europa und aus Südamerika in einem klassischen Einwanderungsland konkurrieren und sind dem freien und gleichen Wettbewerb aufgrund ihrer schlechten Ausgangsbedingungen denkbar miserabel gewachsen. Auch der Konkurrenz um Schulnoten und Abschlusszeugnisse als Mittel zum Aufstieg in die höheren Positionen der Lohnarbeit können sie meist kaum standhalten, fehlen den Kindern bzw. ihren Eltern doch meist die materiellen und sozialen Mittel, sich gegen die gleichaltrigen weißen Kontrahenten im Bildungssystem durchzusetzen.

Unterm Strich jedenfalls müssen die schwarzen US-Bürger zwar völlig gleichberechtigt um Geld und in der Folge um Arbeit konkurrieren – bekommen deshalb aber noch keine oder nur schlechte und schlecht bezahlte; nicht zuletzt, weil die Einwanderungspolitik der USA im Interesse ihrer Unternehmer für ein Überangebot an billigen, willigen und qualifizierten Arbeitskräften aus aller Welt sorgt. Ihre folglich mangelnde Zahlungsfähigkeit führt dazu, dass sie sich aus freien (!) Stücken auf dem freien (!) Wohnungsmarkt konzentriert in den Armutsquartieren der US-Städte wieder finden, so dass es nun ganz ohne staatlichen Zwang zur – vornehm formuliert – „ethnischen Segregation“ kommt. Im Ghetto finden sie sich mit all jenen (Behinderten, Illegalen, Kranken, Alleinerziehenden usw.) vereint, die zwar kaum „Chancen“ zum legalen Gelderwerb haben, aber dennoch auf Dollar angewiesen sind, wenn sie im Land der Freiheit (über)leben wollen.

Lebensbewältigungsstrategien“

Und natürlich entwickeln sie in der Folge die Lebensbewältigungsstrategien, die für die Pauper, die Überflüssigen im Kapitalismus seit jeher kennzeichnend sind und die wegen der damit verbundenen Störungen der öffentlichen Ordnung zum Gegenstand sozialer und polizeilicher „Arbeit“ werden:

Entweder die schwarze Unterschicht versucht, sich mit ihrer trostlosen Lage abzufinden

  • indem sie ihren Willen zur Konkurrenz und damit sich selbst schlicht weg aufgeben (Obdachlosigkeit, Verwahrlosung, Schulverweigerung usw.),

  • indem sie an ihrem freien Willen verrückt werden (Wahnsinn),

  • indem sie Trost im Glauben und in der Gemeinde suchen (einerseits seit jeher erwünscht andererseits gefährlich – Sekten, Fundamentalismus usw.), 

  • indem sie mit Gewalt eine familiäre Reproduktion zu erzwingen suchen, zu der ihnen angesichts miserabler Wohnverhältnisse, prekärer Arbeit, Geld- oder Zeitnot usw. die Mittel fehlen (häusliche Gewalt, Kindeswohlgefährdung etc.), 

  • indem sie mit Drogen ihre Not betäuben, die Stimmung aufhellen und auch ohne materielle Grundlage ihr verfassungsmäßig garantiertes Recht auf "happyness" wahrzunehmen suchen (Alkoholmissbrauch, Drogenkriminalität etc.)

oder sie versucht auf unerlaubtem Wege Geld zu erwerben,

  • indem sie fremdes Eigentum aneignen (Diebstahl, Raub, Erpressung usw.),

  • indem sie mit Drogen und Waffen handeln,

  • indem sie die zum illegalen Erwerb notwendige Organisierung vornehmen, um gegen Konkurrenten und die Ordnungsmacht zu bestehen (Banden, Gangs, organisierte Kriminalität),

  • indem sie die sexuelle Not des US-Männer zu einem Mittel des Gelderwerbs für die materielle Not der schwarzen US-Frauen machen (Prostitution)

  • usw.

Während die erste Variante, weil noch weitgehend um Rechtschaffenheit bemüht und damit eher ein Fall für „social work“, „community organizing“ und „charity“ ist, werden die unvermeidlichen Verstöße der schwarzen, meist männlichen Unterschicht gegen die US-Rechtsordnung von der Polizei im Rahmen ihrer Möglichkeiten hart verfolgt. Bei der Ausübung ihres staatlichen Auftrags treffen die US-Polizisten – übrigens auch schwarze Cops – dabei immer wieder auf die selben Täter mit der selben Hautfarbe in den selben Stadtteilen, so dass sie – auch ohne rassistische Vorurteile – einen ethnisch definierten Tätertypus konstruieren: Junge, schwarze Männer in den Armutsvierteln und Vororten!

Darauf gründet sich dann ein Pauschalverdacht auf einen schlechten Antirassismus: Dementieren und auf die zu Grunde liegende Affirmation der Rechts- und Eigentumsordnung, die doch gerade der Grund für das Elend der Schwarzen und ihre illegalen Lebensbewältigungsstrategien ist. Später dazu mehr#### 

Kollision mit der US-Ordnung

In jedem Fall ist die Kollision von jungen, schwarzen Männern mit der US-Polizei aus o.g. Gründen unvermeidlich, ganz unabhängig von Willen und Bewusstsein der Beteiligten. Und deshalb findet diese Sorte inneren Dauerkriegs permanent statt – trotz bzw. wegen einem halben Jahrhundert Bürgerrechtsbewegung (die eben leider in der Mehrheit nicht die Aufhebung des Kapitalismus und seiner US-Schutzmacht sondern Freiheit und Gleichheit als bürgerliche Rechtssubjekte in ihr gefordert hat) und auch unter einem schwarzen US-Präsidenten. ##Nationalgarde## Deutung in deutschen medien###Aber natürlich verfügen alle Beteiligten über Wille und Bewusstsein und deuten die Situation entsprechend (falsch):

Die ideologische Deutung des Dauerkrieges

a) Die Polizei

Für US-Polizisten steht zweifellos fest, 

  • dass das Recht, „the law“, das sie verteidigen, für alle Bürger gut ist, weil auf demokratischen Wege zu Stande gekommen, weil für alle gleichermaßen gültig und weil den Menschenrechten entsprechend, d.h. der Menschennatur gemäß.

  • Aus ihrer professionellen staats-bürgerlichen Sicht gibt es keine (guten) Gründe für Rechtsverstöße, bzw. muss jeder gute Mensch das Recht wollen. Im Umkehrschluss ist für Verstöße gegen die Rechtsordnung verantwortlich: Mangelnder (betrunken, wahnsinnig, minderjährig, affektiv usw.) oder böser Wille. Diesen bösen Willen entdecken sie nun immer wieder im selben Tätertyp im selben Viertel: Vom Tätertyp zum Feindbild!

  • Hinzu kommt für Polizisten als ganz normale US-Bürger wie für alle Mitglieder der freien Konkurrenzgesellschaft die falsche, aber beinahe unerschütterliche Überzeugung, dass jedeR für seinen (Miss)Erfolg selbst verantwortlich ist, sofern es bei der Konkurrenz nur "fair" zu ging, d.h. jeder seine Chance hatte. (Dass die "Chance" das Scheitern schon impliziert, ist logisch zwar evident aber vom Standpunkt der praktischen Vernunft irrelevant.) Wenn also jeder und jede nur ihre / seine faire Chance zur eigenen Nutzenverfolgung in Schule, Arbeits,- und Wohnungsmarkt hatte, dann ist der Misserfolg auf mangelnden Willen und oder mangelnde Eignung zurückzuführen. Vom Verlierer zum Versager. Schimpfwort: Loser! Vom Standpunkt der patriotischen Sorge um das Gemeinwesen aus gedacht kann man (aber muss man nicht) die Reihe in sarrazynischer Logik noch verlängern: Verlierer = Versager = Schädlinge der (nationalen) Gemeinschaft. ###Hervorheben, dass das überhaupt die Quelle des modernen Leistungs- und Erfolgsrassismus ist,

  • Diese "Logik" lässt sich  ethnisieren: Je nach Zusammensetzung der Unterschicht gilt stark verallgemeinert für USA = Schwarze US-Bürger / Latinos (Frankreich = (Nord)Afrikaner & Araber,  BRD = Türken, Araber, Roma usw.)Ausführen...

  • Schließlich verhalten sich die unter Dauerverdacht gestellten Schwarzen schon aus diesen Gründen - verständlicher Weise - meist feindselig gegenüber der Ordnungsmacht, haben tatsächlich den Willen zur Teilhabe an der erlaubten bürgerlichen Konkurrenz weitgehend aufgegeben und verfolgen, z.T. sogar ohne schlechtes Gewissen, kriminelle Ziele. Insofern bestätigen sie die unter 1. und 2. dargelegten Konstrukte der Polizei, jedoch aus ganz anderen Gründen....

b) und ihre schwarzen Opfer

Auch schwarze US-Unterschichtler sind (leider) auch weitgehend davon überzeugt,

  • dass die (diskriminierungs)freie und gleiche Konkurrenz eigentlich ein Angebot zur Verwirklichung ihrer Interessen darstellt. Da sie aber in Wirklichkeit überdurchschnittlich oft zu den Verlierern in der Bildungskonkurrenz, auf dem Arbeitsmarkt usw. gehören, deshalb in Ghettos wohnen, ihre Lebenserwartung geringer und die Kindersterblichkeit größer ist und sie schließlich im Land der Freiheit überproportional häufig im Gefängnis sitzen, deuten sie all das als Diskriminierung. (Linke Soziologen bestätigen sie in der Fehldiagnose.###ausführen) Fataler weise setzen sie sich für noch mehr Wertschätzung, politische Korrektheit, und rechtliche Gleichstellung ein, ganz so, als ob man sich dafür in den USA auch nur ein Würstchen kaufen könnte...

  • Vom US-Staat und der US-Gesellschaft sehen sie sich insofern rechtlich, institutionell und moralisch ungerecht behandelt / betrogen, sind entsprechend beleidigt und tragen diese Mischung in Form eines eigenen Stolzes / eines Rechtsbewusstseins vor, das die ohnehin kaum vermeidbaren Rechtsbrüche (s.o.) mit dem guten Gewissen der ausgleichenden Gerechtigkeit begeht. Der Mut der Jugend tut das übrige...

  • In der permanenten Verdächtigung durch die Polizei und andere Teile der bürgerlichen Ordnung finden sie die Bestätigung für ihre (falsche) Vorstellung, dass es das System (grundlos) auf sie abgesehen hat.

Die menschenrechtliche Grundlage des US-Rassismus: Freiheit, Gleichheit und Eigentum!

Der - wie oben gezeigt - unvermeidliche, politökonomisch notwendige Konflikt zwischen US-Polizei und schwarzer Unterschicht erscheint beiden Seiten als etwas anderes: Beide Seiten gehen fälschlich davon aus, dass mit der Verwirklichung der bürgerlichen Grundrechte / Menschenrechte / Chancengleichheit „eigentlich“ der Erfolg aller Mitglieder der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft gewährleistet sein müsste. ###Dabei hat genau diese bürgerliche, zum „Menschenrecht“ schlechthin idealisierte Rechtsordnung einen entscheidenden Haken für die weitgehend eigentumslosen Massen: ausführen####

Es ist insofern nicht ein postkoloniales Relikt, welche das harmonische, menschenrechtlich fundierte Miteinanders von Schwarz und Weiß stört. Es ist vielmehr die den Menschenrechten zu Grunde liegende demokratische Rechtsordnung erwerbsbürgerlicher Freiheit, staatsbürgerlicher Gleichheit und der ausschließenden Verfügungsgewalt über die gesellschaftlichen Produktionsmittel als Eigentum selbst, die neben den wenigen nutznießenden Eigentümern des gesellschaftlichen Reichtums, die großen Masse der Lohnabhängigen und als unvermeidlichen Teil von ihr auch die „Überflüssigen“, die Pauper hervorbringt. Die Wirkmächtigkeit der Geschichte, des Kolonialismus und der Sklaverei, besteht lediglich darin, die ethnische Zusammensetzung der Unterschicht zu beeinflussen, indem durch die prädemokratische Zurichtung die Schwarzen mit den schlechtesten Ausgangsbedingungen in die bürgerliche Konkurrenz eingetreten sind. Am Charakter von Ausschluss, Pauperismus und den unausweichlichen Konflikten mit der bürgerlichen Staatsgewalt würde sich nichts ändern als die ethnische Zusammensetzung, wenn die „postkolonialen Strukturen“ überwunden würden. In Wirklichkeit wirkt ohnehin nicht die postkoloniale Struktur, sondern die kapitalistisch-demokratische Reproduktion der Armut###Bleibt dieser Erfolg für bestimmte Teile der Bevölkerung aus, so bieten sich unter der genannten ideologischen Prämisse zwei komplementäre falsche "Erklärungen" an: Entweder die Chancengleichheit ist verwirklicht, dann ist die Misere der Unterschicht auf diese selbst - mangelnder Wille, mangelndes Wissen, mangelhafte Begabung - zurückzuführen (vgl. auch die deutsche Unterschichtsdebatte). Das ist der moderne Rassismus der US-Gesellschaft. Oder aber diese Gesellschaft verweigert ihren schwarzen Mitbürgern zu Unrecht die Chance zum Mitmachen. Das ist das falsche Weltbild der schwarzen Unterschicht. Und gerade deshalb halten sich die beiden Kontrahenten wechselseitig für böse. 

Der unerschütterliche Glaube an die Glück bringende Wirkung der bürgerlichen Grundrechte eint die Kontrahenten. Beide Seiten berufen sich auf Grund- und Menschenrechte und wähnen sich als deren Verteidiger. Die Kollisionen zwischen Polizei und Schwarzen nehmen beide Seiten als unnötige...

Allerdings sind Polizisten mit ganz anderen Mitteln ausgestattet, um ihr beruflich bedingtes, rassistisches Feindbild zu exekutieren. Im Zweifelsfall dürfen sie zudem auf den Schutz einer Justiz hoffen, die im Rechtsbewusstsein und der Gewaltbereitschaft der Polizei um eine unverzichtbare Säule der Staats- und Eigentumsordnung weiß, die nicht durch harte Urteile wegen unverhältnismäßiger Gewaltanwendung oder rassistische Motive erschüttert werden soll...

Quellen:

Die höchste Gefangenenrate weltweit haben die Seychellen mit 868 Gefangenen pro 100.000 Einwohner, gefolgt von den USA mit 707.

International Centre for Prison Studies, Highest to Lowest - Prison Population Rate, abgerufen am 31. Januar 2015

Unterscheidet man bei den Inhaftierten nach Race, wie es in den USA üblich ist, befinden sich 4.347 von 100.000 schwarzen Männern und 260 von 100.000 schwarzen Frauen, 1.771 von 100.000 der männlichen und 133 von 100.000 der weiblichen Latinos und 678 von 100.000 der weißen männlichen und 91 von 100.000 der weißen weiblichen US-Bevölkerung in Staats- und Bundesgefängnissen in Haft (Stand 31. Dezember 2008). Insgesamt sind 1,65 % der schwarzen gegenüber 0,27 % der weißen US-Bevölkerung (U.S. residents) in Staats- und Bundesgefängnissen inhaftiert.[2]

U.S. Bureau of Justice Statistics: Prisoners in 2008, Washington, D.C. 2009, S. 8 Tab. 8, S. 36 Tab..14

Ende 2011 befand sich jeder 45. US-Amerikaner (2,2 % der Bevölkerung) entweder im Gefängnis (2,2 Millionen), oder sie waren zur Bewährung (4,0) oder zur Haftaussetzung (0,85) auf freiem Fuß.[3]. Damit stehen die Vereinigten Staaten im Verhältnis von Gefängnisinsassen zur Einwohnerzahl mit Abstand weltweit an der Spitze.

13. Zusatzartikel der US-Verfassung von 1865: Weder Sklaverei noch Zwangsdienstbarkeit darf, außer als Strafe für ein Verbrechen, dessen die betreffende Person in einem ordentlichen Verfahren für schuldig befunden worden ist, in den Vereinigten Staaten oder in irgendeinem Gebiet unter ihrer Gesetzeshoheit bestehen.

Editorischer Hinweis

Wir erhielten den Artikel von Arian Schiffer-Nasserie am 8. Juli 2016 mit folgendem Begleitschreiben und sagen von hier aus DANKE an den Autor.

Liebe Trend-Redaktion,

im Anhang kommt ein Beitrag zu "Polizei und Rassismus in den USA", der - leider - immer noch genau so aktuell wie vor einem Jahr ist(*). Damals hatte ich den Text für die Themenseite der Jungen Welt verfasst, die ihn dann unter anderer Überschrift und mit mit z.T. ärgerlichen Änderungen gebracht hat. Habt Ihr Interesse, den Aufsatz mit einem aktualisierten Vorspann zu bringen? Das würde mich sehr freuen, da ich hoffe, dass die vorgetragenen Überlegungen vielleicht irgendwann mal in die einschlägige Diskussion eingehen...
Viele Grüße,
Arian

*) gemeint ist: "Die Gewalt der Konkurrenz" in: junge Welt, 18.05.2015, Seite 12 /red. trend